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Psychoaktive Substanzen

FRESSFLASH

Wenn der Rausch im Essen deponiert wird

Ein Stück nach dem anderen wird von der dunkelbraunen Tafel abgebrochen und wandert zielsicher von meiner Hand in den Mund. Die Zunge spielt mit der Leckerei, die Geschmacksknospen erkennen den hohen Kakaoanteil und allmählich wechselt der Klumpen den Aggregatszustand. Er wird zähflüssig und das Aroma kommt zur vollen Entfaltung. Erneut wühlt sich die Zunge in den aufgeweichten Haufen. „Lecker“, denke ich, „Vollmilch.“ Der Brei ist nun soweit. Langsam schlucke ich ihn hinunter, genieße, greife erneut zu, kaue und lehne mich zurück in`s Sofa; zufrieden, wohlbehütet, und eingebettet im Rausch.

Ein klappernes Geräusch aus der Küche stellt den Kontakt zur Außenwelt wieder her. Ach ja, Helmut wollte sich ein Brot machen. An solchen Abenden nehmen seine Stullen Ausmaße an, die Ronald Mc Donald Tränen in die Augen schießen lassen. „Hoffentlich bringt er was zu Trinken mit“, wünsche ich mir, denn ich bin zu faul aufzustehen. Wieder grapsche ich zur Schokolade. Inzwischen sind annähernd 100 Gramm Naschwerk in meinem Magen sanft gelandet, ich dagegen bin noch weit von der Landung entfernt. Vor etwa einer halben Stunde rauschte der Rauch einer sanften Afghani durch unserer beider Lungen. Obwohl am Nachmittag gut gegessen, verspürte ich kurz darauf einen fast unstillbaren Kohldampf; einen Heißhunger auf irgendwas, der nun befriedigt wird.

Woher kommt das Phänomen der Essenslust nach der Einnahme von THC-haltigen Produkten? Die verschiedenen Wissenschaften finden die Ursache auf ihrem jeweiligen Gebiet: Mediziner vermuteten lange, daß einige Inhaltsstoffe des Cannabis´ den Blutzuckerspiegel des Konsumenten senken. Diese Mangelerscheinung sucht der Körper durch die Zufuhr von zuckerhaltigen Speisen auszugleichen. Neuere Testreihen zeigen aber, daß der Blutzuckerspiegel bei Haschisch- wie Marihuanagebrauch nicht wesentlich abfällt. Also: Nichts genaues weiß man nicht. In solche Wissenslücken springen einige Kollegen aus der Psychologie nur zu gerne. Hier wird die Fresslust mit der Befriedigung oraler Triebe erklärt. Fest steht nur: Marihuana hilft gegen Übelkeit und Erbrechen infolge von Chemotherapien bei Krebspatienten und gegen den Gewichtsverlust bei AIDS-Kranken. Dabei ist es bisher das Medikament mit den wenigsten Nebenwirkungen. Warum der Kiffer Appetit verspürt, welche Hungerzentren im Hirn vom Haschisch motiviert werden, ist weiterhin allerdings unklar.

Helmuts Exkursion in die Küche ist vorerst beendet. Seine kulinarische Abfahrt übertrifft meine Erwartungen. Auf dem Teller streiten zwischen zwei riesigen Graubrotscheiben zentimeterdick Wurst, Käse, Remoulade, Salat und Ketchup um die geschmackliche Vormachtsstellung. Zwei Flaschen Wasser, eine Tüte Chips und Gummibärchen balanciert er ebenfalls mit in´s Wohnzimmer. Meine Mundhöhle ist verklebt und ausgedörrt. Es scheint so, als ob die Produktion des Speichels total lahmgelegt, die Drüsen verstopft, funktionsuntüchtig sind. „Wasser!“, denke ich. Der Sprudel rinnt kühlend die Kehle hinunter, wäscht mein Inneres, neutralisiert jeden Geschmack. Eigentlich ist es kein Hunger der mich im nächsten Moment dazu treibt beherzt in die Tüte mit den Kartoffelzerealien zu greifen. Eher eine Gier, eventuell auch eine Art Ablenkungsmanöver von mir selbst. Unfähig oder unwillig mich heute in andere, wahrscheinlich gesündere Bereiche des Rausches fallen zu lassen, fahre ich auf das Fressen ab. Legt der innere Filmvorführer erst einmal die Spule mit dem Fressfilm ein, gibt es kein zurück. Dann läuft die Vorstellung bis zur Übersäuerung ab, die Vernuft macht Urlaub und es wird alles gestopft was essbar ist.

