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Rezension Detlev Briesen: Drogenkonsum, Drogenpolitik, Deutschland, USA

HanfBlatt Nr. 102

Ausgedehnte Geschichtsstunde

Die Wahrnehmung der historischen Ursachen der drogenrechtlichen Blockaden, da kann man dem Historiker Detlef Briesen nur zustimmen, ist eine notwendige Voraussetzung, um die deutsche und internationale Drogenpolitik aus ihrem Dilemma zu befreien. Briesen legt mit seinem Buch eine Quellenstudie vor, um den Parallelitäten zwischen Deutschland und den USA in Bezug auf Drogenkonsum und Drogenpolitik auf die Spur zu kommen.

Es entstand eine materialreiche Literaturauswertung, die detailgenau die Entstehung der Drogengesetze und des Drogenkonsums seit dem 20. Jahrundert darstellt. Es ist sein Verdienst, als einer der ersten Autoren im deutschsprachigen Raum, die Ursprünge der gesetzlichen Regelungen und deren moralische und weniger medizinische Begründung heraus gearbeitet zu haben. Das Buch brilliert dabei vor allem durch ein erfreuliches Quellenstudium der Anfänge der modernen Drogenpolitik im deutschen Kaiserreich.

Sauber zeigt Briesen auf, wie aus einem Handelskontrollgesetz (Harrison Act) in den USA der 20er Jahren ein Drogenkontrollgesetz wurde. So wie Drogenarten und Konsummuster übertrugen sich diese Regelungen später auf Deutschland. In den USA dominiert seit damals der strafrechtliche Ansatz, in der Bundesrepublik eine Mischung aus theoretischer Strafandrohung und dem realen Überwiegen sozialtherapeutischer Maßnahmen bei den Konsumenten.

Aus Briesens Ansatz und seinem Stil wird klar, dass der Drogenbenutzer für ihn ein weithin unbekanntes Wesen ist, dessen Hobby ihn verwundert. Aber: Er lässt ihnen in einem ersten Schritt aus liberal-theoretischen Gründen die individuelle Konsumfreiheit und kommt in einem zweiten Schritt zu dem Ergebnis, dass die gesetzlichen Regelungen den Rauschmittelgebrauch ohnehin nie verhindern konnten. Im Gegenteil: Aus Briesens Analyse nimmt man eher das Resultat mit, dass die Gesetze mehr Schaden als Gutes angerichtet haben.

Leider fehlt dem Buch eine grundlegende These, an der sich die fast 400 Seiten orientieren, eine Klammer, welche die vielen historischen Vorgänge zu einem Ganzen zusammenfasst und in einen Zusammenhang stellt. So will man zwar den Schlussfolgerungen des Geschichtswissenschaftlers gerne zustimmen, aus dem Gelesenen ergeben sie sich aber nicht. Das betrifft auch die fehlende Problematisierung des Begriffs „Drogen“ und die Unterscheidung zwischen verschiedenen Substanzgruppen. So landen leider Genuss-, Konsum und Suchtkultur diverser psychoaktiver Subtanzen in einem Topf.

Trotz dieser Einschränkungen schaffen die Ergebnisse Briesens den Raum für eine fruchtbare Diskussion, die Genussmittel- und Drogenkonsum abseits moralischer Begriffe und psychischer Defektzuschreibungen zu erklären versucht. Der Preis allerdings ist happig.

Detlef Briesen
Drogenkonsum und Drogenpolitik in Deutschland und den USA. Ein historischer Vergleich.
404 Seiten
Frankfurt am Main 2005
Campus Verlag
ISBN: 3-593-37857-4
EUR: 44,90

 

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Psychoaktive Substanzen

Die Weltreligionen und ihr Verhältnis zum Rausch – Der Islam

HanfBlatt, Nr. 100, März/April 2006

Die Weltreligionen und ihr Verhältnis zum Rausch

Teil 3

Der Islam

Saftige Feigen, süße Datteln, schwere Teppiche, dazu qualmen die Wasserpfeifen und das Abhängen auf den seidigen Kissen ist bequemst: 1000 und, weil’s so schön ist, noch eine Nacht hinterher. Die religiöse und gesellschaftliche Realität in den islamischen Ländern sieht freilich anders aus.

