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Der Pulsschlag des Prozessors

Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21.03.2000

 

Im Silicon Valley ist mit „The Tech“ das Denkmal des Informationszeitalters entstanden

Im Herzen von San José, 60 Kilometer nördlich von San Francisco, hat sich das Silicon Valley ein Denkmal seiner selbst gesetzt. Auf drei Etagen entstand ein Museum der jüngsten Vergangengeit – hier wird das technische Zeitalter gepriesen. Bescheidener Name des Ende 1998 eröffneten Baus: The Tech.

Der Besucher spielt mit all dem, was draußen im Tal täglich erfunden wird. Die Leitung legt Wert auf das interaktive Erfahren, die meisten der Ausstellungsstücke sind bedienbar – ob die virtuelle Bobfahrt durch den Eiskanal, der nachgebaute Reinraum zur Chipherstellung oder das digitale Studio, in dem der Gast sich filmt und später zusammen mit Superman seine Runden fliegt. Spielerisch soll das vor allem junge Publikum den Zugang zur Welt der Prozessoren erhalten, um so Technik-Ängste erst gar nicht entstehen zu lassen.

the techPeter B. Giles, Präsident und CEO des The Tech ist sich seines erzieherischen Auftrags bewußt: „Unser Ziel ist es, nicht nur zu informieren und zu unterhalten, sondern zum Denken anzuregen und den Entdecker in jedem zu wecken. Vor allem wollen wir der jungen Generation ihr Verhältnis zur Technik zu zeigen.“ Die immer intimer werdende Beziehung zwischen Mensch und Maschine sieht Giles positiv. „In Zukunft werden wir anders arbeiten, spielen und lernen“, ahnt er und fügt hinzu, „das wird alle Lebensbereiche betreffen“. Die Techno-Generation soll sich ihre Welt erschaffen, finanziert wird sie dabei von den Urvätern des Fortschritts. Über 500 Firmen aus dem Silicon Valley haben sich an dem 113 Millionen Dollar Projekt beteiligt, die Kosten belaufen sich auf 11 Millionen Dollar jährlich.

Brad Whitworth von Hewlett-Packard folgt der Religion des digitalen Tals. Er ist bei dem Computer-Giganten für den reibungslosen Übergang ins nächste Jahrtausend zuständig. Als „Y2K-Manager“ muß er dafür sorgen, daß auf dem Globus am 1. Januar 2000 alle Hardware-Produkte seiner Firma ohne Murren hochfahren. Ob PCs, Drucker oder komplexe Anlage zur chemischen Analyse; die Produktpalette von HP ist breit und überall kann der Fehlerteufel sitzen. Der heiße Stuhl, auf dem Whitworth sitzt, läßt in äußerlich kalt. „Das Jahr 2000 ist der erste große Test, ob die Technik der Feind oder der Freund der Menschheit ist“, polarisiert Whitworth. Er ist sich schon jetzt sicher, alle Eventualitäten des Elektro-Kollaps ausgeschlossen zu haben und damit erneut zu bestätigen, was für jeden im Tal eh schon feststeht: Die Technik ist der Segen der Zivilisation. Die Silvester-Nacht will Whitworth in aller Ruhe am heimischen Kamin verbringen, sie ist für ihn schon jetzt eine gelöste Aufgabe, nie ein Problem gewesen, schon Vergangenheit. Seine Gedanken richten sich in die nahe Zukunft, deren Basis er jenseits der elektronischen Informationsverarbeitung sieht, in der Biotechnologie. „Das wird der nächste Sprung in der Geschichte der Technologie.“ Whitworth verkörpert den Idealtypus der amerikanischen Info-Elite: Schnell, zielstrebig und immer auf der Suche nach dem nächsten Hype.

Das Kapital in der High-Tech Area war noch nie darum verlegen, ständig lukrativen Chancen wahrzunehmen, sich selbst zu vermehren. Im vergangenen Jahr investierten Risikokapitalgeber 3.3 Milliarden Dollar in junge, aufstrebende Unternehmen, die Hälfte davon in Software- und Internetfirmen. Aber die Realität der sattsam bekannten Bilderbuchkarrieren ist für die Menschen nicht immer rosig. Zwar entstehen noch immer 20 Firmen in der Woche und ebenfalls wöchentlich geht ein Unternehmen aus dem Valley an die Börse, der Preis dafür sind aber enorme Belastungen für alle Beteiligten.

