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Yohimbe und seine aphrodisische Wirkung

HanfBlatt, 2001

Aphrodisischer Rindenwahn

Nun, da wir Ihr Interesse geweckt haben, können wir anfangen uns mit einer aus Westafrika zu uns kommenden Baumrinde zu beschäftigen, der psychoaktive, wenn nicht sogar leicht psychedelische Qualitäten und wichtiger noch eine aphrodisische Wirkung, in erster Linie auf das männliche Geschlecht, nachgesagt werden. Lange Zeit galt in der Medizin Yohimbin, der Hauptwirkstoff der Yohimberinde, als das einzige „echte“ oral wirksame Aphrodisiakum beim Manne. Nach dem großen Bildzeitungshype für die umstrittene und möglicherweise gesundheitlich bedenkliche Pharmadroge „Viagra“, lohnt es sich, einmal die althergebrachten pflanzlichen Aphrodisiaka zu betrachten. „Yohimbe“ ist wohl das Berüchtigste in diesem Kreise.

Von welcher Pflanze stammt die Yohimberinde?

Es handelt sich in erster Linie um die dunkelbraune Rinde (Cortex yohimbe) des im tropischen Westafrika heimischen Pausinystalia yohimbe-Baumes. Als Ersatz oder Verfälschung für die „echte“ Yohimberinde findet auch die Rinde anderer Pausinystalia-Arten und die kleinerer Bäume, den botanisch nahe verwandten Corynanthe-Arten Verwendung. Sie enthalten dieselben oder nahestehende Wirkstoffe. Am bekanntesten ist die Rinde von Corynanthe pachyceras, die im Apothekenhandel als Pseudocinchonae africanae cortex bezeichnet wird.

Was für Inhaltsstoffe machen Yohimberinde so interessant?

Eine ganze Reihe sogenannter Indolalkaloide, von denen das Yohimbin die meiste Aufmerksamkeit erfahren hat. Der durchschnittliche Yohimbingehalt der Handelsware soll bis 3,4 % reichen können, liegt aber wohl meist deutlich darunter. Die anderen ähnlich wirksamen Alkaloide stellen einen weiteren Bestandteil der Rinde dar, der den Anteil des Yohimbins noch bei weitem übertreffen kann. Wirkstoffe vom Typ der Yohimbealkaloide wurden auch in anderen psychoaktiv wirksamen Pflanzen nachgewiesen, so in der Rinde des weißen Quebrachobaumes (Aspidosperma quebracho-blanco), der Rinde verschiedener Alstonia-Baum-Arten, untergeordnet in der Schlangenwurzel (Rauvolfia) und anderen.

Yohimbin
Yohimbin

Wie wird Yohimberinde dosiert und eingenommen?

Der schwankende Wirkstoffgehalt erschwert die Dosierung ganz erheblich! Es wird deshalb am Anfang möglichst niedrig dosiert. Zunächst kommt nur maximal ein halber (etwa 0,75 Gramm) bis ein schwach gehäufter Teelöffel (etwa 1,5 Gramm) der zerkleinerten Wurzelrinde zum Einsatz. (Die medizinisch-therapeutische Einzeldosis beträgt übrigens nur 0,5 Gramm!) Die Wirkstoffe sind nur schwer in Wasser löslich. Deshalb wird die Rinde unter Zusatz einer milden Säure, zum Beispiel Ascorbinsäure (Vitamin C) oder Zitronensaft, etwa zehn Minuten lang ausgekocht. Der entstandene Sud wird als Tee getrunken. Alternativ können die Wirkstoffe durch Übergiessen der Rinde mit erwärmtem hochprozentigen Alkohol (z.B. Wodka) und längeres Stehenlassen (mindestens 8 Stunden) extrahiert und die entstandene Tinktur eingenommen werden. Die Rinde kann zu feinem Pulver gemahlen runtergespült oder in Kapseln abgefüllt geschluckt werden. Sie läßt sich auch rauchen.

Wie wird das reine Yohimbin genommen?

