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Portrait des Künstlers und Rock’n’Rollers Helmut Wenske

Portrait des Künstlers und Rock’n’Rollers Helmut Wenske

Der musikalische Entertainer Götz Alsmann titulierte ihn liebevoll als Kauz, doch wo Käuze in die Nacht rufen, da ist der außergewöhnliche (Lebens-)Künstler, Autor und Rock’n’Roller Helmut Wenske dann wohl eher ein frei fliegender Uhu. 1940 während des Zweiten Weltkriegs wurde er im hessischen Hanau bei Frankfurt am Main geboren. Sein Vater starb 1941 als 22-jähriger Soldat an der Ost-Front. Als Kind erlebte Wenske die Bombardierungen durch die Alliierten kurz vor Kriegsende 1945 und litt unter der Willkürherrschaft einer brutalen manisch-depressiv gestörten Mutter und ihrer wechselnden Partner. Aus einer beschissenen aber im nachhinein betrachtet eine interessante Persönlichkeit prägenden Kindheit in einem der für die im Wiederaufbau befindlichen Städte der Nachkriegszeit typischen Wohnghettos emanzipierte er sich mittels seines künstlerischen Talents und Rock´n´Roll.

Mitte der Fünfziger sieht er im Kino den Film „Saat der Gewalt“ und ist von der neuen Musik darin mit ihrem knallharten Sound begeistert. Bald geht er auf sein erstes Konzert und ist von da an vom Rock´n´Roll infiziert. In Zusammenhang mit der durch die Stationierung US-amerikanischer Truppen bestehenden Bar- und Club-Szene wurde Hanau eine der Hochburgen dieser gegen den Mief der Fünfziger rebellierenden musikalisch aufgepeitschten Abfeierkultur. Helmut Wenske war als party-wütiger „Halbstarker“ mitten drin und voll dabei. Rückblickend gesehen war der Startschuss für die kommenden musikalisch geprägten mehr oder weniger rebellischen im Kern hedonistischen Jugendbewegungen gefallen.

Wenske machte sich schnell auf Grund seines Talents einen Namen als Szene-Maler. Nach Lehren als Porzellanmaler und Schaufensterdekorateur verdingte er sich vielfältig, u.a. für das Kaufhaus Hertie, als Groschenheftchentitelgestalter, Plakat- und Stripteasekulissenmaler und Porno-Illustrateur. Horror-Filme und -Literatur inspirierten ihn. Gleichzeitig verfolgte er die musikalische Entwicklung vom Rock´n´Roll über die eher weniger innovative Beat-Zeit bis zur psychedelischen Hippie-Ära.

Über Johnnie Dee vom Edelhippie-Pop-Duo Adam and Eve, dem er seinen Cadillac psychedelisch anmalte, kam er 1967 zu Bellaphone Records mit Sitz in Frankfurt. Für diese als kreativer Kopf arbeitend erlangte er schließlich Berühmtheit durch seine Cover- und Poster-Illustrationen für Bands, die ihm persönlich zusagten. Durch den zeitgemäßen Einstieg in den täglichen Cannabiskonsum erlebte er einen ungeheuren kreativen Schub. Darum bemüht, sein Ego abzuschalten und hochkommen zu lassen, was innen drin ist, entstanden auf Grund seines vorhandenen Talents beeindruckende durch seine Erfahrungen geprägte psychedelisch-phantastische Bilder mit ineinander verwobenen albtraumhaften Motiven, die heute gleichzeitig Zeitdokumente, Psychogramme von Wenske und zeitlose originelle Einblicke in die menschliche Seele darstellen. Wenskes meisterhafte für ihn damals überlebenswichtige Kunst prägte das visuelle Image auf Plattencovern von Bands wie Creedance Clearwater Revival, Jeronimo, Steel Mill, Dzyan, Canned Heat, Tina Turner, Jimmy Hendrix und vor allem Nektar, zu denen eine sich gegenseitig befruchtende geradezu synergistische Beziehung bestand. Wenske fühlte sich unter den zeitgenössischen Künstlern am ehesten noch von dem ihm in mancher Hinsicht verwandten HR Giger angeregt. Wenskes Werke selbst wurden auf Vernissagen bewundert, mit Dali verglichen und hochgelobt. Er zählte zu den künstlerischen Risingstars. Zu Recht: Seine Bilder sind nicht mit einem Blick erfassbar, auf morbide Weise schön und drücken jenseits von mit Sehnsüchten nach Ganzheit und heiler Elfenwelt überfrachtetem psychedelischem Kitsch Ängste und Qualen des in eine grausame absurde Welt geworfenen erotisch penetrierten Seins aus, oder so ähnlich. Aber genau diese Art von Geschwafel und die dazugehörige aufgeblasene schmarotzerhafte Kunstszene gingen ihm schließlich auf die Nerven.

Seine Werke dienten noch als Titelbilder auf Buchumschlägen zahlreicher anspruchsvoller Fantasy- und Science Fiction-Romane, u.a. auch von Lem und Philip K. Dick. Mit Ausnahme des Meisters der Paranoia interessierte Wenske sich jedoch selbst gar nicht für dieses zum Hirnwichs tendierende Genre. Optisch versteinerte Wenske in seiner künstlerischen Hoch-Zeit zum dauerbekifften verzottelten Freak. Nach einem Lungenriss im Alter von 35 Jahren und zusätzlich noch von Kreislaufproblemen gebeutelt sah er sich nach zwölf Jahren des Exzesses Ende der Siebziger schlussendlich gezwungen den Cannabiskonsum einzustellen, den letzten Haschklumpen im Klo zu versenken, und hörte prompt auch auf wie besessen zu malen. Er hatte ohnehin praktisch alles rausgelaasen, was er rauslassen wollte. „Die Dämonen waren besiegt.“ („Shakin´all over.“) Ein neuer klarerer Trip begann. Dass sein Talent nicht gleichzeitig mit dem Cannabiskonsum flöten gegangen war, beweisen vereinzelt in der Folge entstandene Werke. Dem Alkohol gegenüber blieb Wenske weiterhin zugeneigt.

Anfang der Achtziger erlebte Rock´n´Roll ein verklärtes Revival. Man erinnere sich an die Teds, Rock´n´Roll-Tanzkurse, den fetten Elvis und schnulzige Schmalztypen wie Peter Kraus. Das stank Wenske gewaltig: „Nee, Leute! Rock´´n´Roll war wild, ungezügelt, roh und vulgär. Der gehörte auf die Straße, auf den Rummelplatz und in die versifften, alkoholgeschwängerten, nach Schweiß stinkenden, verräucherten Rockschuppen, wo die Amis mit den Nutten ihren Sold verjubelten, sich mit den Halbstarken rumprügelten, Tische und Stühle zu Bruch gingen, Köpfe blutig geschlagen wurden und junge Typen mit ölglänzenden Haartollen und gefährlich langen Koteletten verbissen auf ihre Gitarren eindroschen, bis nur noch der Beat durch den Raum donnerte, durch die spastisch zuckenden Glieder peitschte und alles vergessen ließ, was jenseits der vier Wände existierte!“ („Scheiß drauf“, S.178)

Er fing an zu Schreiben und lieferte 1983 unter dem Pseudonym Chris Hyde mit dem Werk „Rock´n´Roll Tripper (1)“ einen bukowski-esken im Straßenslang geschriebenen Meilenstein an Stories ab, der heute als authentisches Werk zum Eintunen in die damalige Zeit gefeiert wird. Auch auf das heute kaum noch bekannte Phänomen der zwischen 1956 und 1965 besonders aktiven aus den Niederlanden tourenden indonesischen Rock´n´Roll, Dance- und Show-Bands richtete er das Augenmerk mit einem Buch.

