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Interview mit Jon Hanna über die neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der unerforschten Substanzen

HanfBlatt, November 2004

Jon Hanna ist Autor und Herausgeber der „Psychedelic Resource List“, die nun in ihrer vierten Auflage erschien, einem Kompendium psychedelischer und halluzinogener Substanzen. Im Gespräch geht es um die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der psychoaktiven Substanzen, den ethnobotanischen Kräutermarkt und – wie so oft bei US-Amerikanern – den „Krieg gegen Drogen“.

Frage:
Als langjähriger Autor im Bereich der psychedelischen Substanzen hast du Zugang zu aktuellen Forschungsergebnissen. Was sind die relevanten Entdeckungen im wissenschaftlichen Studium der so genannten „research chemicals“, der „forschungsoffenen Substanzen“?

Hanna:
Die Bezeichnung „research chemicals“ bezieht sich meist auf Tryptamine und Phenethylamine, die nicht spezifisch im Betäubungsmittelgesetz der USA stehen. Während Drogen wie Meskalin oder Psylocybin verboten sind, stehen vergleichbare Substanzen wie 2C-I und 4-AcO-DET noch nicht auf der Liste der illegalen Drogen. Diese Substanzen sind zwar verboten, aber eben nur, wenn jemand sie für den Konsum verkauft oder sie jemand nutzt, um davon High zu werden. Es ist eine seltsame Art von Graubereich. Diese Chemikalien können zu Forschungszwecken genutzt werden, aber nicht, wenn die Erprobung das High-Werden beinhaltet.

JonHannaDie US-Regierung geht nicht besonders hart gegen diese Substanzen vor. Warum, denkst du, greift der Staat hier nicht stärker durch?

Um ehrlich zu sein, bin ich selber überrascht, dass die Behörden die vertreibenden Firmen nicht aggressiver verfolgt. Wahrscheinlich befindet sich die DEA (Drug Enforcement Administration) in einer Datenerfassungsphase und beobachtet diejenigen, der in diesem Bereich verkaufen oder kaufen. Jedoch ist dies nicht das ganze Bild: Einige dieser Substanzen sind nicht besonders interessant, andere haben frappante Nebenwirkungen. Diese beide Tatsachen führen zu einem geringen Verbreitungspotenzial, der Grund zum Durchgreifen ist also gering. Aber hin und wieder wird eben doch eine Substanz entdeckt, die der Masse als „neue“ Form von Ecstasy (MDMA) verkauft werden kann.

Was mit 5-MeO-DIPT geschah.

Exakt. Diese Substanz kam sogar zur Ehre eines Berichts im „Playboy“, mit dem Fokus auf die aphrodisierenden Eigenschaften. „Foxy Methoxy“, wie es gerne genannt wird. Dort, zwischen den Seiten mit nackten Frauen, ist ein Bild von Sasha Shulgin, wie er in einer Phiole irgendwas braut! Wenn eine „neue“ Substanz viel Aufmerksamkeit von der Mainstream-Presse erfährt oder wenn die Raver-Szene darauf einsteigt, dann wird die Chance erheblich größer, dass sie kurz darauf verboten wird. Momentan ist mir kein solcher Hype bekannt. Es gibt jedoch ständig Fortschritte, immer vorangetrieben von denen, die gerne damit experimentieren. Jüngst wurde der Effekt einer pharmazeutische Ketamin-Creme entdeckt, die als schmerzstillende Salbe verschrieben wird. Als Einlauf genommen führt diese Salbe zu ähnlichen Effekten wie die intramuskuläre Injektion.

Hui, das klingt nach der großen Hafenrundfahrt. Und was tut sich im Untergrund bei der Erforschung der entheogenen Pflanzen?

Vor kurzem sind einige einfache Extraktionsprozesse, die durch jeden Küchenchemiker oder Keller-Schamanen durchgeführt werden können, veröffentlicht worden. Darunter war die Extraktion von Psilocybin und Psilocin. Mit 140 Proof-Äthanol und einem Prozess von Extraktion, Abkühlung, Dekantieren und Einfrieren kann ein relativ reines Puder hergestellt werden. Yachaj Paye berichtet davon in der Herbstausgabe der „Entheogen Review“.
Obwohl die Erforschung von „Salvia Divinorum“ keine Untergrundtätigkeit im engeren Sinne ist, da der Gebrauch in den meisten Ländern legal ist, werden die meisten Entdeckungen von Fans der Substanz und nicht von offiziellen Wissenschaftlern gemacht. Ein schneller Extraktionsprozess für relativ reines Salvinorum A. mit Hilfe von Aceton wurde letztes Jahr im Netz veröffentlicht. Und Daniel Siebert, das ist derjenige gewesen, der endgültig feststellte, dass Salvinorum A die Substanz ist, die für die Psychoaktivität von „Salvia Divinorum“ verantwortlich ist, beschreibt einen weiteren zügigen Extraktionsprozess. Der funktioniert mit Chloroform.
In den vergangenen Jahren wurde eine Anzahl von neuen Chemikalien aus dem Göttersalbei purifiert. Die meisten von diesen kommen nur in Spuren in der Pflanze vor. Siebert, wiederrum einen Schritt weiter gehend als alle vor ihm, hat nun die Wirkung von Salvinorum B und Salvinorum C im menschlichen Körper erprobt. Unglücklicherweise ist weder B noch C psychoaktiv, zumindest nicht in den Dosen, in denen Salvinorum A wirkt. Er nahm bis zu vier Gramm vaporisiertes Salvinorum B und bis zu drei Gramm Salvinorum C zu sich. Nichts. Wir erinnern uns: Salvinorum A ist schon bei Dosen unter einem Milligramm psychoaktiv.
Auch in der „Untergrund-Szene“ folgt der Forschung der Kommerz. Es gab im letzten Jahrzehnt eine explosionsartige Ausbreitung von Firmen, die halb legale psychoaktive Pflanzen verkaufen. Das Internet bietet die nötigen Informationen, der Enthusiasmus für Entheogene wächst und parallel dazu die Anzahl der Leute, die mit dem wachsenden Markt Geld verdienen möchten. Botanisch spezialisierte Firmen wollen vom nächsten großen Hype zu profitieren.

Diese Firmen konzentrieren sich zum Teil auf relativ obskure Pflanzen, weil das Seltene, Neue oder Ungewöhnliche die Leute anzieht.

Ja, vor kurzem sahen wir das bei „Kratom“, lateinisch „Mitragyna Speciosa“ genannt. Die Pflanze verursacht Effekte wie wir sie von Opiaten kennen. Es scheint so, dass dies an einem Indol-Alkaloid liegt, Mitragynin, welches nur in dieser Pflanze vorkommt. Die chemische Struktur ist mit Psilocybin verwandt, dennoch erzeugt „Kratom“ keine psychedelischen Effekte, jedenfalls nicht in den bisher getesteten Dosierungen. Leider ist die Pflanze in ihrem Ursprungsland, nämlich Thailand, illegal. Folglich ist es schwierig „Kratom“ zu exportieren, obwohl es in den meisten Teilen der Welt legal ist.
Wohl wissend, dass die Pflanze begehrt, aber schwer zu bekommen ist, flutete ein Franzose den botanischen Markt mit einer großen Menge getrockneter Blätter, von der er behauptete, es wäre „Kratom“. Daniel Siebert erkannte allerdings, dass die Blätter nicht der botanischen Beschreibung der Pflanze entsprachen, und schlug vor, dass ich die Leute vor dem Kauf der Blätter öffentlich warnen sollte. Ich beschaffte mir einen Referenz-Standard von Mitragynin Picrate von einer Pharma-Firma aus England und schickte diesen Standard und das vorgeblich „Kratom“ zu diversen Chemikern zum Testen. Es stellte sich heraus, dass die Refernz aus England Mitragynin enthielt…

… was zu erwarten war…

… der Scheiß aus Frankreich aber überhaupt kein Mitragynin enthielt. Nun gab es also nicht nur den botanischen, sondern auch den chemischen Beweis, dass die Blätter unkorrekt etikettiert waren. Mehr über diese Untersuchung findet sich in einer PDF-Datei auf der Webseite der Entheogen Review.
Leider arbeitet der ethnobotanische Markt auf unprofessionelle Weise, es existiert keine Qualitätskontrolle und keine staatliche Organisation wacht über die Anbieter dieser Produkte. Verbraucherschützer, so wie ich, sind gezwungen diese Art von Untersuchungen zu finanzieren und durchzuführen. Ich sollte vielleicht noch anmerken, dass korrekt gekennzeichnetes „Kratom“ jetzt in einigen Online-Shops erhältlich ist.

Kratom
Kratom

Ist diese Art von Desinformation im ethnobotanischen Kräutermarkt üblich?

In den meisten Fällen agieren die Leute ehrlich, wenn Fehler passieren, dann aus Versehen. Aber eben nicht immer. Erinnere dich an die Ereignisse mit dem mutmaßlichen „Lagochilus Inebrians“. Das kommerzielle Interesse an dieser Pflanze gründet auf einer kurzen Erwähnung in „Pflanzen der Götter“ von Richard Evan Schultes und Albert Hofmann. Aus psychoaktiver Sicht ist das vermutlich keine besonders interessante Pflanze; der Effekt ist mild sedativ und blutdrucksenkend. Aber allein die Tatsache, dass es ein Diterpenoid, nämlich Lagochilin, enthält und Salvinorium A ebenfalls ein Bestandteil von Diterpenoid ist, ließ die Händler aufhorchen. Ein paar Kilos getrockneten Materials tauchten jüngst in den USA auf, aber es stellte sich heraus, dass die Kräutermischung eine plumpe Fälschung war, sie stammte nicht einmal aus derselben botanischen Familie wie „Lagochilus“. Dankbarerweise wurde in diesem Fall die weitere Verbreitung des Produkts verhindert. Traurig war nur, dass der Verkäufer des Materials, ein gewisser Dr. Ashley Minas aus Russland, die Rückzahlung des Geldes für das falsche Kraut verweigerte. Wie bei „Kratom“ auch wird auch das originale Kraut wohl bald korrekt vermarktet werden, obwohl es zu früh ist, hierüber endgültige Aussagen zu treffen. Seltene Kräuter, gerade wenn sie getrocknet und zerkleinert sind, können sehr schwer korrekt zu identifizieren sein.

Lass uns von der Produktion zum Konsum übergehen. Der Genuss jeder Substanz birgt auch Gefahren. Stellt das alte Konzept von „Set und Setting“ noch immer den Kern der Risikovermeidung dar?

Die Berücksichtigung von „Set und Setting“, also der Erwartungshaltung und geistigen Situation der Person und die Umgebung, in der die Droge eingenommen wird, stellen nach wie vor die goldene Regel dar, speziell bei Psychedelika. Aber es gibt einen dritten Aspekt, den die frühe LSD-Forscherin Betty Eisner in die Diskussion einbrachte und welcher nie die verdiente Aufmerksamkeit erhielt. Dieser Aspekt wird „Matrix“ genannt und zielt auf die soziale Gemeinschaft, die die konsumierenden Person umgibt. Es muss eine Gruppe von unterstützenden, verständnisvollen und erfahrenden Leuten da sein, die eine Atmosphäre schafft, in der die psychedelische Erfahrung gelebt werden kann. Manchmal geraten Psychonauten in ein Muster des sich oft wiederholenden Konsums, ohne vorteilhafte Änderungen an ihrem Leben vorzunehmen. „Instanterleuchtungen“ durch eine Pille sind eine feine Sache, aber diese halten nicht an und berühren das nicht-trippende Leben nicht, wenn nicht daran gearbeitet wird. Wieder und wieder High werden zu wollen kann zu einer Krücke werden, eine Krücke, die vergessen lässt, dass eine innere Arbeit, eine Art Nachbereitung, im nüchternden Zustand erfolgen muss. Ich denke dass die „Matrix“ ebenso wichtig wie „Set und Setting“ ist, wenn nicht sogar wichtiger. Wir brauchen Menschen um uns herum, die uns die Erlebnisse in wertvoller Weise integrieren helfen, so dass wir uns positiv weiter entwickeln.

Gibt es neue Entwicklungen in der Risikominimierung beim Drogengebrauch?

Sicher, es gab große Fortschritte in den letzten Jahren, dafür sind Pillentests ein gutes Beispiel. Diese geben zumindest eine Ahnung davon, ob die auf einem Rave oder der Straße gekaufte Pille wirklich die gewünschte Substanz beinhaltet. Desinformation ist ein gefährlicher Aspekt des „War on Drugs“: Es ist doch völlig absurd zu behaupten, das die Drogen-Verbotsgesetze dafür da sind eine gesündere Gesellschaft schaffen zu wollen! Was die Prohibition wirklich verursacht ist eine Gesellschaft, in der der Konsument unnötige Gesundheitsrisiken auf sich nehmen muss. Pillen werden zum Teil nicht vorschriftsgemäß hergestellt, oftmals führen die schlechten Laborbedingungen zu einer falschen Synthese oder Verunreinigungen im Endprodukt. Eine standardisierte Produktion in einem kontrolliert pharmazeutischen Labor würde dieses Problem aus der Welt schaffen.
Und dann ist dort noch die Frage, wie hoch die verkaufte Dosis tatsächlich ist. Durch wie viele Hände ist das Produkt gegangen und wie sehr wurde es gestreckt? Und mit was? Die einfachen, auf dem Markt erhältlichen Pillentests können diese Fragen nicht alle beantworten, aber sie geben zumindest eine Idee davon, was ich mir da zuführe. Trauriger Weise schlagen skrupellose Dealer zurück. Beispielsweise beinhalteten einige Pillen 10 % MDMA und 90 % Koffein oder Pseudoephedrin. Ein einfacher Drogentest zeigt nur an, dass die Pille MDMA enthält, nicht aber, was deren Hauptbestandteile sind. Jüngere Konsumenten gewöhnen sich an die schwachen Dosierungen und nehmen teilweise zehn oder mehr dieser Pillen, um die erwünschten Effekte zu erzielen. Was aber ist mit den Wirkungen von Koffein und Pseudoephedrin? Und was ist, wenn der Konsument an eine voll dosierte, reine Pille gerät, von der er oder sie wie üblich zehn nimmt?

