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Elektronische Kultur

Wem gebe ich meinen Schlüssel?

Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.12.1996

Wem gebe ich meinen Schlüssel?

Trust-Center sollen die zukünftige Kommunikation im Internet organisieren

Noch immer boomt das Internet. Täglich schließen sich mehr Leute an das weltumspannenden Computernetz an, knüpfen Kontakt zu Gleichgesinnten, suchen Informationen oder gleiten über die bunten Bilder des World Wide Web (WWW). Online sein ist in, eine elektronische Adresse auf der Visitenkarte gehört teilweise schon zur Grundausstattung eines Großstadtbewohners, besser noch die eigene Homepage. Wo viele Menschen aufeinandertreffen, hofft die Wirtschaft auf ihr Geschäft, denn auch das virtuelle Dorf will versorgt sein. Der Traum der Kaufleute: Morgens liest der Kunde die Zeitung am Bildschirm und erledigt seine Bankgeschäfte, mittags kauft er einen Anzug, bestellt gleich ein paar Schuhe mit und abends wird die Pizza zum Fernsehen ebenfalls über das Netz geordert. Mit den Daten fließt dann, so die Hoffnung, viel Geld durch die Drähte.

Zwei Faktoren verhinderten bislang allerdings, daß aus dem Internet eine finanzielle Quelle wurde. Zum einen wehren sich die Ureinwohner des Netzes gegen die Kommerzialisierung, sie sehen den Sinn des weltweiten Datenaustausches in der freien, globalen Kommunikation. Virtuelle Einkaufszentren hält man für nutzlose Konsumtempel. Zum anderen scheitern Geschäfte über den Computer an der fehlenden Identifikation des Partners. Wer weiß denn, ob sich hinter der E-Mail Adresse wirklich der verbirgt, der er vorgibt zu sein? Und wie kann man dem elektronischen Kunden seine Zahlungsfähigkeit ansehen? Und warum sollte dieser seine Kreditkartennummer preisgeben, wenn sie offen durch die Leitungen reist? Damit sich digitaler Einkauf samt dazugehörigem Geldverkehr etabliert, gründen sich in der Bundesrepublik jetzt sogenannten „Trust-Center“. Diese überprüfen die Identität des Partners, so daß sich die beide sicher sein können, daß der jeweilige Gegenüber ihr Vertrauen verdient. In Meppen und bei der Telekom in Siegen legte man dieses Jahr den Grundstein für Trust-Center.

Logo Trust-Center Hamburg

Im Mikroelektronik Anwendungszentrum (www.maz.de) in Hamburg-Harburg baut man zur Zeit ebenfalls ein solches Trust-Center (www.trustcenter.de) auf. „Um die Rolle dieses Institution zu verstehen, muß man die ihnen zu Grunde liegenden Techniken begreifen“, sagt Michael Hortmann, Projektleiter beim MAZ. Grundlage vertrauenswürdiger Transaktion im Netz ist die Verschlüsselung von Nachrichten, die Kryptographie. Früher hauptsächlich im militärischen Bereich eingesetzt, benutzen heute immer mehr Menschen Verschlüsselungsprogramme, damit kein Unbefugter ihre Nachrichten lesen kann, wenn sie um die Welt reisen. Kryptographie entspricht also einem Briefumschlag. Wirklich gute -weil nicht entschlüsselbare- Programme für den PC, wie PGP („Pretty Good Privacy“), arbeiten mit zwei „Schlüsseln“. Jeder Benutzer verfügt über zwei Schüssel; einer davon, der „öffentliche Schlüssel“, ist jedermann zugänglich, während der zweite „private Schlüssel“ niemand anderem bekannt sein darf. Wollen Kunde und Anbieter über das Internet ein Geschäft eingehen, verschlüsselt jeder seine Nachricht mit dem öffentlichen Schlüssel des Partners und schickt sie in die Weiten des Netzes. Dazu hat er zunächst den Schlüssel des Partners angefordert und bekommen. Die Verschlüsselung aufheben kann nur der Besitzer des zugehörigen geheimen Schlüssels. Nun kommt schon bei geselligen Privatleuten nach einiger Zeit ein enorm großes Schlüsselbund zustande, denn von jeder Person, mit der ungestört kommuniziert werden soll, muß der öffentliche Schlüssel angefordert und zudem sichergestellt werden, daß er authentisch vom Partner stammt. Wenn Behörden und Unternehmen das Internet in Zukunft vermehrt nutzen, dürfte ihr Schlüsselbund groteske Ausmaße annehmen.

Die entstehenden Trust-Center wollen Ordnung in das drohende Chaos bringen, indem sie die Schlüssel ihre Klienten verläßlich verwalten. Die besonders wichtige Zuordnung des öffentlichen Schlüssel zum einzelnen Teilnehmer sei, so meint zumindest Hortmann, nur auf diesem Wege zu gewährleisten. Ein Beispiel: Wenn man seiner Bank vertrauliche Daten übermitteln möchte, sollte man sicher sein, daß der benutzte öffentliche Schlüssel auch tatsächlich der Bank gehört und nicht jemandem, der deren Identität nur vorspiegelt. Diese vertrauenswürdige Zuordnung leistet das Trust-Center durch ein digitales Zertifikat, vergleichbar einem Paß, welcher nachweist, daß Person und Schlüssel zusammen gehören. Die Kosten sind für ein breites Publikum tragbar, ein Zertifikat der niedrigsten Sicherheitsstufe wird etwa zehn Mark jährlich kosten. Hortmann und die MAZ wünschen sich ein „Massenpublikum“ als Klientel, was aber nur zu erreichen sei, „wenn genügend Firmen und Behörden mitmachen, die als Kommunikations- und Vertragspartner für viele begehrt sind“. Erste Schritte in Richtung einer globalen Kooperation sind bereits vollzogen, denn das MAZ steht in Verhandlungen mit Netscape, der Firma, die das gängigste Programm zum surfen im WWW, den sogenannten Browsern, vertreibt. Für den sicherheitsbewußten Anwender vor dem heimischen PC soll der verwirrende Umgang mit den Schlüsseln damit einfacher gemacht werden, denn der Netscape-Browser verwaltet die Schlüssel selbständig.

Die Idee zur Einrichtung der Trust-Center findet ihren Grund aber nicht nur im Willen der Wirtschaft, endlich Gewinne aus dem Internet zu ziehen. Vielmehr soll damit auch eines der Hauptprobleme der Verschlüsselung von Daten gelöst werden. Weltweit sehen Regierungen Kryptographie in erster Linie als gefährliche Waffe in Händen von Verbrechern. Nachrichten, die mithilfe von PGP codiert sind, kann selbst der amerikanische Geheimdienst mit seinen Hochleistungsrechner kaum noch knacken – ein Horrorszenario für die Staatsschützer. Die USA schlugen deshalb jüngst eine Regelung vor, die Anwendern zwar die Verschlüsselung ihrer Briefe gestattet, die öffentlichen wie geheimen Schlüssel müßten aber, geht es nach den Vorstellungen der Clinton-Administration, unabhängigen Einrichtungen ausgehändigt werden. In Bonn ist ein Kryptographie-Gesetz in Vorbereitung, welches dem amerikanischen Vorbild maßgeblich ähnelt.

