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Mixed Rezensionen

Dieter Bohlen seine Wahrheit

Telepolis v. 29.11.2002

Nichts, auch nicht die Wahrheit

Wenn man das Buch von unserem Dieter nicht als *.pdf saugt, dann würdigt man zugleich Heinz von Foerster.

An der „Wahrheit“ hat sich schon so mancher Philosoph den Zeh verrenkt. Nach Jahrtausende lang schwelender Diskussion fand sich nun ein diplomierter Betriebswirt diese Kernfrage der Menschheit ihrer endgültigen Lösung zuzuführen. Die Wahrheit, so sein Credo, ist das was Dieter sagt.

Wir erinnern uns: Kulturpessimisten sahen schon durch das Geträller der Pop-Engel von „Modern Talking“ den Untergang des Abendlandes bevorstehen. Sie mutmaßten, dass es tiefer nicht mehr gehen könne, aber sie mussten sich eines besseren belehren lassen. Nun diagnostizieren sie einen neuen Tiefstand auf der nach unten offenen Verblödungsskala. Von Dieter Bohlens Erinnerungen an „Nichts als die Wahrheit“ sind bereits 500.000 Tausend Exemplare verkauft und auf KaZaA kursiert die Biografie als pdf-Dokument. Der Bohlen-Virus hat die Republik erfasst, die Symptome: zunächst schwach-schüchternes Hüsteln, später vehementes Gekicher, begleitet von akuter Bestürzung.

Der Virus lässt die Rezipienten taumeln, sie sind hin- und hergeworfen zwischen peinlicher Berührung und der Begeisterung über die Courage, von Penisbrüchen und Teppichludern zu klönen. Lange Zeit herrschte pures Entsetzen über den vulgären Dummbatz, der alle seine Peinlichkeiten zu Markte trägt – bis bemerkt wurde, dass er uns damit alle erleichtert. Da war er, ein Sündenbock, der sich nicht einmal daran störte, dass die Republik ihren Hohn auf ihn lädt, mehr noch, der sich sichtlich wohl im kollektiven Tratsch-Gedächtnis der Gesellschaft fühlte.

Respekt wird „dem Dieda“ vor allem deshalb gezollt, weil es ihm egal zu sein scheint zum Gespött der Leute zu werden. Damit ist er vorläufiges Endprodukt einer Gesellschaft, in der jeder Vorstadt-Honk allein dafür Anerkennung erheischen will, dass er bereit ist, seine privaten Befindlichkeiten in einer Talkshow zur Schau zu stellen. Sicher, Bohlen, 48, ist erfolgreicher Produzent von Billig-Pop, aber seine musikalische Kunst stand schon vor Veröffentlichung des Buches völlig im Schatten seiner Lendenkunst. Denn, wenn man ehrlich ist, wirklich erlebt, etwas durchgemacht, von dem es sich zu erzählen lohnt, hat der Mann nicht.

Was auf den Inhalt seines Trieb-Werks deutet. Der Literat erzählt Anekdoten aus seinem Leben, auf der Strecke bleiben bei dieser Jagd nach Amüsement vor allem die „Pistenhühner“ und seine ehemaligen Weggefährtinnen. Ein Beispiel? Mit unverhüllter Häme lässt er sich über die vermeintliche Scheusslichkeit der Wohnung seiner Ex-Frau Verona Feldbusch aus, ausgerechnet er, dessen Inneneinrichtung seines Hauses in Tostedt bei Hamburg, ein um Ikea-Elemente bereichertes Gelsenkirchener-Barock, kaum mit makellosen Worten zu würdigen ist, ausgerechnet er, der ein paar Seiten vorher noch von seiner „megageilen Flicken-Jacke aus fünfundzwanzig verschiedenen Jeans-Stoffen“ schwärmt.