Als literarischen Nachschlag gab es dann 1988 den „Tripper 2“. Er liefert u.a. interessante Einblicke in die Scheinheiligkeiten des Rock-Geschäftes, das sich ab Ende der Sechziger Jahre der Vermarktung der modischen „Love and Peace“-Attitüde der Hippies und der von diesen geprägten musikalischen Verschwurbelungen widmete und erinnert auch daran, dass für viele Protagonisten der damaligen naiv durchgestarteten Drogen-„Scene“ am Ende Sucht, Psychosen und frühzeitiger Tod standen, während sich die zunächst innovative psychedelisch inspirierte Musik in technoidem Bombast und Glamgewittern verlor. Erst mit Punk gelang vorübergehend ein musikalischer und subkultureller Befreiungsschlag, back to the Roots, wenn man so will. Das galt auch für Wenske. Er kehrte zum ursprünglichen Rock´n´Roll-Feeling zurück.
Ein besonderes Steckenpferd des Autors sind die Bands, mit denen er auf Konzerten abgefeiert und zu denen er abgetanzt hat und die er egal wie alt weiterhin gerne selbst erlebt. So wird er zum lebendigen Musikkriker und zum Chronisten der Hanauer und mit Hanau verbundenen Rock(´n´Roll)-Szene. Wenskes 2003 erschienenes Werk „Scheiss drauf!“, zunächst einmal eine gelungene unterhaltsame Selbstdarstellung in Bildern, ist demzufolge gleichzeitig eine Hommage an den in Hanau erlebten Rock´n´Roll und seine Protagonisten.

Zwischenzeitig wurde Wenske in interessanten Fernsehdokumentationen als Zeitzeuge und Persönlichkeit gewürdigt. Und auch wenn Kunst für ihn selbst nicht mehr das Ding ist, so bietet doch das jüngste Werk aus dem CoCon-Verlag (2009) einen sehr attraktiven farbigen Einblick in sein vergangenes kreatives Schaffen, gepimpt mit Würdigungen künstlerischer Weggefährten.
Was trieb Wenske in den letzten Jahren? Seinen Lebensunterhalt verdiente er seit Anfang der Neunziger mit harter körperlicher Arbeit. Wenn möglich, reiste er mit Erika, seiner Frau und langjährigen hübschen Lebensgefährtin (seit 1959 zusammen!) nach Nordafrika und Südostasien. Dort reitet er dann gerne Araberhengste, Kamele oder Elefanten. Und er macht selbst als Gast-Sänger mit befreundeten Bands, na was wohl?! Rock´n´Roll!

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Info und Contact Helmut Wenske:
www.wenske-hyde.com

Die Bücher:

Wenske
Rock`n `Roll Junkie.
Psychedelic Maler.
Underground Autor.
120 S., Kunst- und Fotoband (mit mehr als 100 zumeist farbigen und teils ganzseitigen Abb.)
mit Textbeiträgen diverser Autoren
CoCon Verlag, Hanau 2009
www.cocon-verlag.de
ISBN 978-3-937774-64-0
19,80 Euro

Chris Hyde
Rock`n`Roll-Tripper
168 S., Tripper 1 (1983) und 2 (1988) mit 44 teils ganzseitigen Abb. auf 24 Fotoseiten
archiv der jugendkulturen e.V., Berlin 2003
ISBN 3-936068-45-3
18,- Euro

Wenske/Hyde
Scheiss drauf! Eine Rock`n´Roll-Bio in Bildern, ein Leben gegen den Strich.
276 S. mit über 400 teils ganzseitigen SW-Abb.
archiv der jugendkulturen e.V., Berlin 2003
ISBN 3-936068-69-0
22,- Euro

 

Der Film:

Daniel Siebert/ Axel Czarnecki
Shakin´ all over. Helmut Wenske – ein Leben gegen den Strich.
DVD, 60 minütige Doku mit musikalischen Beiträgen
2006 amigofilm productions e.k.
www.amigofilm.com


 

 

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Künstliche Intelligenz

Gekonnte Einzelaktionen

telepolis, 23.06.2004

Gekonnte Einzelaktionen, aber Probleme mit dem Teamspiel

In München trafen sich die Roboter zu ihrer Fußball-Europameisterschaft

Kickende Roboter bringen Erkenntnisse über die Probleme des Alltags – und jede Menge Spaß in die Wissenschaft. Wer genau hinschaut, dem bleiben die Parallelen zu Rudis Mannen nicht verborgen.

Miro Sot Würfel
Miro Sot Würfel

Seinen weltweiten Erfolg verdankt der Roboter-Fußball genau zwei Umständen. Zum einen ist er Domäne für alle Remote-Control-Nerds, deren Lust am Basteln am ferngesteuerten Objekt mindestens ebenso groß ist wie die Lust am Informatik-Studium. Zum anderen war die Wissenschaft von der „Künstlichen Intelligenz“ (KI) Jahre lang auf der Suche nach einer neuen Spielwiese.

Seit der Geburt der Disziplin galt lange das gekonnte Schachspiel als das Paradebeispiel für die vermeintliche Intelligenz des Computers. Erst in den 90er Jahren sah man ein, dass eine spanische Eröffnung und ein zügiges Endspiel mehr über die Programmierkunst der Entwickler als die Intelligenz der Maschine aussagt. Wichtiger aber noch war, dass den Apologeten der runderneuerten KI das 8×8 Felder große Universum mit seinen äußerst festen Bewegungsregeln zu statisch, gleichsam unnatürlich erschien. Vor Rechenpower strotzende Schachcomputer hatten ihren magischen Reiz verloren.

Bolzende Roboter müssen seither als neues Paradigma der KI herhalten und die Zwerge geben sich redlich Mühe den Ansprüchen ihrer Herren gerecht zu werden: Es geht um möglichst autonomes Bewegen in sich schnell verändernden Umgebungen, mit anderen Worten: Fussi.

Zu ihrer 7. Europameisterschaft trafen nun im Rahmen der Messe Automatica 13 Robot-Teams aus 11 Ländern aufeinander. Die FIRA (Federation of International Robot-Soccer Association) hatte in der Klasse der „Miro-Sot League“ nach München geladen. Hinter der kryptischen Bezeichnung verbergen sich Roboter, die nicht mehr als 7,5 Zentimeter Kantenlänge aufweisen dürfen und auf einem nicht mal tischtennisplattengroßen Feld einen Golfball ins gegnerische Tor dribbeln sollen. Im Gegensatz zur bekannteren „Middle-Size“ League aus dem Robocup sind die Roboter hier kleiner und wendiger.

Nach jeweils souverän absolvierten Vorrunden standen sich im ersten Endspiel der „Middle League“ die Teams der Dortmund Droids und der Ljubljana Dragons vor rund 80 begeisterten Zuschauern gegenüber.

Jeweils fünf kleine Roboter pro Mannschaft spurten auf geschmierten Rollen übers glatte Feld und kommen auf Spitzengeschwindigkeiten von fast 2 m/s. Und die agilen Slowenen dominierten von Anfang an durch kraftvolle Vorstöße das Spiel. Um gleich zu Beginn keine falschen Vorstellungen aufkommen zu lassen: Nach wie bilden gekonnte Einzelaktionen den Hauptteil dieses Sports, Passspiel oder gar Kombinationen sind den Metallkisten nahezu unbekannt. Was aber bei den Dortmundern durchaus zu sehen war, sind schnell Drehungen der Robots, um den Ball so Richtung Tor zu schießen.
DieDortmundDroids
Mannschaftsaufstellung

Die Slowenen pflegten dagegen – den orangenen Ball vor sich her treibend – den direkten Durchbruch zum Tor. Die (in Fußball-Deutschland ja sonst weithin unbekannte) schnelle Überbrückung des Mittelfelds geschah dabei zum Teil so zügig, dass der Ball im Tor landete, bevor der Dortmunder Torwart überhaupt reagieren konnte. Im Fachjargon nennt sich das „Line of Attack“ und diese gedachte Gerade zwischen Roboter, Ball und Tor ist offensichtlich bei den Slowenen brillant implementiert.