Yohimbekenner bevorzugen das viel besser dosierbare reine Yohimbin in seiner wasserlöslichen Hydrochloridsalzform. Dieses wird in der Regel oral eingenommen, manchmal auch geschnupft. Als medizinisch-therapeutische Einzeldosen werden 5-10 mg Yohimbin, 1 bis 3 mal täglich, meist über einen längeren Zeitraum ( kurmäßig 3 bis maximal 10 Wochen) angegeben. Hedonisten, die nur gelegentlich Yohimbin nehmen, zum Beispiel für ein psychoaktiviertes Liebesritual, orientieren sich an höheren Einzeldosen von 15 bis 25, maximal 30 mg, beginnen vorsichtshalber aber auch zunächst mit niedrigen Dosierungen.

Woher bekommt man Yohimberinde?

Natürlich aus den westafrikanischen Heimatländern, zum Beispiel aus Nigeria, Kamerun und dem Kongo, aber auch aus dem Kräuterhandel zahlreicher anderer Länder weltweit, denn vielerorts wird der Umgang mit Naturprodukten längst nicht so reglementiert wie bei uns. Dort besteht aber auch das größte Verwechslungsrisiko mit Verfälschungen. Ähnlich wie Ephedrakraut soll die Yohimberinde in deutschen Apotheken nur auf Rezept erhältlich sein. Dies wird aber nicht überall gleichermaßen streng gehandhabt. Als meist etwas teurere Alternative empfiehlt sich der ethnobotanische Fachhandel, der die Rinde bisweilen als botanisches Anschauungsmaterial im Angebot hat.

Woher bekommt man Yohimbin?

Das reine Yohimbinhydrochloridsalz ist schwerer erhältlich. Es ist in den verschreibungspflichtigen pharmazeutischen Präparaten Yohimbin-Spiegel Tabletten und Yocon-Glenwood Tabletten (berechnet zu jeweils 5 mg Yohimbin) enthalten. Manchmal findet das reine Salz den Weg aus dem Pharmahandel zu den Interessenten. Zahlreiche Kombinationspräparate mit aphrodisischem Touch enthalten, meist recht niedrig dosiert, Yohimberindenextrakte oder Yohimbin.

Welche medizinischen Indikationen hat Yohimbin?

Yohimbin wird vom Arzt bei bestimmten Fällen von Impotenz auf Grund erektiler Funktionsstörungen, den „Wechseljahren des Mannes“ und Harninkontinenz verschrieben.

Wie wirkt Yohimbin?

Es gilt als alpha-Adrenozeptorenblocker und Sympatholytikum. Dadurch wirkt es gefäßerweiternd und in niedriger Dosis blutdrucksenkend, in höherer blutdrucksteigernd, außerdem schwach harnzurückhaltend und pupillenerweiternd. Es kann auch als Aphrodisiakum, insbesondere beim Manne, wirken und zwar durch Erweiterung der Blutgefäße der Geschlechtsorgane, sowie eine Erregbarkeitssteigerung der für das sexuelle Funktionieren zuständigen Rückenmarkszentren ohne dabei notwendigerweise das sexuelle Verlangen zu stärken, wie es so schön in der medizinischen Literatur heißt. Diese Wirkung soll aber erst bei regelmässiger Einnahme oder höheren Dosierungen und auch nur bei einem Teil der Gebraucher eintreten. Einnehmer höherer Dosierungen wissen von leichten Bewußtseinsveränderungen, besonders der Sinneswahrnehmungen, in Richtung „psychedelisch“ zu berichten. Manche empfinden auch eine Art Benommenheit.

Es kann besonders bei höheren Dosierungen auch zu unangenehmen Effekten kommen. Das Reaktionsvermögen kann deutlich beeinträchtigt sein, was zu entsprechender Zurückhaltung bei dieses erfordernden Tätigkeiten gemahnt. Muskelzittern und nervöse Erregungszustände gelten als nervige Nebenwirkungen. Eine verstärkte Ängstlichkeit und leicht aggressive Gereiztheit scheinen nicht ungewöhnlich zu sein. Eine leichte Übelkeit, Kopfschmerzen, erhöhtes Schwitzen und Hautrötung können vorkommen.