Noch ein Beispiel? En detail berichtet er vom -aus seiner Sicht- gefährlichen Umgang seiner anderen Ex, die auf den Namen „Naddel“ hört, mit Alkohol. So wollte er, sagte das Alpha-Männchen jetzt in einem Interview, sie dazu anregen, „darüber nachzudenken, ob man das nicht ändern“ könne. Klar, die Bild-Zeitung berichtet bekanntlich ja auch über die Homosexualität einer Tatort-Kommissarin, um sie von ihrem Irrweg abzubringen.

„Hallo McFly, jemand zu Hause?“

Das ist Bohlens Umgang mit der Wahrheit. Dass seine subjektive Wahrheit nicht die Wahrheit der anderen ist, nicht sein kann, das interessiert den Dieter nicht. Kognitionswissenschaftler und Kybernetik-Legenden, wie der kürzlich verstorbene Heinz von Foerster, weisen darauf hin, wie beobachterabhängig, wie subjektiv die wahr genommene Realität ist. „Wahrheit“, so gab von Foerster zu bedenken, „ist die Erfindung eines Lügners“. Wer von sich behauptet im Besitz der Wahrheit zu sein, der stempele damit andere zum Lügner ab.

Bohlen ist sicher Meister darin, seine ganz persönliche Wahrheit für sich so zu gestalten, dass er schmerzfrei – andere sagen merkbefreit – durch das Leben gleitet. Was er sich überhaupt nicht vorstellen kann, ist, dass gerade der intime Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen eben nicht von Wahrheit, sondern durch Wahrhaftigkeit lebt. Als ob es eine Wahrheit darüber geben würde, ob die von Dieter so heiß geliebten Kissen fürwahr, tatsächlich und faktisch richtig auf dem Sofa liegen.

Zugegeben: Fast jeder muss beim Überfliegen von Bohlens Schabernack-Machwerk lächeln, zugleich möchte man dem Fahrer von Geronimo´s-Cadillac einen Schirm leihen, damit es oben nicht rein regnet. Bohlens Geseier kann man als erfrischend schnoddrig, als proletarische Antwort auf die „political correctness“ abfeiern oder im gepflegten Ton als „Schnörkellosigkeit und Lakonie“ (FAZ) bezeichnen. Es bleibt die Einsicht, dass Typen wie Bohlen das Betriebssystem der Spaßgesellschaft sind. Die sollte ja eigentlich nach dem 11. September begraben werden, „aber Pustkuchen“, wie Dieter wohl sagen würde.

Es ängstigt, aber es gibt kaum einen Lichtblick für ein Leben nach Bohlen: Er bedient den Kulturbetrieb einer Republik, in der schnöde Pop-Literaten wie Christian Kracht und Florian Illies („Generation Golf“) deutlich herausstellen, dass die richtige CD im Schrank wichtiger ist als soziale Schieflagen. Zugleich ist die Halbwertszeit von medial aufbereiteten und konstruierten Hypes noch nie so kurz gewesen. Vorgestern Essig-Diät, gestern Rinderwahnsinn, heute 80er Revival, morgen klaut der Strunz dem Effe die Frau zurück. Bohlen, die „gusseiserne Geldvisage“ (Wiglaf Droste), weiß von der Flüchtigkeit dieses Geschäfts, damit er weiterhin seine Kohle aus diesem Voyeurismus-Betrieb ziehen kann ist bereits eine Fortsetzung seiner Lebensbeichte angekündigt.

 

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Reisen

Mit Alexander Jolig auf Verlobungsreise oder Von der Schwierigkeit, im Gespräch zu bleiben

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Berliner Zeitung v. 02.11.2002 Stark gekürzte Fassung! Hier das Original

Die Leiden eines Emporkömmlings

Mit Alexander Jolig auf Verlobungsreise oder Von der Schwierigkeit, im Gespräch zu bleiben