Die linke Seite der Dortmunder blieb während des gesamten Spiels stark vernachlässigt, der Linksaußen agiert ähnlich hüftsteif wie anno 1983 der Borusse Werner Dreßel. So bewegten sich Mannschaften und Ball die meiste Zeit in der Hälfte der Dortmunder, die zwangsläufig Tor auf Tor kassieren. Zu allem Unglück fiel in der 2. Halbzeit auch noch die Nummer 13 der Techno-Mannen aus dem Pott zunächst durch Taumel-, später gar durch wilde Kreiselbewegungen auf und musste ausgewechselt werden. Derart geschwächt blieben die Dortmunder der aggressiven Spielweise der Slowenen weiterhin hilflos ausgeliefert. Der Anschlusstreffer zum 8:1 war denn auch ein kullernder Zufallstreffer, das Endergebnis lautete gar 11:2.

Rollen statt Stollen

Was die meisten Zuschauer schon an den kleinen Antennen auf den rollenden Ronaldos erkannten: Die Robots erhalten ihr Bewegungsprofil vom Rechner zugeteilt, der ihnen über eine bidirektionale Funkverbindung Fahrtrichtung und Geschwindigkeit vorschreibt. Eine über dem Spielfeld montierte Kamera (30 frames per second) nimmt die Bewegungen von Ball, eigenen und gegnerischen Robotern auf und sendet sie an den Rechner.
Die erfolgreiche Software der Slowenen zur Bildverarbeitung und Steuerung der Spieler läuft auf einem handelsüblichen Laptop unter Windows 98. Teures Hightech ist auch bei den anderen Teams nicht am Werk, ein Umstand, auf den man durchaus stolz ist. „So können mehr Mannschaften teilnehmen“, sagt einer der Betreuer der Robots aus Dortmund. Ihr Host System läuft auf einem AMD Athlon mit 2,8 GHz und 60 GB Festplatte, allerdings kräftig aufgemöbelt mit 1 GB PC2700 DDR-RAM. Die CCD Digital-Kamera ist über FireWire ans System angeschlossen.

Die Software besteht bei den Teams aus Lösungen, die in Jahre währender Arbeit entwickelt und verbessert wurde. Die Dortmund Droids werden zurzeit von vier Modulen gesteuert: einem Bilderkennungsmodul, einem Modul zur Festlegung der Strategie, einem Kommunikationsmodul und einem Steuerungsmodul, welches sich im RAM der Robots selbst befindet. Diese sind mit 64 Kwords und 16 Kwords Flash RAM ausgestattet.

Mit großen Worten wie „Künstlicher Intelligenz“ ist man bei den Verantwortlichen vorsichtig geworden, denn ob das Verhalten dieser Fußball-Zwerge als intelligent zu bezeichnen ist, hängt von der Definition von Intelligenz ab. Zählt man den Begriff der „Autonomie“ zum Kern von Intelligenz, dann fallen die putzigen Würfel durch das Raster, denn sie agieren keineswegs autonom auf dem Feld, sondern stehen in stetem Kontakt zum Rechner. Ob aber nun das Gesamtsystem aus Robotern und Rechner als intelligent gelten kann, darüber will so recht niemand mehr streiten. Mittlerweile steht die Problemlösung im praktischen und alltäglichen Einsatz im Vordergrund. Ob zur Säuberung der Kanalisation, zur Bombenentschärfung oder als Haushaltsroboter – die KI ist bemüht, Wissenschaft in die Tat umzusetzen. Die Erkenntnisse aus dem Roboter-Fußball können dabei helfen.
Während des laufenden Spiels dürfen Trainer und Betreuer nicht in die Software eingreifen, wohl aber während der Spielunterbrechungen und der Halbzeit. Dann sind durchaus taktische Veränderungen möglich, ein Umstand, der natürlich genutzt wird. So kann beispielsweise die gesamte Mannschaft oder ein einzelner Spieler offensiver eingestellt werden.
Glorreiche Sieben
Auch für das Endspiel in der „Large League“, bei dem sieben Robots in jeder Mannschaft rollen, hatten sich die Ljubljana Dragons qualifiziert. Ganz auf ihre Konditionsstärke setzend, treten die Slowenen mit der gleichen, um zwei Spieler aufgestockten Mannschaft an – never change a winning team. Die eingesetzte Software ist offen sichtlich sehr flexibel: Die zwei weiteren Spieler wurden nach einer kurzen Kalibrierungsphase von einer 1/4 Stunde nahtlos in die Mannschaft integriert.
Elfmeter
Elfmeter!

Der Gegner, die Austro Tech-Kicker von der TU Wien, hatte die Slowenen offenbar gut studiert und setzte ebenfalls auf robuste, schnell ausgeführte Einzelaktionen. Mehrmals rasseln die Gegner leise krachend aufeinander, das Publikum honorierte es freudig, unsicher, ob hier nur die Algorithmen zur Vermeidung von Kollisionen fehlerhaft waren oder bewusst eine härtere Gangart gewählt wurde.
Zunächst gingen die Slowenen 2:0 in Führung, bevor der Sturm der Österreicher ein wahres Feuerwerk technischer Kabinettstückchen zündete. Gerade der zentrale Mann in den offensiven Reihen der Alpenländler erinnert in seiner Abgebrühtheit sehr an den legendären Hans Krankl in seinen besten Zeiten. Dann wechselten die Österreicher kurz vor Ende der ersten Halbzeit aus und brachten einen frisch aufgeladenen Mittelfeld-Regisseur. Dem slowenischen Projektleiter, Prof. Dr. Drago Matko, schwante Böses, nervös schaute er mehrmals zur Uhr, sehnte den Halbzeitpfiff entgegen. Immer wieder gelang es den Österreichern in den Zweikämpfen an der Bande den Ball zu erobern. Kein Wunder, die Austro-Kicker haben in ihre Software Muster aus dem Zweikampf-Verhalten im Eishockey und American Football integriert.
Nach Wiederanpfiff fällt das 3:2 für die Österreicher, die Slowenen nehmen daraufhin ein Time-Out. Ihr Bildverarbeitungssystem hatte mitten im Match angefangen, den Ball für einen ihrer Spieler zu halten. Trotz der Behebung des Fehlers finden die osteuropäischen Robots nicht zurück ins Spiel und kassieren ein Tor nach dem anderen, die Abwehr wirkt phasenweise, als würde Jens Nowotny sie organisieren. In der vierten Minute kommt es zu einer strittigen Szene: Vo einem Prohaska-Robot eher zufällig bedient schiebt der wie entfesselte aufspielende Krankl den orangenen Ball über die Torlinie – nur leider zusammen mit dem Torwart. Foul, das Tor zählt nicht, der Keeper darf bei derartigen Rettungsaktionen nicht behindert werden.
Einige technikaffine Fans schossen immer Fotos mit Blitzlicht, was die Bildverarbeitungssysteme stark irritierte. „No Flashlights“, kam denn auch mehrmals der Ruf des Schiedsrichters. In der 6. Spielminute wurde ein österreichischer Abwehrspieler von einer Art Krampf geschüttelt, „Bänderriss“, diagnostiziert ein Zuschauer fachmännisch. Egal, das slowenische Team geht mit 3:12 gegen „Austro Tech“ unter.

Verärgert oder wirklich enttäuscht ist hier aber niemand. Das „Familientreffen“, wie einer der Teilnehmer es nennt, lebt vom Austausch technischer Kniffe und dem sozialen Miteinander. Die eingesetzte Hardware ist ohnehin bekannt und viele Mannschaften stellen den Quelltext ihrer Steuerungs-Software offen zur Verfügung. Die Human-Techniker kennen sich von diversen Tunieren und da man agile Stellvertreter auf dem Feld hat, werden die Kräfte auch gerne beim allabendlichen Socialising eingesetzt. Nach den Turniertagen sind dann Robots und Betreuer gleichermaßen erschöpft.

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Elektronische Kultur

Smarte Chips für die Warenwelt

Morgenwelt, 14.06.2004

Smart Chips für die Warenwelt

Elektronischer Produktcode und die Funkübertragung per Chip werden Logistik und Konsumgüterindustrie verändern. Der technische Aufwand ist enorm – die Privatsphäre der Kunden steht zur Disposition.