Im Netz selber laufen die Menschen Sturm gegen jedwede Pläne, welche die Codierung ihrer Daten einschränken. Die große Mehrheit hält eine digitale Signatur nur dann für vertrauenswürdig, wenn niemand außer dem Inhaber Zugang zu einer Kopie des geheimen Schlüssels hat. Zudem glaubt man, daß die Regierungen mit der Vergabe und dem Entzug von Lizenzen für Verschlüsselungsverfahren den Markt regulieren werden und nur die Verfahren zulassen, die mit einigem Aufwand doch zu entschlüsseln sind. Ihr weiterer Verdacht: Der Umstand, daß zum ersten Mal in der Geschichte jedermann ungekürzt und unzensiert publizieren kann, stört die Machthaber. Die Apologeten des freien Datenflusses finden Unterstützung von juristischer Seite. Johann Bizer, Rechtsexperte für die Verschlüsselung von Daten, zieht aus den Grundrechten den Anspruch jedes Bürgers, unbehelligt vom Staat seinen individuellen Schutzbemühungen nachzugehen. Beides, ein Verbot von Verschlüsselung ebenso wie die Einführung von Lizensierungsverfahren, die den Sicherheitsbehörden einen Zugriff auf private Schlüssel ermöglichen, verletzen nach Ansicht Bizers die im Grundgesetz verankerten Grundrechte. Für den Staat stellen sich die entscheidenen Fragen anders, wobei Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig den Kern des Problems trifft. Nicht ohne weiteres entschlüsselbare Verfahren seien sowohl für den Ausbau der kommerziellen Nutzung wie für die Wahrung der Privatsphäre ohne Zweifel nötig, meint der FDP-Politiker. Andererseits müsse wie bei Brief und Telefon die Möglichkeit bestehen, im Rahmen einer richterlichen Anordnung die Nachrichten einzelner Sender oder Empfänger zu überwachen. Zugleich gibt er zu: „Die bisherige Praxis zeigt, daß Verdächtige, die sich der Gefahr der Abhörung bewußt sind, eh auf andere Kommunikationswege ausweichen und nicht etwa verschlüsse lte Nachrichten versenden.“

Im MAZ tritt man der Diskussion auf eigene Art entgegen. Hortmann will das Managment der Schlüssel so regeln, daß die privaten Schlüssel der Teilnehmer gar nicht im Trust-Center gespeichert sind. „Falls ein Kunde die Verwahrung seines geheimen Schlüssels wünscht, und das kann durchaus sinnvoll sein, schlagen wir eine Speicherung von Teilschlüsseln bei verschiedenen Trust-Centern oder Notaren vor.“ Auch die anderen Trust-Center in der Republik ziehen es vor, keine geheimen Schlüssel zu speichern. Den Überlegungen der Bundesregierung, elektronische Kommunikation an die Abgabe beider Schlüssel zu binden, steht der Mathematiker an der Universität Bremen skeptisch gegenüber. Er fordert mindestens zwei voneinander unabhänige Institutionen, die Teilschlüssel erhalten. Eine technische Rafinesse soll die Neugier der Abhörer zusätzlich bremsen. Hortmann schlägt vor, die Verschlüsselung so konfigurieren, daß sich bei Herausgabe des Schlüssels an eine Behörde nur ein gewisses „Zeitfenster“ für das Abhören öffnet.

 

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Drogenpolitik

Kanada leidet trotz zahlreicher Proteste weiterhin unter der Cannabis-Prohibition

HanfBlatt Oktober 1996

Die süßesten Früchte sind die Verbotenen

Chance vertan: Kanada leidet trotz zahlreicher Proteste weiterhin unter der Cannabis-Prohibition

Der Beginn schuf Hoffnung: Im letzten Jahr beschloß die kanadische Regierung die Reform ihrer Drogengesetzgebung. Eine umfassende Neugestaltung der Betäubungsmittelgesetze („Narcotic Control Act“ und „Food and Drug Act“) unter Berücksichtigung neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse war geplant, ein neues Werk, welches die Drogenpolitik des Staates in das nächste Jahrtausend leiten würde, kurzum, es sollte der ganz große Wurf werden. Die Gründe für eine Revision lagen auf der Hand: Die seit 1993 regierende Liberal Party von Premier Jean Chrétien blickt auf einen verlorenen „Krieg gegen Drogen“ ihrer konservativen Vorgänger zurück, noch niemals zuvor gab es in Kanada soviele Konsumenten von harten, die Kosten im sozialen- und Gesundheitssystem explodierten. Trotz (oder aufgrund?) des Verbots von Cannabis blieb der Anteil der kiffenden Nordmänner und Frauen über die Jahre gleich. Wie in vielen anderen Staaten der westlichen Hemisphäre auch, orientieren sich kanadische Politiker an der Drogenpolitik der USA, die seit nunmehr sieben Jahrzehnten den „war on drugs“ führen, einen Krieg, welche nach Ansicht vieler Experten nicht zu gewinnen ist. Maßgebliche Unterstützung erhielten diese jüngst von Milton Friedmann, Nobelpreisträger für Ökonomie, der in einem offenen Brief im „Wall Street Journal“ zur Illegalität von Drogen formulierte: „Illegalität kreiert die unanständig hohen Gewinne, die die mörderischen Pläne der Drogenbarone finanzieren, Illegalität führt zur Korruption der Gesetzesanwender, Illegalität bindet die Anstrengungen der Staatsgewalt an sich, so ist sie nicht mehr fähig, sich der Bekämpfung von Mord, Raub und Vergewaltigung zu widmen.“

Die Befürworter einer Legalisierung von Cannabis witterten ihre Chance. Sie drängen seit Jahren auf eine Revision der bestehenden Bestimmungen, die Produktion, Besitz und Konsum der Pflanze unter Strafe stellen. Nach geltendem Recht kann die Kultivierung von Marihuana mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft werden, eine Regelung, von der die Gerichte aufgrund ihrer Realitätsferne bei Kleinfarmern allerdings keinen Gebrauch mehr machen. Die Geldstrafen für den Besitz von kleineren Mengen von Gras gehen aber zum Teil bis 1500 Mark oder führen wahlweise sechs Monaten hinter schwedische Gardinen. Unter Strafandrohung steht auch der Besitz und Verkauf von Paraphernalia, wer mit einem Bong erwischt wird, landet also ebenfalls vor Gericht. Die einschränkenden Verordnungen gelten desgleichen für Literatur, die sich mit der Hege und Pflege gewisser Pflanzen beschäftigt oder Anleitungen für deren Konsum gibt – die Zeit für eine Neuorientierung war reif.

