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Künstliche Intelligenz

Deep Fritz vs. Vladimir Kramnik

Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 08.10.2002

Dummes Verhalten und intelligentes Berechnen

Der Wettkampf von Weltmeister Vladimir Kramnik gegen das Schachprogramm „Deep Fritz“ wirft erneut die Frage nach dem Unterschied zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz auf.

Vom 4. bis 19. Oktober ist es soweit: Der inoffizielle Schachweltmeister Vladimir Kramnik, 27, tritt im Wüstenstaat Bahrain gegen das spielstärkste Schachprogramm der Welt mit Namen „Fritz“ an. Unter Experten gilt die Partie als offen, die Kontrahenten geben sich derweil selbstbewusst. „Kramnik wird die Partie langweilig halten müssen, wenn er eine Chance haben will“, behauptet Frederic Friedel, einer der Entwickler von Fritz. Das Programm gilt als mindestens ebenso stark wie seinerzeit „Deep Blue“, der IBM-Rechner, welcher 1997 gegen Garry Kasparov angetreten war. Weltmeister Kramnik bereitet sich seit einem Jahr auf den Wettkampf vor. Eine seiner Forderungen war, dass er das Programm vorzeitig erhält; ein Umstand, der Friedel Bauchschmerzen bereitet: „Das ist so, als ob ich vor einer anstehenden Debatte mit ihnen einen Klon ihrer Person bekomme. Nach kurzer Zeit weiß ich genau, welche Argumente sie brillant widerlegen und bei welchen sie Schwächen aufweisen.“

Seit Kasparov das Match gegen Deep Blue verloren hat ist es zu keinem Aufeinandertreffen der Potentaten menschlicher und maschineller Intelligenz mehr gekommen. Im Gegensatz zu Deep Blue, der nur für das Spiel gegen Kasparov konzipiert wurde, ist Fritz ein handelsübliches Programm, welches auf jedem PC läuft. In Bahrain tritt die Originalsoftware allerdings nicht auf einem Kaufhausrechner an. Acht Intel-Pentium Prozessoren werden parallel geschaltet und ermöglichen dem dadurch entstehenden „Deep Fritz“ an die 3 Millionen Stellungen in der Sekunde zu vergleichen. Zum Vergleich: Fritz 7 auf einem PC von der Stange berechnet in der gleichen Zeit rund 500 Tausend Stellungen. Deep Blue kam 1997 auf 200 Millionen Positionen. Damit ist das deutsche Programm zwar deutlich langsamer als Deep Blue, seine Algorithmen sind aber ausgefeilter. Die von IBM entwickelte Software war weithin in Silikon gegossen, das Programm musste einfach gehalten werden. Die Entwickler von Fritz testen und modifizieren Programmteile dagegen ständig. Das reicht für den großen Teil der schachspielenden Menschheit vollkommen aus, Fritz ist kaum zu schlagen – nur die rund 500 Schachgroßmeister in der Welt trotzen dieser Rechenkraft noch.

Wie sie das schaffen, bleibt weiterhin ihr Geheimnis. Im Gegensatz zum Rechner, der nach jedem Zug jede mögliche Zukunftsstellung zu bestimmen versucht, gehen die Großmeister offenbar anders vor: Glaubt man ihren Aussagen, sehen sie Schachstellungen eher als Bilder an. Abtauschkonfigurationen, Spielverlagerungen, Entwicklungschancen – das Schachbrett wird zum verinnerlichten Kunstwerk, in welchem komplexe Muster wiedererkannt werden. Trotz der Rechenleistung des Computer sind die Großmeister besser in der Lage Pläne für die ferne Zukunft zu schmieden. So erkennen sie bildhaft, ob eine Spielstellung zu einem Endspiel führt, welches erst in 30 Zügen für sie vorteilhaft ist. Ein Schachprogramm wie Fritz ist dagegen nur in der Lage maximal 14 Halbzüge im voraus zu berechnen, dann wird der Raum der möglichen Stellungen zu groß. Das Problem des Menschen dagegen: In seinen langfristigen Plänen existieren oft kleine Unstimmigkeiten, um nicht zu sagen Fehler. Diese Fehlschlüsse erkennt ein Programm zu 100 Prozent, innerhalb seines Horizontes von 14 Halbzügen entgeht dem Programm keine Chance, keine Gewinnkombination und keine Verteidigungsmöglichkeit. Je komplexer die Partie wird, umso mehr Schwierigkeiten wird Kramnik demnach haben die Übersicht zu behalten, ein Problem, welches Fritz nicht in sich trägt. Für das Programm existiert keine Kategorie wie „kompliziert“, noch kennt es „brillante“ Züge. So wird vermutet, dass Kramnik taktisch interessanten Stellungen aus dem Weg gehen wird.

Wie immer das Treffen der Koryphäen des Schachsport ausgehen wird, die Möglichkeit Künstlicher Intelligenz (KI) ist damit nur am Rande berührt. Das einst hitzig diskutierte Schlagwort KI hat einiges von seiner Aufgeregtheit verloren und viel an Erdung gewonnen: In vielen Bereichen sind Rechner zu Leistungen fähig, die vom Mensch ausgeführt zweifelsohne Intelligenz erfordern. Man denke nur an Landungssysteme für Flugzeuge, Expertensysteme, die dem Arzt als Diagnosehelfer zur Seite stehen oder die wenig bekannten Theorem-Programme, die selbständig mathematische Beweise finden, selbst solche, die bis dahin noch nicht bekannt waren. Ob das als intelligent bezeichnet werden darf, darüber wird seit einem halben Jahrhundert vor allem deshalb gestritten, weil man sich nicht auf eine allgemein gültige Definition von Intelligenz einigen kann.

Bis in die 90er Jahre gingen die Protagonisten der klassischen KI ausgesprochen oder unausgesprochen davon aus: Sobald die künstliche Erzeugung von Höchstleistungen gelungen sei, würden alle anderen Probleme des täglichen Lebens weitgehend lösbar sein. Tatsächlich beschränken sich die Erfolge der KI aber auf gewissermaßen künstliche Problemstellungen. Ein Hochleistungsrechner mit Greifarmen ist nicht in der Lage die Schuhbänder zu einer Schleife zu binden. Das kann jedes Kind lange bevor es mathematische Beweise lernt. Unscharfe Informationen bleiben demnach die Crux der KI.