Bei zu hohen Dosierungen kann es zu Harnverhaltung, Durchfall, Erbrechen, zentraler Erregung, Koordinationsstörungen, starker Zittrigkeit, einem „aufgelösten“ Zustand, eventuell mit Angst oder gar „Halluzinationen“, epileptischen Krämpfen, Abnahme des Sauerstoffgehaltes im Blut mit Blaufärbung der Haut, stark gestiegener Herzschlagfrequenz, Blutdrucksteigerung (!) und Bewußtlosigkeit kommen. Auch von schmerzhaften Dauererektionen wurde berichtet. Extrem hohe Yohimbindosierungen sollen zum Tode führen können. Es empfiehlt sich bei einer starken Überdosis unbedingt ärztliche Hilfe hinzuzuziehen. Aber soweit muß es ja gar nicht erst kommen.

Yohimbe Rinde
Yohimbe Rinde

 

Wer sollte auf keinen Fall Yohimberinde oder Yohimbin nehmen?

Bei psychischen Erkrankungen, entzündlichen Krankheiten, Magen-Darm-Schwierigkeiten, niedrigem oder hohem Blutdruck, Herz-, Leber- oder Nierenproblemen sollte auf die Einnahme vollständig verzichtet werden. In der Medizin ist eine Verschreibung für Frauen nicht vorgesehen. Auf jeden Fall sollte während Schwangerschaft und Stillzeit keine Yohimberinde oder Yohimbin genommen werden. Es scheint auch eine unterschiedliche Empfindlichkeit gegenüber Yohimberinde und Yohimbin zu geben. Man sollte also auf die Signale seines eigenen Körpers achten und die persönlichen Verträglichkeitsgrenzen respektieren.

Was hat es mit der angeblich MAO-hemmenden Wirkung auf sich?

In älteren Szenepublikationen findet sich immer wieder der Hinweis, Yohimbin wirke MAO-hemmend. Monoaminoxidase (MAO) ist kurz gesagt eine körpereigene Substanz, die verhindert, daß bestimmte mit der Nahrung aufgenommene Substanzen im Körper unerwünschte Wirkungen entfalten. Wird die MAO gehemmt, kann die Einnahme bestimmter Nahrungsmittel und Drogen gefährlich werden. Es kann zum Beispiel zu Beschwerden wie Kopfschmerzen und Nackensteife bis hin zu mitunter lebensbedrohlichen Herz- Kreislaufkrisen kommen. Für eine MAO-hemmende Wirkung von Yohimbin scheint es aber keine aktuellen wissenschaftlichen Belege zu geben! Auch in der neuen medizinisch-pharmakologischen Literatur fand sich kein Hinweis darauf. (Bitte Kopie ans Hanfblatt, wenn es Studien oder Fallbeispiele dazu gibt!) Das heißt aber nicht, daß man leichtsinnig werden sollte. Man kann sich vorsichtshalber an die für MAO-Hemmer empfohlenen Diätvorschriften halten, sprich vor und nach Yohimberinden- oder Yohimbineinnahme keine Lebensmittel mit Tryptophan und Tyramin (besonders Bohnen, Bananen, Ananas, Bier, Wein, Sauerkraut, eingelegter Hering, gereifter Käse, Schokolade, Geflügelleber, Hefeextrakt) zu sich zunehmen. Auch sollte man Medikamente und Drogen aller Art (auch Alkohol und Coffein) meiden. Dann geht man in dieser Hinsicht auf Nummer sicher.

Kombinationen mit anderen psychoaktiven Substanzen

Yohimberinde taucht seit den Sechziger Jahren im Bereich der amerikanischen „Legal Highs“ auf, besonders in übertrieben angepriesenen Mischungen, in denen es einen Garanten für zumindest einen „Effekt“ darstellt und sich aufgrund seiner exotischen afrikanischen Herkunft und der angeblich aphrodisierenden Qualitäten gut bewerben läßt. Der Wirkstoffgehalt dieser Mischungen dürfte schwer abschätzbar sein, von praktisch unbedeutend bis zu in manchen Kombinationen möglicherweise bedenklich. Kenner mischen sich ihre Kräuter meist entsprechend ihrer individuellen Verträglichkeiten selbst.