Die Idee für den elektronischen Produktcode (EPC) entstand 1999 in der Hightech-Schmiede Amerikas, dem MIT (Massachusetts Institute of Technology). Das Ziel ist der Aufbau eines Systems, das jedem auf dem Globus gefertigten Produkt eine eindeutig identifizierbare Nummer zuordnet. Egal ob ein deutsches Automobil, Turnschuhe aus Vietnam oder eine Getränkedose aus Australien – jedes dieser Produkte soll einen individuellen Code erhalten.
Gespeichert wird dieser Code in einem oft nur wenige Millimeter großen RFID-Chip (Radio Frequency Identification). Dieser, auch Transponder genannt, ist in der Lage ohne Batterie und berührungslos per Funk den Code an entsprechende Lesegeräte zu übertragen. Der Informationsinhalt des 64 oder 96 Bit langen Codes ist variabel, beinhaltet aber zumindest Rahmendaten wie den Hersteller, die Objektklasse und eine Seriennummer.

RFID-CHIP
Die auch „Smart-Tags“ genannten Sender sind so klein, dass sie in Preisetiketten oder sogar im Produkt selbst angebracht werden können. Der Vorteil gegenüber dem heute eingesetzten Barcode liegt auf der Hand: dieser wird per Scanner eingelesen, wozu aber meist Handarbeit notwendig ist. Stecken die Waren in großen Gebinden oder Containern lohnt die Zerlegung der Ladung nicht, Schwund wird in Kauf genommen.
Fährt dagegen eine Palette mit RFID-Transponder durch eine Antennenschleuse, wird binnen Sekunden jedes Produkt registriert. Doch damit sind die technischen Möglichkeiten von RFID und EPC längst nicht ausgeschöpft, in den Vorstellungen der Handelskonzerne entstehen durchstrukturierte und hochkontrollierbare Warenwelten.

Ihr Ziel ist es zu jeder Zeit zu wissen, wo und in welchem Zustand sich jedes Produkt in der Warenkette befindet. Noch sind RFID-Chips mit rund 50 Cent für den Masseneinsatz viel zu teuer, was sich voraussichtlich erst in rund fünf Jahren ändern wird. Zunächst wird sich RFID, da sind sich die Experten einig, an Fahrzeugen und großen Transportverpackungen durchsetzen.

„Bei der Verfolgung von Ladeeinheiten mithilfe von RFID dürfte es innerhalb der nächsten fünf Jahre zu einer nennenswerten Durchdringung kommen“, sagt Winfried Krieger, Professor für Logistik und E-Business an der Fachhochschule Flensburg. Hierbei sei der Vorteil, so Krieger, dass die teuren RFID-Transponder nach Gebrauch zum Lieferanten zurückgesandt werden könnten, um dort erneut beschrieben zu werden.

Auch die Auswirkungen auf die Lagerprozesse seien frappant, meint Krieger. Bei der Anlieferung könne sofort kontrolliert werden, ob die Ware mit der Bestellung übereinstimme, im IT-System sei jederzeit genau vermerkt, welche Produkte sich zu welchem Zeitpunkt an welcher Stelle im Lager befänden und komplexe Kommissionierungsvorgänge würden enorm vereinfacht.

Der zweite Schritt: Die Verbraucher

Erst in einem zweiten Schritt werden sich RFID und das damit zusammen hängende EPC-System auf Artikel- und damit auf Endverbraucherebene durchsetzen. Dann soll die Inventur in Echtzeit möglich sein und der gefürchtete Satz des Verkäufers: „das haben wir gerade nicht auf Lager“ soll der Vergangenheit angehören. Die Haltbarkeit des Frischkäses funkt dieser höchstselbst an den Manager, der diesen dann unter Umständen als Sonderangebot neu positionieren lassen kann.
Manche Pläne gehen noch weiter: Transponder an Medikamenten-Verpackungen sollen dem Patienten zukünftig Einsatzgebiet und Kontraindikationen mitteilen und der Reader in der Waschmaschine wird darauf hinweisen, dass die weißen RFID-bestückten Hemden und die roten Socken besser nicht zusammen gewaschen werden sollten. Dem Endkunden könnten über die Etiketten auch Hinweise auf die korrekte Entsorgung des Produkts gegeben werden. Um alle diese Anwendungen zu realisieren, müsste das RFID aber dauerhaft am oder im Produkt verbleiben und wäre von daher mit geeigneter Hardware immer und für jeden auslesbar.
Die Kaufhof AG prüfte jüngst in einem Praxistest ein neues Lagersystem, bei welchem die Fabrikate des Textilherstellers Gerry Weber mit RFID-Tags ausgestattet waren. Der Test verlief, nach Angabe von Gerd vom Bögel vom Fraunhofer-Institut für Mikroelektronische Schaltungen, das den Praxis-Einsatz wissenschaftlich begleitete, „für alle Beteiligten sehr zufrieden stellend“. Der Serieneinsatz sei für Anfang 2005 geplant, mit Chips, die nur die Identifikation und keine weiteren Produktdaten enthalten. Da die smarten Etiketten zurzeit noch rund 50 Cent pro Stück kosten, würden sie an der Kasse entfernt und zurück in den Prozess gelotst. Über eine interne Datenbank sollen dann neben Kaufhof auch Hersteller, und Spediteur Zugriff auf die Daten erhalten, die den genauen Stand des Warenflusses anzeigen.

Perfekte Kundenbindung

Spätestens wenn die RFID-Etiketten vom Lager in den Verkaufsraum gelangen, stellt sich für Hersteller und Händler die Frage, ob und wie der Endverbraucher an die elektronische Warenkette mit angeschlossen werden soll. Einen ersten Versuch des kundennahen Einsatzes der Antennen-Chips führt die Metro Group durch. Der weltweit fünftgrößte Handelskonzern sieht enormes Potenzial in RFID und evaluiert dies in seinem „Future-Store“ in der Nähe von Duisburg. Waren auf über 4000 Quadratmetern Verkaufsfläche funken hier ihren Daten auf das Display des Einkaufswagens und auch zum Management auf den Schreibtisch.

Mithilfe der Transponder lässt sich auch erkennen, wie lange ein Kunde ein Produkt in der Hand hält und wie oft ein Artikel zurückgestellt wird. Und: Die RFID-Sender sitzen auch in den Einkaufswagen selbst. So kann der Future-Store messen, wie lange ein Käufer im Laden bleibt. Obwohl die damit erhobenen Daten anonym sind, sehen einige Datenschützer schon hier einen weiteren Schritt in Richtung des „gläsernen Kunden“ getan. Damit aber nicht genug: Datenschutzexperten vom FoeBuD (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs) fanden im Februar in den Kundenkarten des Future Shops implementierte RFID-Chips.

Damit war ein Horror-Szenario der Privatsphären-Apologeten Realität geworden: Das Einkaufsverhalten jedes Kartenbesitzers lässt sich ohne sein Wissen genau studieren. Denn nicht nur die Produkte selbst funken ihre Identifikation, ihre Beschaffenheit und ihren Standort im Geschäft an die Empfänger, mehr noch, diese Daten lassen sich mit dem dazugehörigen Einkäufer auch verknüpfen. Es hagelte Proteste, die Metro teilte daraufhin mit, das über 10.000 Payback-Kundenkarten ausgetauscht werden können. Metro-Sprecher Albrecht von Truchseß begründete den Rückzug damit, dass das Thema „zu sehr emotionalisiert“ worden sei.

Der Laden der Zukunft

Aber auch Experten, die den Datenschutz nicht für das vorrangige Problem beim Einsatz von RFID halten, geben zu bedenken, dass die Erfassung von Produkt- und Kundenbewegungen im Verkaufsraum für die Marketingabteilungen der Konzerne viel zu reizvoll sind, als dass sie diese Chance vorüberziehen lassen werden. Winfried Krieger nennt dies vorsichtig „den Vorteil der Planungssicherheit, der sich aus den erfassten Informationen ergibt“. Krieger sagt weitere massive Proteste gegen RFID voraus, wenn die betroffenen Firmen ihre RFID-Konzepte für den Endkundenbereich nicht besser öffentlich vermitteln.