Mittlerweile hat Helmut die Tüte mit den Gummibärchen geöffnet. Jetzt tobt sich das Gebiß richtig aus, quetscht die soften Tierchen, bekommt neue Gelantine zugeführt noch ehe die alte vollständig verschluckt ist, kaut, zermalmt und fühlt sich an Zeiten des Schnullers erinnert. „Pervers gut“, murmelt er und während des nächsten Lachkicks flüchten einige Chipskrümel und zwei Bären denen der Kopf fehlt zwischen seinen Zähnen hindurch in die Freiheit.

Nach gut einer Stunde sind Kühlschrank sowie Speisekammer leergefräst. Erschöpft starren wir Richtung Fernseher, den ich aus alter Gewohnheit angeschaltet hatte. „Mach´ mal aus das Ding“, sagt Helmut, „und lass´ uns unterhalten.“ Bei einem Pfeifchen reden und lachen wir über Gott und die Welt. Geht doch.

 

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Ein Schritt vorwärts – und zwei zurück

 

HanfBlatt Nr.79

Ein Schritt vorwärts – und zwei zurück

Was ist gewachsen und was blüht uns? Vier Jahre rot-grüne Politik zeigen vor allem die Angst vor Veränderung.

Erinnern wir uns: Damals, 1998, versprach die SPD „Innovation und Gerechtigkeit“ und das sollte auch für die Drogenpolitik gelten. Daraus ist wenig geworden. Es sollte ein Aufbruch in eine Ära nach Kohl werden, schließlich saßen nun die 68er in den Ledersesseln des Kanzleramts. Was kam war nur ein weiterer Rückfall. Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Zwar setzte die Koalition Fixerräume und die lange aufgeschobenen Abgabe von Opiaten an Schwerstabhängige durch, ansonsten stagnierte die Politik. Denn „gerecht“ ist es auf keinen Fall, dass Menschen aufgrund des Besitzes von ein paar Krümeln Haschisch den Führerschein oder Arbeitsplatz verloren. Es musste erst wieder richterliche Rauchzeichen aus Karlsruhe geben, um diesen gebührlichen Zustand zu beenden.

Eine gewisse Kontinuität lässt sich in der Drogenpolitik der SPD durchaus erkennen: Unter ihrer Ägide kam es bereits 1982 zu einschneidenden Verschärfungen im Betäubungsmittelgesetz und nun zu Samenverbot und der Praxis, Kifferinnen den Führerschein zu entziehen, obwohl diese gar nicht akut berauscht gefahren waren. Die Grünen haben sich, wenn überhaupt, nur zaghaft gegen diese eiskalte Repressionspolitik gewehrt. Ist es tatsächlich so, dass, wie Hans-Georg Behr es einmal so schön ausdrückte, „die Bundesregierung, egal welche gerade herrscht, fest entschlossen ist, den nun einmal eingeschlagenen Holzweg bis zum bitteren Ende weiterzugehen“?