Der Koran ist die heilige Schrift des Islam, die Allahs wörtliche Offenbarung an Mohammed enthält. Eine strenge Auslegung des Koran erlaubt seit Jahrhunderten eigentlich keine Rauschmittel, sie sind „haram“ (verboten). Der Wein wurde vom Propheten Mohammed als schädlich deklariert. Cannabis ist zwar im Koran an keiner Stelle erwähnt, er steht aber mit dem Alkohol zusammen auf der ewigen Abschussliste der Gelehrten. Seit dem 8. Jahrhundert ist den Muslimen der Konsum von Rauschhanf verboten. Überraschenderweise gibt es aber eine Ausnahme: Werden Cannabis oder auch Opium als Medizin eingesetzt, geht das in Ordnung.

Warum nun Rauschmittel von Allah und seinem Verkünder Mohammed aus dem Leben der Menschen ausgeschlossen wurde ist unklar. Eine Erklärungsmöglichkeit: Wie andere Religionen auch sieht der Islam seine Anhänger ungern vom rechten Weg abkommen. Der Rausch allerdings ist oft ziellos, regt unter Umständen zum Nachdenken über den eigenen Glauben an und ist daher eine potenzielle Gefahr.

Nur die Vertreter der islamischen Mystik, die Sufis, nahmen und nehmen es mit dem Rauschmittelverbot nicht so genau. Sie wollen Allah durch praktische Übungen möglichst nahe kommen und einige von ihnen greifen daher noch heute zu Hanfpräparaten. Bereits um 1400 dichtete der Sufi al-Yanbu’i: „Nehme ich Haschisch, wird mein Raum zur Moschee.“ Hier zeigt sich eine Tendenz, die schon im Christentum (s. HanfBlatt Nr. 98) zu beobachten war. Es sind meist die mystischen Zweige einer Religionsgemeinschaft, die dem Rausch positiv gegenüber stehen, entweder, weil er eine Liebe zum göttlichen Empfinden erwecken kann (Sufis) oder aber dazu führt, das Göttliche nicht als starre Substanz (oder gar Mann mit Bart) zu sehen, sondern als dynamischen Prozess ohne Anfang und Ende, das durch und im Menschen wirkt. Dieses tanzende Spiel der sprachlosen, aber gehaltvollen Leere zu ertasten kann im Rausch nachempfunden werden. Damit aber erhebt sich der Mensch in die Augen der Religionsstifter zu hoch. Warum sie alle den Menschen in einer tumben Regelbefolgung versauern lassen wollen, die schlimmstenfalls in der Unterdrückung der Frau, Vorhaut-Massakern oder allgemeiner Körperfeindlichkeit zum Ausdruck kommen ist wohl eher mit weltlichen als mit geistlichen Ansätzen zu erklären.

Theologische Schriften sind das seine, die religiöse Praxis das andere. Zurzeit bekennen sich ungefähr 1,2 Milliarden Menschen auf der Welt zum islamischen Glauben, damit ist man hinter den Christen die zweitgrößte Religion der Welt; sieht man einmal vom Kapitalismus ab. Um das Verhältnis der islamischen Länder von heute zum Rausch zu verstehen sind zwei Dinge zentral. Zum einen ist der Islam Religion und Staatsform zugleich ist. Eine Trennung von Staat und Kirche, wie sie die westlichen Staaten vollzogen haben, kennt die islamische Lehre nicht. Daher regelt der Rechtskodex („Scharia“) nicht nur die religiösen Pflichten (Gebet, Fasten, etc.), sondern auch die sozialen Beziehungen (Eherecht, Vertrags, Strafrecht, etc.). Im alltäglichen Leben führt das zu allerlei Verwicklungen, denn Haschisch ist durchaus beliebt im Orient. Zum anderen ist der Islam kein monolithischer Block, sondern wird in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich interpretiert. So bestehen etwa zwischen den Glaubenspraktiken von Muslimen in Malaysias und Muslimen im Iran himmelweite Unterschiede.

