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Grower Area Psychoaktive Substanzen

Wichtige Regeln für das hanfgerechte Surfen und Posten im Internet

HanfBlatt Nr. 107

Hochspannung! Vorsicht im Netz

Wichtige Regeln für das hanfgerechte Surfen und Posten im Internet

Das Internet hat sich zum Tummelplatz für allerhand Angebote rund um Cannabis gemausert. Growtipps, Samenkauf, Rechtsberatung, Info-Newsletter: es existieren Angebote zu Hauf, um sich um sein Hobby oder Geschäft zu kümmern. Als Liebhaber der Hanfpflanze gilt es allerdings aufmerksam zu bleiben, obwohl der im Netz übliche flotte Umgang mit dem Thema Normalität vorgaukelt. Diese steht allerdings auf rechtlich schwammigen Boden. Im Surfalltag heißt es für den Kiffer: Holzauge, sei wachsam, aber werde nicht paranoid.

Es ist schon kurios: In den deutsch- und englischsprachigen Grower-Foren diskutieren weltweit zehntausende von Menschen die Zucht und Hege einer Pflanze, deren Kultivierung meistens illegal ist. Das ist der Vorteil der Informationsfreiheit, über Illegales Reden darf man, nur es tun halt nicht. Gerade von den Grower-Foren kann angenommen werden, dass sie von gelangweilte Staatsbedienstete in unregelmäßigen Abständen nach Hinweisen auf Zuchtanlagen durchforstet werden.

Und da werden sie schnell fündig: Im Forum von grower.de sind über 15.000 Benutzer registriert, aktiv davon sind über 4.000. Bei hanfburg. de waren am 4. November 2005 über 1.300 User gleichzeitig online, zusammen mit den Unterforen sind seit der Eröffnung hunderttausende von Beiträgen über alle möglichen Cannabis-Themen aufgelaufen. Natürlich hinterlässt hier kein Grower seinen Realnamen und die Anschrift, aber es kursieren diverse Bilder und Beschreibungen von Growrooms.

Es stellt sich zwangsläufig die Frage nach der Sicherheit.

Die Betreiber der Foren distanzieren sich in ihren Disclaimern von eventuellen rechtswidrigen Inhalten und Postings und sind daher mehr oder weniger aus dem Schneider. Sie müssen erst aktiv werden, wenn sie Kenntnis von illegalen Verhalten in ihrem Forum erlangen. Dann sind sie verpflichtet, die entsprechenden Mails zu löschen.

Für die User stellt sich die Rechtslage weitaus komplizierter da. Beschreibt und illustriert er seine Anlage zu deutlich, dann könnte mancher Leser nervös werden, bei einigen fetten Buds dürfte es den Fahndern logischerweise in den Fingern jucken mal rauszukriegen, wo denn sowas Schönes wächst. Noch unklüger dürfte es sein Stecklinge anzubieten. Darauf reagieren nicht nur Beamte, sondern auch Forenbetreiber.
Wer 60 qm aufblühen lässt und damit im Forum hausieren geht handelt grob fahrlässig. Denn sollte einem Beamten das Treiben zu bunt werden ist folgendes Szenario denkbar: Auf den Computern eines Forenbetreibers lagern zusammen mit den Beiträgen auch die IP-Adressen der Verfasser. Haben die Beamten nun richtig Druck auf der Pumpe müssen sie ein Gericht finden, das den Internet-Provider, aus dessen Fundus diese IP-Adresse stammt, dazu verdonnert, die Kontaktdaten des zur IP-Adresse gehörigen Menschen rauszurücken. Anders formuliert: Wer meint, sich über seinen AOL-Zugang an einer munteren Diskussion über die großflächigen Anbau von Orange Bud beteiligen zu müssen ist blauäugig, um nicht zu sagen: beschränkt.