Nun wollten nicht die Politiker allein über die Gestaltung eines Katalogs entscheiden – eine eigens einberufene Kommission sollte zunächst die momentanen Verhältnisse kritisch überprüfen, Vorschläge erarbeiten und Alternativen einbringen. Dabei stand neben der Frage der Legalisierung von Marihuana auch eine neue Perspektive auf andere Drogen auf der Agenda. Erinnerungen bei den älteren Drogen-Aktivisten wurden wach: Schon einmal, im Jahre 1973, hatte sich eine Kommission mit der Frage von nicht-medizinischen Anwendungen von berauschenden Substanzen beschäftigt. Die „LeDain Commission“ plädierte damals für eine Abkehr von der restriktiven Drogenpolitik, ihre Vorgaben wurden allerdings nie umgesetzt…

Ohne Frage, der dieses Mal betriebene Aufwand stand dem von damals in nichts nach. Wissenschaftliche Honorationen wurden bestellt, Experten für die medizinischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Drogenkonsums. Sie diskutierten über mehrere Monate mit geladenen Senatoren und Politikern aller Parteien. Ein Name für das große Reformwerk war schnell gefunden:

„Controlled Drugs and Substances Act“ (Bill C-8). Die Überraschung ließ nicht lange auf sich warten, denn nach kurzer Zeit sprachen sich Senatoren der beiden großen kanadischen Parteien (Liberal Party und Progressive Conservative Party) für die Dekriminalisierung von Cannabis aus. „Ich bin für die Dekriminalisierung von Marihuana“, berichtete Rose-Marie Losier-Cool, eine der fünf SenatorInnen im Ausschuß vorsichtig. „Das momentane Strafmaß ist überzogen hoch und hat keinerlei Wirkung gezeigt. Vielleicht sollte das Problem eher aus gesundheitlicher Sicht gesehen werden.“ Sogar Pierre-Claude Nolin, 45, ließ sich von den Wissenschaftlern überzeugen. „Cannabis ist um einiges weniger schädlich als Zigaretten und Alkohol. Leben wir nur deswegen in einer Prohibition, weil diese eine Art nie hinterfragbares Dogma ist und weil viele anderen Staaten es ebenso halten?“ fragte der konservative Senator sich und die Öffentlichkeit. Nolin gab zu, selber einmal Marihuana probiert und dabei sogar inhaliert zu haben. „Hat mich aber nie interessiert, wahrscheinlich weil es zu teuer war“, kommentierte er sein Jugenderlebnis. Die Vorsitzende des Gremiums, Sharon Carstairs, bekräftigte die Aussagen ihrer Kollegen: „Wir sind sehr viel mehr an einem Modell interessiert, welches den Schwerpunkt auf die Linderung des vielfältigen Leids setzt, als auf den Ausbau noch härterer Gesetze.“ Mit auf den Weg gebracht werden solle, so der einhellige Wunsch der Senatoren, auch die Erforschung des Hanfanbaus für industrielle Zwecke.

Mittlerweile war es am anderen Ende des Commonwealth-Staates zu aufsehenerregenden Ereignissen gekommen. In Vancouver, einer Hafenstadt am Pazifik, veröffentlichte die für Drogenfälle zuständige Staatsanwältin einen Brief an die örtlichen Polizeidienststellen, daß sie in Zukunft keine Strafverfolgungen mehr gegen Drogen-Konsumenten einleiten wolle, es sei denn es existierten erschwerende oder strafverschärfende Faktoren. Die Chefanklägerin sah sich zu diesem Schritt veranlaßt, weil die Gerichte mit Bagatellfällen völlig überlastet waren – in den beiden Amtsgerichte in Vancouver Downtown seien, so Lindsay Smith, nur noch Verfahren wegen des Besitzes von kleineren Mengen von Drogen anhängig. Die sich schnell ausbreitende Aufregung in der Metropole legte sich auch nicht, als Lindsays Vorgesetzter, Tony Dohn, in einem Interview relativierte: „Wir haben einfach festgestellt, daß das System über alle Maßen beansprucht ist und wir mehr Verfahren haben, als wir jemals bewältigen können. Es sollte keine Lizenz zum Drogenkonsum sein und auch keine Anweisung an die Polizei, auf beiden Augen blind zu sein.“

Zahlreichen Marihuana-Liebhaber in der Stadt sprachen trotzdem von dem „schönsten Tag in ihrem Leben“ und Initiativen wie „Hemp BC“ oder „Cannabis Canada“ feierten die Order aus dem Justizministerium als wichtigen Schritt zu einer Normalisierung. Zu den Vorgängen befragt, konstatierte der Bürgermeister der Stadt, Phillip Owen: „Die Justiz weiß, daß es ein Gesetz gibt, sagt aber auch, daß sie es zukünftig ignorieren wird. So geht es nicht, denn entweder legalisiert man die Drogen oder man setzt das Gesetz durch.“ Am selben Tag veröffentlichte der Direktor des Justizministerium eine Nachricht, in der die neuen Richtlinien konkretisiert wurden: Jeder Fall den die Polizei an die Gerichte herangetrüge, würde ab sofort auf zwei Kriterien überprüft werden: Langen die Beweise voraussichtlich aus, um den Wurf des Konsumenten in die Mühlen der Justiz zu rechtfertigen? Und: Besteht ein öffentliches Interesse an einer Anklage? Dies sei nur gegeben, wenn die Straftat schwerwiegend, das Gerichtsverfahren nicht zu lang, zu teuer und zudem keine Alternativen zur Bestrafung zur Verfügung stehen. Niemand sollte daraus aber schließen, daß „der Besitz von sogenannten weichen Drogen grundsätzlich straffrei bleibt“, hieß es in der Presseveröffentlichung weiter. Die Konfusion im Ort war perfekt. Durfte man nun Rauchen oder nicht? Mutige Kiffer probten das Exempel: Sie fragten Polizeibeamte auf der Straße, was diese tuen würden, wenn eine Person sich vor ihnen einen Joint anzündet. Die einhellige Antwort: „Denjenigen Bürger bitten, den Joint wieder auszumachen.“ Weit entfernt von einem Ende der Prohibition schien dies den Aktivisten einer erster Schritt in die richtige Richtung zu sein.

In der Hauptstadt Ottawa blieben die Ereignisse in Vancouver nicht unbemerkt, deckten sie sich zum Teil mit den hitzigen Diskussionen um eine Neuorientierung im Umgang mit berauschenden Substanzen. Ein Studie kam in Umlauf, die heraushob, daß in Kananda 4.2 Prozent der über 15jährigen schon einmal Marihuana probiert hätten, nur der kleinste Teil dieser Frauen und Männer den Hanf aber öfter durch ihre Hirnwindungen rauschen lassen. Einer der konsultierten Experten, Ethan Nadelmann, zog den Schluß, daß nicht die Frage der Legalsierung oder Kriminalisierung im Vordergrund steht, sondern die Frage, „welches die besten Mittel zu Regulierung der Produktion, Verteilung und des Komsums der vielfältigen psychoaktiven Substanzen sind, die heute und in Zukunft erhältlich sind“. Darüber hinaus muß, so Nadelmann, „jede Drogenpolitik unterscheiden: Zwischen gelegentlichen Konsum, der keine oder kaum Auswirkungen für jemanden hat, Drogenmißbrauch, der in erster Linie Schäden für den Konsumenten hat und Mißbrauch, der im Resultat auch Schäden für andere in sich trägt.“

Entäuschung breitete sich aus, als das Kommitee im Juni seine Entscheidung bekannt gab: Keine Dekriminalisierung von Cannabis, keine Neuausrichtung der Drogenpolitik. Was war geschehen? Nach wie vor, so Senatorin Carstairs, sei man sich im Prinzip einig, daß die Dekriminalisierung vom Besitz von Marihuana für den Eigenbedarf der richtige Weg sei, man hätte aber die Konsequenzen gescheut. So nahmen die Mitglieder an, daß eine quasi-Legalisierung diverse internationale Abkommen verletzt, die Kanada mitunterzeichnet hat. „Völliger Blödsinn“, hieß es in einer erster Stellungnahme von NORML-Kanada.