Innenminister Schily laviert seit geraumer Zeit, mal will er die Legalisierung prüfen lassen, im nächsten Moment dementiert er dies. Würde er tatsächlich eine Kommission einberufen, dann würde er wohl sein grünes Wunder erleben. Selbst den verbohrtesten Sachverständigen ist nämlich mittlerweile klar, dass es in Deutschland eine Hanfkultur gibt, welche eben nicht aus rumhängenden, verelendeten Luschen besteht, sondern die wirtschaftlich und kulturell zu Tragen beginnt. Die vernebelten Video-Strips von Stefan Raab und Kiffer-Scherze von Harald Schmidt sind mediales Zeichen dieser Entwicklung. Nur ist es leider halt immer noch so: Wer seinen Kopf zu weit raus streckt, der kriegt was zwischen die Hörner; das musste nicht nur Xavier Naidoo erfahren. Die Boulevard-Medien sind Teil der Verlogenheit in der Drogenkultur des Landes.

Es ist ein Wunder, wie sehr sich die Grünen von ihren Wurzeln aus den 68er gelöst haben. Es kann doch kein Mensch, der die damalige Zeit mitgelebt hat glaubhaft versichern, dass die Kifferei in seinem Umfeld nur süchtige und sozial abgewrackte Typen hervorgebracht hat. Ist nicht vielleicht sogar das Gegenteil richtig? War diese böse Droge nicht vielleicht sogar Bestandteil des Antriebsstoffs, der den Motor der ideologischen Innovation antrieb, blumiges Versprechen auf eine bessere Welt? War die Revolte von 1968, die radikale Infragestellung der deutschen Nachkriegsgeschichte, nicht auch durch die gelebten Utopien der „Blumenkinder“ getragen? Wo sind sie denn, die Verweise auf die stilleren Vertreter einer Generation, die nicht nur im proklamativen Weg nach außen, sondern auch in der Introspektion den Weg zur Verbesserung der Lebensumstände einer Gesellschaft suchten?

Es scheint fast so, als ob diese Menschen heute nur noch aus dem esoterischen Untergrund heraus wirken, dabei haben sie das Lebensgefühl einer Generation mitbestimmt. Dies mag heute kaum einer der wortgewaltigen Weisenräte zugeben. Hier liegt vielleicht eine Ursache für die konstante Abschiebung von Nutzern psychoaktiver Pflanzen und Substanzen in den pathologischen Bereich. „Drogenkonsumenten“, dass sind aus dieser Sicht immer Menschen, die der Hilfe von außen bedürfen. Was für ein Blödsinn! Es ist oft genug formuliert worden, sei aber hier noch einmal zu mitsingen formuliert: Der Mehrheit aller Genießer von psychoaktiven Spurenelementen nimmt sozial integriert und autonom am sozialen Leben teil und ist auf keines der Hilfesysteme angewiesen. Die neuen Untersuchungen zeigen darum eben auch, dass für die meisten Frauen und Männern der Cannabiskonsum eine Phänomen der Jugendzeit ist.

Merkwürdig ist daher, dass Rot-Grün es tatsächlich für einen Verdienst hält, dass der Sektor „Drogenpolitik“ vom Innen- zum Gesundheitsministerium verlagert wurde. Abgesehen davon, dass damit nur der Zustand vor der Schreckensherrschaft von Kohl wieder hergestellt wurde, kann man nur sagen: „Ja, Wahnsinn, Danke, Kifferinnen sind jetzt nicht mehr kriminell, nur noch krank!“ Das durften die Schwulen und Lesben auch lange Zeit von sich behaupten. Wann wird eingesehen, dass der geregelte Genuss von Hanfprodukten ein Stück Lebensart ist, nicht mehr, nicht weniger? Das große Tabu ist nach wie vor, dass der Genuss von Cannabis, LSD und Kokain seine Gefahren birgt, aber eben auch mächtig Spaß bringt.