Es gilt sich zu merken: Im Internet ist man nicht anonym, mehr noch, jede Aktion hinterlässt Datenspuren auf dem eigenen Rechner und auf den weltweiten Servern, die die Anfragen des eigenen Rechners beantworten. Jede E-Mail liegt auf irgendeinem Zwischenrechner im Klartext, zu dem zum einen Techniker, zum anderen auf gerichtliche Anordnung aber auch Staatsorgane Zugriff haben. Will man wirklich nervös werden, muss man nur an Abhörsysteme wie das sagenumwobene „Echelon“ der Geheimdienste denken, dass in dem Ruf steht, im Bedarfsfall und jederzeit auch ohne richterliche Erlaubnis die Internet-Kommunikation abzuhören. Der neueste Schrei auf dem Paranoikermarkt dürfte der BKA-Trojaner werden, der, hat er sich erst einmal auf dem heimischen Rechner eingenistet, jeden Aktion am Rechner nach Wiesbaden meldet.
Natürlich sind NSA, die anderen Schlapphüte und das BKA nicht an der 2-qm Box in Delmenhorst interessiert, erwähnt wird das aber hier, um die technischen Möglichkeiten der vernetzten Welt aufzuzeigen.

Bisher kam es zu keiner Hausdurchsuchung nur wegen eines Forumsbeitrags. Daher wird sich in den Foren oft damit beruhigt, dass „die Grünen“ keinen Aufwand treiben werden, wenn es sich nur um Growing für den Eigenbedarf handelt. Das ist eine zu laxe Einstellung, gerade in den momentanen Zeiten, die eher einer Verschärfung der Drogengesetze entgegeneilen. Die Forenbetreiber haben das erkannt und rufen ihre Mitglieder zu mehr Sicherheitsbewusstsein auf.

Das HanfBlatt wäre nicht das HanfBlatt würde e s nicht eine Lösung anbieten. Sie lautet: Ein abgestuftes Sicherheitskonzept entwickeln.

Stufe 1
Zunächst gilt es selbst bei Anfragen wie „Ich habe hier ein kleines Stück Haschisch, welche Sorte ist das wohl?“, vor allem aber bei Growing-Erlebnissen und Tipps anonym zu bleiben. Es gibt technische Möglichkeiten, die verräterische IP-Adresse zu verschleiern und damit sicher in Foren zu posten. Unter http://meineipadresse.de/ stehen diverse Links zu Programmen bereit, die ein anonymes Surfen ermöglichen. Eine Testsektion zeigt Vor- und Nachteile gewisser Verfahren. Die Grundregel sollte lauten: Je höher das persönliche Risiko, umso besser sollten die Sicherheitsmaßnahmen sein. Einfache Proxies reichen dann nicht mehr, selbst JAP, der anonyme Weiterleitungs-Server der TU Dresden, muss im Zweifelsfall seine Daten rausrücken. Klüger ist es da auf Verfahren wie TOR (tor.eff.org) zu setzen. Das verlangsamt zwar die Surfgeschwindigkeit etwas, aber das ist der Preis der Sicherheit. Wer eine Zucht sein Eigen nennt, der sollte sich mit solchen im Grund nur mit solchen Anonymisierungstools in den einschlägigen Ecken im Netz wagen. Sollten ein-zwei fürsprechende Leserbriefe eingehen, beschreiben wir in einem Artikel gerne näher und für den Computerlaien verständlich, wie diese Tools funktionieren.

Die Weitergabe der eigenen E-Mail-Adresse ist nur an vertrauenswürdige Personen und Institutionen vorzunehmen. Und wer ist schon vertrauenswürdig, außer Mutti? Inzwischen versuchen leider diverse Anbieter bei jeder Gelegenheit, die E-Mail-Adresse des Nutzers oder Kunden einzusammeln. Mit Pech bedeutet das: SPAM. Es ist ein Fehler in einem Forum seinen GMX- oder Freenet-Account zu benutzen, vor allem, wenn bei diesem bei der Registrierung die korrekte eigene Heimatadresse mit Postleitzahl und Telefonnummer angegeben wurde. Apropos: Einige Anbieter bestehen bei der Registrierung auf eine gültige E-Mail-Adresse, an die eine Bestätigungsmail geschickt wird. Für diesen Fall gibt es herrlich sinnvolle Dienste im Netz, die E-Mail-Adressen zum Wegwerfen anbieten, beispielsweise spamgourmet.com oder spambog.com. Von dort wird nur eine genau bestimmbare Anzahl von Mails an den Original-Account weitergeleitet, alle weiteren versanden im Datennirvana.