Scharfe Kritik übten die Vereinigung der Kanadischen Rechtsanwälte, die „Canadian Medical Association“ und die Vereinigung der Kanadischen Strafrechtsanwälte. Im Herbst soll ein gemeinsames Kommitee aus Senat und Unterhaus die bestehenden Gesetzte noch einmal gründlich überprüfen. Die Herausgeber der konservativen us-amerikanischen „National Review“ kommen zu dem Schluß: „Nach unserem Urteil ist der <Krieg gegen die Drogen> verloren. Er lenkt die Kräfte von dem Ziel ab, wie man mit den Problemen der Sucht fertig werden könnte, welche unsere menschlichen Resourcen verschwendet. Er fördert zudem juristische, politische und zivile Methoden, die denen von Polizei-Staaten ähnlich sind. Wir alle unterstützen die Bewegung in Richtung einer Legalisierung von Drogen, wenn wir auch unterschiedlicher Meinung darüber sind, wie weit wir darin gehen sollten.“

Jörg Auf dem Hövel

 

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Drogenpolitik Psychoaktive Substanzen

Grenzüberschreitend übers Ziel hinaus

 Grenzüberschreitend übers Ziel hinaus

Galilei des Bewußtseins oder Verführer der Jugend? Timothy Leary,
Prophet der Bewußtseinserweiterung, starb im Alter von 75 Jahren.

Das konservative Amerika der 60er Jahre sah in ihm den Verführer der Jugend, einen Drogenapostel, dessen angepriesene Substanzen und fernöstlichen Praktiken ihre Kinder, wenn nicht in den Tod, so doch in den Wahnsinn trieben. Die keimende Jugend- und Studentenbewegung dagegen sog seine -meist in Ekstase entstandenen- Ideen auf, sie dienten als Basis für den Protest gegen die bigotten Lebensweise eines in seinen Strukturen patriarchal-hierarchisch aufgebauten Staates.

Timothy Leary, ehemaliger Professor für Psychologie an der Harvard Universität, Künder der ständigen Erweiterung des Bewußtseins, Opa im Cyberspace und Uropa der Hippies, verstarb vor einer Woche an einem Krebsleiden. Was bleibt von Leary außer einem leblosen Hirn im Tiefkühlsarg und seiner Asche im Weltraum?

Timothy Leary hat viel gesagt, aber nur ein Satz schwebte als Konstante durch sein Leben: „Glauben Sie nichts von dem was ich sage, ich bin auch bloß neugierig.“ Dürstend nach neuen Erfahrungen, setzte er immer wieder neue Trends – nur um Jahre darauf wieder von ihnen Abstand zu nehmen. Propagierte er zunächst, daß die wahre Freude von den Sinnen, vom eigenen Körper und den menschlichen Beziehungen kommt, hörte er kurz darauf auf Albert Hofmann, den Schweizer Chemiker, welcher 1943 das mysteriöse Lysergsäurediethylamid (LSD) zum ersten mal synthetisierte: Der Einklang mit den Kräften der Natur bestimme das psychedelische Erlebnis, Maschinen brächten nicht sehr viel Freude, die großen Städte würden bald veröden, die Zukunft läge im friedlich, ökologisch orientierten Leben auf dem Land. Ende der 70er Jahre kündigte sich ein Paradigmenwechsel (Thomas Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 2. Aufl. 1976, hatte Leary inzwischen auch gelesen) an. Maschinen waren von nun an „nötig, um Menschen einander näher zu bringen, ihnen eine Möglichkeit zum Lachen, zum vermehrten Aufnehmen zu geben, die Intelligenz zu erweitern und Informationen zu streuen.“ Diese Glaube an den kontinuierlichen technischen Progreß schritt fort in Learys Hoffnung auf die „Space Migration“ der Menschheit. Nur der Weltraum gäbe den Humanoiden eine Chance auf das Überleben ihrer Art, ja, Leary nahm sogar an, „daß der einzige Platz, wo wir in Zukunft noch Natur haben werden, in kleinen Raumkolonien sein wird“. Damit nahm er endgültig die Kraft aus seinem Denken und Handeln, die auf eine Verbesserung der (menschlichen) Umwelt auf dem Planeten Erde zielte. Ökologische Themen standen von nun an nicht mehr auf seiner Agenda.

Während die „neuen Kathedralen“ im All sich als Luftschlösser erwiesen, enstand Learys Neubau auf elektronischem Grund. Ihn, der Intelligenz als „Empfangen und Weitergeben von Information“ definierte, faszinierten Anfang der 90er Jahre die entstehenden Möglichkeiten der Kommunikation im Internet. War es zunächst nur zwischenmenschlicher Austausch, versprach die „Virtuelle Realität“ noch mehr. Waren die Drogen nur Schlüssel für die Pforten zu transzendenten Ebenen, konnte der Mensch jetzt, so Leary, sich eine andere Realität an einem anderen Ort selbst schaffen. Und endlich konnte auch die nutzlose Hülle des Körpers abgestreift werden. Nicht mehr der klassisch-mühsame Pfad eines religiösen Weges mußte gegangen werden, um das Ich sterben zu lassen, den Körper von der Lust zu befreien und in reines Bewußtsein überzugehen. Sollte es möglich sein die Essenz des Menschseins in die Weiten der elektronischen Sphären zu transformieren? Dies fragte sich mit den Netzjüngern auch Leary. Im Mekka der späteren Cyberkultur sitzend, sah Leary im Netzwerk den zukünftigen, anzustrebenden Aufenthaltsort für das menschliche Bewußtsein. Der Computer als Schnittstelle zwischen Mensch und Cyberspace: Paradiesische Zustände lockten die Technokraten. Den Pfad des Wissenschaftlers verließ Leary in seinem Leben meist nur scheinbar, für ihn lagen Gebetsraum und Laboratorium stets nebeneinander, eine Einsicht, für die der französische Philosoph Jean Guitton immerhin 93 Jahre nachgedacht hat.