Fremdsprachenübersetzungen sind ein weiteres gutes Beispiel dafür: Wörterbücher und Grammatikregeln der Sprachen dieser Welt liegen vor, trotzdem sind die Ergebnisse von maschinellen Übersetzungen erbärmlich. Warum? Weil Programme keinen Sinn in den Sätzen erkennen. Bei Menschen läuft die Sinnsuche regelmäßig und vorgeschaltet mit. Eine lausige Handschrift erkennen wir daher, weil wir den Sinn des Satzes nicht nur von seinen Buchstabenkombinationen her angehen.

Frederic Friedel, der Kasparov bei dessen Wettkampf gegen „Deep Blue“ sekundierte, hält seinen Fritz trotz fehlender Intuition und Sinnsuche für geistreich. Das das Programm letztlich nur schnell addieren, subtrahieren und vergleichen kann ist für Friedel kein Zeichen von Stumpfsinn, denn für ihn ist Intelligenz allein an beobachtbares Verhalten geknüpft: „Wenn ein technisches Verhalten ununterscheidbar von menschlichem Verhalten in einer Situation ist, dann spricht alles dafür das auch intelligent zu nennen.“

Fritz selbst beteiligt sich zur Zeit noch nicht an der Diskussion um seinen Verstand. Wenn es für ihn gut läuft in Bahrain, muss er die Prozessoren ohnehin erst spät warm laufen lassen: Seine Eröffnungsbibliothek umfasst zur Zeit rund 2 Millionen Partien, mit etwas Glück zitiert er zunächst nur aus einer ihm bereits bekannten Partie und fängt erst ab dem zwanzigsten Zug zu „denken“ an.

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Künstliche Intelligenz

Rodney Brooks und die Maschinenmenschen

telepolis v. 07.05.2002

Tatsachen über Maschinen, Denkbarkeiten für Menschen

Für Rodney Brooks, den Primus der runderneuerten Künstlichen Intelligenz, funktioniert der Mensch zwar nicht mehr wie ein Computer, aber immerhin (wieder) wie eine Maschine.

„Nimm uns mit, Kapitain, auf die Reise“. Bei amerikanischen Steuermännern heuert man gerne an, sie bieten lockeres Lesevergnügen und unerschütterlichen Techno-Optimismus. Wenn dann auch noch Rodney Brooks ein Werk veröffentlicht, dann muss man zugreifen, schließlich ist der Mann der Reformator einer Disziplin, die trotz ihrer Fehlschläge von einer magischen Aura umgeben ist – der Wissenschaft von der Künstlichen Intelligenz (KI).

Cover
Ende der 80er Jahre zeigte die KI deutliche Anzeichen einer degenerierten Wissenschaft – zu hoch waren die geschürten Erwartungen gewesen menschliche durch elektronische Intelligenz ersetzen zu können. Die enormen Rechenleistungen ermöglichten zwar Erfolge bei Expertensystemen sowie Computern, die Schachweltmeister entnerven konnten. Beim Einsatz in der banalen Alltagswelt der Straßenüberquerungen und Häkelns scheiterten die artifiziellen Knechte aber gründlich. Warum? Dies fragte sich auch Brooks, der seit 1984 im Institut für künstliche Intelligenz am Massachusetts Institute of Technology (MIT) Roboter entwickelte und zunehmend frustriert darüber war, dass die Artefakte immer noch nicht in der Lage waren zügig eine Treppe zu überwinden und zum Einsammeln von ein paar Bauklötzchen Stunden brauchten.

Der verführerische Titel „Menschmaschinen“ ist Zugeständnis an den Markt, was das Werk zunächst interessant macht ist die Beschreibung der Geburtsstunde und Entfaltung der „Neuen KI“. Der damals revolutionäre Grundgedanke von Brooks: Will man intelligente Maschinen bauen, muss die Kopplung zwischen Wahrnehmung und Handlung möglichst eng gestaltet werden. Bis dahin war man davon ausgegangen, dass ein Roboter zunächst über ein inneres Weltmodell verfügen muss bevor er handeln kann. Brooks wollte diese „Kognitions-Box“, die bis dahin jeder für unabdingbar hielt, weglassen. Es entstand die Idee der „Subsumptionsarchitektur“. Damit ist eine Rechner- und Roboterarchitektur gemeint, in der die einzelnen Elementarverhaltennicht mehr in einer Zentraleinheit zusammengefasst werden, sondern unabhängig voneinander agieren. Das Verhalten des Gesamtsystems ergibt sich aus der Kommunikation der Subsysteme miteinander, die gemeinsam für gewisse Situationen bestimmte Interaktionsmuster ausführen. Brooks Ansatz findet seither in der Robotik immer mehr Anhänger.

„Ich war überzeugt – und bin es bis heute -, dass Intelligenzleistungen aus der Interaktion von Wahrnehmung und Handlung entstehen und dass in deren ausgewogener Implementierung auch der Schlüssel zur allgemeinen Intelligenz liegt.“

Allen, Genghis, Herbert – durch das gesamte Buch krabbelt die moderne Roboterforschung, immer unterhaltsam, immer verständlich. Zahlreiche Beispiele aus der Biologie helfen zu verstehen, dass Intelligenz einen realen Körper braucht, der mit der Umwelt interagiert ( Das Geheimnis der Intelligenz liegt nicht im Gehirn). Die klassische KI hatte bis dahin versucht, intelligente Maschinen zu bauen ohne Intelligenz verstanden zu haben und sie später in einer Mischung aus Verzweifelung und Übermut für intelligent erklärt.

Auf der ersten Overhead-Folie auf einem seiner Vorträge stand „THINK BIG“ und Brooks wäre nicht KI-Forscher am MIT, wenn er nicht versuchen würde, die vielfältigen Effekte der Robotertechnik auf das Leben der Menschheit in der Zukunft vorauszusagen. Es mutet seltsam an, dass ausgerechnet Brooks, dem die Probleme des Aufbaus komplexer Verhaltensweisen von Robotern bekannt sind, der Verschmelzung von Mensch und Maschine das Wort redet. Um das zu leisten, schlägt er einen Haken in ein Gebiet, in welchem er kein Experte ist – Nanotechnologie ist das Zauberwort.