„Sie sind besessen, sie denken nur an ihr zauberhaftes Design oder ihr magisches Produkt“, erinnert sich Miroslaw Malek, Professor für Informatik an der Humboldt-Universität zu Berlin, der einen mehrjährigen Forschungsaufenthalt im Silicon Valley verbrachte. Aus Sicht eines Europäers mutet die Arbeitsethik im High-Tech-Zentrum der USA grotesk an. 12 bis 18 Stunden täglich und das sieben Tage in der Woche sind durchaus üblich, die Firmen sind rund um die Uhr besetzt, der hauseigene Babysitter sorgt für den Nachwuchs, das Fitnesscenter für den Körper. Und wenn es mal wieder zu lange gedauert hat, stehen sogar Räume zum Übernachten bereit. Die Trennung von Arbeit und Privatleben existiert im Tal der Chips nicht, nur so ist es auch zu erklären, daß die Scheidungsrate in der Region bei über 60 Prozent liegt.

Im Museum The Tech
In der Museums-Gallerie herrscht mittlerweile Hochbetrieb. Sechsklässler aus einer Schule in San José haben den Chat-Raum entdeckt und suchen gerade ihre virtuellen Stellvertreter für die Kontaktaufnahme via Internet aus. Eine Comic-Figur wird dazu am Computer mit Charaktereigenschaften ausgestattet und betritt danach den Chat-Raum. Mike hat sich einen rüstungsbewehrten Ritter als alter ego ausgesucht und surft nun fast unschlagbar durch die neue Welt. „Dort kann ich mich mit anderen Jungs treffen und über die neuesten Computer-Spiele reden“, sagt Mike begeistert und wendet sich wieder schnell dem Monitor zu, um im laufenden Dialog nicht den Faden zu verlieren. Auch seine Klassenkameraden spielen begeistert an ihrem Übergang in den Cyberspace. „Die Kinder sind schier verrückt danach“, erklärt Kris Covarrubias vom Museum.

Die fortschreitende Verschmelzung von Technik und Körper wird ein paar Meter weiter verdeutlicht. Ein Ultraschallgerät zaubert den inneren Aufbau der Hand auf einen Bildschirm – die Weichteile, die Knochen und der Fluss des Blutes werden sichtbar. Was sonst werdende Müttern begeistert, ist hier für jeden nachvollziehbar: Der Blick in den Organismus. Im nächsten Raum ist eine Thermokamera unter der Decke installiert. Sie zeigt dem Betrachter die Hitzeausstrahlung des eigenen Körper – freiliegende Teile wie Kopf und Hände strahlen rot, während die gut isolierten Füße im Dunklen bleiben. Über 250 interaktive Ausstellungsstücke bilden in The Tech ein Konglomerat von elektronischen und mechanischen Geräten. Alle zeigen, daß die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, daß Human-Tech-Interface, immer besser funktioniert. Und die Firmen des Tals arbeiten mit Hochdruck daran, daß diese Affäre noch inniger wird.

Eine Gruppe von Asiaten taucht im Raum auf und bestaunt den perfekt simulierten Operationsroboter, der in der Praxis künstliche Adern in den Patienten einsetzt. „Mehr Geschwindigkeit, weniger Kosten“, stellt ein Mann fest. Was wie die Strategie eines Amphetaminhändlers klingt, ist in Wahrheit die praktizierte Maxime des Tals. Nur wer mit ständig neuen Produkten den Markt sättigt oder erst schafft überlebt. Indes hat sich die enorme Geschwindigkeit der Produktionszyklen vollends auf den Lebensrythmus der Menschen im Tal übertragen.