Yohimbin wurde und wird auch in pharmazeutischen Präparaten mit aphrodisischer Indikation ganz im Widerspruch zu der angeblich MAO-hemmenden Wirkung häufig mit anderen potenten Substanzen kombiniert. Berüchtigt war zum Beispiel eines, das neben Yohimbin auch noch Strychnin und Pemolin (ein Amphetaminderivat) enthielt und als vielversprechendes Aphrodisiakum galt. (Die Pharmaindustrie war der sogenannten „Drogenszene“ eigentlich schon immer einen Schritt voraus!) Damiana, Ephedrin, männliche Sexualhormone, selbst der Tollkirschenwirkstoff Atropin wurden mit Yohimbin in einem Präparat vereint. Die Wirksamkeit und das gesundheitliche Risiko dieser Mischungen waren und sind natürlich umstritten.

Praktisch wirkungslos sind die Sexshop-Präparate. Sie enthalten nur minimale Mengen der mit Geilheit assoziierten „Potenzmittel“.
Traditionell wurde Yohimberinde in Westafrika als Aphrodisiakum mit Ibogawurzel, Kolanüssen, Ditasamen (Alstonia scholaris) und anderen kombiniert. Manche mögen es, dazu ein wenig Rauschhanf zu rauchen. Yohimbinhydrochloridsalz wurde auch zum Strecken von Schwarzmarktkokain eingesetzt.

Die Erfahrungen eines männlichen Yohimberinden-Experimentierers:

„Ich habe einige Male Yohimberinde aus verschiedenen Quellen probiert. Und zwar als Abkochung von einem viertel bis zwei Teelöffeln der zerhäkselten Rinde. Teilweise habe ich die Rinde dazu noch geraucht, was eine ganz ähnliche, aber nur kurze Wirkung hatte. Was habe ich empfunden? Als erstes ein Kribbeln, das den Rücken bis über den Arsch runterläuft und die Eier zusammenzieht, eine energetische Anspannung, ein leicht stonedes Gefühl im Kopf, ein bißchen wie Cannabis, körperlich eher ein mechanisch angespeedetes Feeling, etwas entfremdet. Kann sein, daß es tendenziell die Durchblutung der Geschlechtsorgane fördert, bei erreichter Erektion deren Dauer verlängert. Der Zustand war aber nicht gerade relaxt. Die Wirkung setzte relativ schnell ein, vielleicht innerhalb einer halben Stunde und hielt etwa 2 Stunden deutlich an, maximal bis zu 4 Stunden spürbar. Irgendwie konnte ich mich nicht so recht mit der Rinde anfreunden. Dann schlug ich später nochmal richtig zu, mit etwa 4 leicht gehäuften Teelöffeln, als Abkochung unter Ascorbinsäurezusatz. Das war zuviel des Guten. Eine Substanz, die nervös macht, Ängstlichkeit und Aggressivität liegen dicht beieinander, erwartend, aber nicht erwartungsfroh, fordernd, überfordert, zittrige Energie, die fokussiert, in Konvergenz gebracht werden muß. Schwer zu fassen, wenn man nur wüßte, in welche Richtung man sich schaffen sollte. Eigentlich klar, Berührung müßte her, Spüren, aber habe ich da wirklich Bock drauf? Allen sagen, wie lieb ich sie habe, ich liebe euch, kommt mir überhauptnicht in den Sinn. Innere Unruhe, Rastlosigkeit, ohne Ziel. Gefangen als Sklave der Rinde, oder bin ich weich wie eine Feder, zäh wie Leder, möchte festgehalten werden. Überkandidelt, Konkurrenzdroge, sexuelle Konkurrenz im Kampf um Orgasmen, weiß nicht. Schließlich nicht gut geschlafen. War noch den ganzen nächsten Tag flatterig und ätzend drauf, völlig durch den Wind. Erstmal genug davon, aber vielleicht werde ich nochmal einen softeren Anlauf nehmen. Klingt nach Rindenwahn, oder?!“