Wenn man denn mosern will: An dieser Stelle bricht das Buch in die aus US-amerikanischen KI-Werken bekannten Hälften aus Science und Fiction auseinander. Dies gab schon den Büchern von Marvin Minsky, Hans Moravec und Ray Kurzweil in deutschen Buchhandlungen eine Chance und diskreditierte sie zugleich in der hehren europäischen Wissenschaftsgemeinde. Von der Überspanntheit des alten Dream-Teams ist Brooks weit entfernt, er sieht die Zukunft des Menschen nicht in der Auflösung im Reinraum des vom Fleisch befreiten Denkens. Die künftigen Revolutionen werden sich nach Brooks durch den Einzug von Kleinstmaschinen in den Körper ergeben. Gehörschnecken, Netzhautimplantate und andere elektronische Prothesen werden bald den Körper so vollständig bevölkern, dass die Unterscheidung zwischen Mensch und Maschine obsolet wird.

Aber die Maschinenwerdung ist nach Brooks nicht nur durch technische Evolutionen, sondern auch durch philosophische Erwägungen das Schicksal des homo sapiens. Weil der Körper aus Komponenten zusammengesetzt ist, die nach bestimmten – wenn auch noch nicht vollständig bekannten – Regeln interagieren, sind wir selbst Maschinen. Nachdem die klassische Künstliche Intelligenz die Computermetapher für den Menschen eingeführt hatte, geht Brooks wieder einen Schritt zurück. Dies ist nur folgerichtige Konsequenz seiner Sichtweise von KI, die auf einfachen Basisverhalten aufsetzt. Der Mensch, so Brooks, funktioniert zwar nicht wie ein Computer, aber immerhin wie eine Maschine.

Wenn man trotz aller Einwände aber jubeln will: Der gebürtige Australier stellt die Fragen der Zukunft schon heute – und er hat seine Antworten schon parat. Über die lässt sich streiten, aber genau das will Brooks ja. Ohne den empfindungslosen Impetus der Transhumanisten fordert er zur erneuten Reflexion über den menschlichen Bauplan auf. Und so bietet das Buch einen doppelten Einblick. Zum einen in die Labors einer Wissenschaft, die nach Jahren der Höhenflüge auf den Boden der Tatsachen zurück gekommen ist, zum anderen in die Weltanschauung einer Disziplin, die weiterhin auf dem schmalen Grat zwischen techno-evolutionärer Fortschrittsglauben und inhumaner Überwindung des Menschseins wandelt.
Rodney Brooks: Menschmaschinen. Wie uns die Zukunftstechnologien neu erschaffen. Frankfurt am Main, New York 2002, Campus Verlag, 280 Seiten. ISBN 3-593-36784-X. EUR 24,90

 

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Künstliche Intelligenz

Interview mit dem A. Bredenfeld vom AiS, RoboCup

Künstliche Intelligenz, Heft 3/2002 „

„Als Intelligenz würde ich das noch nicht bezeichnen““

Der Organisator der RoboCup German Open und Teamchef der kickenden Fraunhofer Robots, Ansgar Bredenfeld, spricht über die Funktionsweise autonomer Roboter, die Stärken und Schwächen seines Teams und die neuen Regeln beim RoboCup 2002.

Parallel zur Weltmeisterschaft der Fußballprofis in Japan und Korea findet in diesem Jahr eine Meisterschaft der kickenden Roboter statt. Der letzte Test der deutschen Teams unter Wettkampfbedingungen fand im April bei den „RoboCup German Open“ statt. Der Organisator der RoboCup German Open und Teamchef der kickenden Fraunhofer Robots, Dr. Ansgar Bredenfeld, sprach mit der KI über die Funktionsweise autonomer Roboter, die Stärken und Schwächen seines Teams und die neuen Regeln beim RoboCup 2002.

Fußballmeisterschaften der Roboter sind kein Freizeitvergnügen für Studenten mehr. Deutlichstes Zeichen für die Relevanz der Veranstaltungen ist wohl, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit einem Schwerpunktprogramm die Wissenschaft vom künstlichen Kicken fördert. Unter dem Titel „Kooperierende Teams mobiler Roboter in dynamischen Umgebungen“ (DFG-Schwerpunkt 1125 „RoboCup“) stehen sechs Millionen Mark für die teilnehmenden Universitäten und Forschungsinstitute zur Verfügung.

Fußball Bot der Middle-Size

KI: Die Roboter des AiS gelten als verhaltensbasierte Systeme. Was ist der Unterschied zum klassischen Ansatz in der Künstlichen Intelligenz?

Im Gegensatz zu einem klassischen Ansatz zur Bewegungskontrolle des Roboters, bei dem Pfade auf der Grundlage eines symbolischen Modells der Welt geplant werden, die dann in Steuerkommandos für die Roboterbewegungen umgesetzt werden, benutzen wir einen verhaltenbasierten Ansatz. Dieser Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass der Roboter direkt auf seinen sensorischen Input reagiert und dann eine geeignete Aktion auswählt. Eine durch eine Sensorinformation ausgelöste Aktion ändert die Lage des Roboters in der Welt, wodurch sich wieder die Sensorinformation ändert. Diese senso-motorische Rückkopplung schließt einen Regelkreis direkt über die Umwelt, deren Veränderung natürlich nicht exakt vorausberechnet werden kann. Schon gar nicht, wenn es sich um eine hochdynamische Umwelt handelt. Durch den Nicht-Determinismus der Umwelt kann es auch zu komplexen Überlagerung von Verhalten kommen, so dass „scheinbar“ ein Gesamtverhalten entsteht, dass der Programmierer so nicht von vornherein für den Roboter vorgesehen hat. Auch kann das Gesamtverhalten des Roboter durchaus bewirken, dass der Betrachter absichtliche Aktionen unterstellt, die so nicht vom Programmierer des Roboters vorgesehen waren. Dann spricht man dem Roboter leicht mehr zu, als in ihm tatsächlich einprogrammiert worden ist.

KI: Vor allem, aber nicht nur Kinder unterliegen diesem Animismus.