Es war ein „ganz normaler Sonntag“, versichert Sam, als Alex ihr einen Heiratsantrag machte. „Wir waren auf dem Weg vom Sonnenstudio in die Videothek, da sagte der Alex, dass heiraten ja auch nicht schlecht wäre.“ Sam will gerade mit der romantischen Geschichte fortfahren, aber die Dame von RTL ist nicht zufrieden und sagt deshalb „Schnitt, noch mal, bitte.“ Neulich auf den Azoren. „Container-Alex und Sam zur Verlobung auf den Trauminseln“, so sollen die Headlines prangen und darum hat die Tourismus-Zentrale geladen. Seit Jahren stagniert der Touristenstrom, zusammen mit einer Münchener Medienagentur sind daher das Ziel und die Mittel festgelegt worden: Das Paar soll den Bundesbürgern die Inseln schmackhaft machen. Die Presse und deren Opfer kommen in einem Ressort an der Steilküste unter. Alle verstehen sich gut, auch dienstlich probt man den Gleichklang. Den einen geht es um die Erhellung von mausgrauen Alltagswohnzimmern mit dem Glanz eines schillernden Pärchens, den anderen darum, einen Platz im Tratsch-Gedächtnis der Gesellschaft zu ergattern.

Wir brauchen einen O-Ton

Ab jetzt beobachten die Medien jeden Schritt der beiden. Das Kamerateam filmt für RTL-Explosiv, der einsame Journalist schreibt eifrig in seine Kladde. Erste Station: Der Hafen von Vila Franca. Es geht hinaus aufs Meer, „Dolphin-Watching“. Die kleinen Racker sind tatsächlich zugegen, ein Rudel Fleckendelfine durchpflügt das Wasser. Ein Delfin schießt sich drei Meter hoch und setzt eine Mords- Arschbombe ins Wasser. Die Kamera läuft, ein gewagter Schwenk zwischen Sams Beine. „Wir brauchen einen O-Ton!“, bestimmt die Frau von RTL. Also raus das Mikro: „Ein tolles Erlebnis“, sagt Sam. Danke, Schnitt.

Abendessen, Alex betritt den Raum. Eine Mischung aus Zorro und Marlon Brando, Panzerkette um den Hals, Silberkette ums Handgelenk. RTL, Schreiberlinge und das Paar sitzen wieder an einem Tisch. Sam erzählt begeistert von Ereignissen aus Pool und Bad. Brandy, eine Zigarre, kommod lehnt sich Alex zurück. Mittlerweile sitzt man in der Bar, die Lampen sehen aus als wären sie vom blinden Bruder von Verner Panton designt, rote Cordhocker bevölkern den Raum. Das Meer, ja, das mag Alex, die fast unendliche Weite. Sein Traum? „Ein Bötchen“, sagt er bescheiden, „und dann rund um die Welt segeln.“

Alex Jolig braucht die Medien, denn sie waren es, die ihn zu einem Macho, zu einem Diplomatensohn mit Heckspoiler stilisiert haben, niveauvoller als Slatko, aber eben doch nur ein Emporkömmling aus einer Reality-Soap. Man konnte ihn zu Talkshows einladen, um seine musikalischen Gehversuche, seine Filmauftritte oder seine Liaison mit Jenny Elvers zu belächeln. Der Mensch Jolig blieb dabei uninteressant. Schon die Authentizität der blechernen Big-Brother-Beziehungskiste war nur eine scheinbare. An den Mischpulten des Fernsehsenders wurde genau darauf geachtet, welche Bilder über den Äther gingen. Die Damen putzten das Klo, während Alex in Macho-Pose auf dem Sofa schwieg. „Ich habe genau so im Haushalt gearbeitet wie alle anderen auch“, sagt Alex heute. Zu spät. Höhepunkt war sicherlich, als Kerstin dem guten Alex vor laufenden Nachtsicht-Kameras einen geblasen hat. So entstand das Image vom Pascha, der das pralle Leben in vollen Zügen genießt.