Seltsamerweise kommen die Grünen erst mit dem näher rückenden Wahltermin wieder in Fahrt: Ihr rechtspolitischer Sprecher Volker Beck, Mitglied im Fraktionsvorstand des Bundestages, will die Diskussion mit der SPD nach einer Wiederwahl neu aufnehmen: „Der Krankheitsdiskurs führt bei Cannabis nicht weiter. Hier geht es um das Verhältnis von Bürger und Staat beim Drogengebrauch“, sagt er und fährt fort, „diesmal muss die Entkriminalisierung von Haschisch in der Koalitionsvereinbarung stehen.“ Wie sagte meine Oma in solchen Fällen gerne: „Wer es glaubt, wird selig.“ Die glattgebügelten Ökologen versprachen schon vor vier Jahren die Legalisierung des Hanfs – dass sie an diesem Punkt so sang- und klanglos kapitulierten hat ihnen gerade unter ihren jungen Wählern eine Menge Sympathie gekostet. Fest steht und das weiß auch Volker Beck: Der drogenpolitische Neubeginn wäre nicht nur an die Legalisierung des Konsums geknüpft, innerhalb staatlich kontrollierter Rahmenbedingungen müssten auch Anbau und Handel freigegeben werden. Angesichts solcher Schritte kneifen SPD und Grüne. Schröder will die Legalisierung von Cannabis partout verhindern, das war schon vor vier Jahren so und wird so bleiben.

Es ist kein Zufall, dass nach Christa Nickels nun wieder eine SPD-Dame den Posten der Drogenbeauftragten der Bundesregierung einnimmt. Die SPD-Rechte Marion Caspers-Merk antwortete im Kölner-Stadt-Anzeiger auf die Frage, was sie denn für das neue Amt qualifiziere: „Die neue Gesundheitsminsterin hat mich gefragt und mich reizte das neue Tätigkeitsfeld.“ Danke, Frau Casper-Merk, dass reicht uns schon. Dabei gab es durchaus Ansätze zu kollektiven Erleuchtung der Sozialdemokraten: Die SPD-Bundestagsfraktion setzte sich 1992 für eine Straflosstellung aller Drogenkonsumenten ein und warb auf zwei Parteitagen (1993 und 1996) für den legalen Zugang zu Cannabisprodukten zum Eigenverbrauch. Auch Bedingungen eines kontrollierten Verkaufs sollten geschaffen werden. Aber auch diese Blase zerplatzte, übrig geblieben ist eine Politik, welche die ewige Leier der Prävention spielt und nicht einsieht, dass es die Illegalität ist, welche die meisten Probleme erst schafft.

Und der kreidefressende Stoiber? Die Verwandlung von Hardcore-Ede zum milden Mann der Mitte darf man getrost als taktischen Manöver abtun. Von ihm und seinen Mannen ist im Falle eines Wahlsiegs ein Rückfall in dunkelste Zeiten zu erwarten. Die CDU/CSU präsentiert sich in der Drogenpolitik seit Jahrzehnten genauso kompetenz- wie innovationslos. Kurzum: Stoiber & Co. gehen gar nicht.

Schon ohne einen Kanzler Stoiber ist die Republik von Visionen weit entfernt. Schröders Pragmatismus lässt in der Regierungspolitik keinen Platz für Ideen um aus den „geistig-moralischen Schrebergärten“ (Gerd Koenen) auszubrechen. „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ Dieser Satz Erich Kästners wird nur allzu gerne von unserem Brioni-Kanzler zitiert – mittlerweile klingt dies wie die endgültige Verabschiedung des ideellen Untergrunds, auf welchem jedwede Handlung ja nun mal beruht. Aber für was macht Rot-Grün heute noch den Rücken gerade?

Die Schröder-Chor schmettert im Tenor einer Republik, in der schnöde Pop-Literaten wie Christian Kracht und Florian Illies („Generation Golf“) deutlich herausstellen, dass die richtigen CDs im Schrank wichtiger sind als soziale Schieflagen. Stichwort: Spaßgesellschaft. Deren Ende ist auch nach dem 11. September nicht in Sicht. Noch nie war die Halbwertszeit von medial aufbereiteten und konstruierten Hypes so kurz. Vorgestern Essig-Diät, gestern Rinderwahnsinn, heute 80er Revival, morgen klaut Strunz Effe die Frau zurück. Alles begleitet von einer Talkshow-Tyrannei, deren Intimität von der eigenen Gefühlsunfähigkeit ablenken soll. Statt Visionen zu leben werden halbschlaffe Erektionen von platten Oberflächen gesogen. Von daher ist der Stillstand der von Schröder beschwörten „Neuen Mitte“ nur Teil einer Gesellschaft, die sich stets auf der Suche nach dem nächsten Event in narzisstischer Anmut vor dem Spiegel dreht.