Ja. Wir haben bei den Spielen viele Kinder unter den Zuschauern, die enorm an den Robotern interessiert sind. Gerne versuchen sie den Robotern zu zeigen, wo der Ball ist. Unsere Robots sind zum Beispiel so konstruiert, dass sie ständig den Ball fixieren, und wenn sie ihn nicht sehen, dann kreist die Kamera so lange, bis sie in wieder gefunden haben. Wenn ein Ball an ihnen vorbeiläuft, dann folgt die Kamera dem Ball. Das führt bei Kindern offenbar dazu, den Roboter als etwas zumindest kommunikationsfähiges anzusehen.

KI: Sie würden ihre Roboter also nicht als intelligent bezeichnen?

Würde die visuelle Ballverfolgung nur auf dem Bildschirm stattfinden, würde kein Hahn danach krähen. Aber weil das Programm in einem Roboter verkörpert ist, kann diesem Programm leicht mehr unterstellt werden als softwaretechnisch zu rechtfertigen ist. Dabei führen unsere Roboter lediglich in Abhängigkeit des Sensorinputs zielgerichtete Aktionen in koordinierter Weise aus, aber als Intelligenz würde ich das noch nicht bezeichnen.

KI: Warum nutzen Sie zunächst eine PC-Simulation für die Aktionen des Roboters?

Experimente mit realen Robotern sind sehr zeitaufwendig. Wir müssen ins Robotik-Labor gehen, die Roboter vorbereiten und dann schließlich die Experimente durchführen. Die Simulation dagegen kann sehr einfach im Büro am PC durchgeführt werden. Besonders wichtig ist die Simulation dann, wenn das Roboterprogramm lernen soll. Hierfür sind sehr viele Experimente notwendig, die in der Simulation automatisch, z. B. über Nacht, durchgeführt werden können. Wichtig ist dabei natürlich eine möglichst große Realitätsnähe des Simulators, damit die Simulationsergebnisse auch aussagefähig für die Realität sind. Wir haben schon sehr früh angefangen, einen Simulator zu bauen. Mit ihm entwickeln wir die Programme für die späteren Bewegungsabfolgen auf dem Spielfeld. Wenn die Roboter in der Simulation sinnvoll agieren, dann überspielen wir das Programm auf den echten Roboter und gehen aufs Feld. Dort optimieren wir dann die Parameter.

KI: O.k. der Roboter steht auf dem Spielfeld. Wie werden nun die Informationen der verschiedenen Sensoren koordiniert?

Ein einfaches Beispiel: Wenn ein Hindernis von den Infrarot-Sensoren erkannt wird, löst dies in der Regel eine Ausweichbewegung des Roboters aus. Wenn allerdings beim Roboterfußball als Hindernis der rote Ball erkannt wird, muss die Information der Infrarot-Sensoren anders interpretiert werden. An dieser Stelle wird die Information von zwei Sensoren – der Kamera und die Infrarotsensoren – zusammen betrachtet und durch die Kombination ergibt sich dann gewissermaßen eine höherwertige Information, die zu einer anderen Bewegungsentscheidung führt.

KI: Welche Sensoren nutzen sie noch, um die Roboter auf dem Spielfeld autonom agieren zu lassen?

An den Rädern zählen wir, wie oft sie sich drehen. Zudem haben wir einen Winkelgeschwindigkeitsmesser mit dem wir die Orientierung auf dem Spielfeld berechnet. Dann haben die Roboter noch Bumper-Sensoren, so dass sie merken, wenn sie irgendwo anstoßen. Im Spiel muss man nämlich zeigen, dass man sich nach einer Kollision entfernt, sonst läuft man Gefahr für ein Foul angezeigt zu werden. Zusätzlich haben unsere Roboter Infrarot-Abstandssensoren direkt nach vorne und nach vorne seitlich im 45 Grad Winkel ausgerichtet sind. Das sind unsere Sensoren zur Hindernisvermeidung, insgesamt also eine minimalere Sensorausstattung im Vergleich beispielsweise zum amtierenden Weltmeister-Team aus Freiburg, das einen Laserscanner benutzt, mit dem der Raum vor dem Roboter sehr fein abgetastet wird.

KI: Der Spieler sieht den Ball und der Ball muss ins Tor. Wie geht er vor?

Erst einmal muss er wissen, wo er ungefähr steht. Im Prinzip versucht er dann unter Hindernisvermeidung den Ball ins Tor zu bringen. Je nachdem wo er steht, wo die Gegner stehen, wo das gegnerische Tor steht und wo der Ball ist, ergeben sich da unterschiedlichste Spielsituationen. Diese unterschiedlichen Situationen werden erkannt und aktivieren gewisse Grundverhalten. Wenn der Roboter hinter dem Ball steht, dann muss er beispielsweise erst vor den Ball fahren, um ein Tor zu schießen. Wenn er den Ball vor dem eigenen Tor sieht, dann springt ein Verhalten an, welches den Schuss eines Eigentores vermeidet. Oder: Wenn das gegnerische Tor und der Ball in einer Linie sind, dann gibt es ein Verhalten, welches instruiert „Beschleunigen, dann schießen“. Es existieren also viele kleine Elementarverhalten, welche eine bestimmten Aufgabe erfüllen sollen und den Motor entsprechen ansteuern. Die kann man isoliert betrachten, programmieren und testen. Sie sind gewissermaßen unsere Bausteine, unser Vokabular, um komplexere Verhalten zu komponieren.

KI: Wie lassen sich die unterschiedlichen Elementarverhalten kombinieren?

Eine rein sequentielle Ausführung der Grundverhalten würde zu roboterhaften, sehr abgehackten Bewegungen führen. Das liegt am abrupten Umschalten zwischen verschiedenen Aktionen. Durch Sensorrauschen kann es hierbei zu Oszillationen zwischen Verhalten kommen, wenn der Roboter sich zum Beispiel nicht zwischen Hindernisvermeidung und Torschuss entscheiden kann. Das ist ein Nachteil einer rein sequentiellen Ausführungen und Umschaltung von Elementarverhalten. Wir gehen deshalb anders vor: Den Elementarverhalten wird eine graduelle Aktivierung zugeordnet, das heißt, wenn die Elementarverhalten parallel laufen, dann ist eines beispielsweise nur zur Hälfte aktiviert, eines ist ganz ausgeschaltet, eines ist vollständig aktiviert. Jedes der Verhalten steuert auf diese Weise einen Teil zum Gesamtverhalten bei.