Kern des Problems ist der auch außerhalb des Ladens funkende Chip. Bleibt nämlich der RFID-Chip nach dem Einkauf aktiv, kann die gekaufte Ware auch außerhalb des Ladens noch einmal gescannt werden. Das ergibt nicht nur verbesserte Auswahlchancen für Taschendiebe, sondern gibt auch dem benachbarten Kaufhaus die Möglichkeit, nach dem Scanvorgang am Eingang seine Werbung im Verkaufsraum gezielt auf den neuen Kunden abzurichten. „Sie haben Wiener Würstchen erworben? Fehlt Ihnen vielleicht unser Senf dazu?“

Der Future-Store bietet seinen Kunden mittlerweile die Möglichkeit den Chip am Ausgang zu deaktivieren. Doch auch hier entdeckten die Datenschützer einen Pferdefuß: Es wurden nicht alle Daten auf dem Chip gelöscht, die weltweit eindeutige ID blieb erhalten.

Aus den USA kommt jetzt der erste Gesetzesvorschlag, der den Einsatz der RFIDs regeln und die Privatsphäre schützen soll. Die von der demokratischen Abgeordneten Debra Bowen als „Senate Bill 1834“ eingebrachte Vorlage soll für alle Firmen und Behörden gelten, welche die Technologie einsetzen. Der Vorschlag sieht vor, dass die Besucher einer Einrichtung über den Einsatz von RFIDs informiert und diesem ausdrücklich zustimmen müssen. Bei Verlassen eines Ladens müssten die Tags entfernt oder zerstört werden.

Auf kurze Distanz

Noch sind es weniger die Datenschützer, die einem Big-Brother Szenario im Weg stehen, sondern die Physik: Die in Europa üblichen Chips funken auf einer Frequenz von 13,56 Megahertz, die dazugehörigen Hand-Lesegeräte können Signale aus maximal 20 Zentimetern empfangen. „Stationäre Antennen kommen auf 60 Zentimeter und erst die großen, heute nur an Lagereingängen eingesetzten Gate-Antennen erfassen RFID-Etiketten in bis zu 2 Meter Entfernung“, erklärt Gerd vom Bögel vom Fraunhofer Institut. Sind die Transponder aber von Metall umgeben, dringen die Signale nicht bis zur Antenne durch. Auch Flüssigkeiten bremsen die Übertragung. „Dazu kommt“, so vom Bögel, „dass zwei Transponder nicht genau aufeinander liegen dürfen, denn dann kommt es zu Funk-Kollisionen“.

Trotz technischer und sozialer Herausforderungen will die Metro RFID möglichst bald entlang der gesamten Prozesskette einsetzen. Schon ab November 2004 sollen die rund 100 größten Lieferanten ihre Paletten und Transportverpackungen für zehn Zentrallager und 250 Märkte mit RFID-Etiketten versehen. Der US-Handelsgigant Wal-Mart verpflichtete jüngst seine 125 größten Zulieferer zur Implementierung von RFID bis 2005. Die betroffenen Hersteller müssen beachtlich investieren: Wie die Marktforscher von AMR-Research errechneten, ergeben sich für einen Wal-Mart-Lieferanten Kosten zwischen 13 und 23 Millionen US-Dollar bei der Einführung von RFID, wobei die eine Hälfte für die Bereitstellung der Funketiketten und Reader, die andere Hälfte für das Redesign der IT-gestützten Warenkette anfällt.

Ungeheure Datenmengen

Wie genau diese Investitionen auf die Teilnehmer verteilt werden, ist noch unklar, damit aber das „Return on Investment“ möglichst flink erfolgt nehmen Analysten und Logistik-Experten die Lieferanten ins Gebet. „Mit RFID fallen ungeheure Datenmengen an und die meisten Unternehmen wissen noch gar nicht, wie sie diese Daten in verwertbare Informationen transferieren“, bemerkt James Weir vom Analystenhaus IDC.
Mittlerweile liest sich die Allianz der RFID-Unterstützer wie das „Who is Who“ der Global-Player. Hardware-Hersteller wie Texas Instruments, Handelskonzerne, Speditionen und Händler zeigen sich gleichermaßen überzeugt, dass die funkenden Chips Logistik und Warenbestandshaltung revolutionieren werden. Um den Masseneinsatz zu ermöglichen will Chiphersteller Infineon die Herstellungskosten für die Chips schnell drücken, und Siemens eröffnet noch dieses Jahr zusammen mit Intel ein „RFID-Technology Center“ in der Nähe von München.
Softwarehäuser entwickeln zurzeit die nötige Software zur Verwaltung der Datenmengen, die durch das Einscannen und Weitergeben der RFID-Daten entstehen. SAP bietet Middleware an, und auch Microsoft plant nach eigenen Angaben die Integration von Transponder-Daten in ihr Warehouse Management System.

Die Organisation „EPCglobal“, Gralshüter der Normierungs-Architektur hinter EPC, denkt schon weiter. Sie bietet eine einheitliche Infrastruktur für die per RFID erhobenen Daten und hat für den neuen Standard schon jetzt die wichtigsten internationalen Unternehmen im Boot. Ihr Vorteil: Es ist kein Konkurrenz-Standard in Sicht, zudem spielen die funkenden Chips ihre größten Vorteile nur dann aus, wenn die für den jeweiligen Teilnehmer in der Warenkette relevanten Informationen über das Produkt jederzeit abrufbar sind.

Der Chip selbst fasst nur wenige Informationen, er verweist aber auf eine dahinter liegende Datenbank. Diese soll dezentral als EPC-Netzwerk aufgebaut werden. Zurzeit entwickelt die als Internet-Domainverwalter bekannte Firma VeriSign im Auftrag von EPCglobal dieses weltweite Netzwerk. Die Struktur dieses weltweit erreichbaren Verzeichnisdienstes lehnt sich dabei an das aus dem Internet bekannte DNS (Domain Name System) an.
Die Änderungshäufigkeit der Daten spricht dagegen, diese jedes Mal, wenn sich der Lagerort ändert, an den Geschäftspartner zu übertragen. Was beim Barcode noch funktionierte, soll sich beim EPC grundlegend ändern. Jeder der Beteiligten hält seine Daten in seinem System, erlaubt jedoch autorisierte Zugriffe durch seine Partner. Die auf XML basierenden Metasprache PML (Physical Markup Language) soll plattformübergreifend für ein gemeinsames Datenbankformat sorgen.

Die Grundelemente für den weltweiten RFID-Datenaustausch stehen damit bereits fest. Und mit dem Aufweichen der Insellösungen einzelner Firmen und Konzerne wächst neben den Möglichkeiten der Warenkontrolle auch das Potenzial zur Kontrolle des Kaufverhaltens der Konsumenten. EPCglobal hat bereits reagiert und in ihren Datenschutzrichtlinen verankert, dass Käufer von RFID-Produkten stets darüber informiert werden sollen, dass sie die Möglichkeit haben die Tags außer Funktion zu setzen oder sie abzutrennen.

 

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Drogenpolitik

Cannabis in Osteuropa

HanfBlatt, Juni/Juli 2004

Östliche Bewusstseins-Erweiterung

In den neuen osteuropäischen EU-Ländern herrscht bunte Vielfalt bei den Drogengesetzen. In einigen Staaten weht gar ein liberales Lüftchen. Ein Überblick über die politische Lage und den neuen Markt.

Wer die Karlsbrücke Richtung Altstadt entlang schreitet, der ist nicht mehr weit von einem der attraktivsten Viertel der tschechischen Hauptstadt Prag entfernt. Wer hier mehr oder weniger unauffällig nach „Grass“ fragt, der wird selten enttäuscht. Das gelieferte Plastik-Beutelchen trägt ein kleines Hanfblatt, ganz wie aus dem Westen bekannt. Die Touri-Rauchware riecht etwas nach Heuschober, wirkt später aber passabel.
Die Republik an der Moldau ist eine von zehn osteuropäischen Staaten, die seit 1. Mai des Jahres Mitglieder der Europäischen Union (EU) sind. Der Anschluss an den goldenen Westen soll allen Ländern wirtschaftliche Prosperität bringen – und die Probleme der neuen Nachbarn möglichst draußen lassen. Zu diesen zählt aus Sicht der Ost-Behörden die hohe Anzahl von meist jüngeren Zeitgenossen, die gern mal einen Joint durchziehen oder, schlimmer noch, dem Rausch an kräftigeren Drogen dauerhaft anheim fallen. In Tschechien, aber auch in der Slowakei, Ungarn, Polen, Slowenien, Malta, Zypern und den drei baltischen Ländern Estland, Lettland, Litauen ist man unsicher, was die neue Ära bringen wird.