Die gesundheitlichen Auswirkungen des „War on Drugs“ liegen offen dar.

Es ist traurig, aber die fatalen Folgen dieser Politik haben sich immer noch nicht weit genug rumgesprochen. Unterstützt wird der Irrsinn auch noch durch staatlich geförderte Forscher, die fehlerhafte Daten veröffentlichen, so wie das bei Dr. George Ricaurte der Fall war. Ricaurtes Versuche an Ratten führten ihn zu dem Schluss, dass eine einzelne Dosis MDMA schwere Schäden am Dopamin-Haushalt verursachen kann. Sein Report führte zu verschärften Gesetzen gegen MDMA in den USA. Später stellte sich die Untersuchung als völliger Humbug heraus, denn man hatten versehentlich Methamphetamin genommen, was erheblich potenter ist, statt MDMA. Als der Fehler entdeckt wurde, gab Ricaurte zu Mist gebaut zu haben, aber die Gesetze waren schon verabschiedet. Im Endeffekt kommt als Nachricht bei drogeninteressierten Jugendlichen an, dass die Regierung sie eh nur anlügt und die Drogen ungefährlich sind. Aber sie sind eben nicht völlig ungefährlich. Die Folge: Es entsteht ein Klima des Misstrauens, denn aus Sicht der Kinder und Jugendlichen sind Erwachsene Lügner. Der sich entwickelnde Groll dient später eventuell dazu, die eigene Unehrlichkeit zu rechtfertigen. Was für eine beschissene Welt bauen wir da für unsere Kinder?

Um das einseitig negative Bild, welches die Regierungen über Drogen in die Welt setzen, zu bekämpfen, müssen da eventuell die Menschen, die von ihren Drogenerfahrungen profitiert haben eine Art positive Gegenpropaganda kreieren?

Genau. Das führt gut zu dem anderen Bereich meines Interesses: der psychedelischen Kunst. Das Kunst durch Psychedelika inspiriert wird ist alltäglich. Dieser „Kunststil“ wird von Leuten angewendet, die daraus Werbefilme im TV für Süßigkeiten, Getränke oder auch Autos kreieren. Immer mehr Künstler nutzen psychedelische Drogen als Werkzeug für die Inspiration und sind auch bereit, darüber offen zu reden. Das Thema „Psychedelika“ ist in diversen Produkten der Popkultur gegenwärtig. Ob in Episoden bei den „Simpsons“ oder den „X-Akten“ oder als Basis für ein Drehbuch, man denke an die „rote Pille“ in „The Matrix“.
Einige zeitgenössische Künstler haben an Filmen mitgewirkt, wie beispielsweise H.R. Giger, der das Design für „Alien“ entwarf oder der Kanadier Luke Brown, der jüngst von Steven Spielberg für dessen neuen Film angestellt wurde.
Aber auch in Bereichen abseits der hohen Künste spielen psychedelische Substanzen bei kreativen Prozessen eine Rolle. So hat etwa der Träger des Chemie-Nobelpreises von 1993, Kary Mullis, in seiner Autobiografie die Welt wissen lassen, dass seine Entdeckung der Polymerase Kettenreaktion (PCR) zur DNA-Synthese auf den Einfluss von LSD zurückgeht. Mark Pesce, Mitautor der Virtual-Reality Programmiersprache VMRL, gab zum Besten, dass ihm die Idee zu dem Code auf LSD kam, mehr noch, dass er LSD danach weiterhin nutzte, um den Code weiter zu entwickeln. Überhaupt war die gesamte Personal Computer Revolution von LSD angetrieben. Mensch, selbst Bill Gates von Microsoft sprach in einem Interview offen über seine LSD-Erfahrungen.
In meinem Leben agieren psychedelische Drogen als ein Fenster zu Wissensbereichen, an denen ich vorher wenig Interesse hatte: Botanik, Chemie, Geschichte, Studium von Religionen, Anthropologie und Soziologie, um nur einige zu nennen. Für mich ist klar, dass psychedelische Drogen ein wertvolles Werkzeug für positive Veränderungen sein können, persönlicher und gesellschaftlicher Art. Unser Job ist es, die „richtige“ Einstellung zu fördern. Wenn wir dies tun, so hoffe ich, beenden wir auch die herrschende falsche Einstellung gegenüber diesen Werkzeugen.

 

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Interview mit Joseph R. Pietri dem König von Nepal

HanfBlatt, Nr. 91, Oktober 2004

Ein Interview mit dem Haschischschmuggler Joseph R. Pietri

Der 1947 geborene Amerikaner Joseph R. Pietri verdiente sich in den 60er Jahren als Hippie in New York durch den Handel mit Haschisch und Pot seinen Lebensunterhalt. Schliesslich entschied er sich 1970 direkt an die Quellen des besten Haschisch der Welt zu gehen und selbst Schmuggler zu werden. Er landete in Nepal, wo zu diesem Zeitpunkt Cannabisprodukte noch völlig legal waren und stieg dort groß ins Geschäft ein. Bereits seit Jahren verfolgt von den US-Behörden wagte er es schließlich 1991, sich als einer der ersten Westler kurz nach der Öffnung des kommunistisch regierten Laos in dessen Hauptstadt Vientiane niederzulassen und dort die erste Bar nach amerikanischem Vorbild zu eröffnen. Obwohl zum damaligen Zeitpunkt in Laos Ganja ganz legal auf den Märkten erworben werden konnte und kein Auslieferungsübereinkommen mit den USA bestand, wurde Pietri auf Druck der US-Behörden in Auslieferungshaft genommen. Seine langjährigen Erfahrungen als bedeutender Cannabisschmuggler und -feinschmecker brachte er dort ohne unnötiges Bedauern zu Papier und hat sie dann neun Jahre später im Jahre 2001, nachdem praktisch etwas Gras über die Sache gewachsen war, unter dem Titel „The King of Nepal“ veröffentlicht. Dieses aufregende Werk ist ein wahrer Leckerbissen und nicht weniger spannend als die abenteuerliche Autobiographie von „Mister Nice“ Howard Marks. Heute lebt Pietri in Colorado/USA und hat es tatsächlich geschafft, dass er auf Grund eines durch Nierenkrankheit bedingten Nervenschadens und Hepatitis C als Medizinischer Marihuana Patient mit offizieller Erlaubnis der Gesundheitsbehörde sein eigenes Gras anbauen darf!

az: Wer ist „Der König von Nepal“?

Pietri: Ich habe in Nepal das Leben eines Hippie-Königs gelebt. Der Titel repräsentiert auch die Königliche Familie von Nepal. Aber der wahre König von Nepal ist das legendäre Haschisch, das dort gewonnen wird. Ein alter Freund von mir, Rod Fry, brachte Mitte der Siebziger Jahre den Nepalis bei, wie man Haschisch nach der afghanischen Methode (mittels Siebung) herstellt, was eine enorme Verbesserung gegenüber handgeriebenem Haschisch bedeutet. Auf Grund meiner Verbindung zu seiner Heiligkeit dem Chine Lama und dessen Verbindungen zu König Mahendra war ich in Nepal praktisch unantastbar. Zeitweise arbeiteten die Polizei und das Militär für mich.

Joseph R. Pietri

az: In deinem Leben als Dealer und Schmuggler hast du alle möglichen Gras- und Haschischsorten genossen. Ein populärer Mythos behauptet, dass das Homegrown Sensemilla von heute stärker sei als die Importvarietäten der alten Hippiezeiten. Was entgegnest du darauf?

Pietri: Das Homegrown Sensemilla von heute ist nicht stärker als das Homegrown Sensemilla der 60er. Die Super Sativa Sorten, die aus Mexiko (in die USA) kamen, wie „Acapulco Gold“ und „Michoacan“ waren fantastisch. Ich hatte einen Kumpel, der flog sein Sensemilla, das er auf seiner Finca in Mexiko anbaute, verpackt in Styropor ein, jeder Blütenstand so groß wie ein Glied deines kleinen Fingers. Einer war wie „black frog´s lip“ und ein anderer „burnt orange“. Aber wirklich beherrschte in jenen Tagen Haschisch den Markt, genauso wie es das in Europa in den 60ern und 70ern tat. Es ist erst in den letzten 20 Jahren geschehen, das die Szene in Europa zu Gras gewechselt hat, und es war dasselbe in den Staaten. In den alten Zeiten hatte ich manchmal zwei Dutzend verschiedene Sorten Haschisch. Es ist ein Witz, das irgendjemand glauben könnte, dass das Dope von heute stärker ist als das in früheren Jahren. Aber die Regierungspropaganda marschiert weiter. Nebenbei bemerkt, die Super Sativa Sorten aus Mexiko wurden von Nixon zerstört, als er die Marijuana-Pflanzungen 1973 mit „Paraquat“ (einem Pflanzenvernichtungsmittel) besprühen ließ. Für ungefähr 10 Jahre konnte man wegen der Sprühungen kein mexikanisches Gras abgeben. Dafür begann zur selben Zeit kolumbianisches Weed den Markt zu übernehmen. Niemand wird vergessen, wie es war, als er das erste mal „Columbian Gold“ oder „Red Super Sativas“ geraucht hat. Zuletzt sollten wir nicht die ganzen super Thai-Sorten vergessen, die in den 70ern und 80ern reinkamen. Einige waren so stark, dass ein einziger fetter Joint dreissig Leute high machen konnte. Du brauchtest nur einen Zug. Erinnert sich irgendjemand da draussen an das unter Stickstoff vakuumverpackte Thaigras, das einen Doppeladler auf die 1000g-Packungen gestempelt hatte?

az: Kein erfahrener Langzeitraucher vergisst das beste Dope, das er mal geraucht hat. Kannst du deine Favoriten nennen, nur um die Münder des Publikums mal ein wenig wässerig zu machen? Pietri: Ich mochte besonders gern den „Roten Libanesen“, der in 6-Unzen-Säcken kam. Die hatten Kirschen oder ein Bild von King-Kong oder Kamele in der Wüste draufgestempelt. Der richtig schön klebrige Rote kam in kleinen Säckchen. Ich mochte sehr gern das rote und goldene Gras aus Laos, Super Sativas, die es bis zum heutigen Tag gibt, auf dem Markt in Vientiane neben den Tabakständen erhältlich. Aber mein Favorit für alle Zeiten ist Nepalese oder Kashmiri-Hasch, hergestellt auf afghanische Art. Ich bin immer noch ein Hasch-Man. Ihr könnt mir jederzeit ein Piece Afghanen geben. Aber leider muss ich mir heutzutage meinen Eigenen machen!

az: Ein anderer Mythos besagt, das besonders starkes oder einschläferndes Haschisch mit Opium versetzt wurde. Was hat es damit auf sich?

Pietri: Es ist ein Mythos, dass das Weiße, was man auf handgepresstem Haschisch sehen kann ein Zeichen für Opiat ist. Tatsächlich ist es Schimmel von der Feuchtigkeit der Pflanze, wenn man sie mit der Hand reibt. Normalerweise ist Haschisch nicht mit Opium verfälscht. Das einzige wirklich mit Opium versetzte Haschisch, das ich jemals gesehen habe, war einmal, als ich 40 Kilo hatte, die eine Zeit lang herumgelegen hatten. Ich mischte es mit 10 Kilo Opium, und es kam drüben in Cincinnati groß raus. Manchmal mixen sie in Bombay Opium in das Hasch und Gott weiß, was sonst noch. Sie nennen sie „Gullies“, kleine schwarze Bälle, 20 in einer Packung. Man kann sein Haschisch speziell mit Opium gemischt bestellen, aber das ist selten. Opium ist kostspieliger als Haschisch, das ist ein Grund.

az: Warum hast du dich 1970 entschieden nach Nepal zu reisen und selbst ein Haschischschmuggler zu werden?

Pietri: Ich war auf der Flucht und Nepal schien ein guter Platz zu sein um abzutauchen. Mehr oder weniger durch Zufall landete ich dort. Ich ging dort hin, um einen Deal zu machen und blieb. Es war Hippie-Nirvana, Kathmandu, keine Gewalt, kein Verbrechen. Alles was du als deine Medizin bezeichnet hast, war legal. Es war immer mein Pfeifentraum, einmal die Haschhöhlen von Asien zu besuchen. Tatsache ist, dass ich ein sehr lukratives Ding am laufen hatte und es bis zum Ende ausgespielt habe.

az: Wie waren die Bedingungen, die du damals in Nepal vorgefunden hast?