Im Herbst 1960 kostete der Sohn irischer Einwanderer das „göttliche Fleisch“ eines Pilzes in Mexiko, ein einschneidendes Erlebnis, denn er glaubte das göttliche Wesen der Welt erkannt zu haben. Kurz zuvor zum Professor für Psychologie an der Harvard Universität ernannt, suchte er von dort an den Geheimnissen der mystischen Welterfahrung durch halluzinogene Substanzen mit Hilfe wissenschaftlicher Methoden auf die Spur zu kommen. „Der Sinn des Lebens liegt darin, die vergessene Göttlichkeit wiederzuentdecken“, stellte Leary für sich fest. Waren es zunächst nur kleine Studentengruppen, denen Leary und seine Mitarbeiter den Wirkstoff des Pilzes (Psilocybin) verabreichten, veranstaltete er später zweiwöchige „psychedelische Kurse“ mit der weitaus stärkeren bewußtseinserweiternden Substanz LSD, zu denen mehr und mehr junge Personen pilgerten. Seinen Forschungsauftrag hatte er mittlerweile zurückgeben müssen. Dabei waren die Ergebnisse ermutigend: Von den 35 Insassen eines Gefängnisses, zumeist sogenannte Gewohnheitsverbrecher, wurden nur 32 Prozent nach einer mit Psilocybin begleiteten Therapie wieder rückfällig; eine Zahl, die sonst bei 67 Prozent lag. Die amerikanische Öffentlichkeit registrierte die wissenschaftlichen Ergebnisse nicht mehr, sie war durch Pressemeldungen über die Gefahren des LSD-Konsums aufgebracht. Immer mehr Amerikaner gingen auf ihren ersten „Trip“, zu ernsthaften Unfällen unter dem Einfluß der 1943 erstmals synthetisierten Droge kam es aber erst, als der amerikanische Geheimdienst Personen ohne deren Wissen die Substanz verabreichte. Während die Droge so zum „Sorgenkind“ für ihren Entdecker, dem Schweizer Chemiker Albert Hofmann, wurde, nahm Leary seinen medialen Kampf gegen das Establishment und für die psychedelische Revolution auf. Zusammen mit der entstehenden Hippie-Bewegung glaubte Leary zutiefst daran, daß sich die Menschheit schnell zu höherer Weisheit entwic keln kann. Die Kinder aus den 60er Jahren, so hoffte Leary damals noch, „werden LSD nur noch für die Geisteskranken brauchen – die Geisteskranken in der zweiten Generation danach werden die sein, die an Symbolen festhalten und nach Macht streben. Aber schon die dritte Generation nach uns wird LSD nicht mehr brauchen. Sie wird in so vollständiger Harmonie und jeder Form der Energie leben, daß LSD unnötig wird.“

„Turn on, tune in, drop out“. Diese Verkürzung seiner Ideen auf einen Satz verstanden die staatlichen Stellen nicht nur als Aufforderung zum illegalen Drogenkonsum, sondern auch, und erst dies zwang sie zum Handeln, als Aufruf zum Ausstieg aus dem bestehenden gesellschaftliche System. Die Regierung nahm den Kampf gegen den zum „Staatsfeind Nummer Eins“ beförderten Revolutionär auf. Unwillig, für den Besitz von ein paar Gramm Marihuana zehn Jahre die Welt nur durch Gitterstäbe zu sehen, floh er aus dem Gefängnis und dem gelobten Land, setzte sich nach Nordafrika und Europa ab, bevor ihn 1973 der CIA aus Afghanistan in die Heimat zurück verfrachtete. Die Brandmarkung zum „Drogenapostel“ und „LSD-Papst“ ließ Learys Schriften zumeist ungelesen und dies obwohl sie die philosophischen Konzepte des radikalen Konstruktivismus sowie der modernen Hirnforschung enorm bereichern könnten. Seine Thesen: Jeder Mensch ist mit verschiedenen Formen des Bewußtseins ausgestattet, die Leary als Schaltkreise definiert. Diese Stufen treten nicht nur zwangsläufig im Laufe jeder menschlichen Entwicklung auf, sie können auch selektiv ein- und ausgeschaltet werden. Das Bewußtsein ist, so Leary, die von der Struktur empfangene Energie. Seine Forschungen brachten ihn dazu anzunehmen, daß es ebenso viele Dimensionen des Bewußtseins wie Strukturen im Körper gibt, die Energie empfangen und entziffern können. Diese Annäherung an die fernöstlichen Philosophien vollzieht die Neurowissenschaft heute nach. So nimmt Franzisco J. Varela vom „Institut des Neuroscience“ in Paris an, daß beim Tod das Ich auf der Strecke bleibt, während das Bewußtsein auf einer anderen Stufe von Zeit und Raum landet. „Die Existenz findet in verschiedenen Dimensionen statt, und die meisten liegen vermutlich jenseits der Individualität.“

Der Tod sollte Learys letzter Trip werden. Abermals ein Tabu der Gesellschaft aufgreifend, vermarktete er auch diesen Trip, zelebrierte er auch hier seine Person, kündigte sogar an, sein letztes Röcheln live im Internet zu übertragen. Sicher, wohin die finale Reise geht, war selbst Leary nicht. Seiner Theorie nach müßte sein Bewußtsein inzwischen als reine Energie weiterbestehen, eine Art der Unsterblichkeit, die ihm nicht genügte. Schon vor einigen Jahren legte Leary fest, daß sein Körper nach dem Ableben tiefgefrostet wird. In einem Metallsarg wartet momentan allerdings nur sein Materie gewordener Verstand darauf, von Wissenschaftlern der Zukunft wiederbelebt zu werden, die Asche seines Körpers unternimmt in einer Rakete die Flucht ins All. Die Furcht vor der Stabilität des amerikanischen Präsidialsystems hatte ihn auch kurz vor seinem Tod nicht verlassen: Das Testament verbietet sein Auftauen, wenn ein Republikaner Präsident ist.

Jörg Auf dem Hövel

 

Literatur:

  • T. Leary, R. Metzner, R. Alpert: Psychedelische Erfahrungen
  • T. Leary: Politik der Ekstase
  • T. Leary: Neurologik
  • T. Leary: Neuropolitik
  • T. Leary: Was will die Frau?
  • T. Leary: Höhere Intelligenz & Kreativität
  • T. Leary: Info-Psychologie
  • T. Leary: Über die Kriminalisierung des Natürlichen
  • E. Reavis (Hrsg.): Rauschgiftesser erzählen, Frankfurt 1967.
  • „Neue Kathedralen im Weltraum“, Interview mit Timothy Leary in der „Esotera“ v. 14.9.1980.