Über 74 Millionen neue Mitglieder hat der europäische Skatklub nun und rund fünf Prozent davon kennen Hanf nicht nur als Kosmetikprodukt. Der logische Schluss: 3,7 Millionen Kiffer bereichern die Union und es ist zu ahnen, dass die Aktivisten unter ihnen für Dampf in den Brüsseler Gassen sorgen.
Schon vor ihrem Beitritt zur EU waren alle diese Länder bemüht, ihre Drogenpolitik mit den EU-Richtlinien zu harmonisieren. An eine Legalisierung von Hanfprodukten wagte in den Ländern daher keine der Regierungen zu denken. Was aber existiert sind durchaus unterschiedliche drogenpolitische Ansätze in den Staaten, fruchtbare Dikussionen und eine florierende Kiffer- und Grower-Szene, die auf Veränderung drängt.

Zurück nach Prag. 1999 führte das tschechische Gesundheitsministerium eine Umfrage durch. Über 16% der Tschechen zwischen 15 und 64 gaben an, schon einmal Cannabis geraucht zu haben. Im Vergleich zu früheren Untersuchungen hat sich diese Anzahl kaum erhöht. Diese Zahlen steigen erheblich an, je jünger die Befragten sind. Eine Umfrage unter 16-jährigen in 2000 ergab einen Anteil von über 35% von Schülern, die zumindest schon einmal gekifft hatten. Regelmäßig rauchen rund 15% der 14-19-jährigen. Eine neuere Studie aus 2001 deutet auf einen weiteren Anstieg der Kiffer hin. Unter den 19-jährigen hat nur noch eine Minderheit von 40% noch keine Erfahrung mit Cannabis gemacht – eine für Europa bemerkenswert hohe Zahl.
Das Phänomen der Ausbreitung der Rave-Kultur und ihrer Drogen ist nicht auf Tschechien beschränkt. Eine europaweite Studie unter Ravern zeigt das Ausmaß der Angleichung. In Prag gaben 70% der Techno-Party-Gäste einen regelmäßigen, aber wohl kontrollierten Cannabis-Genuss an. Diese Anzahl deckt sich überraschend genau mit der aus Zürich, Amsterdam oder Madrid.
Haschisch ist in Tschechien teuer, mehr noch, die Preise liegen einsam an der Spitze aller osteuropäischen EU-Länder. Der durchschnittliche Preis liegt bei 17 Euro für das Gramm. In den Weiten der Pampa angebautes Gras liegt bei 6 Euro, importiertes Treibhausgras besserer Qualität bei 7 Euro. Die fallenden Gras-Preise spiegeln die Entwicklung einer wachsende Grower-Gemeinde wieder. Der Anbau von Gras für Eigenbedarf und Freundeskreis verbreitet sich immer mehr. Glaubt man den Ergebnissen der Behörden, ist die Qualität der Produkte nicht schlecht: Der durchschnittliche THC-Gehalt liegt bei 11,5% beim Haschisch, zwischen zehn und 17% bei Nederwiet und 5 und 10% beim Homegrown-Gras. Diese changierenden Werte sind nicht ungewöhnlich. In Proben aus niederländischen Coffeeshops lag der THC-Gehalt bei Haschisch bei 20%, bei Gras bei 15%.
Soweit die Zahlen. Und die Politik? Die Regierungskoalition aus Christdemokraten und der liberalen Freiheitsunion ist sich uneins über den goldenen Weg in der Drogenpolitik. Zurzeit diskutiert man, ob eine Trennung in harte und weiche Drogen vorgenommen werden soll, Innenminister Stanislav Gross gilt allerdings als Hardliner, der einer weiteren Liberalisierung ablehnend gegenüber steht. Tschechien gilt weithin als Land mit progressiver Drogenpolitik, wurde hier doch bereits vor vier Jahren der Besitz kleinerer Mengen Drogen straffrei gestellt.
Die Bundesstaatsanwaltschaft spezifiziert diese „kleinen Mengen“: Rund zehn Dosierungen á 30 mg THC gehen noch durch, mit anderen Worten, man darf rund 20 Joints mit jeweils rund 1,5 % THC sein eigen nennen, ohne angeklagt zu werden. Analoges gilt für andere Substanzen: Wer zehn LSD-Trips (mit 50 ng) oder zehn E´s (mit 100 mg MDMA) mit sich rumträgt, den wird die Polizei zwar nicht freundlich grüßen, der eventuell hinzugezogene Richter wird das Verfahren aber wohl einstellen.
Die öffentliche Meinung hält mit der Entwicklung nur zum Teil Schritt. Rund die Hälfte der Tschechen ist dafür, Genießer von “weichen Drogen” weiterhin zu bestrafen, wie eine Umfrage im Jahr 2001 zeigte. Politisch und gesellschaftlich ist das Land im Fluss. Zurzeit ist – zumindest in Prag – selbst das Kiffen in der Öffentlichkeit kein Problem.

In der Hauptstadt der benachbarten Slowakei kam es am 1. Mai 2003 zu einem denkwürdigen Ereignis. Rund 500 Demonstranten forderten auf den Straßen von Bratislava ihr Recht auf Rausch und die Legalisierung von Cannabis. Dies war die erste Legalize-It Demonstration seit dem Fall des Kommunismus im Jahre 1989. Einer der Organisatoren, Daniel Hromada, sagte: „Wir haben keine Lust in ständiger Angst davor zu leben, für einige Jahren im Gefängnis zu landen, und das nur, weil man eine Pflanze zum Blühen gebracht hat.”
Das kleine Land rühmt sich seiner strikten Gesetze. Schon wer mit einer kleinen Menge Gras in den Taschen erwischt wird, landet vor dem Richter und wird dann meist mit einem Aufenthalt hinter Gittern zwischen einen und fünf Jahren belohnt. Die Proteste gegen den drogenpolitischen Super-GAU im Land sind lahm, die Mitte-Rechts Koalition will ihre Politik keinesfalls überdenken. Peter Muránsky, Drogenexperte bei den Christdemokraten fliegt noch ein Tal weiter und behauptet gar, dass eine Dekriminalisierung „unsere Gesellschaft in die Hölle führen würde.” Die Vertreter der anderen Parteien formulieren sanfter, lehnen eine Reform aber ebenfalls strikt ab.
Gleicher Tag, anderer Ort. In Polens Hauptstadt Warschau kam es am 1. Mai diesen Jahres zu einer Demonstration. Wie in der Slowakei schon ein Jahr vorher, fanden sich die Befürworter einer Legalisierung von Cannabis zusammen, um auf der Straße für ihre Interessen und eine veränderte Drogenpolitik einzutreten. Rund 100 Demonstranten kamen zu dem weltweit ausgetragenen “Million Marihuana March”. Artur Radosz von Kanaba, der größten polnischen Pro-Cannabis-Bewegung, sprach trotz der geringen Teilnehmerzahl gegenüber dem HanfBlatt von einem großen Erfolg der Aktion. Neben der Demonstration hätte es eine Tagung mit einigen Vorträgen gegeben, die gut besucht waren und über die in der Presse auch berichtet worden sei.
Die Grower-Szene weitet ihrer Aktivitäten nur langsam in den Indoor-Bereich aus. Noch herrscht die Guerilla-Pflanzung in der freien Natur vor. Polnischer Rasen ist denn auch nach wie vor häufiger auf dem Markt anzutreffen als Haschisch. Der Preis liegt zwischen 6 bis 8 Euro für das Gramm Gras.
In den Großstädten ist Cannabis in den Altersklassen unterschiedlich beliebt. Eine repräsentative Befragung in Warschau (2002) förderte ans Licht, dass unter den 16-24-Jährigen annähernd die Hälfte (47,9%) schon einmal Cannabis gepompft hatte. Diese Anzahl nimmt mit dem Alter ab. Unter den 35-44-Jährigen sind es nur noch 18%. In den letzten 30 Tagen vor der Befragung hatten 16% der 16-24-Jährigen gekifft. Ein Vergleich der Ergebnisse von 1997 und 2002 weist auf einen langsamen Anstieg der Kifferanzahl hin.
Die Bevölkerung sieht die Legalisierung von Cannabis eher negativ, während sie einer Dekriminalisierung offener gegenübersteht. Eine nicht repräsentative Umfrage von 2002 ergab einen Anteil von nur 6% an „Legalize-It“ Befürwortern. Dieselbe Studie zeigte aber auch, dass nur 20% der Befragten die strafrechtliche Verfolgung von Kiffern befürwortet. Umfragen unter den meist jüngeren NutzerInnen des Internet zeichnen ein anderes Bild. Das kritisch gesellschaftspolitische Magazin „Polityka“ führte im letzten Jahr eine Internet-Umfrage unter seinen Lesern durch. Hier sprachen sich 77% für die Dekriminalisierung des Konsums aus.
Das Hoffen auf eine baldige Durchsetzung dieser liberalen Interessen dürfte verfrüht sein. In Polen stoßen liberale Ansätze schnell auf das Bollwerk der konservativ geprägten Parteien und der nach wie vor sehr einflussreichen Kirche. Das drogenpolitische Konzept der bisherigen Regierungskoalition aus den (sozial-) demokratischen Parteien SLD und UP orientiert sich stark an den EU-Richtlinien, trotzdem existieren in beiden Parteien durchaus Strömungen, die einer Entkriminalisierung des Cannabiskonsums positiv gegenüberstehen – eine Tendenz, die sich aber genauso schnell wieder ins Gegenteil wenden kann. Das völlig fragmentierte Parteiensystem Polens ist immer wieder für Überraschungen gut.
Asia Goldstein von Kanaba in Lodz resümiert: „Eine Legalisierung ist heute überhaupt kein Thema, weder in der Bevölkerung noch unter den großen Parteien, die Dekriminalisierung aber wird diskutiert.“
Theoretisch droht schon für den Besitz von ein wenig Haschisch in den Taschen bis zu drei Jahren Gefängnis. Praktisch kommt es nach der Verhaftung meist direkt zu Hausdurchsuchungen. Die Gerichte aber setzen die Strafen oft zur Bewährung aus, vor allem dann, wenn es um eine kleine Menge geht und der Delinquent Ersttäter ist. Zum Teil kommt es aber gar nicht soweit: In eine Vielzahl von Fällen rettet die Korruption in der Verwaltung den polnischen Kiffer.