Pietri: Nepal war Hippie-Nirvana. Ich lebte in Boudha in einem der Häuser des Chine Lamas. In jenen Tagen lebten auch die dänischen Schmuggler in Boudha. Die meisten meiner Freunde damals waren Europäer. Ich wurde eine Industrie in Boudha und eine Menge Leute hingen von mir ab um Geld zu machen. Ich unterstützte soviele Leute dort, dass ich nach einer Weile das Gefühl hatte, ich würde für sie arbeiten. Ich hatte Privilegien, die ich niemals zuvor erfahren hatte. Ich saß zu Füßen des Groß-Lamas von Boudha, und durch ihn traf ich den König von Mustang, alle der höchsten Lamas, die aus Tibet entkommen waren. Irish Patrick, der sich durch die Jahre als großartiger Freund erwies, traf ich in Boudha, genauso wie Afghan Ted, manchmal auch Ted the Hun genannt. Detlef Schmidt war ein großer Freund. Wer könnte jemals Ted the Hun vergessen, wie er in seinem Mercedes-Krankenwagen nach Boudha reindonnerte mit seinen afghanischen Kampfhunden und seinem Harem und dem besten handgepressten Afghanen, den du jemals gesehen hast. Einmal hatte ich eine Barbecue-Party, auf der die Dänen ein Wildschwein rösteten, und ich röstete meine Interpol-Akte, die ich der Einwanderungsbehörde abgekauft hatte. Was für eine Party.

az: Und wie kam es in Nepal zu einem Ende?

Pietri: In der Mitte der 80er gab es eine Art Inquisition. Als ich 1981 nach Nepal zurückkehrte, benutzte ich meine wirkliche Identität, was die Nepalesen richtig verwirrte. Ich war immer noch Will, und wenn du nach Joe fragtest, wusste niemand von wem du sprachst. Ich glaube es war 1986 als Henry Kissinger nach Nepal kam. Sie kauften zwei Kilo reines Heroin auf der Straße und konfrontierten den Generalinspektor der Polizei (IGP) damit. Sie drohten alle fremden Hilfen abzuschneiden, wenn nicht der Heroinhandel aus Nepal unterbunden würde. Um Kissinger zu beschwichtigen ließ der IGP jeden Langzeitbewohner Kathmandus ausländischer Herkunft verhaften. Überfallkommandos mit Drogenspürhunden durchsuchten Wohnungen. Über Nacht kamen 200 Westler in den Knast und viele Nepalesen. Die Nepalesen wurden gefoltert, und auf die Frage, wer der größte amerikanische Dealer sei, gaben sie mich preis und schließlich fanden sie heraus, dass Joe Will war. Ich war Nummer Eins auf ihrer Liste derer, die aus dem Geschäft in Nepal rausgeschmissen werden sollten. Einige Leute entkamen der Inquisition und schafften es bis nach Bangkok. Ich auch. 1988 ging ich zurück, musste aber im Untergrund leben, weil es Haftbefehle auf mich gab. Ich blieb zwei Wochen, gelangte wieder zurück nach Bangkok und bin seitdem nicht mehr dortgewesen.

az: Was sind die größten Risiken, auf die du bei deinen Schmuggeloperationen getroffen bist?

Howard Marks und Jospeh R. Pietri
Howard Marks und Jospeh R. Pietri

Pietri: Ich hab mein Bestes versucht, keine Risiken einzugehen. Ich war immer im Hintergrund. Die größte Gefahr war, verraten zu werden. Ich erinnere den Moment als wir im Büro des Generalinspektors der Polizei in Srinagar Kashmir waren. Er befragte meinen Freund und mich über unser Geschäft. Wir hatten diesen riesigen Mercedesbus, der in Geheimfächern mit Haschisch gefüllt war. Wir erklärten, dass wir den Bus benutzen würden um Touristen aus Bombay hochzubringen. In diesem Moment zieht er ein paar Kilo Haschisch aus seiner Schublade und sagt uns, wir seien im falschen Geschäft und dass wir für ihn arbeiten und sein Haschisch zu seinen Verbündeten nach Bombay bringen sollten. Wir erzählten ihm, dass es zu gefährlich sei und wir zu ängstlich sein würden. In dieser Nacht bewachte die Polizei einen schon vollgeladenen Wagen. Das war ziemlich haarig.

az: Ist es das Aufregende am Schmuggeln oder nur das Geld oder die fehlenden Alternativen, die dich für so viele Jahre im Geschäft gehalten haben? Was ist das Geheimnis der Schmuggelerfahrung?

Pietri: Ich wurde abhängig von dem Geld und dem Lebensstil. Der Thrill ein Ding erfolgreich durchzuziehen ist einer der größten Thrills. Damit durchzukommen. Ich flog rein und raus aus Asien, manchmal zweimal im Monat. Das Dope-Geschäft war eines der ehrlichsten Geschäfte in denen ich jemals war. Da war Ehre und Stolz auf dein Dope und darauf es auf den Markt zu bringen. In den Staaten lief das Marihuana-Business auf Vertrauensbasis und einem Händeschütteln. Ich bekam Tonnen über Tonnen von Marihuana noch vor Bezahlung und verlor nie einen Joint. Es war ein fantastisches Geschäft solange es lief, aber 1990 hatte die DEA das Good Old Boy Marijuana-Netzwerk, das seit den 60ern operierte, ausgeschaltet. Heute ist es eine ganz andere Szene. Wir waren Gegenkulturhelden, die gegen die Blockade anliefen und die Cannabiskultur schufen, die ihr heute habt.

az: Du hast dein Leben in vollen Zügen genossen. Du hast ein Abenteuer gelebt für deine wahrscheinlich hochgradig faszinierten Leser. Würdest du jemandem einen Ratschlag geben, der dir gerne heute im Jahre 2003 in deinen Fußstapfen folgen würde um ein Haschischschmuggler zu werden?

Pietri: Ich würde niemandem raten heute in das Haschischschmuggel-Geschäft einzusteigen. Es ist zu gefährlich. Meine Empfehlung ist es, sein eigenes Gras anzubauen und sich sein Haschisch zu Hause zu machen. Das ist es, was ich tue. Ich habe einen von Mila´s Pollinatoren mit dem ich mein eigenes Hasch mache. Ich lass meine Freunde meinen Pollinator benutzen und sie lassen mir immer was zukommen, so rechnet es sich selbst. Ich hab ein bißchen großartiges Hasch aus einer Kreuzung Burmese/Fucking Incredible und aus einer Jack Herer gemacht. Ich bevorzuge den Pollinator gegenüber den Bubble Bags, weil er der afghanischen Tradition näher steht und nicht so umständlich ist. Die ganze Wasser- und Eiswürfel-Methode ist mir zu aufwendig. Wie kann man besser die Qualität kontrollieren, als wenn man selbst anbaut?!

az: Heute bist du auf einem anderen Level als in den alten Tagen aktiv im Kampf gegen den verrückten „Krieg gegen Drogen“. Was sind deine jüngsten Projekte? Wo können wir mehr von deinen Einsichten und Ansichten finden?

Pietri: Letzte Woche wurde ich von Kevin Booth von Sacred Arts Productions in Austin/Texas gefilmt. Er macht eine Drug War-Dokumentation, die 2004 im TV und auf DVD erscheinen wird. Ich wurde kürzlich auf Blackopradio.com interviewed. Ich hab außerdem eine Show auf Pot-tv.net gemacht mit dem Titel „Joe Pietri versus The not so free world“. Man kann meine Website (www.kingofnepal.net) besuchen. Da kann man auch mein Buch bestellen. Es kostet 27 USD via Paypal, und ich versende eine signierte Erstausgabe. Man kann mich auch über E-mail (jpietri@msn.com) erreichen, wenn man das Buch bestellen möchte. Aber ich möchte zum Abschluss nochmal ein klares Bild davon geben, was der „War on Drugs“ wirklich ist. Der Drogenkrieg ist ein rassistischer Krieg. Nach der Bürgerrechtsbewegung in 1965 und dem Wählerregistrierungs-Gesetz, demzufolge schwarze Menschen erstmals wählen durften, musste die herrschende Klasse dieses Landes mit etwas aufkommen, um bestimmten Teilen unserer Gesellschaft weiterhin Bürgerrechte zu entziehen. Nixon quält die Cannabiskultur immer noch von seinem Grab aus. Angenommen du wirst zum ersten mal gebustet, verlierst du all deine Besitztümer, gehst ins Gefängnis, wo du Sklavenarbeit verrichtest, wirst entlassen, bist ein Verbrecher und es ist hart einen Job zu finden. In manchen Fällen verlierst du das Recht zu wählen, eine Waffe zu tragen etc. etc.. Es ist eine WinWin-Situation für die Regierung. Man darf nicht vergessen, dass jede Region, in der harte Drogen gewonnen werden, von der CIA geschaffen wurde. Das erfolgreichste Drogenkartell aller Zeiten. Sie schufen das Goldene Dreieck, den Goldenen Halbmond, das Medellin-Kartell. Selbst heute schützen sie die Opiumfelder in Afghanistan, die praktisch das gesamte Heroin für Europa liefern. Der Hauptgrund für eine Drogenlegalisierung ist es, endlich die CIA aus dem Drogengeschäft zu kriegen. Die Realität ist, dass die CIA für jede Person in dieser Welt verantwortlich ist, die von Heroin oder Cocain abhängig ist. Die Wahrheit ist, dass die US-Regierung ihre eigenen Leute einsperrt für Drogen, die sie selbst liefert. Sie haben den Drogenhandel lange genug benutzt, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Hier in Colorado ist Marijuana seit 1917 illegal. Zu dieser Zeit kontrollierte der Ku Klux Klan den Bundesstaat. Sie kamen ganz offen raus und sagten, wir wollen nicht, dass braunhäutige Spics und dicklippige Nigger Boden besitzen. Sie bemerkten, dass farbige Menschen Marijuana als Rauschmittel benutzten, und so kriminalisierten sie den Marijuana-Gebrauch um Mexikaner zu deportieren und Schwarze zu entrechten. Es ist dasselbe, was heute passiert. Der Drogenkrieg in den Staaten ist eine riesige Geldmachmaschine und der Preis des Ganzen ist, dass 20 % der Bevölkerung der USA zu Verbrechern gemacht werden. Über 50 Millionen Menschen haben seit 1971 ihre Rechte verloren. Jedesmal wenn sie einen Stoner abstrafen, ist es ein fauler doperauchender Commie weniger, der sie beunruhigen könnte. Das ist die Mentalität. Peace and Pot.

az: Piece and Peace.

Das Buch: Joseph R. Pietri „The King of Nepal.
high adventure hashish smuggling through the kingdom of Nepal.“
138 Seiten, Softcover
Publication Services by Indiana Creative Arts
5814 Beechwood Avenue Indianapolis, IN 46219 USA
ISBN 0-615-11928-X
19.95 USD

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Cannabis Drogenpolitik Interviews

Interview mit dem Coffee-Shop-Veteran Nol van Schaik

HanfBlatt, Nr. 91, Oktober 2004

Der Coffeeshop-Virus breitet sich aus

Interview mit dem niederländischen Coffeeshop-Betreiber und Cannabis-Aktivisten Nol van Schaik

Nol van Schaik hat nicht nur einen guten Namen, sondern hat sich auch einen guten Namen gemacht. Einst 1989 beim Schmuggel von 200 Kilogramm Marokkaner nur knapp den französischen Strafverfolgungsbehörden entkommen, und seitdem von diesen gesucht, eröffnete der ehemalige Bodybuilder und American Football-Spieler 1991 in seiner schönen Geburts- und Heimatstadt Haarlem, nur 15 Bahnminuten von Amsterdam entfernt, den ersten von drei „Willie Wortel“-Coffeeshops. Mit seiner Partnerin Maruska de Blaauw gründete er 1998 das „Global Hempmuseum“ und einen Growshop in Haarlem und setzt sich für ein patientengerechtes Abgabesystem für medizinisch genutztes Cannabis über Coffeeshops ein. Im Jahr 2001 versuchte er gemeinsam mit dem mutigen britischen Medical Marijuana-Kämpfer Colin Davies und anderen den ersten Coffeeshop nach niederländischem Vorbild in Stockport bei Manchester zu etablieren und riskierte dabei seine Freiheit. Ein Hanfmuseum im Belgischen Antwerpen einzurichten, scheiterte ebenfalls am Widerstand von Polizei und reaktionären Politikern. Unermüdlich engagiert er sich für Erhalt, Verbesserung und Ausweitung des erfolgreichen niederländischen Coffee-Shop-Systems, 2002 mit der Gründung eines „Coffeeshop-College“, eines Kurses für angehende Coffeeshop-Betreiber. Sein letzter Coup ist „The Dutch Experience“, ein äußerst lesenswertes Buch eines Insiders über 30 Jahre Coffeeshop-Geschichte, von der Gründung des ersten Hippie-Coffeeshops „Mellow Yellow“ 1972 durch Cannabis-Pionier Wernard Bruining (förderte praktisch als „Johnny Appleseed“ des psychoaktiven Hanfes schon 1981-1985 den Nederwiet-Eigenanbau mit der „Lowlands Seed Company“ und in den Neunzigern mit dem „Positronics Sinsemilla Fanclub“), sowie der kommerziellen Unternehmen „Bulldog“ und „Rusland“, bis zu den Problemen, mit denen sich Coffeeshop-Betreiber wie Nol bis heute konfrontiert sehen. Für die Zukunft ist ein kleines „Bud, Bed and Breakfast“ über seinem „Sativa“-Coffeeshop geplant. Und auch in Spanien engagiert sich Nol in Sachen Cannabiskultur. Nol van Schaik

az: Eines vorweg, auch wenn der Coffeeshop-Betrieb natürlich ein Geschäft ist, dass sich lohnen muss, so möchte ich die Gelegenheit nutzen, dir und allen anderen Coffeeshop-Aktivisten im Namen Vieler für eure Standhaftigkeit und euer Engagement in dieser Sache zu danken. Die Coffeeshops, wie sie in den Niederlanden existieren, scheinen eine praktikable Möglichkeit zu bieten und ein Vorbild dafür zu sein, wie man mit dem Verkauf und Konsum von Cannabisprodukten umgehen kann. Absurderweise werden in anderen Ländern wie Deutschland immer wieder Kommissionen gegründet, die andere Wege untersuchen, den Konsumenten selbst meist zutiefst suspekt, wie das Apothekenabgabemodell oder der Vetrieb über Drogenfachgeschäfte mit Fachpersonal. Ist der Coffeeshop nun tatsächlich das beste Modell für die Abgabe und den Konsum von Cannabis?