KI: Und wie viele Elementarverhalten agieren in ihren Robotern?

Die Zahl der Elementarverhalten liegt derzeit deutlich unter 100. Die Kombination von sehr vielen Verhalten stellt hierbei generell ein Problem dar, da unterschiedliche Elementarverhalten zu unterschiedlichen Anteilen miteinander kombiniert werden. Langfristig wünschen wir uns, dass wir mindestens einen Teil der hierfür notwendigen Parameter mit automatisierten Lernverfahren ermitteln können.

KI: Ihre Roboter sind über Funk-LAN miteinander verbunden. Was tauschen die Spieler untereinander aus?

Die relative Lage des Roboters zum Ball, also Abstand und Winkel, wird transparent im Team verteilt. Wenn gestürmt wird, dann kann so der Roboter zum Ball fahren, der am nächsten dran ist. Das macht man im richtigen Fußball ja auch nicht komplett anders. Wir versuchen aber auch, den Roboter so zu programmieren, dass er alleine in der Welt zurecht kommt. Wenn er mit den anderen kommunizieren kann, ist das allerdings ein Vorteil, das Gesamtsystem bricht aber nicht zusammen, wenn die Kommunikation zwischen den Robotern ausfällt, was bei den Turnieren keine Seltenheit ist.

KI: Können aus der Abwehr Pässe nach vorne geschlagen werden?

Das gezielte Passen ist bisher nur selten mal einem Team gelungen. Da gibt es bisher nur Ansätze. Was wir aber schon sehen ist die gezielte Nutzung der Bande für Torschüsse.

KI: Gibt es Taktiken? Stellen Sie Ihre Roboter auf den Gegner ein?

Wir entscheiden beispielsweise je nach Lage, ob wir mit einem oder zwei Stürmern spielen. Diese Taktik ist relativ einfach zu implementieren und zeigt im Spiel schon unerwartet gute Effekte. Was das Positionsspiel angeht, verfahren wir so, dass ein Roboter, wenn er länger den Ball nicht sieht, in die Abwehr oder an eine vorbestimmte Spielfeldposition zurückfährt.

KI: Spielt Antizipation in den Aktionen eine Rolle?

Da haben wir vor zwei Jahren ein interessantes Experiment durchgeführt. Im Simulator haben wir ein Neuronales Netz auf die Information trainiert, ob der simulierte Roboter in nächster Zeit den Ball verlieren wird. Wenn er das merkt, dann kann er eine Aktion ausführen, in unserem Test zum Beispiel den Ball wegschießen. Bei der Weltmeisterschaft in Melbourne haben wir das auch am echten Roboter ausprobiert und es hat sich schon gezeigt, dass er in aussichtlosen Situationen den Ball tatsächlich geschossen hat.

KI: Wie weit lässt sich ihr Team von dem menschlichen Fußballspiel stimulieren? Welche Übertragungsmöglichkeiten gibt es?

Das man aus dem richtigen Fußballspiel Elemente herausgreift, dass kommt bei uns in der Liga eher noch nicht vor. In der Simulationsliga, wo komplette simulierte Fußballmannschaften gegeneinander antreten, da schaut man schon auf Aufstellungen und bedient sich taktischen Wissens aus der Fußballszene.

KI: Können Ihre Roboter lernen?

Ein Lernsystem haben wir zur Zeit noch nicht an Bord, wir arbeiten aber auf der Ebene des Motor-Controllers daran. Je nach Situation reagiert der Roboter auf Fahrkommandos sehr unterschiedlich. Die Gewichtsverteilung auf dem Roboter, die daraus resultierenden Trägheitsmomente, die Reibung der Räder, die Charakteristik der Motoren in verschiedenen Lastsituationen sind Dinge, die man nur schwer kalkulieren kann. Der Roboter soll daher lernen – je nach aktueller Fahrtsituation – durch Über- oder Gegensteuern die gewünschte Geschwindigkeit und Rotation bestmöglichst zu erreichen.

KI: Woran arbeiten sie momentan? Was sind die kommenden Aufgaben?

Beim jetzigen und den zukünftigen RoboCup-Wettbewerben in unserer Liga wird es keine Bande mehr als Spielfeldbegrenzung geben. Darum müssen wir die Bildverarbeitung gründlich überarbeiten. Die Eckfahnen werden in Zukunft farbig markiert sein, daran werden sich die Roboter neben den farbigen Toren orientieren müssen.

KI: Mit vielen Leuten arbeiten sie am Projekt RoboCup?

Der RoboCup ist für uns eine Demonstrationsanwendung, an der wir unsere Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der autonomen mobilen Roboter erproben können. Beispielsweise ist unsere Entwicklungsumgebung nicht spezifisch für den RoboCup entworfen worden, sondern lässt sich auch für andere Robotersysteme einsetzen, konkret in einem Projekt, in dem es um den Einsatz von mobilen Robotern in der Produktion geht. Daran arbeiten zur Zeit drei Leute. Im Schnitt arbeiten dann drei bis vier Leute an den Robotern, wobei die immer auch in anderen Bereichen tätig sind.

KI: Mittlerweile genießt der RoboCup eine steigende öffentliche Aufmerksamkeit. Führt das zu mehr Konkurrenzdenken unter den Teams?

Generell ist die Atmosphäre beim RoboCup kooperativ geprägt und stellt den wissenschaftlichen Austausch in den Vordergrund. Parallel zum RoboCup findet so immer ein Symposium statt, auf dem die neuesten Erkenntnisse der Teams vorgestellt werden. Man lässt die anderen Mannschaften durchaus in die eigenen Karten schauen. Unter den Teams bestehen zum Teil sogar gute Kontakte und man hilft sich bei technischen Problemen.

KI: Bleibt in Hinsicht auf den RoboCup nur noch die Frage, wer dieses Mal Weltmeister wird? Wieder das Freiburger Team?