Noch steht der Beweis aus, dass ein nennenswerter Anteil von Anwendern psychoaktiven Substanzen deren Potential zur vielbeschworenen „Bewusstseinserweiterung“ dazu nutzt aus diesem egozentrischen Reigen auszubrechen. Die Leute, die abseits der legalen Mainstream-Drogen Lust auf „better living through chemistry“ haben, sind zudem zu einem großen Teil völlig desinteressiert an der politischen Durchsetzung ihrer Vorlieben. Sie kiffen sowieso, und wenn es passt fliegt auch mal ´ne Pillen in den Rachen. Legal – illegal – scheißegal.

Niemand müsste die Ideale von der Selbstbestimmung des Individuums bemühen, um zu einem Wandel in der Drogenpolitik zu kommen. Nein, es würde vollkommen reichen einen analytisch sauberen Blick auf die Realität zu werfen, um die Auswüchse einer fehlgeleiteten Politik gegenüber Substanzbenutzern aller Art einzusehen. Am augenfälligsten ist das seit jeher bei Cannabis, einer Pflanze, deren Wirkstoffe vergleichsweise harmlos auf den Menschen wirken.

Zukünftig kann es also nur darum gehen, dass die gesellschaftlichen Institutionen wie Schule und Elternhaus tabulos über Drogengebrauch aufklären und auch dazu anleiten. Dazu sind sie bislang nicht in der Lage, zum einen, weil Unwissen herrscht, zum anderen, weil ihnen Gesetze im Wege stehen, zum dritten, weil die eigene Abhängigkeiten und Süchte (Alkohol, Zigaretten, Fernsehen) selten thematisiert werden. Hier liegt ein weiteres markantes Problem der Diskussion: „Drogenkonsumenten“, dass sind immer die anderen. Damit wird der Komplex aus dem eigenen Verantwortungsbereich geschoben und als abhandelbares Objekt interpretiert. Nicht umsonst gab es größere Anschübe zu Reformen immer dann, wenn Familienmitglieder oder Menschen im Bekanntenkreis von Politikern Drogen konsumierten. Das Apothekenmodell von Heide Moser und der nachhaltige Einsatz von Henning Voscherau für die Heroinvergabe sind Beispiele hierfür.

Also alles wie gehabt? Nein, wohl nicht. Trotz Samenverbot und anderen verschärfenden Maßnahmen, die wohlgemerkt alle während der Legislaturperiode von Rot-Grün durchgesetzt wurden, floriert die Hanfszene. Hanf ist heute mehr denn je Mode, Ernährung, Droge, Kult, Musik, Schmuck, Weltanschauung. Kiffen und alles rund ums Kiffen ist normaler denn je, das Geseier von der „kulturfremden Droge“ schon lange widerlegt. In den Bars und Clubs des Landes wird munter eingerollt und der eine zieht an der Sportzigarette, der andere halt nicht. Früher wurde die Tüte noch mit verschwörerischen Blick weitergereicht, dass tut heute nicht mehr Not. Eine wenig erwähnte Tatsache ist zudem, dass Kiffen nach wie vor eine Kultur des Teilens ist. Der Eine besorgt oder baut an, die Nächste baut, geraucht wird zusammen. Und auch die ideologischen Fehden innerhalb der ökonomisch orientierten Hanf-Szene nehmen ab. Mittelfristig wird die Null-Bock-80er Generation in die Institutionen tanzen und es bleibt abzuwarten, ob sie ihre rauchgeschwängerten Wurzeln nicht verleugnet. Die vielen Cannabis-Connaisseure werden bis dahin weiterhin vor allem eines haben (müssen): Ausdauer.