Nol: Sehr freundlich von dir uns eure Anerkennung für unseren Kampf auszudrücken; ich hoffe er mag euch in naher Zukunft als Beispiel dienen! Das Coffeeshopmodell beabsichtigte damals bei seiner Einführung wie auch heute die Cannabisgebraucher, meist junge Leute, von den harten Drogen und ihren Konsumenten fernzuhalten. Das funktionierte und funktioniert immer noch. Verglichen mit den Ländern rund um uns herum, hat Holland prozentual weniger Konsumenten von Cannabis, obwohl es frei erhältlich ist, und als eine Konsequenz dieses Systems auch weniger Konsumenten harter Drogen. Auch wenn das Niederländische Coffeeshopsystem beispielhaft sein mag, so ist die Niederländische Cannabis- und Coffeeshoppolitik aus meiner Sicht fern davon realistisch zu sein. Wie auch immer, unsere Kunden bemerken unsere Probleme nicht. Sie können Cannabis innerhalb unserer Öffnungszeiten frei kaufen und konsumieren. Wenn man das Niederländische Coffeeshopmodell mit all den Nicht-Politiken auf der Welt vergleicht, muss ich sagen, dass wir die beste Lösung für die Cannabisverteilung haben.

az: Welche Bedingungen müssen für den Betrieb von Coffeeshops noch verbessert werden?

Nol: Die Niederländische Regierung verlangt von uns mit nur 500 Gramm Vorrat zu arbeiten, was schwierig zu machen ist, insbesondere, wenn man 25 verschiedene Cannabisprodukte auf dem Menü hat. Das sollte abgeschafft werden. Jeder Laden, der alkoholische Getränke führt, kann soviel Alkohol kaufen, lagern und verkaufen, wie er will, obwohl der Alkoholkonsum jeden Tag allein in Europa den vorzeitigen Tod von hunderten Menschen zur Folge hat. Zusätzlich sollte das Mindestalter für das Betreten eines Coffeeshops auf 16 Jahre herabgesetzt werden, so wie es bis 1996 der Fall war. Die Heraufsetzung der Altersgrenze auf 18 Jahre hielt die jungen Menschen nicht vom Cannabisrauchen ab, es zwang sie lediglich auf der Straße zu kaufen, von Leuten, die auch harte Drogen verkaufen! Coffeeshops decken nur 20 Prozent der holländischen Städte ab, es sollten aber 100 Prozent sein! Nur 104 von 502 Niederländischen Stadtbezirken haben Coffeeshops in ihren Stadtgrenzen! Das ist verursacht durch die meistens der CDA angehörenden Bürgermeister der Städte ohne Coffeeshops. Wie ihre Partei wollen sie die Nulllösung in Sachen Coffeeshops. Und noch immer bezeichnet unsere Regierung Holland als Demokratie…

az: Wie sieht die Zukunft des Coffeeshop-Modells aus? Wird es liquidiert oder ersetzt werden, oder werden es andere Länder übernehmen?

Nol: Die Coffeeshops als solche können nicht liquidiert oder ersetzt werden, nicht in den nächsten zwanzig Jahren. Es ist wahrscheinlicher, dass es sich ausbreiten wird, overground, das heißt, der Coffeeshop-Virus ist nämlich schon underground gesichtet worden, zum Beispiel an den Orten, wo ihr euer Rauchzeug besorgt…

az: Ein sympathischer Virus! Muss man denn hart sein, um sich im Coffeeshop-Geschäft behaupten zu können?

Nol: In gewisser Weise ja, aber nicht im Geschäft an sich, sondern mehr gegenüber dem ständigen Druck durch die Veränderungen in der Politik. Du musst stark sein, um einen Coffeeshop zu eröffnen, stark gegen das negative Image, das geschaffen worden ist, gegen die Autoritäten, die dich nicht mögen und gegen dumme Leute, die zufällig Justizminister sind. Das Cannabusiness in Holland ist O.K.; es wurde angefangen von einem Hippy, was die Standards gesetzt haben muss, Danke, Wernard!

az: Was macht einen guten Coffeeshop aus?

Nol: Ein guter Coffeeshop hat freundliches erfahrenes Personal, das Hasch und Marihuana guter Qualität verkauft, bevorzugt über die Waage, nicht in vorabgepackten Tütchen. Die Lüftung ist ausreichend; der Ort ist schön dekoriert und hat eine warme einladende Atmosphäre. Alle Arten von Rauchzubehör sollten vorhanden sein, ebenso wie ein guter Vaporizer. Selbst ein kleiner Shop sollte einige Brettspiele, Zeitung(en) und einen Cookie mit einer Tasse Kaffee bieten können.

 

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az: Natürlich kann er oder sie zu dir kommen, aber wie findet man den passenden Coffeshop ohne zu lange zu suchen, ganz allgemein?

Nol: Coffeeshops unterscheiden sich sehr im Stil oder kulturellem Vorherrschen, wie Bars oder Discos. Ein Hard Rock-Fan wird in keinem Fall in einen Reggae-Style-Coffeeshop gehen. Mein Tip: Geh an einen Ort mit vielen lokalen Stammkunden, weil die deine Preis-Leistungsverhältnis-Garantie sind. Ortsansässige werden keine hohen Preise für niedrige Qualität akzeptieren, deshalb tust du besser daran, dort zu kaufen, als an einem Ort, der hauptsächlich von Touristen besucht wird. Der erste Kontakt mit dem Personal sagt dir auch eine Menge; wenn sie freundlich sind, spiegelt sich das in der Kundschaft des Coffeeshops.

affe raucht

az: Wie alt muss ein Kunde sein? Wieviel darf er einkaufen? Darf er an den Thresen für wiederholte Käufe gehen? Darf er mehrmals am Tag wiederkommen? Was geschieht, wenn er mit seinem Kauf von der Polizei geschnappt wird? Gibt es außerhalb oder innerhalb der Coffeeshops Kontrollen?

Nol: Jeder Kunde über 18 Jahren kann 5 Gramm pro Coffeeshop pro Tag kaufen. Sie können für mehrere Käufe wiederkommen, aber tatsächlich müssen wir uns daran halten, pro Person pro Tag 5 Gramm zu verkaufen. In Wirklichkeit verkaufen wir dir, was du rauchen kannst…Die Polizei hat keine Zeit, kein Personal und keine Motivation die Verkäufe der Coffeeshops zu überprüfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies geschieht, ist nur real in der Grenzregion zu Belgien.

az: Wie sollte sich ein Coffeeshop-Besucher benehmen?

Nol: Wie einer von uns, baue, inhaliere und genieße die Gesellschaft anderer Raucher. Es funktioniert immer. Cannabis ist auch eine Art Sprache, die jeder Raucher versteht. Benimm die einfach natürlich…

az: Wie kann man als Kunde die richtige Wahl aus den umfangreichen Menüs treffen? Wie sollte er wählen, und was sollte er meiden?

Nol: Das hängt von deinem Geschmack und Toleranzlevel ab. Wenn du also ein erfahrener Raucher bist, wag dich ans ganze Menü! Es ist ganz normal, den Dealer zu fragen. Sie können dich dabei beraten auszuwählen, wenn du ihnen erklärst, was du von dem Cannabis willst, ein helles High oder einen entspannenden Buzz. Mehr als eine Frage der Auswahl, ist es eine Frage der Dosierung. Jeder kann das stärkste Ice Hasch rauchen, wenn er seine Pfeife oder seinen Joint entsprechend seiner Bedürfnisse dosiert.

az: Gibt es noch importiertes Haschisch oder Gras, das mit dem kräftigen heimangebauten Nederwiet und Nederhasch konkurrieren kann?

Nol: Zur Zeit können sie nur unser Menü ergänzen. Hasch ist jetzt nur noch 15 bis 20 Prozent unserer Verkäufe. Es waren vor zwölf Jahren 90 Prozent. Einige Hasch-Varietäten, wie Nepalesische Tempelbälle und Indischer Charas, sind unvergleichlich. Manche Leute werden sie immer gegenüber Nederwiet bevorzugen.

az: Manche sagen, das importierte Gras und Hasch in den früheren Tagen vor der Einführung von Nederwiet seien nicht so stark und von solcher Qualität gewesen, wie das Homegrown-Zeug heute. Was sagst du dazu?

Nol: Wahr, aber das war gewöhnlich (von) samenreichem Weed. Die Sinsemilla-Anbautechniken haben die Qualität der Buds und des extrahierten Hasch verbessert.

az: Sind immer noch qualitativ hochwertige Sorten wie Afghane, Nepalesische Tempelbälle und Thaisticks erhältlich wie in den Siebzigern und frühen Achtzigern, oder gehören sie ins Reich der Legenden? rund 3 gramm haschisch

Nol: Wir haben Nepalesische Tempelbälle auf unserem Menü und zwei Sorten Afghanen, also sind sie immer noch am Leben und qualmen. Ich hatte bis vor zwei Jahren Thaisticks, hab aber seitdem keine Guten mehr gesehen. Ich hoffe, wir werden auch in der Zukunft in der Lage sein, gute ausländische Haschsorten zu führen. Wir haben außerdem Indischen Charas und etwas Malana Cream, alles abhängig von unseren guten Kontakten mit den Lieferanten, die wir jetzt seit vielen Jahren kennen.

az: Welche Sorten sind definitiv vom Markt verschwunden? Gehören Türkisches und Libanesisches Haschisch dazu?

Nol: Da war nie eine große Ladung Türkisches Hasch erhältlich. Es kommt immer in kleinen Mengen, wenn es kommt. Es ist keine konstante Sorte. Libanese wird wahrscheinlich bald wieder zurück sein. Das Bekaa-Tal ist wieder voller Cannabis. Aber was uns kürzlich als Libanese angeboten wurde, kam wahrscheinlich aus Syrien, nicht so gut.

az: Mit Cannabis ist es ähnlich wie mit Wein, Kaffee oder Zigarren. Der Feinschmecker liebt ausgefallene Varietäten aus aller Welt. Hast du jemals Chinesisches, Philippinisches oder Haschisch von anderen exotischen Lokalitäten getestet?

Nol: Ich habe Chinesisches Hasch probiert, gebracht von einem Freund, der dort aus geschäftlichen Gründen war, nicht schlecht, aber nichts Besondres. Ich wünsche mir, ich könnte das Unbekannte testen…

az: Hat es im Laufe der Jahre Veränderungen in den Vorlieben bezüglich der verschiedenen Sorten gegeben? Bevorzugen bestimmte Subkulturen spezielle Cannabisprodukte? Haben Menschen aus unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Favoriten?

Nol: Nicht dass ich wüsste, insbesondere nicht mit der Auswahl, die wir bieten. Die Leute lieben es, eine Menge verschiedener Varietäten auszuprobieren. Coffeeshops sind die Orte, wo du das kaufst, was du in deiner Gegend nicht kriegen kannst.

az: Du hast zweien deiner Coffeeshops die Namen „Indica“ und „Sativa“ gegeben. Was ist der Unterschied zwischen einem Indica-Freund und einem Sativa-Liebhaber?

Nol: Der einzige Unterschied ist ihre Vorliebe für Sorten, von denen sie das kriegen, was sie wollen. Am Ende sind sie beide einfach Genießer von Cannabis; einer braucht ein stärkeres Gras um auf ein bestimmtes Level zu kommen, aber sie beide werden das Level erreichen, was sie sich wünschen. Oh, und ihre Joints riechen recht unterschiedlich!

az: Was kann ein Kunde tun, wenn er sich angeschissen vorkommt? Ich weiß, das in den meisten Fällen, insbesondere heute, die meisten Produkte der meisten Coffeeshops von einer relativ guten Qualität sind, zumindest machen sie stoned, obwohl die Preise angestiegen zu sein scheinen. Aber es ist nicht unmöglich, dass jemand importiertes Hasch oder Gras kauft, das zu alt, zu schwach, ausgetrocknet oder verschimmelt ist, oder im Falle von Nederwiet mit Pestiziden behandelt. Es gibt außerdem Gerüchte über die falsche Bezeichnung von Gras- und Haschsorten oder der Streckung und Mischung von Hasch um die Nachfrage nach bestimmten Varietäten zu befriedigen. In den Achtzigern gab es auch Betrügereien, den Verkauf von Hasch-Fälschungen („Afghan“, „Malana Cream“) an unwissende und schüchterne Touristen, meist in kurzlebigen Hanfblatt-Cofffeeshops im Zentrum von Amsterdam, aber ich beobachtete dies sogar einmal bei dem heute nicht mehr existierenden Hausdealer im berühmten Melkweg.