Stufe 2
Wer tatsächlich heikle Daten und Bilder auf seinem Rechner hortet, wie beispielsweise das Bild der nackten Oma neben der blühenden Sativa, der sollte die Festplatte gegen unbefugten Zugriff verschlüsseln. E-Mail-Kommunikation mit Gesinnungsgenossen sollte ebenfalls nur verschlüsselt über die Kanäle rauschen. Die meisten E-Mail Programme wie das schlechte, aber häufig benutzte Outlook, das bessere Eudora oder The Bat, bieten mittlerweile Plugins an, um das Alles relativ unkompliziert zu gestalten. Für beide Vorgänge, die Festplatten- wie die E-Mail-Verschlüsselung, stehen der Klassiker PGP oder das quelloffene GNU-PGP zu Verfügung.
Danach hilft es sich noch tiefer mit dem Rechner anzufreunden. Im Klartext: Nutze Firefox statt dem Internet Explorer, schalte den Empfang von Cookies ab. Aktiviere eine Firewall, notfalls reicht die interne von Windows. In einem nächsten Schritt migriere auf Linux oder OS X.

Stufe 3
Was aber tun, wenn Realkontakt nötig ist, beispielsweise bei einer Samenbestellung? In großen Abständen werden ausländische Samenhändler hochgenommen, bei denen im Zweifelsfall deine Adresse lagert. Im Zusammenhang mit einem Händler in Österreich kam es 2005 zu massiven Problemen, die deutsche Polizei lud einige Besteller vor, es kaum zu Durchsuchungen. Inoffizielle Quellen sprechen von mindestens 30 Vorladungen und 80 Hausdurchsuchungen in den deutschen Bundesländern. Das sollte als Warnung ausreichen.

Wie einige Forenbetreiber die IP-Adressen ihrer Nutzer zügig entsorgen, so gibt es mittlerweile auch Samenhändler, die mit Kundendaten vernünftig umgehen und diese ebenso vor Zugriff schützen. Hierüber gilt es sich zu informieren, bevor man säckeweise Samen oder Zubehör anliefern lässt.

Insgesamt ist Sicherheit im Internet eine persönliche Angelegenheit, sich dabei auf andere verlassen reicht nicht aus. Die Anforderung an das kluge Verhalten im Netz steigt mit dem Wert des zu pflegenden Rechtsguts. Gerade bei Mengen- und Quadratmeterangaben sollte Zurückhaltung herrschen. Wer ist noch nicht wusste: Beamte sind auch Menschen. Sie beobachten die weiterhin wachsende Cannabis-Szene und ihr variabler Schwellenwert ist sowohl von objektiven Rechtsgrundlagen wie von subjektiven Schmerzgrenzen abhängig.

 

 

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Rezensionen

Rezension zu Timmerberg: Shiva Moon

HanfBlatt Nr. 105

Heiss auf Erleuchtung

Klolektüre. Und das soll nicht despektierlich klingen. Ich konnte das Buch halt einfach nicht mehr aus der Hand legen. Helge Timmerberg reist mit Raketenantrieb durch das gelobte Land. Satzstakkatos. Der Trip eines Mannes, der in Würde altern will. Als 17-Jähriger, 1969, schon einmal in Indien gewesen, damals „heiß auf Erleuchtung“, sucht er dieses Mal, tja, was sucht er? Nix, außer das wundern über Menschen und die ewige Frage: Was geht hier ab?