 

JENSEITS DES SELBST

Das Spiel der Energie

dauert länger

als unsere Wünsche

Das Spiel der Energie

dauert länger

als unser Körper

Das Spiel der Energie

dauert länger

als unser Leben

Hier draussen

sind Zeit

und Wünsche

ohne Bedeutung

 

Timothy Leary: Gebete

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Elektronische Kultur

Selbstkontrolle statt Zensur

Die Meinungsfreiheit im Zeitalter des Internet

Internet Online 2/1996

Der Mythos lebt: Auf fernen Rechnern lagern Abbilder nackter Menschen, Rezepte für Rauschmittel, gar Anleitungen zum Bombenbau – frei zugänglich für jeden der einen Computer und ein Modem sein eigen nennt. Noch immer gilt das Internet als rechtsfreier Raum, als virtueller Ort mit selbstgeschaffenen Gesetzen. Nutzten bislang vor allem Randgruppen -von den Kanälen der bedruckten und audiovisuellen Medien weitgehend ausgeschlossen- das Netz als Plattform für ihr Anliegen, surft heute der „Otto-Normalverbraucher“ über die bunten Bilder des World Wide Web.

Das anarchische Chaos ist geblieben, ein Chaos, durch welches sich Regierungen auf dem gesamten Globus bedroht fühlen. Reagiert wird auf unterschiedliche Weise. China filtert und zensiert seit Anfang des Jahres die über das Internet eingehenden Daten systematisch. Der afrikanische Kontinent ist bisher ein ignorierter Vorort in globalen Dorf, die nur knapp 300 Tausend Hosts stehen fast allesamt in der Republik Südafrika, in den anderen Ländern sind die Zugangsbedingungen extrem erschwert und werden vom Staat kontrolliert. In der westlichen Hemissphäre bleibt unklar, wie das wild wuchernde Netz in den rechtstaatlichen Griff zu kriegen ist. Kopien von Texten und ganzen Büchern können binnen Sekunden um die Welt geschickt, pornographische Bilder ausgetauscht und Straftaten vorbereitet werden. Ohne einen rechten Ausweg aus dieser Lage zu beschreiten, überlegte die Staatsgewalt kurzzeitig, die Anbieter von Internet-Diensten (Provider) für den Inhalt der über ihre technischen Infrastruktur laufenden Daten verantwortlich zu machen. Die Logik griff zu kurz, denn die Post wird auch nicht verklagt, weil sie Pornographie transportiert. Nicht erst seit dem Gutachten von Professor Ulrich Sieber, 45, ist klar, daß die Provider nicht dafür verantwortlich sind, wenn sich ihre Kunden illegale Bilder aus dem internationalen Netzverbunde holen. Uneinigkeit herrscht aber in der Frage, inwieweit ein Anbieter intervenieren muß, wenn er Kenntnis davon erhält, daß irgendwo im Internet strafbare Inhalte zu finden sind. Eine Reihe weiterer Fragen schließt sich dann an: Muß er sich aktiv informieren und wieviel Zeit muß er darauf verwenden? Welcher Strafbestand wird erfüllt, wenn er nicht handelt? Mitwisserschaft bei Straftaten oder sogar Beihilfe?

Strafrechtsexperte Sieber stellt sich hinter die Provider und den einzelnen Nutzer: „Wenn wir keinen Überwachungsstaat wollen, müssen wir mit der Möglichkeit des internationalen Mißbrauchs leben.“ In Bonn verschiebt die Regierung das Problem in den Bereich des Presserechts, welches durch das Prinzip der Selbstkontrolle geprägt ist. Nicht die Einsicht, daß Zensur in einem demokratischen Staat nicht stattfinden sollte, sondern die Kapitulation vor einer mit nationalen Gesetzen nicht zu regelnden Materie ließ die Politiker diesen Schluß ziehen. Zudem sieht auch die Bundesregierung ein, daß der Anteil potenitell rechtswidriger Inhalte im Internet „deutlich weniger als ein Prozent“ beträgt. Verschiedene Provider begriffen die Chance, weitgehend unabhängig von staatlicher Einflußnahme eine eigene „Gerichtsbarkeit“ aufzubauen. „Internet-Medienrat“ oder „Internet Content Task Force“ (ICTF), heißen die Projekte, die entstanden. Die ICTF will sich hauptsächlich mit dem News-Dienst im Internet auseinandersetzen, hier vermutet man das größte illegale Potential im Netz. Dabei sollen vorhandenen Informationen über die Herkunft von News erfasst und so eine Datenbank erstellt werden, mit der auch nachträglich ermittelt werden kann, wer einen Artikel verschickt oder wer die Identität des wahren Autors verschleiert hat. Weiterhin klassifiziert die ICTF vorhandenen oder neu eingerichtete Newsgroups, so daß Gruppen, die nach Ansicht der Experten des Gremiums ausschließlich oder überwiegend der Verbreitung rechtswidriger Informationen dienen, von der weiteren Distribution ausgeschlossen werden können. Im Netz selber werden diese Aktivitäten eher argwöhnisch betrachtet. Der Vorwurf: Die selbsternannten Kontrolleure ziehen ihre Legitimation nicht aus der Cybercommunity, ihre de-facto Exekutivgewalt sei ebenfalls selbstverliehen. An den Nutzern vorbei sei hier eine Kontrollinstitution geschaffen worden, deren Entscheidungen nicht schon deswegen richtig seien, weil sie von sogenannten Experten gefällt werden. Zudem sei nicht zu verhindern, daß in einer Newsgroup der eine Drogenabhängige nach Hilfe sucht und zugleich der andere ein Rezept für Ecstasy. Der Mitbegründer der „Electronic Frontier Foundation“, John Perry Barlow, tritt aus diesem Grunde dafür ein, daß im Internet jeder behaupten kann, was er will: „Man kontrolliert Ideen nicht mit dem Versuch, ihre Äußerung zu untersagen“, behauptet er.

Eine erste Feuertaufe mußte das ICTF schon über sich ergehen lassen. Vor kurzem erhielten die freiwilligen Kontrolleure ein Fax der Bundesanwaltschaft, in welchem die obersten Ankläger darauf hinwiesen, daß die in Deutschland verbotene Zeitschrift „Radikal“ beim holländischen Provider XS4ALL verfügbar ist. Es wurde die Empfehlung ausgesprochen, den Zugang zu der holländischen Adresse zu sperren. Die Anwälte der ICTF folgten dem Anliegen und gaben ihrerseits die Empfehlung an die dem ECO (Electronic Commerce Forum) angeschlossenen Provider weiter. Mit mehr oder weniger großer Kooperationsbereitschaft folgten die Anbieter der Aufforderung zur Sperrung. Die Konsequenz: XS4ALL ist von Deutschland aus nicht mehr erreichbar, zugleich rückte die Bundesrepublik in einer inoffiziellen Rangliste der weltbesten Zensurstaaten auf Platz drei hinter China und Singapur. Und: Die ICTF sieht sich momentan einer Flut von Hinweisen ausgesetzt, die illegales Material im Netz aufdecken. Theoretisch müsste der Verein für jede dieser Hinweise Prüfungen durchführen und -wie im Falle von XS4ALL- die Provider benachrichtigen. Offentsichtlich ist die ICTF nicht in der Lage, diesen enormen Arbeitsaufwand zu leisten und hat deswegen zunächst die Bundesanwaltschaft aufgefordert, eine Klärung auf gerichtlichem Wege herbeizuführen.