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Drogenpolitik Specials

Kokain – Eine Kontroverse

Bei kaum einer anderen Droge kann man so leicht ins Fettnäpfchen treten wie bei Kokain. Extrahiert und damit 100fach konzentriert aus den getrockneten Blättern eines vor allem im tropischen Südamerika angebauten Strauches, galt das schneeweiße Hydrochloridsalz noch während der Siebziger Jahre als teures Statussymbol in Schickeriazirkeln. Irgendwie hatte man immer gleich eine hysterisch-überkandidelte selbstverliebte Münchner Film- und Musikszene vor Augen. Kokain war auch das, was sich Haschischhändler von ihren Profiten selbst gern mal gönnten.

Anfang der Achtziger Jahre kam es jedoch nach Sättigung des US-Marktes zu einem drastischen Anstieg des Angebotes in Europa und schließlich Mitte der Achtziger auch in Deutschland. Die Preise fielen um mehr als die Hälfte, bis Ende der Neunziger teilweise auf ein Drittel bis ein Viertel dessen, was noch zu Beginn der Kohl-Ära hingeblättert werden mußte. Immer größere Konsumentenkreise wurden erschlossen. Beflügelten sich zunächst noch die Besserverdienenden aus der Medien- und Unterhaltungsbranche, zogen die bürgerlichen Kids bald nach und möbelten sich damit fürs Nachtleben auf. Mittlerweile ist vom gemütlich mit Gattin oder Freunden zu Hause koksenden Biedermann bis zum proletarischen auf der Technoparty vom Autodach schnupfenden Zappelphilip ein weiter Bogen an Konsumentenkreisen erreicht. Hilft es zwar zunächst, schwache Egos aufzuplustern, erlebten doch nicht wenige, daß Kokainkonsum auf die Dauer nicht nur die Finanzen stark angreifen kann, sondern auch Beziehungen gefährden und zerstören kann und letztlich der psychischen und physischen Gesundheit nicht zu Gute kommt.

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Coca Blättter in Bolivien – 2008

Besonders verheerend machte sich dies in der Junkieszene bemerkbar. Dort hatte man das Kokaininjizieren als zusätzlichen häufig hintereinander wiederholbaren Kick entdeckt. Das Schwarzmarktkokain ist meist stark verunreinigt. Man kennt die Dosierung nicht. Es wird in der Regel nicht aufgekocht und ist daher noch unhygienischer als Strassenheroin, was zu Infektionen und Abszessen führen kann. Obendrein kann es Adern verstopfen und zu Infarkten und Thrombosen führen. Es greift das Gewebe stärker an und belastet durch den Junkielebenstil bereits geschädigte Organe, insbesondere wenn Krankheiten wie Hepatitís oder AIDS ausgebrochen sind. Sozialarbeiter beklagen, daß sich auf der Szene mit der Verbreitung von Kokain eine erheblich höhere Aggressivität breitgemacht habe. Die Kokainfixer und Kokainbaseraucher seien viel schwerer erreichbar. Einige Konsumenten laufen in Zuständen hochgradiger Paranoia in der Gegend herum. Der neben dem Saufen von Alkohol und dem Schlucken übertrieben verschriebener und den Schwarzmarkt bereichernder Psychopharmaka als „Beigebrauch“ beschönigte exzessive Kokainkonsum stellt auch die sogenannten „Substitutionsprogramme“ in Frage. Denn, was macht es für einen Sinn, wenn zwar der „Beschaffungsdruck“ für Opiat (sprich Heroin) wegfällt, der Suchtdruck, der Wunsch sich Kicks zu verschaffen, sich möglichst aus der deprimierenden Realität herauszuziehen, aber bestehen bleibt und sich auf Kokain verlagert. Der Anteil der substituierten Drogengebraucher, zumindest in Großstädten, die schon am Monatsanfang innerhalb kürzester Zeit einen Großteil ihrer Sozialhilfe für Kokain („Kügelchen“ oder „Plomben“, wie die von den Strassendealern oft im Mund aufbewahrten Handelseinheiten genannt werden) ausgegeben haben und dafür Ernährung und notwendige Anschaffungen vernachlässigen, wird von Insidern als hoch eingeschätzt.