the tech

John DiMatteo hat sich der Abhängigkeit entzogen. Mit Ruhe genießt er das Essen beim Chinesen und erzählt: „Früher ging mir das genauso wie allen anderen im Silicon Valley. Ich habe am Tag 18 Stunden gearbeitet, am Wochenende Unterlagen mit nach Hause genommen und Nachts von der Arbeit geträumt. Freizeit gab es für mich nicht.“ Früher für den Elektronikkonzern ITT tätig, verdient DiMatteo heute bei Read-Rite, dem weltgrößten Hersteller von Leseköpfen für Festplatten, als Direktor der Unternehmenskommunikation sein Brot. Auch er kennt die Sehnsucht, die den Tellerwäscher zum Millionär werden läßt. „Es sind Visionäre und Träumer, die hier im Tal in einer Garage eine Firma gründen. Und wenn sie beim ersten Mal mit ihrer Idee scheitern, versuchen sie es halt wieder. Es klingt abgedroschen, aber hier kann es jeder schaffen.“ Die Idee, die hinter dieser Kraft steckt, bringt DiMatteo auf eine einfache Formel. „Es geht nur um zwei Dinge: Geld und Macht“, sagt er und bricht dabei den chinesischen Glückskeks auf, der zum Dessert gereicht wird: „Nutze die günstige Gelegenheit um Deine Karriere zu fördern.“

Trotzdem die Region im Ruf der jungen Entrepeneure steht, ist die Zahl der gescheiterten Existenzgründungen hoch. Rund die Hälfte der Unternehmen überleben den Kampf auf dem Markt, der Rest geht nach spätestens einem Jahr pleite. Das „Silicon Valley Network“, eine Non-profit Gesellschaft, welche die wirtschaftliche Entwicklung des Bezirks seit Jahrzehnten beobachtet, zählte im letzten Jahr genau 92 Firmen, deren Entwicklung sie als „kometenhaft“ einstufte. Dies bedeutete gegenüber dem Vorjahr zwar eine Steigerung um knapp 40 Prozent, zugleich nahm aber 1998 die Rate der exportierten Waren seit 1990 das erste Mal ab. Die Asienkrise zeigte hier ebenso Wirkung wie das Verlangen des Computer-Marktes nach immer mehr Leistung zu niedrigeren Preisen. Die soziale Schere klafft zudem im Silicon Valley von Jahr zu Jahr weiter auseinander. Während Manager und Softwareentwickler zwischen 1991 und 1997 eine Einkommensteigerung von 19 Prozent verbuchen konnten, nahm das Einkommen der Arbeiter um 8 Prozent ab. Ein leitender Angestellter verdiente 1997 somit etwa 130 Tausend Dollar, ein Arbeiter nur 34 Tausend Dollar im Jahr. Der Bericht des „Silicon Valley Network“ drückt es vorsichtig aus: „Nicht alle Einwohner partizipieren an der guten Wirtschaftslage.“


The Tech

Vier Themengallerien führen durch The Tech.


(1) Lebenstechnik: Die menschliche Maschine. Medizinische Technologie rettet Leben und erweitert die menschlichen Fähigkeiten.

(2) Innovation: Silicon Valley und seine Revolutionen. Chipherstellung, das eigenen Gesicht als 3-D Animation mit Farblaserausdruck, Design einer Achterbahn mit anschließender Fahrt.

(3) Kommunikation: Globale Verbindungen. Die persönliche Homepage in fünf Minuten im Netz, Cyberchat mit der Welt, das digitale TV-Studio.

(4) Erforschung: Neue Grenzen. Ein steuerbares Unterwassermobil, ein Mondfahrzeug, eine Erdbebensimulation.

Adresse: 201 S. Market Street San Jose, CA, USA Tel: 001 – 408 – 795 – 6100 Fax: 001 – 408 – 279 – 7167 http://www.thetech.org

Silicon Valley

In dem kleinen Tal 60 Kilometer nördlich von San Francisco drängen sich die großen der IT-Branche. Die 7000 Soft- und Hardwarefirmen rekrutieren ihre jungen Mitarbeiter aus den nicht weit entfernten Universitäten Stanford und Berkeley. Intel, der Prozessorgigant, der noch immer fast 80 Prozent der PCs auf dem Globus mit Chips besetzt und Hewlett-Packard, die nach IBM umsatzstärkste Computerfirma der Welt sitzen hier ebenso wie Apple, Sun und Silicon Graphics. Netzwerkhersteller Cisco, 3Com, Bay Networks beherrschen den Markt, die drei größten Datenbankentwickler Oracle, Sybase und Informix haben ebenfalls im Silicon Valley ihren Hauptsitz. Aber auch die Internetfirmen wie Netscape und AOL betreiben vom digitalen Tal aus ihre weltweiten Geschäfte. Das Einkommen liegt um 55 Prozent höher als im Rest der USA, mit weniger als 100 Tausend Dollar im Jahr braucht hier kein Software-Entwickler nach Hause gehen.