Vielleicht brauchte der Nomade nach einem seiner letzten Bücher mit Namen „Schneekönig“, das er zusammen mit dem ehemaligen Kokain-Händler Ronald Miehling verfasst hatte (s. HB Nr. 83), einen Tapetenwechsel. So oder so: Timmerbergs Reisebericht ist für alle ehemaligen und zukünftigen Indien-Reisende stressfreie Lektüre, denn so kurzweilig schafft es kaum einer über ein Land zu berichten und dabei die persönlich-humoreske Sicht auf die Gesellschaft im Vordergrund zu halten. Ja, ja, wer’s hören will: kurzweilig heißt hier auch sprunghaft. Leichter Gonzo-Journalismus ohne politischen Tiefenschmerz, Hunter S. Thompson hätte ihn sicher von der Farm gejagt. Hui, das ist jetzt doof, gilt Timmerberg doch manchem Blatt als deutsche Dependence des verstorbenen US-Autors Thompson.

Timmerberg, 54, trägt uns von der Quelle des heiligen Flusses Ganges bis zur Mündung im Golf von Bengalen, immer selbstironisch, immer erregt.

Lassen wir Meister Timmerberg lieber selbst zu Wort kommen, das gibt die beste Grundlage für die Entscheidung, das Buch zu kaufen oder zu verschenken: „Der Guru, so viel verstehe ich, hat eine schöne Schrift. Und das sind schöne Wörter. Das ist Sanskrit. Das Latein Indiens. Die alte Sprache. ‚Mantras‘, sagt er. ‚Du weißt, was das ist?‘ Mantras sind Wörter, die doppelt wirken. Inhaltlich wie akustisch. Sanskrit hat es fertiggebracht, dass der Klang des Wortes genau das mit dir macht, was es bezeichnet. ‚Shanti‘ etwa heißt Frieden. Wenn du hundertachtmal hintereinander ‚Shanti‘ sagst, fühlst du den Frieden. Es ist ähnlich wie mit der Musik. Ein Ton hat Macht. Er verändert Stimmungen. Erzeugt Schwingungen. Er kann entspannen, erregen, Angst auflösen. Ich kann das bestätigen. Ich habe vor etwa drei Jahren von einem Sadhu in Nepal ein Mantra gegen Angst bekommen. Kleines Geschenk mit großer Wirkung. Was immer mich ängstigt, ob Mensch, Tier oder Türsteher, ich brauche nur dieses Mantra zu murmeln, und die Angst löst sich wie Brausepulver auf.“

Helge Timmerberg: Shiva Moon.
Eine Reise durch Indien
Rowohlt Berlin 2006
256 Seiten, gebunden
ISBN: 3871345415
EUR: 17,90

 

 

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Elektronische Kultur Psychoaktive Substanzen

Interview mit Wolfgang Sterneck

HanfBlatt, Nr. 100

Annäherung an das richtige Leben

Ein Interview mit Wolfgang Sterneck

Wolfgang Sterneck engagiert sich seit den Achtziger Jahren als Aktivist in alternativen Szenen. Durch die Mitgestaltung des Sonic-Netzwerkes, von KomistA und des Alice-Projects hat er sich ebenso einen Namen gemacht, wie durch seine zahlreichen Publikationen, die ihn als profunden Kenner subkultureller Strömungen ausweisen. Er verschafft wichtigen Stimmen der Gegenkultur Gehör und präsentiert anregendes Material zur Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Realisierung einer anderen Welt als der Desaströsen, auf die die Menschheit zwischen Überlebenskampf und Konsumrausch im Zeitalter der Globalisierung gegenwärtig zuzusteuern scheint.

Hanfblatt:
Du verfolgst als Aktivist und teilnehmender Beobachter seit Jahren die Entwicklung der Techno-House-Goa-Trance-Szene. Oberflächlich betrachtet scheint es sich heute um eine reine Feier-Kultur zu handeln, in deren Zentrum zünftige Drogenparties mit elektronischer Tanzmusik inklusive optisch stimulierender Lightshows und Deko stehen. Wenn man sich mit Veteranen der Szene unterhält, ist immer wieder vom „Party-Spirit“ in der ersten Hälfte der 90er Jahre die Rede, der heute irgendwie nicht mehr so da sei. Was hat es mit diesem „Spirit“ auf sich? Was ist gemeint?