Natürlich, manche etablierte Institutionen wollen das Erreichte nicht gefährden. So verschanzt man sich hinter ideologischen Barrieren, versucht das Ganze schönzureden und leiert aus Ratlosigkeit Akupunkturprogramme an (die momentan als die einzige überhaupt effektive Hilfe zur Reduzierung des Suchtdrucks gelten). Destruktives süchtiges Verhalten läßt sich anscheinend nicht so einfach durch Substanzvergabe aus der Welt schaffen. Und schon gar nicht durch die Vergabe nur einer Substanz. Die Probleme der Betroffenen liegen woanders. Selbst wenn sie alle Drogen der Welt frei Haus geliefert bekommen würden, würden sie nicht notwendigerweise eine Ausbildung anfangen und sich plötzlich makrobiotisch ernähren. Andererseits verschärft die Kriminalisierung besonders die desolate Situation von sozial entwurzelten und psychisch vorbelasteten Drogenabhängigen enorm. Der nächste Schritt muß deshalb in letzter Konsequenz viel radikaler sein. Und will man nicht in Richtung Bevormundung und Entmündigung marschieren, dann muß man eindeutig und umfassend schrittweise weiter in Richtung Entkriminalisierung gehen anstatt sich auf Verteidigungskämpfe des zugegeben im Vergleich zum Zustand vor 15 Jahren erstaunlicherweise überhaupt gewachsenen und mittlerweile umfangreichen akzeptierend arbeitenden und sehr sinnvollen Angebotes zurückzuziehen. Drogengebrauch, auch süchtiger Drogengebrauch, sollte für niemanden ein Argument sein, sich aus der Verantwortung für sein Leben und Handeln zu ziehen.

Wo es aber um den Umgang allein mit sich selbst geht, sollte man Drogengebrauchern gegenüber dieselbe Toleranz aufbringen und ihnen dieselben Rechte zubilligen wie Nikotinabhängigen, Alkoholikern oder Extremsportlern. Auf jeden Fall wäre eine ehrliche und offene Auseinandersetzung über das, was sinnvoll erscheint und ausprobiert werden sollte, viel wünschenswerter als ein heuchlerisches Herumlarvieren aus Angst vor Veränderung und dem Verlust von Pfründen und Posten.

Das sich der Druck in der Öffentlichkeit noch erhöhen wird, zeigt die Diskussion um offene Strassendealerszenen, die sich in Städten wie Hamburg im öffentlichen Raum in einem Maße ausgebreitet haben, daß auch ansonsten liberale Mitmenschen sich belästigt fühlen. Die letztlich sinnlose Drogenprohibition ausnutzend und die daraus folgenden hohen Profite abschöpfend, etablieren sich Gruppen ausländischer Krimineller, zum Teil unter Mißbrauch des für politisch Verfolgte gedachten Asylrechts. Auch wenn diese Dealer ihre Landsleute und das Asylrecht in Miskredit bringen und auf die Schwächen ihrer Kundschaft bauen, so nutzen sie doch nur eine gesellschaftliche Nische, die ihnen eine überholte Politik vorgibt, zu ihrem eigenen Vorteil. Erschwert wird die Lösung der Problematik in manchen Stadtteilen noch durch eine Solidariserung bestimmter linksdogmatischer Kreise mit den Tätern, die sie sich dafür gern als Opfer zurechtstilisieren, um sich damit selbst als von positiven Absichten beseelt und über den vermeintlichen Rassismus der Anderen erhebend aufzuwerten. Letztlich projizieren sie ihren Selbsthaß mit Hilfe des Totschlagarguments des Rassismus auf die Menschen, die als betroffene Anwohner oder vielfach ausgenutzte Abhängige mehr Freiheit in ihrem eigenen Lebensraum fordern und verständlicherweise nicht mehr unbefangen an die Sache herangehen können.