Alteingesessene Netzbewohner weisen in der Diskussion immer wieder darauf hin, daß sich die bisherigen Probleme gut innerhalb der virtuellen Gemeinschaft lösen ließen. Allergisch reagieren die Pioniere vor allem auf jedwede Aktivität von staatlicher oder privater Seite, die den freien Fluß von Daten verhindert. Die freie Meinungsäußerung sei Prämisse jeder Kommunikation im Internet. Kontrollgremien wie der „Internet Medienrat“ behaupten dagegen, daß das im Cyberspace selbst entwickelte System des Miteinander – „Netiquette“ genannt- gegen die Grundordnung der realen Gesellschaft verstößt. Sofern die Teilnehmer auf Mißbrauchsfälle selbst mit Sanktionen reagieren, beschneidet man die Betroffenen ihrer grundlegenden Rechte – insbesondere den Anspruch auf eine faire und unabhängige Überprüfung der ergriffenen Maßnahmen. Ob dies ein durch die virtuellen Gemeinschaft nicht getragenes Kontrollgremium wie der „Internet Medienrat“ zu leisten vermag, wird aber von anderer Seite ebenfalls bezweifelt.

Fest steht: Sein exponentielle Wachstum ließ das Internet von der gesellschaftlichen Randerscheinung zum festen Bestandteil des kulturellen Alltags werden. Indem es Teil der Gesellschaft wurde, kann es sich gewisser rechtlicher Reglementierungen kaum noch entziehen. Das im Netz entwickelte normative Gefüge stimmt dabei in Teilen nicht mit dem Rechtssystem Deutschlands und dem anderer Staaten überein. Erst dies zwingt die Politiker zum Handeln.

Jörg Auf dem Hövel

 

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Elektronische Kultur

Mit Scientology im Cyberspace

ct 3/1996

Zensur oder Urheberschutz?

Scientology im Internet

Während sich vielerorts die Gesetzgeber zunehmend gezwungen sehen, über die Verantwortlichkeit für die Inhalte des Internet zu befinden, führt die Gemeinschaft der Scientologen ihren eigenen Kampf gegen die unkontrollierte Meinungsfreiheit. Sie suchen verzweifelt nach Schuldigen, die sie für vermeintliche Urheberrechtsverletzungen belangen können.

Randgruppen, von den Kanälen der bedruckten und audiovisuellen Medien weitgehend ausgeschlossen, nutzen das Internet als Plattform für ihre Anliegen. Die freie Meinungsäußerung ist dabei Prämisse aller Kommunikation. Durch das anarchische Chaos fühlen sich nicht nur staatliche Machtzentren bedroht, auch die Gemeinschaft der Scientologen sieht seit kurzem die Grundfesten ihres Glaubensgebäudes untergraben. Denn im Internet tauchen immer wieder geheime Schriften von Ron L. Hubbard, dem Stifter der Quasi-Religion, auf. Diese Texte schützt das Urheberrecht, ungeachtet dessen sind sie über die internationalen Datenleitungen frei erhältlich. Die in Amerika als Kirche anerkannte Vereinigung bemüht sich um weltlichen Beistand: In verschiedenen Ländern sollen Gerichte über die Verbreitung der vertraulichen Überlieferungen Hubbards befinden. Im Kern geht es dabei um die Grenzziehung zwischen freier Meinungsäußerung und geistigem Eigentum.

 

Teure Lehren

Warum aber erfreut sich die Kirche nicht an der effektiven Verbreitung der Lehre ihres 1986 verstorbenen Oberhauptes? Um auf konventionellem Wege durch das Werk Hubbards illuminiert zu werden, bedarf es eines randvollen Bankkontos. Wird die Literatur zur Einführung oft noch kostenlos verteilt, sind die Materialien für die Ausbildung zur geistlichen Beratung bis zu 2000 Mark teuer und nur für Mitglieder erhältlich. Das Hinaufschweben der Sprossen zur vollkommenen Bewußtseinserweiterung kostet dann ein Vermögen – Scientologen zahlen für die Absolvierung der fortgeschrittenen Stufen ihrer Religion bis zu hunderttausend Mark. Mit der Veröffentlichung der Publikationen im Internet versiegt somit eine entscheidende Geldquelle der Organisation. Thomas Small, Rechtsbeistand des ‚Religious Technology Center‘, der Institution in den USA, welche die Rechte an den Werken Hubbards hält, forderte Anfang vergangenen Jahres mehrere Internet-Anbieter auf, den Versand von geschützten Schriften über ihre Computer zu unterbinden. Das Problem: Nicht die Anbieter selbst, sondern einige ihrer Kunden hatten per elektronischer EMail Texte von Hubbard in das Diskussionsforum ‚alt.religion.scientology‘ gesandt. Dieses schwarze Brett im Internet, ein öffentlicher Treffpunkt für Gegner und Anhänger der Lehre, ist seit seiner Geburt im Jahre 1991 ein Dorn im Auge der Welterklärer. Über 14.000 Gelegenheitsleser streiten hier über Sinn und Unsinn einer scientologischen Weltanschauung. Der bekannteste der angeschriebenen Anbieter, der finnische Versender ‚anon.penet.fi‘, sah keine Möglichkeit, die privaten Nachrichten seiner Kunden auf illegale Inhalte zu überprüfen. ‚Die Post ist auch nicht für den Inhalt ihrer Briefe verantwortlich‘, antwortete Johann Helsingius, der seit 1992 den Server betreibt. Diese Antwort reichte nicht, denn ein paar Wochen später statteten ihm die Scientologen in Begleitung der Polizei einen Besuch ab. Ein Durchsuchungsbefehl legitimierte die Delegation zur Beschlagnahme der gesamten Computeranlage.

Kinderpornos als Waffe

Nicht den anonymen Transport von Texten Hubbards warf man dem Finnen allerdings vor, sondern die illegale Weiterleitung von Kinderpornographie. Mats Wiklund von der Universität in Stockholm meinte obszöne Bilder auf dem Rechner im Nachbarland entdeckt zu haben. Bereitwillig griffen die Jünger Hubbards den Fund auf und erstellten Strafanzeige. Teile der in Aufruhr geratenen Internet-Gemeinde vermuten, daß die Scientologen selbst die Fotografien auf den Computer des unbequemen Nordländers geladen haben. ‚Es ist eine allgemein übliche Praxis, einem Internet-Anbieter, dem man schaden will, Kinderpornos auf den Rechner zu spielen und Anzeige zu stellen‘, berichtet Coco Danie, Mitglied im Hamburger ‚Chaos Computer Club‘. Die Glaubensgemeinschaft der Scientologen steht seit der Gründung in den fünfziger Jahren in dem Ruf, ihre Anhänger einer systematischen Gehirnwäsche zu unterziehen, um sie schrittweise von der sozialen Umwelt abzuschotten und damit immer weiter von den Definitionen ihres Gründers abhängig zu machen. Gegen Kritiker geht der sektiererische Verein meist so rigoros vor, daß sich die Münchener Staatsanwaltschaft 1986 verpflichtet fühlte, der Organisation ‚geheimdienstliche Methoden im Grenzbereich zur Illegalität‘ zu attestieren. Trotzdem oder deswegen zählt das heilsuchende Bündnis heute weltweit sieben Millionen Genossen in seinen Reihen – 300.000 davon in Deutschland.