Nol: In unseren Shops kannst du immer zurückkommen und umtauschen, wenn du die Buds oder das Hasch, das du gekauft hast, nicht magst. Ich kann sagen, dass wir so wie viele unserer Kollegen kein schlechtes Cannabis haben. Ich weiss, dass andere, seit Jahren immer die selben Sorten auf dem Meü haben, was praktisch unmöglich ist. Du magst White Widow ordern und Power Plant kriegen, das ist wahr. Ich gehe dann und wann auf kleine Shoppingtouren durch Holland und unglücklicherweise gibt es immer noch Shops, die Weed und Hasch niedriger oder schlechter Qualität verkaufen. Der einzige Grund, den ich mir vorstellen kann, ist dass der Besitzer eines solchen Ladens selbst kein Cannabis raucht. Ein Raucher würde Seinesgleichen kein schlechtes Zeug anbieten. Wieauchimmer, wenn ich es mit 7/8 Jahren davor vergleiche, hat sich das sehr verbessert. Das ist der sich selbst regulierende Weg, nach dem das System funktioniert. Wenn du nur schlechte Ware hast, wird der Raucher zum nächsten Kollegen gehen, so dass du gutes Zeug verkaufen musst, um nicht bankrott zu gehen. Die Leute sollten eine Site im Internet haben, wo sie von schlechtem Cannabis berichten könnten, findest du nicht auch?

az: Sicher, sicher, eine gute Idee, und dazu noch umsonst, also ran an die Kartüffeln…Wie du es in deinem wunderbaren Buch erzählst, bist du sehr offen mit deinem Geschäft. Jeder kann weltweit den Verkauf von Cannabis in einem deiner Shops über Webcam fast live beobachten. Hat mal jemand deiner Kunden dagegen protestiert, oder lächeln sie alle nur, weil ein freier Mensch nichts zu verbergen hat, auch wenn es dumme Menschen nicht verstehen?

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Nol: Wir hatten nie eine Beschwerde darüber. Einige Leute wollen austesten, ob es echt ist, also winken wir ihnen oder halten einen Geldschein vor der Kamera hoch, so dass sie sehen können, dass wir lebendig sind.

az: Beabsichtigst du mal eines Tages ein Fachbuch über Management und Warenkunde für Coffeeshop-Gründer und -Mitarbeiter zu veröffentlichen? Du könntest der Richtige dafür sein.

Nol: Ich arbeite zur Zeit in Spanien gerade genau da dran, und ich bereite einen neuen Kurs vor: „Cannabis Noledge“. Ich werde euch auf dem Laufenden halten…

az: Und wer zum Teufel ist „Willie Wortel“?

Nol: „Willie Wortel“ ist der holländische Ausdruck für eine erfinderische Person, die ständig mit neuen Dingen kommt. Es ist auch ein Charakter in „Donald Duck“, der erfinderische Storch, ein Neffe von Donald. Viele Leute nennen mich Willie, aber ich nenne nur einen bestimmten Teil meines Körpers so.

az: Möchtest du etwas hinzufügen?

Nol: Kämpft weiter gegen die Prohibition. Wir können die Lügen besiegen!

Das Buch:

Nol van Schaik
The Dutch Experience.
The inside story: 30 years of hash grass coffeeshops, 1972-2002
2002, Real Deal Publishing (www.realdealpublishing.com)
323 Seiten

Weitere Informationen:
www.hempcity.net

 

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Interview mit dem Kriminologen Sebastian Scheerer

Aus dem HanfBlatt, 2004

„Rauschkultur als Form der Religiösität und des Hedonismus“

In den verwirrenden Gängen der Universität versteckt sich eine besondere Gattung: Der hängen gebliebene Student, gemeinhin Professor genannt. Gespräche mit dieser Spezies sind oft nicht spaßig – zu hoch ragt der Turm aus Elefantenstoßzähnen, zu dick die Mauer der Arroganz, zu verschlungen die Gänge der Gedanken. Aber es geht auch anders.

Ein Gespräch zwischen Sebastian Scheerer, Professor für Kriminologie an der Universität Hamburg und Jörg Auf dem Hövel.

HanfBlatt: Schön, daß Sie für das HanfBlatt Zeit haben.

Scheerer: Für das HanfBlatt doch immer.

Als Kriminologe beschäftigen Sie sich unter anderem mit der historischen Entstehung von Rechtsnormen, die heute den Umgang mit Cannabis, Alkohol und anderen Drogen bestimmen. Ein in der Rechtswissenschaft bisher nicht sehr populäres Forschungsgebiet, auf dem Sie Pionierarbeit leisten.

In Deutschland war ich wohl einer der Ersten, der sich genauer mit der Historie der Drogengesetzgebung auseinandergesetzt hat. In den USA gibt es David Musto, einen Medizinhistoriker an der Yale-University, der in seinem 1973 veröffentlichten Buch „The American Disease“ die amerikanische Betäubungsmittelgesetzgebung sehr genau untersucht. Inzwischen habe ich mich eingehender mit der Verbotsgeschichte einzelner Drogen beschäftigt. Opium, Morphium, Heroin und Kokain sind zwar in dem „1. Internationalen Opium Abkommen“ von Den Haag im Jahre 1912 zusammengepackt worden – welche Umstände aber zur Aufnahme der einzelnen Drogen in die Konvention geführt haben, ist kaum bekannt. Daß Kokain mit im Opium-Abkommen aufgeführt wurde, ist ja nicht selbstverständlich. Und auch weshalb man 1925 Cannabis in das Abkommen mitaufgenommen hat, ist relativ unbekannt.

Und wie kam Cannabis zu der Ehre?

Sebastian Scheerer
Sebastian Scheerer

Die übliche Geschichte wird von Howard S. Becker und Jack Herer erzählt: Da spielt der „Marihuana Tax Act“ von 1937 eine Rolle, ein Gesetz, welches formell ein Marihuana-Steuergesetz sein sollte, dem Inhalt nach aber das erste die gesamten USA umfassende Strafgesetz gegen Cannabis war. Dieses Gesetz wird dem sogenannten Moralunternehmer und Chef des damaligen „Federal Bureau of Narcotics“, Harry J. Anslinger, zugeschrieben. Das Problem dabei ist nur, daß dies 1937 war; international verboten war Cannabis aber schon seit 1925. Die Aktivitäten von Anslinger haben also keine Auswirkungen auf die Tatsache gehabt, daß Cannabis in einem Topf mit Opium und Heroin landete.

Der Vorschlag kam auf internationaler Ebene vielmehr aus den Ländern Türkei, Ägypten und Südafrika.

Mit welcher Motivation?

Das soll meine Forschung noch erhellen. Bekannt ist bisher folgendes: In Südafrika rauchten die schwarzen Bergarbeiter Cannabis. In Mosambique und Angola war Cannabis seit langer Zeit ein übliches Genußmittel. Das war für die Machthaber nicht interessant und exotisch, sondern irgendwie unheimlich. In der Geschichte der berauschenden Genußmittel ist immer wieder zu beobachten, daß Vorurteile gegen fremde „Rassen“ Hand in Hand gingen mit Vorurteilen gegen fremde Drogen. Irgendwann steht dann das eine für das andere und man glaubt, daß von der Droge selbst eine Gefahr ausgeht.

Und die Türkei und Ägypten?

In diesen Ländern spielten religiöse Gründe eine wichtige Rolle. Es gab immer wieder Sufi-Orden oder schiitische Minderheiten, die einen mystischen Weg der Erkenntnis wählten, in dem auch Rausch, Ekstase und Drogen eine wichtige Rolle spielten. Da diese Mystiker zugleich sehr kritisch gegenüber der Kirchenhierarchie, der sunnitischen Orthodoxie, waren, stand Cannabis in diesen Ländern dann als Synonym für Häresie. Aber nicht nur Cannabis, sondern auch Kaffee – jedenfalls noch im 16. Jahrhundert. Damals war in Konstantinopel Kaffee verboten, Kaffeehäuser wurden dem Erdboden gleich gemacht und Kaffeetrinker umgebracht. Dasselbe galt nebenbei auch für Tabakraucher. Und da Religion und Politik dort deckungsgleich waren…

Eine Säkularisierung hatte nicht stattgefunden…

…war eine religiös-häretische Richtung damit immer auch eine politische Bedrohung. In Ägypten lag der Fall anders: Dort und auch in Griechenland wurden Geisteskrankheiten und Cannabiskonsum in Verbindung gebracht.

Lassen sich allgemeine Aussagen über die Stellung von Cannabis im Islam treffen?

Der Status von Cannabis war und ist im Islam kontrovers: Cannabis war eine bevorzugte Droge der Armen und auch der armen religiösen Orden. Beide Gruppen stellten eine Gefahr für die herrschende Klasse da die Reichen die Cannabis-Konsumenten abschätzig betrachtete. In Rahmen dieser Politik war es einfacher und konsensfähiger, nicht die Leute, sondern die Droge zu verfolgen.

Das erinnert an Vorgänge in Europa und Amerika.

Ja. Während der Jugendrevolte von ´68 trampelte man auch gerne unter Vorhaltung medizinischer Gründen auf Cannabis herum. Schließlich konnte man schlecht sagen, daß einem die gesamte Art der Jugendlichen nicht gefiel. Das gab den Ressentiments einen objektiveren Anschein.

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Ein gewisses Muster ist wiedererkennbar. Immer wieder meint der Staat, für seine Bürger sagen zu müssen, welche Genußmittel sie zu konsumieren haben und welche nicht. Da hat sich auch für uns in Europa seit dem Mittelalter nicht viel geändert.

Praktisch hat sich Nichts verändert. Aber: Seit der französischen Revolution besteht der Anspruch, daß den Bürgern das erlaubt ist, was die Rechte andere nicht verletzt. Nur was die Realisierung dieses Rechts im Bereich der Genußmittel angeht, ist man auf der faktischen Ebene soweit wie vor 400 Jahren. Die allgemeine Handlungsfreiheit ist hier außer Kraft gesetzt.

Wie kam es später dazu, daß die Ärzte entscheiden, was gut ist und was nicht? Kann man sagen, daß die Wissenschaft immer nur das nachvollzogen hat, was auf sozial-moralischer Ebene schon vorentschieden wurde?

In dem Maße, in dem die Götter an Bedeutung verloren, wuchsen die Ärzte als „Halbgötter“ in die Rolle der Schiedsrichter zwischen Gut und Böse hinein. Allerdings segnen Sie meist nur pseudo-wissenschaftlich ab, was jeweils gerade „herrschende Meinung“ ist. Zu einer Zeit, als es hieß, daß Onanieren zum Rückenmarkschwund führe, fanden sich immer auch Mediziner, die das in dicken Büchern nachgewiesen haben. Und zu einer Zeit als der Nationalsozialismus bestimmte Vorstellungen von lebenswertem und lebensunwertem Leben verbreitete, fanden sich auch immer Mediziner, die das „bewiesen“. Was Drogen angeht, segnet die Medizin auch heute im wesentlichen die herrschenden Vorurteile ab, beziehungsweise hängt ihnen das Mäntelchen der Wissenschaft um.

Auch deswegen kommt Hans-Georg Behr ja zu der Behauptung: „Ich sehe keine Bewegung“. Was denken Sie, bewegt sich nichts in der Legalisierungsfrage von Cannabis?

Es passiert etwas in der Stimmung, in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung. Über die Hanfhäuser und die sonstige Vermarktung von allem, was mit Hanfblättern verziert ist, ändert sich die Sicht auf den Hanf. Das Hanfblatt ist nicht nur mehr ein Symbol der schweigenden Mehrheit, wie schrecklich gefährlich die Droge ist, sondern hat sich zu einem Symbol für das Gegenteil, nämlich für Natur und Ökologie und auch für eine gewisse Lässigkeit im Umgang mit diesem Genußmittel, gewandelt. Und insofern hat sich auf der symbolisch-kulturellen Ebene etwas bewegt. Nur: Von der symbolischen Ebene tröpfelt wenig runter in die Köpfe der Politiker. Selbst bei den Grünen sehe ich zu wenig Liberalität.

Dann ist die Kluft zwischen der Hanf-Bewegung, den Verfechtern des rauscharmen Hanfs, und den Streitern für eine Legalisierung der Droge ja obsolet.

Die betont harmlose Vermarktung weicht unter Umständen die Vorurteile gegen die Pflanze und auch die Leute, die diese Pflanze anders nutzen als zum anziehen, auf. Ansonsten bin ich kein Freund solcher Spaltungen. Dies gilt für die Leute, die sagen, sie wären für wirkstoffarme Anpflanzungen und gegen Rauschhanf genauso wie für den Gruppenegoismus von Cannabiskonsumenten gegenüber Kokain- oder Opiatkonsumenten. Ich habe früher mit Opiatkonsumenten gearbeitet. Dort habe ich viele Vorurteile gegenüber Alkoholkonsumenten erlebt. Dazu nur: Jede Droge hat ihre potentiellen Gefahren und Opfer. Es gibt keinen Grund zu sagen: „Auf die Leute, die mit Alkohol nicht zurecht kommen, schaue ich runter.“ Die Mehrheit der Opiat-, Kokain-, Alkohol- und Cannabiskonsumenten kommt mit den jeweiligen Substanz gut zurecht. Nur weil jemand ein gewisses Genußmittel präferiert, darf man ihn doch nicht strafrechtlich verfolgen. Das ist die grundlegende Absurdität!