 

Hanf hat Tradition in Ungarn. Früher wogen sich die Hanfstängelfelder im Wind, heute sucht das Land an die erfolgreiche Vergangenheit bei der Hanfproduktion anzuknüpfen. Die Produkte des bösen Rauschhanfs sind unter der jüngeren Generation seit den 90er Jahren wieder sehr begehrt, die Preise für Marihuana halten sich zwischen 5 und zehn Euro pro Gramm, Haschisch ist schwerer zu bekommen, aber nur etwas teurer. Von allen neuen EU-Ländern ist der Preis von Kraut damit in Ungarn am niedrigsten.
Nach Angaben der Polizei ist der THC-Gehalt im Gras in den letzten zehn Jahren sukzessive angestiegen. Heute liegt er bei 8 %, wahrscheinlich eine Folge der Nederwiet-Exporte. Ungarn nähert sich aber auch in anderer Hinsicht dem West-Niveau an. Rund die Hälfte aller Verhaftungen in Zusammenhang mit Drogen gehen auf Cannabis-Kleinbesitz zurück.
Vor vier Jahren veröffentlichte Dragan Demetrovics die Ergebnisse einer Umfrage, die er unter 1500 Besuchern von Bars, Clubs und Raves in den großen Städten Ungarns durchgeführt hatte. Genau die Hälfte der im Schnitt 21 Jahre alten Befragten hatte schon die Wirkung von Cannabis erfahren, fast ein Drittel hatte im letzten Monat die Kräuter inhaliert. In Budapest war dieser Anteil noch höher. Die politischen Parteien befinden sich noch – wie im Westen auch – in einer Orientierungsphase mit dem Phänomen „Drogenkultur“. Während die konservative Regierung Mitte der 90er Jahre die Gesetze noch verschärft hatte, deutet sich unter der jetzt amtierenden Mitte-Links-Regierung unter Peter Medgyessy eine vorsichtige Liberalisierung an. Nach Aussage von Ákos Topolanszky, Staatssekretär und Koordinator für Rauschgiftangelegenheiten, gibt es einen „parteiübergreifenden Konsens“ darüber, dass die Regeln im Strafgesetzbuch zum Konsum von Cannabis und auch anderen Drogen „nur das letzte Mittel sein können und keineswegs in jedem Fall adäquat sind“. Mit anderen Worten: Dekriminalisierung ist erwünscht.
Diese scheitert aber zum einen aus Angst vor internationalen Komplikationen, zum anderen an den überkommenden Vorstellungen in weiten Teilen der Bevölkerung. Trotz der hohen Zahl von Cannabis-Genießern stehen Harz und Gras in keinen guten Ruf. Topolanszky beklagt: „Wegen einem einzigen Joint darf man niemanden gleich als Drogensüchtigen abstempeln. Aber in den Köpfen von zehn Millionen Menschen eine Änderung zu erreichen, ist fast unmöglich.“

 

Das zwischen Österreich und Kroatien gelegene Slowenien sieht sich offiziellen Angaben nach als Puffer zwischen der instabilen Balkanregion und Westeuropa. Das Land liegt auf der legendären Balkanroute, selten aber fallen größere Brocken vom Laster in die Hände von Zoll oder Volk. Im Straßenverkauf liegt Haschisch bei 8 Euro das Gramm, minderwertiges Gras bei 2,50 Euro, gute Ware bei 4 Euro. Ein Grund für den niedrigen Preis: Albanien beliefert das Land mit Rauchhanf, aber dessen Ruf ist nicht der beste. Bessere Sorten, die von Liebhabern in ihren Ställen gezüchtet werden kosten das Doppelte.
Der Besitz kleiner Mengen von Cannabis gilt als Ordnungswidrigkeit und wird meist nur mit einer Geldstrafe belegt. Der Handel wird dagegen hart bestraft.
Schon unter Schülern ist kiffen recht beliebt. Rund ein Drittel aller 15-Jährigen hat schon mindestens einmal gekifft, unter einem Viertel tat es im vergangenen Jahr und im letzten Monat rauchte nur noch ein Zehntel.
Ältere und regelmäßige Besucher von Clubs und Partys sind erheblich genussfreudiger eingestellt. In der Studie von Metej Sande (2000) gaben über 90 % der (im Schnitt 20-jährigen) Besucher an, schon einmal Harzqualm inhaliert zu haben.