Sterneck:
Es ist nicht nur oberflächlich betrachtet „eine reine Feier- Kultur“. Der Mainstream ist zweifellos von Kommerz und Konsum geprägt. – Hauptsache Druff sein und „Spaaaß“ haben, nichts hinterfragen, am wenigsten sich selbst … Fische die mit dem Strom schwimmen. Wie alle Musikkulturen der letzten Jahrzehnte ist Techno mit einem idealistischen Anspruch im Underground entstanden. Da ging es um solche Aspekte wie „Do It Yourself“, um kreatives Experimentieren, um die gemeinschaftliche Erfahrung anderer Wirklichkeiten. All dies machte den besonderen Reiz der ersten Jahre aus. – Wobei diese Elemente nicht gestorben sind, sondern im Underground weiterleben. Doch im Mainstream gehen solche Ansätze zwangsläufig unter. Ursprünglich ging es beispielsweise um eine gemeinschaftliche Kultur, die keine Idole nötig hat. Inzwischen sind jedoch längst die bekannten Djs zu egozentrischen Stars geworden, die sich kaum von Rockstars unterscheiden und zu denen das Party-Volk ergeben hinaufblickt.

Hanfblatt:
Seit einigen Jahren kann man „Alice – The Drug- and Culture- Project“, an dem du maßgeblich beteiligt bist, auf Parties und Festivals mit elektronischer Tanzmusik antreffen. Ihr engagiert euch für einen „mündigen Umgang mit psychoaktiven Substanzen“. Was muss man sich unter „Drogenmündigkeit“ vorstellen, und auf welchem Weg kann diese nach euren Vorstellungen erreicht werden?

Sterneck:
Wir sind nicht nur auf Partys aktiv, sondern auch in Schulen oder auf Tagungen anzutreffen. In Bezug auf Drogen versuchen wir Drogenmündigkeit zu fördern. Dies beinhaltet einen möglichst souveränen Umgang mit Drogen aller Art, die Fähigkeit (aber nicht den Zwang) zur Abstinenz, ebenso die Fähigkeit sich selbst bzw. den eigenen Umgang mit Drogen kritisch reflektieren zu können. Dieser Ansatz schließt im Grunde das ein, was man allgemein als Suchtprävention bezeichnet, also das Vermeiden von Abhängigkeit. Er geht aber noch viel weiter, indem er nicht nur negativ auf Probleme konzentriert ist. Vielmehr versucht er die Person an sich zu stärken: Mündigkeit durch Information, Reflexion durch kritische Auseinandersetzung, Selbstbestimmung durch innere Stärke. Vor diesem Hintergrund geht es uns nicht nur um Drogen. Vielmehr versuchen wir generell über Veranstaltungen, kulturelle Projekte, Flyer etc. die Leute dazu anzuregen, aus der so weit verbreiteten passiven Konsumhaltung auszubrechen und selbst aktiv bzw. kreativ zu werden, um letztlich ihr Leben den Klauen von Fremdbestimmung und Verwertung zu entreißen.

Hanfblatt:
Was unterscheidet euch von „Eve & Rave“, dem ebenfalls aus der Techno-Szene erwachsenen Selbsthilfe-Projekt in Sachen bewussterem Umgang mit psychoaktiven Substanzen?