Im Kern geht es allen Gruppen ja nur um den kurzzeitigen Rauschzustand. Der Konsument wird heute trotzdem mit strafrechtlichen Mitteln vor sich selber geschützt. Funktioniert dieser Schutz?

Ich kann eingeschliffene Frage und Antwortspiele nicht leiden. Es scheint ja eine Binsenweisheit zu sein, daß dieser Schutz nicht funktioniert. Aber gerade eine solche „Gewißheit“ sollte uns herausfordern, darüber neu nachzudenken…

… nun, ich kann meine Frage auch dahingehend konkretisieren, wie denn besserer Schutz aussehen könnte.

… ob es nicht doch Aspekte gibt, unter denen dieser momentane Schutz funktioniert. Sicher verschafft das straftrechtliche Verbot der Droge ein so schlechtes Image, daß viele Menschen mit ihr nicht in Verbindung kommen, die doch einmal in Versuchung kommen könnten, wenn es sie an jeder Ecke legal zu erwerben gäbe. So gesehen schützt man viele Menschen vor der Droge Cannabis. Zugleich nimmt man diesen Menschen aber das positive Potential der Droge und ein Stück Autonomie. Da müssen wir uns doch fragen: Wollen wir eine Gesellschaft, in der wir die Autonomie per Strafrecht abschneiden? Der momentane Schutz funktioniert nur in einem paternalistischen, entmündigenden Sinne.

Und der andere Schutz?

Bei der Sexualität sagt man ja auch nicht: „Du darfst nie Sex haben!“ Sondern man sieht ein, daß Sex eine wichtige Erfahrung ist, obwohl dabei Menschen immer wieder psychisch tief verletzt werden und sich ja zum Beispiel auch deswegen umbringen. Da sind sehr gewissenhafte Informationen, Verständnis und Hilfestellung gefragt – und das ist leider bei der Erziehung zu einer „guten Sexualität“ nicht anders als bei der Erziehung zum kundigen, vernünftigen Umgang mit Drogen.

Christian Rätsch schlägt so etwas wie einen Rauschkundeunterricht vor.

Sicherlich eine gute Idee. So wie der Staat eine Sexualaufklärung leistet, könnte er dies auch bei den Rauschmitteln tun. Zukünftig werden veränderte Wachbewußtseinszustände eine immer größere Rolle spielen. Es gibt ein gesellschaftliches Bedürfnis nach unterschiedlichen Erlebnissphären, nach inneren, seelischen Abenteuern. Im normalen Arbeitsalltag wird man einseitig gefordert und überfordert und es ist eine gute und richtige Entwicklung, daß man unter anderem durch eine Vielfalt von unterschiedlichen Bewußtseinszuständen, die man gezielt, aber auch kundig, anstrebt und erlebt, ein Gegengewicht zu diesen Normalwelten schafft. Dies hält das Bewußtsein von anderen Möglichkeiten wach oder schafft es neu.

Sie schreiben, daß sich die Gesellschaft daran gewöhnen muß, daß sich „im Zuge der allgemeinen Differenzierung der Lebensstile immer mehr Gruppen mit speziellen Genußpräferenzen herausbilden werden“. Die ravende Jugend mit ihrem Ecstasy und LSD-Konsum ist erst der Anfang?

Ja. Und für mich ein sympathischer Anfang. Ich teile nicht die Meinung, daß das den Weltuntergang bedeutet, wenn Leute eine Nacht lang durchtanzen. Die Leute sind risikobewußt und nicht risikofreudiger als Leute die Motorrad fahren. Viele Politiker und Polizisten glauben allerdings, das sei eine Bedrohung der Jugend und der gesamten Gesellschaft.

Die Angst der Mächtigen vor dem Rausch der Masse ist geblieben. Warum wird die Obrigkeit unruhig, wenn unter ihnen Ekstase herrscht?

Anthropologisch ist es so, daß der Rausch seine Faszination aus der Mischung von Risiko und Grenzüberschreitung bezieht. Der Mensch will als reflexives Tier diese Grenzen kennenlernen und periodisch überschreiten, ob im Karneval oder durch Drogen. Vor den Risiken dabei hat er aber -zurecht- Angst. Der Rausch ist ambivalent und nicht wegzudenken aus der menschlichen Existenz. Herrschaft und Machtwille bringen politische Ängste dazu, die in letzter Zeit eher größer als kleiner geworden sind. Das ist dann mehr der Blick des Fremden auf den Berauschten. Der Beobachter, der mit Vergrößerung der Distanz auch die Fähigkeit der Empathie verliert, hat eine chronische Angst, die Kontrolle über andere Menschen zu verlieren.

Wenn wir von Grenzüberschreitung sprechen, nähern wir uns den religiösen Erfahrungen. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Drogen und mystischer Welterfahrung?

Diese Bereiche durchwirken sich. Es gibt zwar voll säkularisierte Rauschkulturen, aber man findet nur wenige mystische Erfahrungen, wo Drogen keine Rolle spielen und andererseits wenig Rauschkulturen, wo spirituellen Beweggründe keine Rolle spielen. Insofern können die heutigen Rauschkulturen nicht nur Zeichen der Ausdifferenzierung von Lebensstilen sein, sondern auch eine neue Form der Spiritualität und Religiösität. In Deutschland ist dies allerdings nicht so ausgeprägt, weil hier die Säkularisierung ausgesprochen erfolgreich gewesen ist. Hier steht der Hedonismus im Vordergrund.

Interessant ist auch der Zusammenhang von Drogenkultur und dem Internet. Ist darüber schon nachgedacht worden?

Von mir nicht. Aber sagen Sie mal was dazu.

Gesellschaftliche Randgruppen fanden im Internet schnell eine Plattform, um ihre Anliegen an eine spezielle Öffentlichkeit zu bringen. An keinem anderen Ort gibt es so vorurteilsfreie, fundierte Informationen über psychoaktive Substanzen. Und das ohne moralische Bewertung. Die Ideen der amerikanische Cyber-Bewegung fußen zum großen Teil auf Erfahrungen mit Drogen. Faszinierend scheint auch hier -wie bei den religiösen Erfahrungen- die gedachte Möglichkeit zu sein, als reale und virtuelle Person gleichzeitig zu existieren. Ich sitze vor dem Rechner, bin aber gleichzeitig als Diskussionsteilnehmer in Asien. Es erfüllt sich also der Wunsch nach Transzendenz.

Die die Menschen immer schon gesucht haben. Und es war immer schon mit das aufregendste und tiefreichendste Erlebnis für Menschen, die sonst unausweichlichen Bedingungen unserer Wahrnehmung, nämlich Raum und Zeit, zu überwinden.

Kant nahm ja an, daß Raum und Zeit a priori gegeben sind. Und es gibt ja durchaus Zustände, in denen das Subjekt feststellt, daß dem nicht so ist.

Kant sah Raum und Zeit eben als Bedingungen unserer Wahrnehmung und nicht als gegebene Objekte an. Ob Raum und Zeit existieren, darüber hat Kant nichts gesagt. Nur waren Raum und Zeit für ihn unverrückbare Teile unseres Bewußtseins; wir sind nach Kant unfähig, anders als in Zeit und Raum zu denken und wahrzunehmen. Die mystischen Erlebnisse, die Kant nur unzureichend gewürdigt hat…

…er saß ja lieber in seiner Stube in Königsberg.

…zeigen aber gerade die Möglichkeit, an diesen Gitterstäben unseres Gedankengefängnisses zu sägen. Und warum sollte es illegitim sein, aus diesem Gefängnis ausbrechen zu wollen? Und die mystischen Erfahrungen gehen seit Jahrhunderten ganz beharrlich genau auf diesen Punkt ein.

Zurück zu Konkretem. Wie wird juristisch begründet, daß der Staat in das durch das Grundgesetz normierte Persönlichkeitsrecht, welches ja auch die Wahl der Genußmittel einschließt, eingreifen darf?

Auch dieses in der Verfassung stehende Grundrecht hat Schranken. Dies sind zum einen die Rechte anderer, aber auch die allgemeinen Gesetze. Wenn also ein anderes Gesetz das Persönlichkeitsrecht einschränkt, dann ist das eine legitime Grenze. Dieses Gesetz wird dann bei Bedarf vom Bundesverfassungsgericht daraufhin untersucht, ob es im Lichte des allgemeinen Persönlichkeitsrecht dieses zu sehr einschränkt.

Die Schranken haben also ihre Schranken.

Nach den Gesetzen der formalen Logik kommt man da nicht sehr viel weiter. Letztlich wird geprüft, ob die Schranken verhältnismäßig sind. Nach 500 Seiten juristischer Argumentation ist man faktisch nicht sehr viel weiter, denn es stellt sich natürlich die Frage: Was sind die Kriterien für die Verhältnismäßigkeit? Das Verfassungsgericht stellte im Zusammenhang mit der Cannabis-Entscheidung dann zwei Fragen: Einerseits: Wie wichtig ist die Freiheit, psychoaktive Substanzen zu sich zu nehmen? Gehört Sie zum Kern des Persönlichkeitsrechts? Und andererseits: Wie groß ist das Risiko? Diese beiden Güter wurden gegeneinander abgewogen, wobei das Gericht sagte: die freie Wahl der Rauschmittel ist kein zentrales Recht, aber die damit verbundenen Risiken wären enorm hoch. Also darf der Gesetzgeber das verbot aussprechen beziehungsweise beibehalten.

Und ihre Meinung?

Ich halte es für den Kern des Kernbereichs, daß man darüber entscheiden darf, wie man sich nach außen darstellt: Ob man rote oder grüne Kleidung trägt, ob man die Haare lang oder kurz hält, ob man zum Mittag Kartoffelbrei, Tütensuppe oder einen griechischen Hirtensalat ißt; diese Entscheidungen sollten dem Menschen selbst überlassen bleiben. Und dies gilt für die Zusammenstellung aller Genußmittel.

Der Hüter der Verfassung ging einen anderen Weg.

Das Gericht zählte das Recht auf Rausch nicht zum Kernbereich der Freiheit. Das Gewicht des Rechts auf Rausch wog für die Richter nicht so schwer wie die Risiken, die auch benannt wurden: Drogenhandel, Gefährdung der Jugendlichen und unklare medizinische Auswirkungen. Für diese Argumentation braucht man eigentlich keine Juristerei. Die spezifisch juristischen Begründungen sind genaugenommen Vernebelung, denn sie führen von der Sache her nicht weiter. Auch die Quellen und Beweisaufnahmen die für die Entscheidungsfindung benutzt wurden, waren unter Niveau und nicht auf dem neuesten wissenschaftlichen Stand.

Zum Ende: Wagen Sie einen Ausblick auf die zukünftige Entwicklung in Sachen Cannabis?

Die Befürchtung die ich früher stark hatte, daß die Cannabis-Legalisierungsdebatte zu Lasten der anderen Drogen geht, hat sich zerstreut. Die Pro-Cannabis Aktivitäten haben bisher nicht dazu geführt, daß Cannabis liberaler behandelt wird und andere Drogen stärker sanktioniert werden. Ich wollte nie reine Cannabis-Fälle politisch wie justiziell verarbeitet sehen, sondern die Freiheit jedweden Drogenkonsums erreichen.

Behr beispielsweise will das unbedingt getrennt behandeln.

Ich sehe nur, daß es offensichtlich sehr viel erfolgreicher war, Cannabis von den anderen Drogen zu trennen und einen Sonderweg zu gehen. Der ist zwar auch nicht so durchgreifend, wie ich erhofft hatte, aber ich habe heute nicht mehr die Befürchtung, daß diese Trennung zu Lasten der sogenannten harten Drogen ausschlägt. Insgesamt läßt sich feststellen, daß die veröffentlichte Meinung über Cannabis günstiger und teilweise objektiver als früher ist. Und das liegt maßgeblich an der Initiative von Wolfgang Neskovic. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist trotz allem immerhin ein winziger Schritt in Richtung auf die Normalisierung der Cannabis-Frage. Gegenreaktionen der Konservativen bleiben natürlich nicht aus, aber ich möchte bezweifeln, daß man die Debatte auf den Stand vor Neskovic zurückschrauben kann.

 

Sebastian Scheerer, geboren 1950, ist Mitherausgeber des Buches „Drogen und Drogenpolitik“, Frankfurt am Main, 1989. Im Rowohlt Verlag ist 1997 „Sucht“ erschienen.

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Interview mit James S. Ketchum über chemische Kriegsführung

telepolis, 15.08.2004

Chemische Kriegsführung

Ein Interview mit James S. Ketchum über fast vergessene Geheimnisse

Eine Menge wurde über die geheimen Experimente geschrieben, die die CIA während der Fünfziger und frühen Sechziger mit psychoaktiven Drogen, insbesondere LSD, durchgeführt hat. Diese Projekte namens „Bluebird“, später „Artichoke“ und „MKULTRA“ testeten den möglichen Einsatz zur Bewusstseinskontrolle und als Wahrheits-Serum. In zahlreichen Fällen wurden unwissenden Versuchspersonen diese Drogen verabreicht allein um zu beobachten, was passieren würde. Zu diesem Zweck führte die CIA sogar ein Bordell. Diese ziemlich anarchischen Aktivitäten im Rahmen des Kalten Krieges wurden in den Siebzigern öffentlich bekannt. Der Fall von Frank Olson, der kurz nachdem er LSD verabreicht bekommen hatte aus einem Fenster sprang oder geworfen wurde und starb, geriet ins Zentrum vieler Spekulationen. Außerdem wurde ein erheblicher Teil der umfangreichen wissenschaftlichen Forschung an LSD während dieser Zeit durch getarnte CIA-Fonds subventioniert.