Das ist tatsächlich eine interessante Frage. Da die Bande nicht mehr vorhanden sein wird, fällt ein wichtiger Vorteil für den amtierenden Weltmeister aus Freiburg weg. Diese orientierten sich bislang mithilfe ihrer Laserscanner an den Banden und konnten so ein recht komplettes symbolisches Weltmodell in ihren Robotern mitführen auf dem Spielzüge geplant werden können. Für sie stellt sich die Aufgabe, nur anhand der Tore und Eckfahnen rauszufinden, wo sie genau sind. Bandenschüsse wird es zudem ebenfalls nicht mehr geben. Die Karten werden also neu gemischt und ich halte daher das Turnier für offen.

KI: Um etwas theoretischer zu werden: Die KI-These des Embodiment, der körpergebundenen Intelligenz, hat sich von der Symbolverarbeitung verabschiedet. Wie arbeiten symbolische Planungsprozesse und nicht-symbolischen Reaktionsmechanismen zusammen? Wie passen Verkörperung und Symbolverarbeitung zusammen?

Wir haben momentan zwar noch keine Planungskomponenten auf den Robotern, es gibt aber vielfältige Überlegungen dazu, wie man unsere reaktive verhaltensbasierte Architektur mit deliberativen Planungsprozessen zusammenbringen kann. Das Auffinden und Definieren geeigneter Schnittstellen zwischen diesen beiden Aspekten ist derzeit ein interessantes Forschungsthema.

KI: Ist das von AiS entwickelte „Dual Dynamics“ eine Lösung? Was muss man sich darunter vorstellen?

Dual Dynamics beschreibt eine Architektur von Verhaltensmodulen und deren Zusammenwirken bei der Steuerung eines Roboters. Ein Verhaltensmodul besteht aus zwei Teilen: einem Teil, der berechnet, inwieweit das Verhaltensmodul in der augenblicklichen Situation aktiviert wird und Einfluss auf das Gesamtverhalten des Roboters nehmen soll, und einem anderen Teil, der berechnet, welche Kommandos an die Motoren geschickt werden sollen. Diese Trennung und die zugrundeliegende Mathematik, die aus der Theorie dynamischer Systeme kommt, haben uns bei der Realisierung unserer Verhaltensprogramme sehr geholfen.  Für die Kopplung mit einer Planungskomponente versuchen wir Aktivierungsmuster auszunutzen. Ein Aktivierungsmuster ist immer auch eine Abstraktion einer Sequenz von Situationen, die der Roboter durchläuft. Wenn ich die Sensorinformation komplett auswerten wollte, um darauf eine Planung herzuleiten, dann gerate ich in einen riesigen Parameterraum. Aber die aus der Sensorinformation abgeleitete Aktivierung von bestimmen Elementarverhalten ist ein Abstraktionsschritt, der mir eine Repräsentation von Situationen liefern kann, in denen sich der Roboter gerade befindet. Hierbei wird nicht versucht die Welt im Roboter symbolisch „nachzubauen“, sondern es existiert eine gewisse Roboterbezogene Innensicht. So ist der Roboter – wenn man es denn so formulieren will – in einer gewissen „Stimmung“ ein Tor zu schießen und dabei einem Hindernis auszuweichen. Was das für ein Hindernis ist und wo ich mich auf dem Spielfeld befinde, bleibt dabei relativ egal.

KI: Spielt die Natur eine Vorbildrolle für ihre Arbeit?

Sicher, gerade bei der Verhaltenssteuerung und der Bildverarbeitung. Wir werden sicher nicht ein Bild nehmen und eine komplette Symbolextraktion versuchen, so viel Rechenzeit haben wir auf dem Roboter nicht verfügbar. In der Bildverarbeitung ist es aussichtsreicher nur auf die Merkmale im Bild zu achten, die für die aktuell aktiven Verhalten von Bedeutung sind. In einem Forschungsprojekt des DFG-Schwerpunktprogrammes „RoboCup“ untersuchen wir derzeit biologisch inspirierte Bildverarbeitung und überprüfen unter anderem, inwieweit sich analoge Bildverarbeitungschips in Robotern einsetzen lassen. Auch bei diesen neuartigen Sensoren stand übrigens die Natur Pate.

KI: Wenn Sie schon ihrem Roboter keine Intelligenz zuschreiben wollen, dann ist ein Schachprogramm für Sie erst recht unintelligent?

Das Schachspiel besitzt klar definierte Zustände und Operationen in einer statischen und vollständig bekannten Umgebung. Darauf können existierende Verfahren der Computerprogrammierung relativ einfach angewandt werden. Ganz anders ist dagegen unsere Umgebung im Alltag: wir handeln zum Teil in zeitkritischen Situationen auf grund von unsicheren Sinneseindrücken. Diese „Alltags-Intelligenz“ ist symbolbasierten Computersystemen nur schwer beizubringen und das Schachspiel hat damit natürlich gar nichts zu tun.  Anders verhält es sich hier mit dem RoboCup. Autonome technische Systeme scheitern zwar momentan noch in komplexen dynamischen Umgebungen, aber der RoboCup ist sicher der richtige Weg um schrittweise den Anteil natürlicher Umwelt und die Dynamik zu erhöhen. Wenn in den nächsten Turnieren die Bande fällt, dann wird es schwieriger für die Roboter, aber das ist ja auch Sinn der Übung: Das Szenario soll schrittweise immer realistischer werden. Aber bis zum Roboterteam, das gegen den amtierenden Weltmeister gewinnen kann, oder zum Roboter, der uns in der Fußgängerzone unsere Einkäufe hinterher trägt, ist es sicher noch ein weiter und steiniger Weg.

KI: Was ist denn für Sie das Kernkriterium für Intelligenz?

Intelligenz wäre für mich gegeben, wenn der Roboter von sich aus Voraussagen über das Verhalten seiner Mitspieler und Gegner macht. Das wäre eine beeindruckende Leistung.

Das Interview führte Jörg Auf dem Hövel. Vom ihm erscheint im Herbst 2002 ein Buch unter dem Titel „Abenteuer Künstliche Intelligenz. Auf der Suche nach dem Geist in der Maschine“ im discorsi Verlag.

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Der Pulsschlag des Prozessors

Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21.03.2000

 

Im Silicon Valley ist mit „The Tech“ das Denkmal des Informationszeitalters entstanden

Im Herzen von San José, 60 Kilometer nördlich von San Francisco, hat sich das Silicon Valley ein Denkmal seiner selbst gesetzt. Auf drei Etagen entstand ein Museum der jüngsten Vergangengeit – hier wird das technische Zeitalter gepriesen. Bescheidener Name des Ende 1998 eröffneten Baus: The Tech.