Sterneck:
Da gibt es im Grunde keine inhaltlichen Unterschiede in Bezug auf den Umgang mit Drogen. Beiden Projekten geht es um möglichst sachliche Aufklärung, um die Entwicklung von Bewusstsein und um Hilfe bei Problemen. Uns verbindet das Ziel der Drogenmündigkeit und zum Beispiel die Forderung nach der Einführung des Drug-Checking. Mit anderen Projekten sind wir im Sonics- Cybertribe-Netzwerk zusammengeschlossen. Uns verbindet jedoch auch, dass wir den von dir benutzten Begriff der „Selbsthilfe“ nicht gebrauchen. Dieser Begriff wurde in der Anfangszeit oft genutzt, um uns zu schwächen bzw. in eine bestimmte Ecke zu stellen: „Das sind die Technos, die versuchen ihre Drogenprobleme selbst zu therapieren“. Dies war und ist jedoch bei Alice nie der Fall gewesen. Vielmehr geht es uns darum, Veränderungen zu bewirken, zumindest die Notwendigkeiten aufzuzeigen: Veränderungen im Umgang mit Drogen auf einer persönlichen wie gesellschaftlichen Ebene, aber auch unabhängig von der Drogenthematik generell, um soziale und kulturelle Veränderungen.

Hanfblatt:
In deinen Schriften ist immer wieder von kulturellen Freiräumen, Visionen eines befreiten Lebens und einer konkreten Utopie die Rede. Gefühlsmäßig habe ich da zwar gleich meine eigenen Assoziationen, aber was genau meinst Du damit?

Sterneck:
In Anbetracht der sozialen und ökologischen Entwicklungen ist es eigentlich offensichtlich, dass es zu grundlegenden Veränderungen kommen muss. Doch derartige Veränderungen in einem größeren Maßstab erscheinen im Zeitalter der Globalisierung geradezu illusionär. Dies heißt jedoch nicht, dass man den Kopf in den Sand stecken sollte. Es ist auch im Hier und Jetzt möglich, Freiräume zu schaffen, in denen ein Leben möglich ist, das von Prinzipien wie Gemeinschaftlichkeit, Kreativität, Selbstbestimmung, Balance mit der natürlichen Umwelt etc. geprägt ist. Zum Beispiel kann ein besetztes Haus im Idealfall einen solchen Freiraum bieten oder eine Underground-Party oder eine kleine Gruppe von Leuten, die vor Ort in ihrem Bereich etwas verändern wollen oder unzählige andere Möglichkeiten. Eine Volxküche beispielsweise, wie es sie in vielen linken Zentren gibt, in der zum Selbstkostenpreis gekocht wird, damit sich jeder das Essen leisten kann, aber auch um die Vereinzelung der Ein-Personen-Haushalte aufzubrechen. Oder eine Party, die nicht am finanziellen Gewinn ausgerichtet ist, sondern die Gäste wie VeranstalterInnen gemeinsam gestalten. Oder eine politische Aktion, die der neoliberalen Globalisierung eine solidarische Vernetzung von unten entgegensetzt. Es gibt unzählige solcher Ansätze. Das Entscheidende ist die innere Bereitschaft jedes Einzelnen in seinem Bereich solche Türen zu öffnen. Mit einem Joint in der Hand endlos darüber zu philosophieren, was man alles machen könnte und sollte und müsste – und dann wird schon wieder der nächste gerollt – ist einfach und bequem … aber wer über das Philosophieren nicht hinaus kommt, der ist ein Teil des Problems und nicht der Lösung.

Hanfblatt:
Innerhalb und aus der Techno- und Rave-Szene heraus haben sich diverse kleinere Subkulturen entwickelt, von denen du in deinen Büchern, z.B. in „Tanzende Sterne“, berichtest, und die sich vielleicht als „Cybertribes“ subsummieren lassen. Gibt es tatsächlich etwas, was all diese Szenen verbindet?

Sterneck:
Egal auf welche Musikkultur man blickt oder in welcher Stadt man sich gerade bewegt – wer genauer hinschaut wird immer wieder auf Leute und Projekte stoßen, die versuchen andere Wege zu gehen, die versuchen sich Kommerz und Vereinnahmung zu widersetzen. Diese Leute findest Du im Free Jazz genauso wie im Punk, HipHop oder Techno – allerdings in der Regel nur im Underground. Die Rhythmen sind zum Teil andere, die Texte unterscheiden sich in ihren Metaphern, aber im Grunde geht es immer wieder um Selbstbestimmung, um Gemeinschaft, um Entfaltung, um eine innere Tiefe.