Man sieht, wie leicht man über Kokain in Tabubereiche gerät. Die Auseinandersetzungen über den Umgang mit Kokain werden noch zu führen sein Sie werden sehr emotional sein, da es eine große Spannbreite an Konsumenten und Umgangsformen (von harmlosem Vergnügen in geselliger Runde bis hin zur Selbstzerstörung oder aggresssiven Ausbrüchen gegen Andere) mit dieser Droge gibt. Die bedenkliche und verbreitete Kombination von Kokain mit Alkohol habe ich noch garnicht angesprochen.

cocain

Eine andere Seite, ist der Mythos vom Superkokain, das angeblich sofort abhängig mache und verheerende Konsequenzen insbesondere für ungeborene Kinder habe. Besonderen Ausdruck fand dieser Mythos in der mysteriösen neuen Droge „Crack“. In Wirklichkeit handelt es sich bei dem Wirkstoff im Crack um eine wohlbekannte rauchbare Form des Kokains, die Kokainbase. Selbst manch ein Junkie, der regelmässig Kokainhydrochlorid injiziert und auch Kokainbase raucht, ist dem Mythos von der Horrordroge Crack aufgesessen und erzählt ihn mit erregtem Gruseln weiter. Längst ist in den USA belegt, daß ein Großteil der Crackkonsumenten lediglich phasenweise, zum Beispiel am Wochenende konsumiert und die in ihrer Entwicklung zurückgebliebenen sogenannten „Crackbabies“ in erster Linie Produkte der desolaten Verhältnisse, in denen bestimmte soziale „Randgruppen“ in den USA leben müssen, sind, als daß sie toxikologische Opfer einer Teufelsdroge sind. Im übrigen seien die Kinder bei entsprechender Zuwendung schnell in der Lage ihren Geburtsrückstand wieder zu kompensieren.

Kokain ist mittlerweile nicht mehr nur mit dem Flair des Kitzels für das ansonsten langweilige und öde Leben der Reichen und Schönen behaftet, sondern auch mit Ängsten vor Kontrollverlust und Exzess, wie sie das Bild von den sich zu Tode koksenden Laborratten wiederspiegelt. Wenn man von Kokain spricht, egal in welcher Form, denkt man jetzt auch an Gier, an „craving“, Kokain als Symbol für Maßlosigkeit und Haltlosigkeit. Man will anscheinend immer mehr und wird doch nie wirklich befriedigt, kurze flüchtige Momente allenfalls. Es wird weitergemacht, bis alles weg ist, und dann rennt man nochmal los. Aber man darf bei diesem Bild nicht vergessen, daß ein großer Teil der Konsumenten durchaus in der Lage ist, den Konsum einigermaßen zu kontrollieren, ihn selbstbelohnend, genußorientiert oder leistungssteigernd im Rahmen eigener schadensminimierender Konsumregeln auf bestimmte Gelegenheiten (z.B. nur am Wochenende oder zu Weihnachten und Sylvester) zu beschränken und vor allem die eigene finanzielle Situation im Auge zu behalten. Wer reich ist, ist hierbei zugegeben im Vorteil. Die Reichen können sich auch noch mehr Spaß an Kokainwitzen erlauben, sollte man meinen. Diese haben längst das Fernsehen als Gradmesser der Toleranz erreicht. So sind in der Harald Schmidt-Show Kokswitze ein Dauerbrenner. Der Studiomusiker Helmut Zerlett ist zur koksenden Witzfigur abkommandiert worden. Kokser-Rap und Achtziger Jahre Koksermusik, wie die von Falco, ist lange schon musikprogrammtauglich. In nicht hinterfragten Hollywoodschinken für die breite Masse steht Kokain, „der Schnee auf dem wir alle talwärts fahren“, für ein gewisses Etwas, das Nasenpuder mit dem Flair des Verbotenen. Snowboardhersteller locken mit rasierklingengezogenen Kokainbergen (siehe Piste 1/99). Kokain ist gesellschaftsfähig geworden. Wer will nochmal, wer hat noch nicht?