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Elektronische Kultur

Freie Software soll den Markt revolutionieren

Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21.03.00

Vom Nutzer zum Entwickler

Wird Open Source den Software-Markt revolutionieren?

Ein Anwalt des Software-Herstellers Microsoft bezeichnete den Programmcode des Betriebssystems Windows 95 einmal als „eines der wertvollsten und geheimsten Stücke geistigen Eigentums auf der Welt“. Geistiges Eigentum sichert die Geschäfte, so ist zumindest die landläufige Meinung. Im Source Code (Quelltext) eines Programms steckt die Arbeit der Programmierer, er ist das Kapital einer Firma und sein Geheimnis wird gegen jedweden Kopierversuch gehütet. Seit einiger Zeit aber ist Spannung in die Branche gekommen, denn das eherne Gesetz der verschlossenen Quelltexte ist in Auflösung begriffen. Die Methode des Open Source, der offenen Quelltexte, verspricht bessere Programme bei niedrigeren Kosten. Begriffe wie Linux, Copyleft und natürlich Internet stehen für die erwünschte Revolution auf dem Markt. Was dabei oft vergessen wird: Ohne die Idee der Freien Software wäre Open Source nie zu einer Alternative zur gängigen Distributionsmethode für Computerprogramme geworden.

Der Gedanke hinter Open Source ist einfach: Der in Programmiersprache geschriebene Quelltext wird von seinem Entwickler frei gestellt. Damit liegen Algorithmen, Schnittstellen und verwendete Protokolle offen. Andere Programmierer können den Quelltext begutachten, verändern und –je nach Lizenz- auch weiterverbreiten. Mit dem Internet steht eine Infrastruktur zur schnellen Veränderung und Kommentierung zur Verfügung. Systemadministratoren und Sicherheitsfachleute fordern schon lange die Öffnung der Programme, denn liegen die Quelltexte erst einmal offen, lassen sich Programmfehler, die sogenannten „Bugs“, Hintertüren und trojanische Pferde eher entdecken. Die in regelmässigen Abständen für Unruhe sorgenden Sicherheitslöcher in Browsern, Webservern oder Office-Anwendungen würden mit offenen Quelltexten schnell gestopft. HTML, die Formatierungssprache aus der die Seiten im WWW bestehen, ist ein anschauliches Beispiel für offenen Code. Im Browser kann sich jeder unter dem Menupunkt „View Source“ ansehen, wie eine Webseite aufgebaut ist, sie studieren und das Gelernte auf den eigenen Seiten anwenden.