Der Besucher spielt mit all dem, was draußen im Tal täglich erfunden wird. Die Leitung legt Wert auf das interaktive Erfahren, die meisten der Ausstellungsstücke sind bedienbar – ob die virtuelle Bobfahrt durch den Eiskanal, der nachgebaute Reinraum zur Chipherstellung oder das digitale Studio, in dem der Gast sich filmt und später zusammen mit Superman seine Runden fliegt. Spielerisch soll das vor allem junge Publikum den Zugang zur Welt der Prozessoren erhalten, um so Technik-Ängste erst gar nicht entstehen zu lassen.

the techPeter B. Giles, Präsident und CEO des The Tech ist sich seines erzieherischen Auftrags bewußt: „Unser Ziel ist es, nicht nur zu informieren und zu unterhalten, sondern zum Denken anzuregen und den Entdecker in jedem zu wecken. Vor allem wollen wir der jungen Generation ihr Verhältnis zur Technik zu zeigen.“ Die immer intimer werdende Beziehung zwischen Mensch und Maschine sieht Giles positiv. „In Zukunft werden wir anders arbeiten, spielen und lernen“, ahnt er und fügt hinzu, „das wird alle Lebensbereiche betreffen“. Die Techno-Generation soll sich ihre Welt erschaffen, finanziert wird sie dabei von den Urvätern des Fortschritts. Über 500 Firmen aus dem Silicon Valley haben sich an dem 113 Millionen Dollar Projekt beteiligt, die Kosten belaufen sich auf 11 Millionen Dollar jährlich.

Brad Whitworth von Hewlett-Packard folgt der Religion des digitalen Tals. Er ist bei dem Computer-Giganten für den reibungslosen Übergang ins nächste Jahrtausend zuständig. Als „Y2K-Manager“ muß er dafür sorgen, daß auf dem Globus am 1. Januar 2000 alle Hardware-Produkte seiner Firma ohne Murren hochfahren. Ob PCs, Drucker oder komplexe Anlage zur chemischen Analyse; die Produktpalette von HP ist breit und überall kann der Fehlerteufel sitzen. Der heiße Stuhl, auf dem Whitworth sitzt, läßt in äußerlich kalt. „Das Jahr 2000 ist der erste große Test, ob die Technik der Feind oder der Freund der Menschheit ist“, polarisiert Whitworth. Er ist sich schon jetzt sicher, alle Eventualitäten des Elektro-Kollaps ausgeschlossen zu haben und damit erneut zu bestätigen, was für jeden im Tal eh schon feststeht: Die Technik ist der Segen der Zivilisation. Die Silvester-Nacht will Whitworth in aller Ruhe am heimischen Kamin verbringen, sie ist für ihn schon jetzt eine gelöste Aufgabe, nie ein Problem gewesen, schon Vergangenheit. Seine Gedanken richten sich in die nahe Zukunft, deren Basis er jenseits der elektronischen Informationsverarbeitung sieht, in der Biotechnologie. „Das wird der nächste Sprung in der Geschichte der Technologie.“ Whitworth verkörpert den Idealtypus der amerikanischen Info-Elite: Schnell, zielstrebig und immer auf der Suche nach dem nächsten Hype.

Das Kapital in der High-Tech Area war noch nie darum verlegen, ständig lukrativen Chancen wahrzunehmen, sich selbst zu vermehren. Im vergangenen Jahr investierten Risikokapitalgeber 3.3 Milliarden Dollar in junge, aufstrebende Unternehmen, die Hälfte davon in Software- und Internetfirmen. Aber die Realität der sattsam bekannten Bilderbuchkarrieren ist für die Menschen nicht immer rosig. Zwar entstehen noch immer 20 Firmen in der Woche und ebenfalls wöchentlich geht ein Unternehmen aus dem Valley an die Börse, der Preis dafür sind aber enorme Belastungen für alle Beteiligten.

„Sie sind besessen, sie denken nur an ihr zauberhaftes Design oder ihr magisches Produkt“, erinnert sich Miroslaw Malek, Professor für Informatik an der Humboldt-Universität zu Berlin, der einen mehrjährigen Forschungsaufenthalt im Silicon Valley verbrachte. Aus Sicht eines Europäers mutet die Arbeitsethik im High-Tech-Zentrum der USA grotesk an. 12 bis 18 Stunden täglich und das sieben Tage in der Woche sind durchaus üblich, die Firmen sind rund um die Uhr besetzt, der hauseigene Babysitter sorgt für den Nachwuchs, das Fitnesscenter für den Körper. Und wenn es mal wieder zu lange gedauert hat, stehen sogar Räume zum Übernachten bereit. Die Trennung von Arbeit und Privatleben existiert im Tal der Chips nicht, nur so ist es auch zu erklären, daß die Scheidungsrate in der Region bei über 60 Prozent liegt.

Im Museum The Tech
In der Museums-Gallerie herrscht mittlerweile Hochbetrieb. Sechsklässler aus einer Schule in San José haben den Chat-Raum entdeckt und suchen gerade ihre virtuellen Stellvertreter für die Kontaktaufnahme via Internet aus. Eine Comic-Figur wird dazu am Computer mit Charaktereigenschaften ausgestattet und betritt danach den Chat-Raum. Mike hat sich einen rüstungsbewehrten Ritter als alter ego ausgesucht und surft nun fast unschlagbar durch die neue Welt. „Dort kann ich mich mit anderen Jungs treffen und über die neuesten Computer-Spiele reden“, sagt Mike begeistert und wendet sich wieder schnell dem Monitor zu, um im laufenden Dialog nicht den Faden zu verlieren. Auch seine Klassenkameraden spielen begeistert an ihrem Übergang in den Cyberspace. „Die Kinder sind schier verrückt danach“, erklärt Kris Covarrubias vom Museum.