Hanfblatt:
Wenn man sich so umschaut, dann muss man doch feststellen, dass der Boom der letzten großen, wirklich neuen Jugendkultur um die Techno-Szene herum, lange schon vorbei ist. Die Kommerzialisierung erfolgte weitestgehend bis Mitte der 90er, Deppentechno a la Blümchen und „Hyper Hyper“, Sponsoren wie Camel und Jägermeister, Bier-Parade und leere Phrasen a la Dr. Motte ließen grüßen.

Hanfblatt:
Du bist ja ein profunder Kenner gegenkultureller Strömungen. Siehst du irgendwo Pflänzchen der Hoffnung? Worauf sollte man deines Erachtens sein Augenmerk richten? Was kann man selber tun?

Sterneck:
Im Zuge der medialen Gleichschaltung vollzieht sich die Vereinnahmung von Strömungen, die irgendwo im Underground als zumindest potentiell subversive Gegenkultur entstanden sind, immer schneller. Doch so verschlingend die Mechanismen der Gleichschaltung auch sein mögen, ein letztes Stück innerer Lebendigkeit, das Bedürfnis nach freier Entfaltung und Selbstbestimmung, wird immer gegeben sein. Die „Pflänzchen der Hoffnung“, von denen du sprichst, kannst du überall finden, wenn du hinter die Fassaden der Nachrichtenshows und der Plakatwände blickst. Mal ist es eine blühende Sonnenblume, mal eine dornige Rose oder irgendein auf den ersten Blick völlig unscheinbares Pflänzchen, das sich da zwischen den Betonplatten widerspenstig seinen Weg bahnt. Es geht nicht um die Frage, ob es diese „Pflänzchen“ gibt, sondern, ob du sie wahrnimmst, ob du sie gießt – und letztlich, – um in diesem Bild zu bleiben – ob du selbst bereit bist, dem Heer der künstlichen Plastikblumen einen eigenen verwilderten Garten, so winzig er auch sein mag, entgegenzustellen.

Hanfblatt:
Du hast ja mehrere Bände mit interessanten Texten zu verschiedenen Themenschwerpunkten zusammengestellt. Was interessiert dich da besonders? Worum geht es dir dabei?

Sterneck:
Ein Aspekt ist, dass es mir darum geht Verbindungslinien aufzuzeigen. Beispielsweise zu dokumentieren, dass man den Geist der Revolte in der Hippie-Kultur, genauso wie im Punk, dem HipHop oder im Techno finden kann. Ein anderer Aspekt, der immer wieder auftaucht, ist die Verbindung von innerer, persönlicher Entwicklung und äußerer, gesellschaftlicher Veränderung. Isoliert führen beide Wege schnell in eine Sackgasse, miteinander verknüpft eröffnen sie neue Möglichkeiten. Manchmal geht es mir auch darum, im Rahmen meiner Möglichkeiten kleine „Denkmale“ zu schaffen. Zum Beispiel ein Projekt oder einen Musiker zu beschreiben, der Wichtiges bewegt hat, aber zuvor kaum Beachtung fand. Neben dieser ideellen bzw. politischen Ebene suche ich mir selbstverständlich Themen aus, die mir irgendwie nah sind, die mich selbst beschäftigen. Für mich gibt es in diesem Sinne keine Trennung von Arbeit und Freizeit. Ich mache Dinge, von denen ich überzeugt bin, und auf dieser Basis gehen Idealismus, Entfaltung und Vergnügen ineinander über.

Hanfblatt:
In dem Band „Erotika. Drogen und Sexualität“ versammelst du eine ganze Reihe Erzählungen, Autobiographisches, Geschichtchen von bekannten und unbekannten Autoren, die alle mit Sexualität und Drogen zu tun haben. Voyeuristisch gesehen fand ich persönlich das zwar ganz interessant, was sich mir jedoch nicht so recht erschloss, war die Intention dahinter. Was soll ich damit anfangen?