In den Geschichten von 1001 Nacht und den vielen anderen Sagen und Mythen spielen Cannabis und Opium immer wieder eine Rolle. Es wimmelt von Zaubergärten, berückenden Düften, Verwandlungen und Geisterstimmen, alles oft mit erotischen Erlebnissen verwoben. Auch aus den Geschichtsbüchern ist bekannt, dass Fürsten und Herrscher immer wieder dem Haschisch wacker zusprachen. Vom Geheimbund der meuchelnden Assassinen, deren Schimpfname sich von Haschisch ableitet, obwohl nicht bewiesen ist, dass sie mehr als andere in der damaligen Zeit (um 1150) kifften, mal ganz abgesehen.

Zum ersten nachgewiesenen Verbot von Haschisch kam es im 13. Jahrhundert. Der König al-Zahir Baybars (1266-79) ließ alle Tavernen in seinem Hoheitsgebiet schließen, der Konsum von Wein und Hasch war offiziell verboten. Der Feldherr erhoffte sich vor allem starke Krieger von seinem Verdikt. Gekifft wurde trotzdem weiter. Ein Vorgang, der sich noch öfter wiederholen sollte: Der eine König verbietet den Stoff, der nächste hofft auf Steuergelder und legalisiert ihn wieder. Auch aus materiellen Gründen bevorzugte die Bevölkerung Haschisch und Opium, während der teurere Alkohol bis heute ein Privileg der Reicheren bildet.


Traum aus der Pfeife (Achille Zo: Le Reve du croyant)

So zieht sich der Konsum von Cannabis und Opium als Rauschmittel und Medizin wie in roter Faden durch die Geschichte der islamischen Länder. Im letzten Jahrhundert beschreibt der bekannte iranische Autor Seyat Hedayat (1903-1951) den Beginn seines Opiumrausches folgendermaßen: „Meine Vorstellungen und Gedanken wurden befreit von den Fesseln der Schwere irdischer Dinge und flogen einem ruhigen und schweigendem Himmel entgegen. So, als habe man mich auf goldene Nachtfalterschwingen gebettet, erging ich mich in einer leeren, strahlenden Welt, in der ich auf kein Hindernis mehr stieß“.

Heute gilt in einigen Metropolen wie Istanbul oder Kairo das mäßige Rauchen von Haschisch als harmloser Genuss. Cannabisharz ist dabei wie in Europa die Droge der Jugend. Bei geselligen Treffen kreist die Wasserpfeife, Musik wird gehört, es werden Witze erzählt – oder gerne auch ohne Grund gelacht. Eine Art Bhang ist übrigens heute noch in einigen Ländern verbreitet, als Gewürzstoffe für diesen Milch-Trunk dienen unter anderen Anis, Kardamon, Kokosmilch und Pistazien. In Ägypten wird Haschisch mit Zucker, Gewürzen und Raki gemischt und getrunken.

Marokko, Afghanistan, Türkei: Der überwiegende Teil des weltweit im Umlauf befindlichen Haschisch stammt aus islamischen Ländern und wird von Muslimen angebaut. Sie sind durchaus fähig, die Balance zwischen dem Genuss der Droge, dem damit zusammenhängende Profit und ihrem Glauben zu halten. Dies alles geschieht unter den Augen der Geistlichkeit, während Teile der weltlichen Obrigkeit ohnehin an dem Geschäft mitverdienen. Trotzdem der Rausch unter dem Halbmond tabuisiert ist, treibt eine starke Kraft die Menschen – wie überall auf der Welt – also auch hier dazu von der verbotenen Frucht zu naschen, vulgo: sich ab und zu die Kante zu geben, für Entspannung und Freude zu sorgen oder gar eine spirituelle Erfahrung zu suchen.