Die fortschreitende Verschmelzung von Technik und Körper wird ein paar Meter weiter verdeutlicht. Ein Ultraschallgerät zaubert den inneren Aufbau der Hand auf einen Bildschirm – die Weichteile, die Knochen und der Fluss des Blutes werden sichtbar. Was sonst werdende Müttern begeistert, ist hier für jeden nachvollziehbar: Der Blick in den Organismus. Im nächsten Raum ist eine Thermokamera unter der Decke installiert. Sie zeigt dem Betrachter die Hitzeausstrahlung des eigenen Körper – freiliegende Teile wie Kopf und Hände strahlen rot, während die gut isolierten Füße im Dunklen bleiben. Über 250 interaktive Ausstellungsstücke bilden in The Tech ein Konglomerat von elektronischen und mechanischen Geräten. Alle zeigen, daß die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, daß Human-Tech-Interface, immer besser funktioniert. Und die Firmen des Tals arbeiten mit Hochdruck daran, daß diese Affäre noch inniger wird.

Eine Gruppe von Asiaten taucht im Raum auf und bestaunt den perfekt simulierten Operationsroboter, der in der Praxis künstliche Adern in den Patienten einsetzt. „Mehr Geschwindigkeit, weniger Kosten“, stellt ein Mann fest. Was wie die Strategie eines Amphetaminhändlers klingt, ist in Wahrheit die praktizierte Maxime des Tals. Nur wer mit ständig neuen Produkten den Markt sättigt oder erst schafft überlebt. Indes hat sich die enorme Geschwindigkeit der Produktionszyklen vollends auf den Lebensrythmus der Menschen im Tal übertragen.

the tech

John DiMatteo hat sich der Abhängigkeit entzogen. Mit Ruhe genießt er das Essen beim Chinesen und erzählt: „Früher ging mir das genauso wie allen anderen im Silicon Valley. Ich habe am Tag 18 Stunden gearbeitet, am Wochenende Unterlagen mit nach Hause genommen und Nachts von der Arbeit geträumt. Freizeit gab es für mich nicht.“ Früher für den Elektronikkonzern ITT tätig, verdient DiMatteo heute bei Read-Rite, dem weltgrößten Hersteller von Leseköpfen für Festplatten, als Direktor der Unternehmenskommunikation sein Brot. Auch er kennt die Sehnsucht, die den Tellerwäscher zum Millionär werden läßt. „Es sind Visionäre und Träumer, die hier im Tal in einer Garage eine Firma gründen. Und wenn sie beim ersten Mal mit ihrer Idee scheitern, versuchen sie es halt wieder. Es klingt abgedroschen, aber hier kann es jeder schaffen.“ Die Idee, die hinter dieser Kraft steckt, bringt DiMatteo auf eine einfache Formel. „Es geht nur um zwei Dinge: Geld und Macht“, sagt er und bricht dabei den chinesischen Glückskeks auf, der zum Dessert gereicht wird: „Nutze die günstige Gelegenheit um Deine Karriere zu fördern.“

Trotzdem die Region im Ruf der jungen Entrepeneure steht, ist die Zahl der gescheiterten Existenzgründungen hoch. Rund die Hälfte der Unternehmen überleben den Kampf auf dem Markt, der Rest geht nach spätestens einem Jahr pleite. Das „Silicon Valley Network“, eine Non-profit Gesellschaft, welche die wirtschaftliche Entwicklung des Bezirks seit Jahrzehnten beobachtet, zählte im letzten Jahr genau 92 Firmen, deren Entwicklung sie als „kometenhaft“ einstufte. Dies bedeutete gegenüber dem Vorjahr zwar eine Steigerung um knapp 40 Prozent, zugleich nahm aber 1998 die Rate der exportierten Waren seit 1990 das erste Mal ab. Die Asienkrise zeigte hier ebenso Wirkung wie das Verlangen des Computer-Marktes nach immer mehr Leistung zu niedrigeren Preisen. Die soziale Schere klafft zudem im Silicon Valley von Jahr zu Jahr weiter auseinander. Während Manager und Softwareentwickler zwischen 1991 und 1997 eine Einkommensteigerung von 19 Prozent verbuchen konnten, nahm das Einkommen der Arbeiter um 8 Prozent ab. Ein leitender Angestellter verdiente 1997 somit etwa 130 Tausend Dollar, ein Arbeiter nur 34 Tausend Dollar im Jahr. Der Bericht des „Silicon Valley Network“ drückt es vorsichtig aus: „Nicht alle Einwohner partizipieren an der guten Wirtschaftslage.“


The Tech

Vier Themengallerien führen durch The Tech.


(1) Lebenstechnik: Die menschliche Maschine. Medizinische Technologie rettet Leben und erweitert die menschlichen Fähigkeiten.

(2) Innovation: Silicon Valley und seine Revolutionen. Chipherstellung, das eigenen Gesicht als 3-D Animation mit Farblaserausdruck, Design einer Achterbahn mit anschließender Fahrt.

(3) Kommunikation: Globale Verbindungen. Die persönliche Homepage in fünf Minuten im Netz, Cyberchat mit der Welt, das digitale TV-Studio.

(4) Erforschung: Neue Grenzen. Ein steuerbares Unterwassermobil, ein Mondfahrzeug, eine Erdbebensimulation.

Adresse: 201 S. Market Street San Jose, CA, USA Tel: 001 – 408 – 795 – 6100 Fax: 001 – 408 – 279 – 7167 http://www.thetech.org

Silicon Valley

In dem kleinen Tal 60 Kilometer nördlich von San Francisco drängen sich die großen der IT-Branche. Die 7000 Soft- und Hardwarefirmen rekrutieren ihre jungen Mitarbeiter aus den nicht weit entfernten Universitäten Stanford und Berkeley. Intel, der Prozessorgigant, der noch immer fast 80 Prozent der PCs auf dem Globus mit Chips besetzt und Hewlett-Packard, die nach IBM umsatzstärkste Computerfirma der Welt sitzen hier ebenso wie Apple, Sun und Silicon Graphics. Netzwerkhersteller Cisco, 3Com, Bay Networks beherrschen den Markt, die drei größten Datenbankentwickler Oracle, Sybase und Informix haben ebenfalls im Silicon Valley ihren Hauptsitz. Aber auch die Internetfirmen wie Netscape und AOL betreiben vom digitalen Tal aus ihre weltweiten Geschäfte. Das Einkommen liegt um 55 Prozent höher als im Rest der USA, mit weniger als 100 Tausend Dollar im Jahr braucht hier kein Software-Entwickler nach Hause gehen.