Deshalb sollte man auch anfangen, den problematischen Konsum zu thematisieren und neue Umgehensweisen damit zu erproben. Dazu gehört meines Erachtens parallel zum anvisierten Heroinvergabeversuch ein großangelegter Kokainvergabeversuch. Erst in der Praxis wird man sehen, ob und für wen der freie Zugang zur reinen Droge die persönliche Gesamtsituation entschärft oder gar noch verschlimmert. Gleichzeitig wäre ein Ausbau an professionellen Hilfen mit Erfahrung im Umgang mit problematisch Kokainkonsumierenden wünschenswert. Kokain sollte von seinem hohen Ross heruntergeholt, aber nicht verteufelt werden. Ob eine Welt mit freiem Zugang zu Kokain (Koks für alle) wünschenswert ist, ist zumindest fragwürdig. Schließlich zeigen Erfahrungen, daß exzessiver Kokainkonsum, besonders das Injizieren und das Rauchen von Kokainbase (oder Crack), innerhalb recht kurzer Zeit zu (meist mit dem Absetzen der Droge schwindenden) Persönlichkeitsveränderungen bis hin zur paranoiden Psychose führen kann. Aber wenn man Wert auf individuelle Freiheit und Selbstverantwortung legt, wird man sich von einer mit Zwang und Strafen drohenden bevormundenden Haltung wegbewegen müssen, auch wenn man nicht immer glücklich mit dem Verhalten und Sosein einzelner Mitmenschen ist.

Was über die Kokainproblematik oft vergessen wird, ist das Kokablatt. Neben dem Schlafmohn und dem Hanf gehört die Kokapflanze zum Triumvirat der drei bei uns in ihrer Gänze verbotenen Pflanzen. Und für die Kokapflanze gibt es praktisch gar keine Ausnahmen mehr. Dabei kann die Pflanze unter unseren klimatischen Bedingungen garnicht gedeihen, es sei denn man päppelt sie im Gewächshaus hoch. Die Ansichtsexemplare botanischer Gärten werden meist mit einer erheblichen Dröhnung an giftigen Pflanzenschutzmitteln am Leben erhalten und sind deshalb für den Verzehr ungeeignet. Selbst der grasig an grünen Tee erinnernde erfischende und leicht anregende Kokablatttee, der in Peru legal als „Mate de Coca“ in Teebeuteln zu je 1 Gramm abgefüllt wird, darf bei uns nicht gehandelt werden. In den frechen Niederlanden allerdings stößt man in manchen Smartshops auf ihn (für z.B. 2 Gulden pro Beutel). Eine Tasse wirkt recht mild, milder als Tee, drei Tassen regen schon deutlich an. Der Tee kann wie guter grüner Tee zwei- bis dreimal überbrüht werden. Auch das Kauen der Kokablätter ist bei uns nicht erlaubt. Den Andenbewohnern hilft der mit einer Messerspitze gebranntem Kalk versetzte und in der Backentasche eingespeichelte und ausgesaugte lokalanästhetisierende Bissen aus mindestens zwei Gramm der getrockneten Blätter nicht nur bei den Strapazen des Tages und gegen Symptome der Höhenkrankheit, sondern auch als Lieferant von Vitaminen, Mineral- und sogar ein paar Nährstoffen. Kokatee und Kokabissen sind im Vergleich zum Kokain harmlose Stimulantien (mit einer Reihe traditioneller medizinischer Indikationen, die überprüft werden sollten). Der Besitz von Kokablättern oder Kokapflanzen sollte bei uns ähnlich wie längst überfällig bei Cannabisprodukten auf keinen Fall strafrechtlich verfolgt werden. Obendrein böte der Handel mit Kokablättern vielen verarmten südamerikanischen Bauern eine legale Einkommensmöglichkeit. Na dann, auf gute Beziehungen!