Nach Angaben der deutschen Sektion des Vereins ist die Einspeisung der Werke Hubbards in das Internet zunächst auf Anregung aus den eigenen Reihen lanciert worden. Wie der Hamburger Scientologe Riedl erklärt, sei dies geschehen, ‚um verfälschten Darstellungen und Kopien auf diese Weise zu entgegnen‘. Erst später sendeten Scientology-Aussteiger Texte dazu, die der breiten Öffentlichkeit auf gar keinen Fall zukommen sollten. Das sind die Kursstufen des ‚Operating Thetan‘, OT I bis OT VIII, die höchsten und geheimsten Kategorien, die in der Scientology-Hierarchie erreichbar sind. Hier soll sich der Mensch nicht nur seiner Unsterblichkeit bewußt werden, sondern auch die ultimativen Antworten auf alle Fragen erhalten. Daß auch die geheimsten Anweisungen im globalen Netzwerk liegen, birgt nach Riedl die Gefahr, daß Menschen um ihren spirituellen Fortschritt gebracht würden. Und der sei nur durch die ‚genaue Anwendung der in Scientology dargelegten grundlegenden Wahrheiten möglich‘.

Aufklärung

Dies sieht Steven Fishman ganz anders. Er war es, der die umstrittenen Dokumente publizierte und damit den ersten Konflikt im Internet verursachte, der vor Gerichten geklärt werden soll. Der US-Amerikaner und frühere Scientologe setzt sich vehement für transparente Strukturen in religiösen Großbetrieben ein. ‚Jeder soll wissen, was ihn in der Scientology-Kirche erwartet und was die angewandten Dogmen und Praktiken beinhalten‘, fordert Fishman. Folglich beharrt er darauf, daß das Kursmaterial weiterhin jedem zugänglich bleibt. Mit dieser Forderung steht Fishman nicht allein. Seit die Fehde im Netz publik wurde, veröffentlichen immer mehr Internet-Nutzer die Dokumente. Beim niederländischen Internet-Anbieter ‚XS4ALL‘ existieren mittlerweile Hunderte von Kopien der Schriftstücke, und Wissenschaftler aus Stuttgart und Saarbrücken haben auf den Universitätsrechnern das kompromittierende Material ebenfalls der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Die Anwälte der Scientologen nehmen dennoch den sisyphusähnlichen Kampf gegen die ungeordnete Verbreitung der Gedanken ihres Messias auf. Während der Konzern für das Seelenheil in den USA mehrere Prozesse gegen Internet-Anbieter führt, sollte im Dezember der erste Rechtsstreit auf dem europäischen Kontinent ausgefochten werden. In Den Haag klagte die Kirche gleich vier Computerfirmen an, auf ihren Rechnern die durch das Copyright geschützte Texte liegen zu haben. Felipe Rodriques, Manager bei ‚XS4ALL‘, sah dem Händel freudig entgegen: ‚Wir haben schon immer gesagt, daß wir nicht für unsere Nutzer verantwortlich sind‘, kommentierte er, ‚und um dies endgültig zu klären, wollen wir den Prozeß.‘ Soweit kam es indes nicht. Zwei Tage vor Verhandlungsbeginn zogen die Scientologen ihre Anklage zurück, denn kein Notar wollte bestätigen, daß der Inhalt der Texte auf den Rechnern mit den OT-Kursschriften identisch ist. Ohne diesen Nachweis, so war den Anwälten klar, läßt sich ein Verstoß gegen das Urheberrecht nicht belegen.

Unsicherheit

Die Freude unter den Beklagten währte nur kurz, denn durch den nie aufgenommenen Prozeß bleibt vorerst ungeklärt, was im Internet veröffentlicht werden darf und ob der Transporteur einer Nachricht für deren Inhalt haftbar ist. In Deutschland bemüht sich die Staatsgewalt dagegen, die Grenzen der freien Meinungsäußerung im virtuellen Raum frühzeitig abzustecken. Die Münchner Staatsanwaltschaft läßt derzeit in einem Gutachten prüfen, welche technischen Möglichkeiten die Internet-Anbieter haben, um eine inhaltliche Kontrolle der transportierten Daten auszuüben. Auch den Scientologen ist die Bedeutung des Internets unterdessen klar. Während etwa die Church of Scientology in Los Angeles schon länger mit einem WWW-Server vertreten ist, sucht das Unternehmen noch nach einer Adresse im deutschen Teil des weltweiten Dorfes, um die Vorzüge des spirituellen Weges in der Religionsgemeinschaft zu beschreiben und neue Kunden zu gewinnen. Riedl: ‚Die Einrichtung einer solchen Kontaktmöglichkeit im Laufe des Jahres 1996 wird von uns ins Auge gefaßt.‘

 

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Cannabis

Marihuana Mythen, Marihuana Fakten: Eine 15-teiligen Serie

Marihuana Mythen, Marihuana Fakten

15-teilige Serie über die Eigenschaften von Marihuana.

Erschienen im HanfBlatt Oktober 1996 bis Januar 1998.

Die gängigsten Behauptungen über die gesundheitschädigende Wirkung der Cannabis-Pflanze werden anhand der aktuellen Fakten aus Wissenschaft und Forschung überprüft. Ein umfassender Einblick in das Wissen rund um den Hanf.

Achtung! Die Wissenschaft schreitet voran, auch Fakten unterliegen dem Wandel. Wir bitten also das hier geschrieben mit den neuesten Quellen zu verifizieren.

Mythos 1
„Der Konsum von Cannabis unter Jugendlichen hat sich stetig erhöht“

Mythos 2
„Die Potenz von Marihuana ist über die Jahrzehnte wesentlich angestiegen“

Mythos 3
„Marihuana ist eine Droge ohne therapeutischen Nutzen“

Mythos 4
„Marihuana schädigt die Lunge“

Mythos 5
„Marihuana schwächt das Immunsystem“

Mythos 6
„Marihuana beeinflußt den sexuellen Reifeprozeß und die Fähigkeit zur Fortpflanzung“

Mythos 7
„Marihuana-Konsum während der Schwangerschaft schadet dem Fötus“

Mythos 8
„Marihuana verursacht Hirnschäden“

Mythos 9
„Marihuana macht süchtig“

Mythos 10
„Immer mehr Menschen werden wegen Marihuana-Konsum ins Krankenhaus eingeliefert“

Mythos 11
„Marihuana verursacht das Amotivationssyndrom“

Mythos 12
„Marihuana ist eine der Hauptursachen für Unfälle im Straßenverkehr“

Mythos 13
„Marihuana ist eine Einstiegsdroge“

Mythos 14
„Die Cannabispolitik der Niederlande ist gescheitert“

Mythos 15
„Mythen kommen und gehen: Die Zusammenfassung“