Sterneck:
Die Antwort auf die Frage, was Du damit anfangen sollst, ob du einen Bezug findest oder nicht, die nehme ich dir nicht ab. Es gibt kaum andere Bereiche, die gesellschaftlich einerseits so tabuisiert sind und mit denen andererseits so scheinbar locker umgegangen wird, wie die Bereiche der Sexualität und der Drogen. Gleichzeitig eröffnen beide Bereiche im Idealfall eine Tiefe ein „inneres Fließen“ wie es ansonsten im Alltag kaum möglich ist. Der Rausch der Sexualität gleicht im Idealfall einem veränderten Bewusstseinszustand, gleicht einer Überwindung des blockierten Alltagsbewusstseins. Ebenso können im Idealfall auch psychoaktive Substanzen innere Räume eröffnen, die zuvor völlig verschlossen waren. Sex und Drogen können aber auch auf sehr vielfältige Weisen diese inneren Räume völlig verschließen. Verbindet man nun Sex und Drogen, dann können sich diese Möglichkeiten noch einmal potenzieren. Der viel beschworene, aber nur selten erlebte „kosmische Orgasmus“ oder eine verschmelzende Zärtlichkeit gehört genauso zu diesen Möglichkeiten wie völlig verkrampfte Situationen, Impotenz oder gar Missbrauch. Für mich persönlich war es spannend, all die verschiedenen Zugänge zum Thema zusammenzutragen. Von wissenschaftlichen und historischen Betrachtungen bis hin zu äußerst offenen Erfahrungsberichten und Literaturauszügen. Nicht zuletzt sollte solch ein Thema nicht nur trocken abgehandelt werden, sondern in einem besonderen Maße auch eine im erotischen Sinne anregende Wirkung haben.

Hanfblatt:
Besteht nicht in jeder Subkultur das Risiko, dass sie sich zu weit von den gesellschaftlichen Realitäten entfernt und sektiererische Züge annimmt? Wie kann man dies vermeiden und die Bodenhaftung behalten?

Sterneck:
Klar, das ist immer eine Gefahr. Manchmal ist es wichtig sich auf Inseln zurückzuziehen, aber man darf nie vergessen, dass jede Insel von einem Meer umgeben ist. – Und dieses Meer prägt. So idealistisch wir auch sein mögen, wir tragen alle unsere schrägen Egos mit uns herum, die uns schon in der Kindheit anerzogen wurden. Und auch als Erwachsener wird es nie möglich sein, sich völlig dem umgebenden Meer zu verschließen. Das muss uns immer bewusst sein. Den perfekten Umgang mit diesen Strukturen gibt es nicht. Ein naheliegendes und doch so selten gebrauchtes Mittel ist das der Hinterfragung und Selbstreflexion, der Kritik und Selbstkritik. Sich neben sich zu stellen und zu schauen, was geht überhaupt mit mir ab, ist dies noch der Weg den ich bzw. wir einschlagen wollten? „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ hat Adorno mal gesagt. Aber es besteht die Möglichkeit und die Notwendigkeit sich diesem zumindest anzunähern.

 

Publikationen von Wolfgang Sterneck
(als Herausgeber und Autor, Näheres unter www.komista.de, www.sterneck.net und www.nachtschatten.ch):

„Cybertribe-Visonen“
„Der Kampf um die Träume. Musik und Gesellschaft.“
„Erotika. Drogen und Sexualität“ (und als Auszug daraus „Das Utopia der Lust“)
„Psychedelika. Kultur, Vision und Kritik.“
„Inside. Modern Primitives, Dunkle Erotik und Subversive Rituale.“
„Tanzende Sterne. Party, Tribes und Widerstand.“
„Stille, Bewusstsein und Veränderung“ (gemeinsam mit John Cage, inklusive CD)
„Connecta-Music, Mind and Politics“ (CD & DVD, siehe www.alice-project.de)