Die historischen Anfänge von Open Source liegen in den 80er Jahren. Richard Stallmann, ein Programmierer am Massachusetts Institut for Technology (MIT), war unzufrieden mit der Tatsache, dass es nur noch proprietäre Software für Computer gab. Es gab zwar unterschiedliche Betriebssysteme (DOS, Unix), weder durfte man aber Kopien mit anderen Nutzern austauschen, noch erfahren, wie das Programm funktionierte. Gemeinsam mit anderen Programmierern schrieb er aus diesem Grund ein Unix-kompatibles, aber freies Programm. Sinn für Humor beweist schon die Namensgebung des ersten freien Betriebssystems: GNU steht für „GNU is not Unix“, die Auflösung der Abkürzung dreht sich im Kreis und ist damit Kind der zirkulären Logik. Nach und nach enstanden die Systemkomponenten: Der GNU Emacs entwickelte sich schnell zu einem der beliebtesten Editoren auf Unix-Rechnern, der GNU Compiler war als schneller Umsetzer von Programmcode bekannt. 1984 gründete Stallmann die Free Software Foundation, die sich der Verbreitung der Idee von freier Software verschrieben hat. Der begriff der Freien Software besitzt für Stallmann keine Relevanz in Hinblick auf den Preis. Freie Software kann, muss aber nicht gratis sein. Der Schwerpunkt liegt auf dem Wort „Frei“: Jedermann hat das Recht, Freie Software zu verändern und auch die modifizierten Versionen weiter zu verteilen. Um zu verhindern, dass aus freiem und offenem Code proprietäre Software wird, untersteht alle GNU-Produkte dem sogenannten Copyleft. Danach kann jeder das Programm kopieren und verändern, diese Versionen müssen aber ebenfalls Freie Software sein. Der Sinn dieses Vorgehens geht weit über die Verbreitung von freier Software mit offenen Quelltexten hinaus. Mit der GNU-Software sollte sich die Idee einer Gemeinschaft verbreiten, die sich gegenseitig ohne finanzielle Interessen hilft. Stallman gilt heute als einer der striktesten Vertreter dieses Konzepts. Er selbst sagt: „Wenn Softwar e proprietär ist, wenn es einen Eigentümer gibt, der ihren Gebrauch einschränkt, dann können Benutzer keine Gemeinschaft bilden.“

Abseits der politischen Ideenlehre der Free Software Foundation schrieb der Finne Linus Torvald 1991 den lange fehlenden Kern eines GNU-Betriebssytems, den sogenannten Kernel, und nannte das System „Linux“. Für die Bewegung der Freien Software ein zweischneidiges Schwert, denn obwohl nun endlich ein voll funktionstüchtiges, freies Betriebssystem zur Verfügung stand, koppelte sich durch den primär technisch orientierte Torvald die Philosophie von der Software ab. Für Stallmann die grösste denkbare Katastrophe: „Dies System, das wir so entwickelt haben, dass es allein wegen seiner technischen Fähigkeiten, wegen seiner Überlegenheit immer bekannter wird, nutzen nun immer mehr Leute, die sich überhaupt nicht um die Freiheit kümern. Und nicht nur das – sie bekommen überhaupt keine Chance sich darum zu kümmern, weil überhaupt niemand ihnen davon erzählt.“ Schon 1989 sprach ein Teil der Hacker-Gemeinschaft nicht mehr von Free Software, sondern von Open Source. Das war für Stallmann und seine Mitstreiter nur solange kein Problem, wo diese Unterscheidung der Begriffsentwirrung von „frei“ und „gratis“ diente. Die Apologeten der Freien Software werfen Teilen der Open Source Bewegung aber vor, diese Namensgebung vorgenommen zu haben, um sich zukünftig mehr am Markt als an der Gemeinschaft, mehr am Geld als an der Kooperation zu orientieren. So gesehen stellt Open Source auf ihr Potenzial ab, bessere Software zu entwickeln, ohne dabei über die zugrunde liegende Idee von Freiheit, Gemeinschaft und Prinzipien zu sprechen. Freie Software und Open Source beschreiben im Kern die gleiche Kategorie von Software, zielen aber in ihren Aussagen auf andere Werte. Stallmann ist nach wie vor überzeugt, dass Freiheit, und nicht nur Technik bei der Entwicklung von einem Gut, welches mittlerweile massgeblich zum Funktionieren der westlichen Hemissphäre beiträgt, wichtig ist. Moderatere Ansichten in de r Open Source Gemeinde gehen dagegen davon aus, dass kommerzielle Software durchaus zur Verbesserung der Gesamtleistung von Freier Software beitragen kann.