Nordlichter

Die drei Nordlichter unter den EU-Beitrittsländern, Estland, Lettland und Litauen, sind in ihrer kulturellen Ausrichtung sehr auf ihre Nachbarn an der Ostsee ausgerichtet. Estlands Hauptstadt Tallin beispielsweise liegt nur 80 Kilometer von Helsinki entfernt. Das dortige Gemeinwesen folgt in der Drogenpolitik aber eher den dänisch-liberalen Weg. Konkret heißt das: Zurzeit gilt der Besitz von bis zu 50 Gramm Cannabis nicht als Straftat, es erfolgt keine Anklage. Diese Dekriminalisierung ist nicht nur gesetzlich festgelegt, sie gilt auch für andere Substanzen. Damit sind die Drogengesetze Estlands die liberalsten auf dem europäischen Kontinent. Wie lange dieser Zustand anhält, ist angesichts des EU-Beitritts fraglich.
Im Süden von Estland sind die Bedingungen für Outdoor-Growing gut. Hier sind es vor allem – so wird erzählt – ältere Ehepaare, die sich ein Zubrot verdienen. Die Ergebnisse sind nicht immer berauschend, wirklich gutes Gras kostet demnach relativ viel in Estland, nämlich um die 12 Euro pro Gramm, Haschisch ist noch teurer und liegt bei 15 Euro. Die Größenordnungen des Anbaus sind harmlos: Im Jahr 2001 hob die Polizei nach eigenen Angaben genau 13 Hanf-Plantagen aus, was gegenüber dem Vorjahr schon eine Verdoppelung war.
Über die Verbreitung des Hanfs in der Bevölkerung ist wenig bekannt. Eine Umfrage unter 15-16-jährigen Schülern aus dem Jahre 1999 ergab einen Anteil von 13%, der angab, schon mindestens einmal Cannabis probiert zu haben. Eine andere Erhebung (1998) zeigt, dass rund nur 7% der 18-24-Jährigen Cannabis im letzten Jahr geraucht hatten und nur 2% im vergangenen Monat. In Estland verfolgen die Medien nun gespannt die Auswirkungen der liberalen Drogenpolitik auf das bisher moderate Konsumverhalten.
Lettland bestraft den Besitz kleinerer Mengen Cannabis (und anderen Drogen) nicht. Trotzdem ist in Lettland und dessen Hauptstadt Riga der Genuss von Marihuana nicht weit verbreitet. Aber auch hier steigt die Erfahrung mit dem auflockernden Kraut langsam. Waren es 1995 nur 5% der 16-Jährigen mit einer Präferenz, hatten in 1999 schon 17% schon mal am Joint gezogen. Nur nebenbei: Im gleichen Zeitraum stieg die Menge der Menschen, die im letzten Monat Tabak genossen hatten von 30% auf 40% an.
Die Preise für Haschisch sind unmoderat, 1 Gramm Marok kostet rund 11 Euro. Interessanterweise gibt die Polizei in ihrem Jahresberichten noch den Schwarzmarktpreis für einzelne Joints an, der bei rund einem Euro liegen soll. Was und wie viel davon sich in den Tüten befindet, sagen die Ordnungshüter nicht. Ganz klug wollte es eine Umfrage angehen, die Bürger in Riga fragte, ob ihnen schon einmal jemand auf offener Straße Drogen angeboten hätte. Nur 7% wollten das bejahen. Die Chance in der Hauptstadt in einen günstigen Deal zu stolpern ist also gering.
Litauen sieht den Umgang mit Haschisch und Marihuana nicht so locker wie die baltischen Nachbarstaaten. Schon der Besitz kleinerer Mengen von Cannabis kann theoretisch mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden. Trotz der repressiven Politik ist das Genussverhalten unter Schülern nicht signifikant niedriger als bei den liberalen Nachbarn. 12% der 15-16-Jährigen gaben 1999 an, schon mal inhaliert zu haben. In der Hauptstadt Wilna ist harziger Qualm beliebter: Dort gaben 32% den Genuss zu. Die Umfragen deuten auch in Litauen auf einen langsamen Anstieg der Kif-Liebhaber hin.
Die Preise bleiben dabei auf einem hohen Niveau. Schon für mildes Muffelgras müssen sechs Euro berappt werden, gutes Homegrown oder Haschisch liegen bei 15 Euro.

 

Zur guter Letzt: Malta. Die Ferieninsel gilt nicht gerade als Drogenhochburg, analog dazu glauben über 80% der Studenten dort noch an die unbefleckte Empfängnis. Der Besitz von Cannabis zum Eigengebrauch führt nur zu einer Geldstrafe, die allerdings liegt dann zwischen 500 und 2500 Euro.

 

Fazit

Es darf vermutet werden, dass sich in Osteuropa der Hanfkonsum weiterhin den Tendenzen im Westen anpassen wird. Drei Faktoren verdienen dabei Beachtung: Um diesen Fortschritt zu beurteilen, dürfte es weitaus sinnvoller sein von einer Konsumkultur auszugehen, die Cannabis und auch andere Drogen als „Rekreations-Substanzen“ einnimmt. Dieser „Wellness-Drogen-Konsum“ zieht sich durch unterschiedliche soziale Schichten, findet meist nur am Wochenende statt, betrifft nur eine demografisch gesehen kleine Menge von Bürgern, ist sozial integriert und damit eben kein Problem deprimierter Randgruppen. Selbst die zentrale Institution für die Harmonisierung der EU-Drogenpolitik, die „Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht“ in Lissabon, sieht ein, dass die meisten Drogennutzer eben keine ernsthaften Probleme mit ihrem Freizeitverhalten haben. In einer ihrer Veröffentlichung (Drugnet 44) heißt es: „Jugendliche, die mit Drogen experimentieren oder diese in ihrer Freizeit, z.B. auf Partys, konsumieren, entwickeln keine ernsthaften Drogenprobleme.“ Und weiter: „Dennoch gibt es eine kleine aber signifikante Minderheit von Jugendlichen, die mit Drogen experimentieren und anschließend intensiv Drogen konsumieren und erste drogenbedingte Gesundheitsprobleme bekommen.“
Das ist der entscheidende Unterschied: Bei gewissen Risikofaktoren kann jemand ein Problem mit seinem Genuss bekommen, er oder sie muss es aber eben nicht. In den Befragungen, die unter Schülern und Erwachsenen in den neuen EU-Ländern durchgeführt wurden, zeigt sich die Wirkungslosigkeit der einseitigen Drogenpolitik, die zur Abstinenz erziehen will.
Im Schnitt hat die Hälfte aller Jugendlichen im neuen Osteuropa im Alter um die 20 schon einmal gekifft. Cannabis wird von den meisten als ungefährlich angesehen, denn sie haben es trotz aller Warnungen probiert – und siehe da, es hat sie weder am nächsten Tag zum Aufkochen von Heroin geführt, noch zu unwilligen Lappen gemacht. Aus Sicht dieser EU-Bürger ist das Abstempeln von Cannabis als Horror-Droge unsinnig und damit die gesamte “Drogenaufklärung” verlogen, ein “Krieg gegen Drogen” verliert in ihren Augen jeden Realitätsbezug. Befragt man die Schüler, warum sie am Joint gezogen hatten, so waren die beiden Top-Antworten: “I was curios” und “I wanted to feel high”.

 

Für alle osteuropäischen Länder wäre zudem wichtig zu erfahren, ob Cannabiskonsum eine vorübergehende Erscheinung bleibt. Die Studie von Kleiber/Söllner hatte für deutsche Mitmenschen gezeigt, dass diese in der Jugend gerne kiffen und im Alter diese Atemfrequenz langsam nach unten schrauben. Könnte diese These auch im europäischen Ausland bestätigt werden, würde dies vernünftigere Wege in der Drogenpolitik vereinfachen.
Als dritter Faktor ist zu beobachten, dass auch die neuen EU-Länder sich schwer tun, die so genannten „geringen Mengen“ genauer zu definieren. Wie in den alten Ländern spielt die Menge an Cannabis, die ein Verhafteter oder später gar Angeklagter mit sich führte, eine entscheidende Rolle für das Strafmaß. Die Mehrheit aller europäischen Länder überlässt es dem Ermessenspielraum der Richter, ob und wie hart jemand bestraft wird, nur weil es die jeweiligen Gesetzgeber unterlassen, verbindliche Normen festzulegen.
Mittlerweile werden neue Wege beschritten: Immerhin neun der 15 alt-europäische Staaten haben die Strafen für den Genuss und Besitz kleiner Mengen Cannabis für den Eigengebrauch per Gesetz, Verordnung oder de facto erheblich entschärft. Dies sind neben Spanien, Italien, Portugal und den Benelux-Ländern auch Irland, Österreich und Dänemark. Hier drohen “nur” noch Geldstrafen oder der Führerscheinentzug für den Liebhaber. Deutschland, mit seinem Nord-Süd-Gefälle, stellt ein drogenpolitisches Kuriosum da. “Reformunfähigkeit”, ist wohl das neue Wort dafür. In den zehn jungen osteuropäischen EU-Staaten sind es fünf Länder, nämlich Tschechien, Estland, Lettland, Slowenien und Malta, deren Politik zur Zeit der Freiheit des Kiffers nachgiebige Grenzen setzt.