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Cannabis

Marihuana Mythos 11: „Marihuana verursacht das Amotivationssyndrom“

 Marihuana Mythen

Teil XI

An was soll diese arme Pflanze eigentlich alles Schuld sein? Vielfältig sind die Vorwürfe, nebulös oft die Beweise. Die Mythen rund um den Hanf ranken munter weiter, doch Rettung ist in Sicht, denn das HanfBlatt zerreißt den Schleier des Unwissens und der Boshaftigkeit. Dahinter leuchten die prallen Harzdrüsen der Erkenntnis. Aber bleiben wir auf dem Boden. Wie sieht es wirklich aus: Welchen Nutzen und welche Schäden kann der Konsument von Cannabis aus den pflanzlichen Wirkstoffen ziehen? Wo liegen Gefahren für Körper und Geist, wo Chancen für ihre Genesung? Der elfte Teil der Serie dreht sich um den Mythos:

„Marihuana verursacht das Amotivationssyndrom“

Der Standardwitz zum Thema: Sagt der Eine: „Hasch macht gleichgültig.“ Der Andere: „Mir egal.“ Die gleichgültig machende Eigenschaft des Rauschhanfs ist nicht nur einer der ältesten Mythen, er findet auch immer wieder Unterfütterung durch neue wissenschaftliche Untersuchungen. Sollte Haschisch tatsächlich aus einem normalen, arbeitswilligen Bürger einen apathischen und unproduktiven Versager machen?

 

DIE FAKTEN

 

Die herrschende Lehre geht davon aus, daß das Konzept des „amotivationalen Syndrom“ in einem Aufsatz von W.H. McGlothin und L.J. West im Jahre 1968 entworfen wurde. Der regelmäßige Konsum von Cannabis, so die beiden Autoren, führe zur Entwicklung eines passive, introvertierten und eben demotivierten Persönlichkeitstypus. Die hinter diesem Konzept stehende Idee entstand allerdings schon sehr viel früher. Die us-amerikanischen Regierungsbehörden setzten diesen Gedankenvirus, um einen rassistischen Stereotyp für die mexikanischen Arbeiter, den „Borracho“, zu entwickeln. Die Prohibitionisten sahen in der für sie ungewohnten Gelassenheit der Marihuana rauchenden Mexikaner nur Wertlosigkeit und Faulheit. Schaut man sich die Untersuchungen aus den 60er Jahren genauer an, fällt auf, daß hier nur schwer kiffende Jugendliche ausgewählt wurden, die ohnehin schon in medizinischer Behandlung waren. McGlothin und West prüften die Verfassung von Mittelklasse-Angehörigen, die vor dem Beginn ihres Konsums konforme und leistungsorientierte Söhne und Töchter waren, in deren Garageneinfahrt ein Basketballkorb das Grundstück zierte (Achtung: Dies war ein Stereotyp). Das THC setzte bei Ihnen ein altes Gefühl frei: Langzeitpläne gerieten aus dem Blick, die Konzentrationsfähigkeit über längere Perioden nahm ab. Gegenwärtiges Genießen wurde erheblich wichtiger als die ungewisse Zukunft. In einer Gesellschaft der westlichen Hemissphäre werden solche Auffälligkeiten natürlich schnell zum Politikum, denn wo soll der Weg hingehen, wenn die Jugend den Anforderungen der sozialen Umwelt nicht mehr gerecht wird? Seither widersprechen sich die Ergebnisse: College-Studenten waren wiederholt Ziel von Erhebungen – während in einigen Fällen ein Abnehmen der Leistungsbereitschaft und auch der Noten eruiert wurde, fanden andere Untersuchungen keine Unterschiede zu Nichtrauchern oder sogar Steigerungen der Tüchtigkeit. Interessant ist, daß die großen Feldstudien in Costa Rica, Griechenland und Jamaika keine Beweise für das „Amotivationssyndrom“ fanden. In Jamaika wird Ganja auch konsumiert um zu arbeiten. In dem Bericht heißt es, „daß Ganja als Arbeitsstimulans wirkt“. J. Schaeffer und seine Mitarbeiter schauten sich 1981 das Verhalten einer religiösen Vereinigung in den USA an, die im rituellen Rahmen regelmäßig Gras paffen. Sie fanden keine Beeinträchtigung der kognitiven Funktionen. Vielleicht kommt Andrew Weil dem Kern der Sache nahe, wenn er behauptet: „Amotivation ist in den USA eine Ursache für starkes Marihuanarauchen und nicht umgekehrt.“