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Man könnte Stallmanns Beharren auf die reine Lehre als den Starrsinn eines alt gewordenen Blumenkind ansehen, wenn nicht der Erfolg der bisherigen Projekte der Freien Software Bewegung im Recht geben würde. Linux, jüngst acht Jahre alt geworden, läuft inzwischen weltweit auf schätzungsweise zehn Millionen Computern und wird aufgrund seiner durchsichtigen Architektur und der damit verbundenen Anpassungsfähigkeit geschätzt. Die Spezialeffekte für das Film-Epos „Titanic“ wurden unter Linux berechnet. Sendmail ist der Standard für den Transport von E-Mail im Internet, Apache ist der verbreiteste Webserver, etwa 58 Prozent der Internet-Hosts laufen unter dem Programm. Die Übersetzung der Rechnernummer im Netz (62.144.161.32) in einen Namen (www.faz.de) setzt auf Bind (Berkeley Internet Name Server) auf. Tim Berners-Lee hob das WWW aus der Taufe, damit Physiker untereinander neue Erkenntnisse austauschen können. Alle diese Programme wurden unter der Maxime einer Vereinfachung von Kommunikation zwischen Menschen geschrieben und sind noch heute Open Source.

Wo offener Quellcode früher als Spielwiese für Programmierer galt, schickt sich Open Source heute an, zur Software-Entwicklungsmethode des kommenden Jahrhunderts zu werden. Industriegrößen wie Datenbankanbieter Oracle oder die jüngst von Sun aufgekaufte Hamburger Star Division bieten ihre Programme für Linux an. Umsonst. SAP präsentierte auf der diesjährigen Cebit seine Standardsoftware R/3 in einer Linux-Version. Hasso Plattner, Vorstandssprecher der SAP AG, begründete diesen Schritt mit „einer beachtlichen Anzahl von Kundenanfragen“. Bislang liegen die Erfolge von Linux vor allem dort, wo kleine Serverlösung gefragt ist. Darüber hinaus schlüpft es als Lückenbüßer in die Rolle eines Netware- oder Windows NT-Servers, wenn diese nach anfänglich großen Investitionen nicht das leisten, was der Preis beinhalten müsste. Das Web ist voller Geschichten, in denen die Linux-Lösung dann das leistete, was man sich eigentlich von den kommerziellen Systemen versprochen hatte. Dieser Erkenntnis folgen zunehmend kleinere Firmen, die ihre Dienstleistungen, etwa Netzinstallation und Wartung, gern mit Linux-Hilfe erbringen. Während die Einen hier das Aufsteigen einer neuen Ökonomie sehen, dessen Grundlage nicht mehr länger geistiges Eigentum ist, ist Open Source für andere das Software-Business-Modell einer flexiblen Dienstleistungsgesellschaft. Die Gemeinde der Hacker ist gespalten: Hätte Richard Stallmans ideologische Beharrlichkeit Erfolg, würde Freie Software wieder in ihr universitäres Nischendasein der 80er Jahre zurückfallen. Folgt man dagegen einem allzu industriefreundlichen Open Source Modell, ist die „feindliche Übernahme“ durch die Software-Konzern wahrscheinlich.

Ein Beispiel für Idealismus ohne geistiges Eigentum ist KDE: Mit der Windows ähnlichen Benutzer-Oberfläche steht auch dem unerfahrenen PC-Anwender eine Desktop mit Mausbedienung für Linux zur Verfügung. Kalle Dallheimer, Entwickler beim KDE-Projekt und Fachbuchautor, erklärt auf die Frage, ob es ihn nicht stört, dass Distributoren an seinem Programm verdienen, er selbst aber nicht: „Nein. Diese Frage wird sehr oft gestellt, und zwar meistens von Leuten, die die Anhäufung von Geld als den Hauptzweck des Lebens betrachten.“ Diese Art von Lebenseinstellung ist unter den Programmierern Freier Software durchaus nichts ungewöhnliches. Das Ziel ist nicht Geld, sondern -ähnlich wie im Wissenschaftssystem- die Anerkennung der Kollegen. „Die etwas zwei Millionen Codezeilen werden aktiv von mehr als zweihundert Entwicklern aus der ganzen Welt gepflegt. Die gesamte Entwicklung und Verwaltung findet dabei über das Internet statt.“