Darunter leidet er, denn ewig will er den Ballermann nicht mimen. Aber er ahnt, dass ein Star nur das ist, was über ihn bekannt wird – egal, ob wahr oder falsch, wichtig oder unwichtig, ganz egal auch, ob es dem Menschen dahinter gerecht wird. Aber im Gegensatz zu echten Stars bleibt bei vielen medialen Produkten des neuen Jahrtausends unklar, weshalb sie ihre exponierte Position in der Öffentlichkeit einnehmen. Jenny Elvers, Ariane Sommer, Verona Feldbusch oder „Party-König“ Michael Ammer: Der „Rohstoff Person“ ist dünn, der Einzelne reklamiert Beachtung aus keinem anderen Grund als der Freimütigkeit, mit der er seine Befindlichkeiten zur Schau stellt.

So steht für die Halb-Promis die Frage: Wie im Gespräch bleiben, ohne zum Gespött zu werden? Darüber grübelt Alex nach, darüber grübelt Sam nach. Hinter den beiden steht keine mächtige Plattenfirma, die den Medien mit dem Entzug der Werbeschaltungen drohen kann, wenn Unliebsames berichtet wird. Dabei sind Alex und Sam keine Witzfiguren, es sei denn, man hält die Typen aus der Nachbarschaft für unbedingt verarschenswert. Sam, 26, keck, manchmal dreist, erinnert an das gut aussehende Mädchen, das jeder noch aus seiner Schule kennt. Alex ist freundlich, hilfsbereit, jovial, auch wenn die Kameras nicht in der Nähe sind.

Als Paar sind sie in erster Linie verliebt, zudem aber zunehmend entsetzt darüber, wie die Presse mit ihnen umgeht. „Die machen mit uns, was sie wollen.“ Nach dem zweiten Brandy schlägt Alex deshalb vor, man solle mal was „über den Menschen Alex Jolig“ schreiben. Darüber, weshalb er in den Container gegangen sei. Seine damalige Sinnkrise habe bisher noch niemanden interessiert.

Reiten mit RTL

Frühstück, dann die nächste Station: eine Hazienda, auf der stolze Rösser ihr Stroh futtern. Der käseweiße Verwalter gibt sich zugeknöpft. Sam entdeckt schnell einen stattlichen Gaul in den Boxen, der Cowboy aber deutet auf eine 21-jährige Mähre mit Karies. Der Gedanke, dass Alex einen seiner Klepper womöglich von hinten besteigt, treibt ihm die Schweißtropfen auf die hagere Brust. Egal, RTL will Bilder, und Hans Alexander Jolig soll jetzt reiten. Der Rücken vom Klepper biegt sich so sehr durch, dass die Bauchdecke fast den Boden streift, Alex ist nicht besonders glücklich. Zu allem Überfluss will das RTL-Team Alex verkehrt rum auf dem Pferd sehen, ein wahrhaft explosiver Gag. Das Wuschelmikro schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Paar. Schnitt.

Und so geht es weiter. Von schwefelhaltigen Dampfterrassen über Teefabriken bis hin zum Grützwurst-mit-Schweinefleisch-Essen, sechs Stunden im Erdloch gebacken und nur mit Senf zu genießen. Inmitten des Wahnwitzes taumeln Sam und Alex. Und manchmal stehen sie recht verloren da. Dann nimmt Sam die Hand von Alex, drückt sie und fragt lächelnd: „Alles roger in Kambodscha?“


Für 100 Tage populär

Am 28. Februar 2000 zog Alex Jolig für die erste Staffel der „Big-Brother“-Show in den Container ein. Ebenfalls dabei: Jürgen, Zlatko, John, Thomas, Despina, Andrea Manuela, Kerstin und Jana. Nach 100 Tagen war das Spektakel vorbei. Zwei weitere Big-Brother-Shows folgten, dann erlahmte das Interesse des Publikums.
Die meisten Big-Brother Bewohner verschwanden wieder in der Versenkung. Alex Jolig versuchte sich als Schauspieler, Sänger und Werbeträger und geriet durch seine Affäre mit Jenny Elvers in die Schlagzeilen. Sein Mitbewohner Jürgen bringt gerade sein Buch „Ich sag s“ heraus, in dem er alte Big-Brother-Geschichten aufwärmt.

(Stark gekürzte Fassung! Hier das Original)