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Trotzdem gibt es durchaus Gründe, die Theorie der Amotivation ernst zu nehmen. Wenn aus dem Kind die Blüte des Erwachsensein treibt, ist es an der Zeit an den An- und Unannehmlichkeiten des Lebens teilzunehmen. Es warten nicht nur Pickel und das andere Geschlecht, sondern auch erste Grenzerfahrungen mit berauschenden Substanzen. Der erste Suff, der erste Joint. Wer hier dem Rausch zu heftig und regelmäßig zuspricht, dem fällt die Integration in das bestehende Bürgertum der rangelnde Ellbogen schwer. Denn wie sinnlos, wie nichtig wirken die Versprechungen des materiellen Reichtums gegen dem lässigen Verweilen im „Hier und Jetzt“. Oder wie Rowan Robinson es ausdrückt: „Warum sollte man endlose Stunden dafür aufwenden, Reichtum anzusammeln, um sich das Glück und die Zufriedenheit zu kaufen, die bei Cannabiskonsum bereits in jedem Augenblick vorhanden sind?“ Sinnsuchende Sekretärinnen dürfen die Besitzer von Esoterik-Shops reich machen, der heranwachsende Jugendliche muß erste seine Leistung bringen, bevor er sich dem Gedankens des ewigen Fortschritts wieder abwendet. Ob es aber tatsächlich so einfach ist, wie Robinson behauptet, daß das „Amotivationssyndrom“ nur dem „Zweifel an der Weisheit des Fortschrittsdenken“ entspricht, muß bezweifelt werden. Denn natürlich ist ein Mensch anderen Dingen gegenüber unmotiviert, wenn sich der Hauptaugenmerk seines Lebens einer Droge zuwendet. Hang-over, Lustlosigkeit, Antriebsschwäche, Ziellosigkeit und Lethargie sind allen Kiffern bekannte Phänomene nach einer durchqualmten Nacht. In fernen Ländern (und im Urlaub) mag dies zu einer Philosophie gehören, in „spätkapitalistischen“ Gesellschaften kann dieser Weg aufs Abstellgleis führen, auch wenn Gleichgesinnte mit im selben Wagon sitzen.

Aber runter mit dem Zeigefinger und zurück zu den medizinischen und sozialen Erkenntnissen. S. Cohen erinnert die Wissenschaftsgemeinde 1986 daran, daß das „Syndrom“ äußerst variabel in seiner Präsentation ist und zudem extrem durch Einflüsse vor dem Beginn des Cannabis-Konsums bestimmt wird, daß die Existenz des „Amotivationssyndrom“ bezweifelt werden kann. Bei vielen von diesem „Syndrom“ Betroffenen wurde zudem eine körpereigene depressive Störung diagnostiziert, die durch den Cannabiskonsum an die Oberfläche des Geistes durchbrach. J.A. Halikas und seine Kollegen belegten das 1978. D.J. Kupfer ging schon 1973 sogar soweit, das diese von Depression geplagten Menschen den Hanf als selbstverschriebene Behandlung nutzen. Zum Schluß muß noch einmal in Erinnerung gerufen werden, daß der große Teil der in den zahlreichen Studien untersuchten Individuen in medizinischer Behandlung waren und demnach nicht repäsentativ für die Allgemeinheit der Cannabis-Genießer sind. Und wenn es dieses „Syndrom“ wirklich geben sollte, wie kann dann seit drei Jahren jeden Monat das HanfBlatt erscheinen?

Jörg Auf dem Hövel