Weniger bekannt ist die Tatsache, dass die US-Armee ihr eigenes chemisches Forschungszentrum hatte, das Edgewood Arsenal nordöstlich von Baltimore, wo sie auf wissenschaftlicher Basis eine Reihe von psychoaktiven Substanzen und ihre Anwendung als handlungsunfähig machende Wirkstoffe testete, darunter BZ und andere Belladonnoid-Glycolate und LSD.

Der Psychiater James S. Ketchum hat tatsächlich dort gearbeitet und den ersten umfassenden Bericht darüber geschrieben, was dort in den Sechzigern geschah. Sein kürzlich im Selbstverlag in Englisch veröffentlichtes autobiographisches Buch „Chemische Kriegsführung. Fast vergessene Geheimnisse. Eine persönliche Geschichte der Medizinischen Tests an Armee-Freiwilligen mit handlungsunfähig machenden chemischen Wirkstoffen während des Kalten Krieges (1955-1975)“ ist, reich bebildert und mit einzigartigen wissenschaftlichen Daten und Dokumenten bezüglich einiger ziemlich obskurer Substanzen vervollständigt, eine wahre Fundgrube sowohl für Sechziger Jahre-Historiker als auch Psychoaktiva-Afficionados.

Frage: Viele Menschen fürchten sich mehr vor psychoaktiven Substanzen, wenn sie als Waffen benutzt werden um Feinde in einer Kriegssituation handlungsunfähig zu machen, als vor den „traditionellen“ Waffen, Kugeln, Granaten und Bomben, die schwere körperliche Verletzungen oder den Tod sowohl von Soldaten als auch Zivilisten verursachen. Wie erklärst du dir diesen offensichtlichen Widerspruch?

James S. Ketchum: Meinem Gefühl nach hat die Öffentlichkeit im Angesicht exzessiver Geheimniskrämerei ein Mißtrauen gegenüber Regierungsabsichten entwickelt und wird dadurch von Kritikern in den Medien leicht dazu verführt zu glauben, dass jeder Gebrauch einer Chemikalie als Waffe zwangsläufig grausam und unmoralisch sei. Mangel an Wissen über handlungsunfähig machende Substanzen ist ein weiterer wichtiger Grund. Chemische Kriegsmaterialien mit geringem Tötungsrisiko werden unangebracht als Massenvernichtungswaffen klassifiziert. Das allgemeine Versäumnis, diese Unterscheidung zu treffen, ist bedauerlich. Es ähnelt dem Fehler Marijuana nicht von wirklich schädlichen Drogen wie Kokain und Heroin (ganz zu schweigen von Alkohol und Tabak) zu unterscheiden.

Frage: Von 1955 bis 1975 wurden insgesamt 3200 Freiwillige chemischen Wirkstoffen ausgesetzt, die ihnen zum Zwecke militärischer Forschung verabreicht wurden. Wie müssen wir uns vorstellen, was im Edgewood Arsenal geschah?

James S. Ketchum: Ich denke, das Bild sollte eines von ernsthafter Forschung sein, die mit bereitwilligen Freiwilligen gemacht wurde, mit dem Ziel angemessene Abwehrmöglichkeiten gegen möglicherweise einsetzbare chemische Waffen zu finden, indem man ihre Wirkungen auf den Menschen in einer Laborumgebung studierte, die darauf angelegt war, Sicherheit zu gewährleisten und widrige Wirkungen zu minimieren. Ein zweites Ziel war es alternative, humanere Waffen zu liefern, um bestimmte Missionen mit minimaler Todesrate durchführen zu können.

Frage: Du hast ausführlich BZ und andere Belladonnoide untersucht, die ähnlich den Nachtschatten-Alkaloiden Atropin und Skopolamin wirken, aber viel länger, 72 Stunden und mehr. Die Menschen unter ihrem Einfluss tendieren dazu lächerliche und sinnlose Dinge zu tun, zumindest aus Sicht eines Beobachters, und erinnern nicht viel, wenn sie wieder in die Normalität zurückkehren. Hast du jemals länger anhaltende Komplikationen nach den kontrollierten Tests mit den Belladonnoiden oder LSD beobachtet oder davon gehört?

James S. Ketchum: Ich weiss, dass einige Veteranen heute behaupten, 30 bis 50 Jahre nach einem kurzen Kontakt als Freiwilliger mit einer oder mehrerer Chemikalien in Edgewood, dass sie in Folge eines unerwarteten verzögerten toxischen Effektes auf Grund ihrer damaligen chemischen Erfahrung verschiedene Krankheiten entwickelt hätten. Wie auch immer, umfassende Nachuntersuchungen 1980 (für LSD) und 1982 (für Belladonnoide) haben keinen signifikanten Anstieg der Erkrankungsziffer oder der Sterblichkeit unter früheren Freiwilligen festgestellt, die eine Substanz erhielten, gegenüber denen, die keine bekamen. Man kann etwas Negatives niemals beweisen, aber es wäre meiner Ansicht nach bemerkenswert, wenn eine winzige Dosis einer Droge, die während der medizinischen Auswertung zwei Wochen nach der Zufuhr keine schädlichen Wirkungen erkennen ließ, auf irgendeine Weise Jahre später Schäden verursachen würde. So ist zum Beispiel nichts über verzögerte Schäden als Folge des persönlichen Gebrauchs von LSD in höheren Dosierungen oder größerer Frequenz, als wir sie getestet haben, bei diesen Konsumenten bekannt. (Geschätzte 10% der US-Bevölkerung haben LSD zumindest einmal genommen.) LSD ist heute nach wie vor als Freizeit- und psycho-spirituelle Droge beliebt.

Frage: Hat irgendjemand die Belladonnoid-Erfahrung genossen?

James S. Ketchum: Ein Individuum, ein früherer Heroin-Süchtiger, erlebte einen ruhigen, angenehmen Zustand nach einer handlungsunfähig machenden Dosis Atropin. Tatsächlich sagte er, die beiden Drogen fühlten sich ähnlich an. Wie auch immer, im Allgemeinen fanden die Freiwilligen, die Belladonnoid-Drogen erhielten (im Gegensatz zu dem manchmal Euphorie hervorrufenden LSD) kein Vergnügen an den frühen Wirkungen der Droge, hauptsächlich auf Grund der Ruhelosigkeit, die große Dosierungen während der Anfangsphase meist bewirken. Im Anschluss an die Erholungsphase erinnerten die Probanden allerdings meist kein ernsthaftes Unbehagen mehr, und einige fühlten sich sogar belebt.
Wie ich in meinem Buch herausstelle, wurde Atropin um 1950 herum in der „Koma-Therapie“ in den USA, Japan und Polen (und vielleicht noch woanders) in Dosierungen bis zu 20 mal so hoch wie die handlungsunfähig machende Dosis benutzt. Es wurde psychiatrischen Patienten verabreicht, ohne dass es zu drogenbedingten Todesfällen oder bleibenden Hirnschäden kam. Ein hoch qualifizierter Akademiker, der als von schweren Zwangsvorstellungen geplagter Arzt beschrieben wurde, war in der Lage, in verbessertem Zustand erfolgreich in seine Praxis zurückzukehren nachdem er ein Dutzend oder mehr Behandlungen mit Atropin in Dosierungen von 50 bis 200 mg erhalten hatte (4 – 16 mal so hoch wie die höchste Dosis, die wir jemals unseren Freiwilligen verabreicht haben). Auch wenn sie üblicherweise nicht genossen, bis zu 72 oder 96 Stunden lang delirös zu sein, so waren zumindest ein Dutzend der Freiwilligen bereit, den Test (ohne irgendeinen Zwang) zu wiederholen. Ich fragte eine Versuchsperson, was er dafür verlangen würde, wenn wir ihm anbieten würden, ihn dafür zu bezahlen, eine zweite Dosis zu nehmen, und er antwortete nach einigem Nachdenken: „Etwa 25 Dollar“.

Frage: Was sind die hauptsächlichen Risiken des Gebrauchs von Belladonnoiden als handlungsunfähig machende Wirkstoffe?

James S. Ketchum: Wie ich es sehe, bestehen zwei Gefahren: Erstens kann in einer heißen Umgebung ein Hitzschlag drohen, wenn nicht rechtzeitig Behandlung erfolgt; zweitens könnte desorganisiertes Verhalten, besonders nach Wiedererlangen der Bewegungsfähigkeit, zu unbeabsichtigten Verletzungen und Tod führen. In beiden Fällen sind strenge medizinische Überwachung und unverzügliche Behandlung die Schlüssel um solche Probleme zu verhindern, wenn sie bevorzustehen scheinen.

Frage: Die Armee hat große Mengen BZ hergestellt. Was für eine Art von Szenario könnte das Vorspiel für den Einsatz von BZ als psychochemischer Waffe gewesen sein?

James S. Ketchum: Ich denke, BZ (oder jedes andere Belladonnoid) könnte nur effektiv sein, wenn es in einem definierten, vorzugsweise beschränkten Gebiet eingesetzt werden würde, aus dem ein Entkommen verhindert werden kann, und ausreichend Zeit besteht um die erwünschten Wirkungen zu erreichen. Wenn zum Beispiel feindliche Kämpfer eine Botschaft besetzen würden, könnten BZ-artige Wirkstoffe benutzt werden, um es sicherer zu machen einzudringen und Geiseln zu befreien, während man gleichzeitig die „Übeltäter“ festnimmt. Logistische und operative Entscheidungen würden taktische Experten erfordern, um die Details auszuarbeiten. Ich persönlich würde nicht vorschlagen, solch eine Waffe für den Gebrauch durch den normalen Soldaten zur Verfügung zu stellen, außer er hätte eine umfassende Spezialausbildung erhalten.

Frage: Ihr habt den Gebrauch des Kalabarbohnen-Alkaloides Physostigmin als ein effektives Gegenmittel um die Belladonnoid-Wirkungen zu verkürzen wiederentdeckt, eine ziemlich interessante Errungenschaft. Wurden im Edgewood Arsenal noch andere wissenschaftlich wertvolle Entdeckungen gemacht?

James S. Ketchum: Ich denke, dass die systematische Charakterisierung verschiedener Belladonnoid-Wirkstoffe (und einiger anderer) eine akademische Basis bietet, um für diese Substanzen Struktur-Aktivitäts-Beziehungen in einem Maß abzuleiten, wie es zuvor nicht möglich war, außer für Tiere. Die Entwicklung des ersten zuverlässigen Bluttestes für LSD und das Herausfinden, dass Thorazin-artige Drogen hier als Behandlung ungeeignet sind, sind andere Beispiele. Viele neue Evaluations- und Test-Prozeduren wurden erarbeitet, die bei zukünftigen Humanstudien an Freiwilligen behilflich sein könnten.

Frage: Wie verliefen die LSD-Trips in der kontrollierten Umgebung eines Armee-Forschungslabors? Wurden zumindest einige der Versuchspersonen während ihrer Trips spirituell beeindruckt oder erleuchtet?

James S. Ketchum: Es ist schwer zu sagen. Wir waren hauptsächlich an den Leistungsänderungen unter verschiedenen Dosierungen interessiert. Auf Grund sorgfältiger Auswahl und Vorbereitung sowie ausreichend Zeit, um mit dem Personal und den anderen Freiwilligen vertraut zu werden, fühlten sich die Versuchspersonen in der Testsituation normalerweise wohl. Wir beobachteten viele Variationen in den Details ihrer Reaktionen, aber wenige schlechte Trips. Ich beobachtete eine vorteilhafte Veränderung im Selbstbild eines Soldaten nachdem er das, was ein schlechter Trip zu sein schien, mit seinen Kameraden diskutiert hatte. Sie boten ihm Unterstützung, und er war in der Lage, seine Sorgen bezüglich seiner sexuellen Fantasien gegenüber den Krankenschwestern zu offenbaren, was seine Angst linderte. Als er in seine Heimat-Einrichtung zurückgekehrt war, erfuhren wir indirekt, dass seine Persönlichkeit weniger introvertiert geworden war und seine sozialen Kompetenzen sich verbessert hatten.
Weil es unsere Absicht war, Veränderungen in der Leistungsfähigkeit zu messen und nicht persönliche Erleuchtung, ist es schwer zu sagen, welche persönlichen Vorteile in der spirituellen Dimension stattgefunden haben mögen. Es wäre schön, glauben zu können, dass sie zumindest in einigen Versuchspersonen auftraten, aber wir haben zu diesem Aspekt keine systematischen Daten gesammelt.

Frage: Hattet ihr irgendeine Medikation um einen angsterfüllten und erschreckenden LSD-Trip zu beenden oder abzukürzen?