Ein Beispiel für den kommerziellen Erfolg ist die Suse GmbH, die 1992 von vier Studenten gegründet wurde. Sie brannten Linux auf eine CD-Rom und boten den Versand der Software an, die im Internet noch heute frei zum runterladen auf den heimischen PC liegt. Um Downloadkosten zu sparen und den Support in Anspruch zu nehmen entschieden sich viele Linux-Fans für Suse. Im vergangenen Jahr hat die Firma mit ihren 160 Mitarbeitern 14 Millionen Mark umgesetzt, der Börsengang steht kurz bevor. Eine neuer Zweig entsteht: Nicht an der gratis Software, sondern erst an Beratung und Distribution wird verdient. Dienstleistungen rund um Open Source Technik ist das neue Zauberwort der Branche. Sebastian Hetze von der Linux-Supportfirma Lunetix weiss von den Vorteilen der Open Source Software zu berichten: „Immer weniger Kunden sind bereit eine Black Box zu kaufen, wenn Open Source massgeschneiderte Softwareanpassungen ermöglicht.“ Zusätzlich besteche das Konzept durch „zusätzliche Ressourcen durch kooperative Entwicklung“. Im Klartext: Liegt der Quellcode offen, können Fehler in Programmen schnell behoben werden. Ob die vielen Idealisten, die das Open Source Projekt bis heute aus Spass an der Freude vorangetrieben haben, auch bereit sind ihren Idealismus für Firmen einzusetzen, ist allerdings noch unklar. Wenn hier die nonfiskale Balance zwischen Nehmen und Geben nicht stimmt, dürften sich die Hacker bald aus dem Kreis der Entwickler verabschieden. Ob dann das Netz der gegenseitigen Hilfe noch hält, ist fraglich. Und ohne die unentgeltliche Arbeit der Entwickler können auch die Dienstleister nicht existieren.

Jörg Auf dem Hövel

 

 

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Drogenpolitik

Kiffer aller Länder

Der kluge Mann baut vor

Der kluge Mann baut vor – diese Binsenweisheit gilt im brasilianischen Dschungel genauso wie auf den Phillipinen, in Paris ebenso wie in Mombasa. Urlaubsreisen in ferne Ländern erhalten für manchen Kiffer ihren wahren Reiz doch erst dann, wenn er oder sie am Urlaubsort ungehemmt einen durchziehen können. In aller Damen Länder gehört Cannabis zur Alltags- oder Feiertagsdroge, gerade unter Jugendlichen und jung gebliebenen ist das Kraut in den meisten Gebieten der Welt weit verbreitet. Vom Staat nicht gern gesehen, genießt ein Teil der Gesellschaft den gepflegten Hanfrausch – immer munter an den Gesetzen vorbei. Der von den USA initiierte „War on Drugs“ mit den unterstützenden Resolutionen der Vereinten Nationen ist in der westlichen Hemissphäre ein brüchiger Rahmen für den Konsum, ausgefüllt wird dieser Rahmen oft durch Rauschkulturen, die ihre eigenen Vorstellungen von der Nützlichkeit oder Schädlichkeit der „Droge Hanf“ entwickelt haben. Ein Vergleich wissenschaftlicher Befragungen und Erhebungen zeigt, daß der Konsum von Haschisch und Marihuana in den meisten Staaten des Globus´ über die Jahre und Jahrzehnte angestiegen ist. „Legal, illegal, scheißegal“, dieser Satz von Hans-Georg Behr hält einer empirischen Überprüfung tatsächlich statt. Denn gleich, ob in einem Staat der Genuß von Cannabisprodukten hart bestraft wird oder eher locker mit dem Kiffen umgegangen wird: Vor allem die Jugend raucht sich ab und zu in die Sphären der Entspannung und Belustigung, nimmt Abstand vom Alltag.

Um eine Übersicht über die Kultur des Kiffens zu erhalten, haben wir einige Ländern herausgegriffen und die verfügbaren Daten über den Cannabis-Konsum grafisch aufbereitet. Die Frage, die in allen Analysen gestellt wurde, ist die nach der sogenannten „Lifetime-Prevalence“, daß heißt, ob jemand in seinem Leben jemals Cannabis probiert hat. Ansonsten zeichnen sich die den Grafiken zu Grunde liegenden Forschungen durch ihre Uneinheitlichkeit aus: Es existiert leider keine Untersuchung, die den Cannabis-Konsum in allen Ländern mit einem standardisierten Instrument gemessen hat. Bei einem Vergleich der Zahlen sollte man also äußerst vorsichtig sein. Ein weiteres Problem: Für den gesamten asiatischen Raum liegen uns keine repräsentativen Zahlen vor.

Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, daß die Untersuchungsgruppe groß war und nicht nur 30 Schüler einer Kleinstadt befragt wurden. Die verschiedenen Erhebungen beziehen sich auf unterschiedlichste Altersgruppen; um den Überblick zu behalten, wählten wir immer die Bereiche aus, die eine relativ junge Altersgruppe untersuchte. Wichtig war uns auch, eine Entwicklung über einen längeren Zeitraum nachvollziehen zu können. Im Idealfall wurde ein Forschungsprojekt jährlich wiederholt.

Dies ist beispielsweise in den USA der Fall, wo das NIDA (National Institute on Drug Abuse) seit 1971 Befragungen der Bevölkerung durchführt. Auch in Australien führt man regelmäßig Interviews durch, um die Einstellung der Bürger zum Drogenkonsum zu erforschen. Der „Krieg gegen die Drogen“ zeigt hier deutlich keine Wirkung: In den USA steigt die Rate derjenigen, die schon mal geraucht haben, seit den 90er Jahren wieder kontinuierlich an.

In Frankreich, einem Land mit restriktiven Drogengesetzen, ringt man sich erst seit ein paar Jahren dazu durch, die kiffende Jugend genauer unter die Lupe zu nehmen. Der Anteil der Probierer ist hier ähnlich wie in anderen Staaten Europas. In „Good Old Germany“ beäugen Wissenschaftler seit den 70er Jahren das Verhalten ihrer freilaufenden humanen Versuchsobjekte. Relativ stabil raucht sich das junge Volk um die 20 Prozent ein. Eine neuere Studie von Dieter Kleiber und seinen Kollegen zeigt zudem, daß Hanfkonsum in Deutschland mithin ein „transistorisches“ Konsum ist, soll heißen, in der Jugend wird (viel) gekifft, ab dreißig kaum noch, auf jeden Fall aber weniger. Es wäre auf jeden Fall interessant zu wissen, ob dies ein globales Phänomen ist.

Auf dem australischen Kontinent gedeiht der Hanf anscheinend unter prächtigen klimatischen wie kulturellen Bedingungen. Seit zehn Jahren gibt fast die Hälfte der 14 bis 29jährigen zu, schon mindestens einmal Cannabis genossen zu haben. In einigen Bundesstaaten ist der Konsum offiziell dekriminalisiert, hier landet kein Klein-Kiffer mehr vor Gericht. Trotz dieses Umstand ist die Rate der Probierer in diesen Bundesstaaten nicht angestiegen.

Für uns überraschend hoch ist der Anteil der KifferInnen in Norwegens Hauptstadt Oslo. Es ist wohl davon auszugehen, daß auf dem Land weniger Cannabis geraucht wird. Die jüngeren Bewohner der „Kiffer-Hauptstadt“ der Welt, Amsterdam, zeigen sich offen für den THC-Rausch. 1994 gab genau die Hälfte der Befragten zu, schon mal Haschisch oder Marihuana konsumiert zu haben.

In der Tabelle „Cannabis-Konsum in der Welt“ sind die Ergebnisse aus Staaten zusammengefaßt, die nur eine Untersuchung aufweisen konnten. Dürftig ist die Datenlage in den Ländern Afrikas; hier lagen uns nur dünne Arbeiten aus Südafrika und Namibia vor. Nicht überraschen tut der hohe Anteil der Kiffer in Jamaica, dort ist Marihuana seit Jahrhunderten integriert. Es fällt auf, daß der Rauschhanf vor allem in westlichen Ländern weit, in den produzierenden Staaten aber eher weniger verbreitet ist. Daß in Mexiko oder Nordindien, Ländern mit einem traditionellen Hanfanbau, nur 3 Prozent der jungen Menschen kiffen sollen, mutet schon seltsam an. Leider konnte wir nicht eruieren, wie unsere britischen Nachbarn Cannabis genießen. Wenn wir richtig informiert wurden, dürfte das Leben unter Premierministerin Thatcher aber fast nur bekifft auszuhalten gewesen sein…