James S. Ketchum: Wie erwähnt, waren schlechte Trips selten. Ich kann mich nicht erinnern, bei den Versuchspersonen, die ich getestet habe, jemals Tranquilizer (wie Valium oder ein Barbiturat) geben zu müssen, aber da einige der Tests von anderen Ärzten überwacht wurden, kann ich keine definitive Antwort geben. Natürlich hätten wir ein Beruhigungsmittel verabreicht, wenn eine wirklich verstörende Wirkung aufgetreten wäre. Wie auch immer, die Dosierungen des LSD waren normalerweise klein oder moderat (das heißt 50-150 mcg), und panische Reaktionen treten in diesem Dosisbereich selten auf.
Frage: Was habt ihr über die Einsatzfähigkeit von LSD in einer Kampfsituation herausgefunden?

James S. Ketchum: Ich beobachtete, dass bei einem Test, der an der chemischen Forschungsanstalt in England in Porton Down gefilmt worden war, bei einer trainierten Gruppe britischer Kommandos LSD in Dosen von 150 mcg totale Desorganisation hervorrief. In sowohl den britischen als auch den amerikanischen Tests mit LSD wurden keine gewalttätigen Aggressionen beobachtet. Höhere Dosierungen tendierten allerdings dazu, mehr Reizbarkeit und verbale Feindseligkeit hervorzubringen. Mein Hauptbedenken bezüglich der Einsatzfähigkeit von LSD in einer Kampfsituation wäre der Verlust an Hemmungen und Disziplin. Weil der Betroffene noch in der Lage sein mag, Waffen abzuschießen oder Raketen abzufeuern. LSD würde gegen schwer bewaffnete Gegner eine gefährliche Wahl darstellen. Die Kommandeure am Edgewood Arsenal empfanden ebenso, und LSD wurde niemals zur Bewaffnung zugelassen.

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Frage: Seltsamerweise schafftest du es von 1966 bis 1968 eine zweijährige Studienphase an der Stanford Universität einzuschieben und hast so die Chance erhalten, den „Sommer der Liebe“ in San Francisco persönlich zu bezeugen. Du hast sogar an der Haight-Ashbury Free Clinic gearbeitet. Wie hast du den „Sommer der Liebe“ erlebt? Was hast du über diese jungen Leute gedacht, die einige der Drogen nahmen, die du als handlungsunfähig machende Wirkstoffe getestet hattest, insbesondere LSD?

James S. Ketchum: Ich war fasziniert vom Sommer der Liebe und schaffte es einige Male von Palo Alto nach San Francisco zu fahren und ihn aus erster Hand zu beobachten. Indem ich eine Nacht in der Woche als freiwilliger Arzt in der Klinik arbeitete, begegnete ich einer ziemlichen Vielfalt an LSD-Reaktionen. Ich versuchte außerdem mit einigen wenigen Individuen auf einer wöchentlichen Basis Psychotherapie zu machen. Es war mein Eindruck, dass diese frühen Hippies oft spirituell veranlagt waren und LSD für Einsicht und Selbst-Erleuchtung nutzten. Unglücklicherweise nahmen sie es manchmal zur falschen Zeit und am falschen Ort und oft in exzessiv hohen Dosen, was zu einer Welle von Notaufnahmestationsbesuchen führte.
Ich glaube nicht an die Sinnhaftigkeit einer Politik, die es Privatpersonen verbietet psychedelische Drogen einzunehmen, aber ich empfehle kenntnisreiche Supervision und gebührende Absichten. Wie auch immer, der Gebrauch bewusstseinsverändernder Drogen durch Teenager ist nicht ratsam und sollte aus Gründen der psychischen Gesundheit mißbilligt werden; Drogen können das Lernen beeinträchtigen und das Studium durch „High werden“ ersetzen, sich der Zeit und des klaren Verstandes für mehrere Stunden bemächtigen. Medizinische Behandlung für die, die nicht vom Drogenmißbrauch Abstand nehmen können, macht für mich viel mehr Sinn als Gefängnis, außer im Falle der Individuen, die sich auf gefährliches antisoziales Verhalten einlassen oder Anderen Schaden zufügen.
Frage: In den Sechzigern begann die Einnahme psychoaktiver Substanzen zur Unterhaltung Bestandteil westlicher (Jugend-)Kultur zu werden. Was denkst du, wie wir mit diesem Phänomen umgehen sollen?

James S. Ketchum: Die Politiker unseres Landes haben die negativen Auswirkungen von Drogen bis zu dem Punkt propagiert, an dem wir tausende ansonsten unschuldiger Individuen einsperren und Milliarden ausgeben um Drogen unerhältlich zu machen. Diese Strategie hat tatsächlich unsere Probleme verschlimmert, Kartelle bereichert, Morde gefördert und Geld aus unserer Ökonomie abgezogen, das besseren Zwecken gedient haben könnte. Von allen drogenbedingten Todesfällen, so schätzt man, werden 99 Prozent durch Zigaretten und Alkohol bedingt, während die den illegalen Drogen zuzuschreibenden Todesfälle nur 1 Prozent umfassen. Diese Strategie der Prävention zu überdenken und bessere Erziehung und attraktive Optionen zum Drogengebrauch zu bieten, würde gleichzeitig rationaler erscheinen und eine weniger kostspielige Herangehensweise an Drogenmißbrauchsprobleme darstellen.

Frage: Was denkst du im Rückblick über die Moralität und den Nutzen deiner Arbeit am Edgewood Arsenal?

James S. Ketchum: Ich war stolz auf die Arbeit, die wir in Edgewood machten, und glaubte, sie wäre moralisch gerechtfertigt, insbesondere im Kontext der Zeit. Wir befanden uns inmitten eines Kalten Krieges, dessen zukünftige Ausrichtung ungewiss war. Nichtsdestotrotz war es unsere Absicht, chemische Methoden der Schadensbegrenzung zu finden. Wir taten alles, was wir konnten, um wahre Informationen für mündige Entscheidungen zu liefern. Als abschließende Überlegung sollte die Wichtigkeit zu Lernen, wie man die Drogen, die wir studiert haben, behandelt und sie, wenn notwendig, einsetzt, gegen das minimale Risiko der Schädigung der Freiwilligen abgewogen werden.
Risiken sind jedem Experiment inhärent. Die Soldaten, die an unseren Studien teilnahmen, verrichteten einen wichtigen Dienst für ihr Land und sollten geschätzt werden für ihre Bereitwilligkeit Risiken einzugehen im Interesse der nationalen Verteidigungsfähigkeit im Falle einer psychochemischen Kriegsführung. Insofern da wir alles taten, was wir konnten, um die Tests so sicher wie möglich zu machen und uns um Zustimmung auf Basis wahrer Informationen bemühten (trotz Behauptungen des Gegenteils), glaube ich, dass unsere Arbeit tatsächlich ethisch war.
Das Buch:

James S. Ketchum
Chemical Warfare. Secrets almost forgotten. A Personal Story of Medical Testing of Army Volunteers with Incapacitating Chemical Agents During the Cold War (1955-1975)
Foreword: Alexander Shulgin
Hardcover, Großformat, 360 S., zahlreiche Abb.
Santa Rosa, California 2006
49.95 US-Dollar
ISBN 978-1-4243-0080-8

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Interview mit Günther Amendt über Doping und die Pharmakologisierung des Alltags

telepolis, 15.08.2004

„Der Leistungssport wird seine ‚Unschuld‘ nie wieder zurückgewinnen“

Interview mit Günter Amendt, Experte für Drogenökonomie und Drogenpolitik, über Doping, die Pharmakologisierung des Alltags und das Scheitern der Prohibition

Amendt

Seit nunmehr 30 Jahren untersucht Günter Amendt die Wirkung von Drogen auf Menschen – auf diejenigen, die sie verkaufen, auf die, die sie konsumieren, und auf die, die sie kontrollieren. Schon 1972 veröffentlichte er das inzwischen mehrfach aktualisierte Buch „Sucht. Profit. Sucht“. Darin analysierte er zusammen mit Ulli Stiehler die politische Ökonomie des Drogenhandels. Seine Analyse des internationalen Kampfes gegen die Drogen führte Amendt über die Jahre immer mehr zu dem Schluss, dass die Prohibition einer der größten politischen Fehler des 20. Jahrhunderts gewesen sei. Sein Argument: Erst das Verbot schaffe den globalen Drogenhandel, darum sei dieser Schaden größer als das Risiko der Legalisierung. Im Interview lässt der Hobby-Radsportler Amendt, Jahrgang 1939, die Ereignisse der Tour de France Revue passieren, wagt einen Ausblick auf das Doping bei den Olympischen Spielen und weist auf die Gefahren einer medikamenten- und substanzfixierten Gesellschaft hin.

Herr Amendt, bei der diesjährigen Tour de France waren sich Radfahrer, Organisatoren und Sponsoren mal wieder einig: Doping ist die Ausnahme, Doping ist das, was die anderen machen. Ist das nicht ein bewusster Irrtum? Und wenn ja, warum wird er so vehement verteidigt?

Günter Amendt
Außer dem jungen Thomas Voeckler, der möglicherweise für eine neue Generation von Fahrern steht, die ohne chemische Hilfsmittel vorankommen wollen, war unter den Spitzenleuten der diesjährigen Tour kaum einer, der nicht bereits des Doping überführt worden wäre oder unter Dopingverdacht geraten ist. Juristisch gilt die Unschuldsvermutung, moralisch die Schuldvermutung, denn die Tour de France wird, wie der französische Sportminister es ausdrückte, beherrscht von einer „Kultur des Doping“. Daran hat sich nichts geändert. Niemand bei klarem Verstand glaubt dem Geschwätz der Funktionäre und der Sponsoren-Sprecher, wenn die das Gegenteil beteuern.
Wie gehen wir als Publikum und Radsportler mit diesem Wissen um? Diese Frage hat mich bei der diesjährigen Tour besonders beschäftigt. Da wir ein Gespräch über Doping im Sport verabredet haben, sollte ich zum besseren Verständnis vorausschicken, dass ich mich schon als Junge für Sport zu interessieren begann und dass ich seit Jahren auf dem Niveau eines Freizeitsportlers alleine oder mit einer Gruppe von Freunden auf dem Rennrad unterwegs bin. Ich lebe also im ständigen Widerspruch einer Leidenschaft für den Radsport (und den Fußball) und dem Wissen und den Erkenntnissen über deren Schattenseiten. Vor diesem Hintergrund kann ich nicht umhin, Armstrongs sechsten Toursieg als eine gigantische sportliche Leistung zu bewundern. Armstrongs Auftritt war die ebenso beeindruckende wie abstoßende Demonstration eines unbeugsamen Leistungswillens.

Aber was unterscheidet Armstrong von Voeckler? Der Glaubwürdigkeitsgrad seiner Beteuerungen? Anders gefragt: Kann man ohne Doping bei 3400 Kilometern mit über 40km/h Durchschnittsgeschwindigkeit überhaupt vorne mitfahren?

Günter Amendt
Armstrong ist ein Mann unter Verdacht. Voeckler nicht – vielleicht auch nur: noch nicht. Natürlich kann ich mir nicht vorstellen, wie man solche Spitzenleistungen ohne chemische Hilfsmittel zustande bringen soll. Ich werde jedoch den Verdacht nicht los, dass sich Teile des Publikums und der Medienöffentlichkeit längst mit der Dopingrealität arrangiert haben. In Europa findet eine Anpassung statt an US-amerikanische Verhältnisse, wo der Sportler als Gladiator wahrgenommen und akzeptiert wird. Armstrongs Status in Europa, die Antipathie, die ihm entgegenschlägt, hat weniger mit dem Dopingverdacht zu tun, dem er – zugegeben – massiv ausgesetzt ist, was ihm verübelt wird, ist diese spezifisch US-amerikanische Siegermentalität, die er cool nach außen trägt, was ihm den Ruf der Arroganz einträgt. Armstrong ist ein kalter Sportheld. Doch man muss sich entscheiden – wer professionellen Leistungssport will, muss in Kauf nehmen, dass unter den Bedingungen des Neoliberalismus sportethische Kriterien nichts mehr zählen. So ist das System. Das Gerede von Armstrongs Kannibalismus ist einfach nur lächerlich. Das ganze System ist kannibalisch. Und dazu gehört: der Gegner muss nicht nur besiegt, er soll auch gedemütigt werden. The winner takes it all für sich und für sein hierarchisch geführtes Team, das sich ganz in den Dienst seines Kapitäns zu stellen hat und im Gegenzug die Siegprämie beanspruchen darf. Das nennt man Professionalismus. Ich wüsste nicht, was es daran zu kritisieren gäbe. Und doch hat Armstrong die Schraube überdreht. Sich bei einem Ausreißversuch seines italienischen Intimfeindes an dessen Hinterrad zu hängen und den Sheriff zu spielen, war too much. Das hat ihn beim Buhlen um die Gunst des Publikums Punkte gekostet und selbst Sympathisanten abgestoßen. Dieser Typ von Amerikaner hat derzeit schlechte Karten in Europa.

Sportliche Großereignisse, Doping, die Massenmedien und der Staat

Wie bekommt der Sport das Doping in den Griff?

Günter Amendt
Doping ist mehr als nur ein sportinternes Problem. Bei allen sportlichen Großereignissen ist der Staat involviert. Weil sportliche Leistungen noch immer als Ausdruck der nationalen Leistungsfähigkeit weit über den Sport hinaus gelten, fördert der Staat seine Hochleistungssportler – oft über den Umweg der Armee und der Polizei. Olympische Spiele sind immer auch Armee- und Polizeifestspiele – innerhalb wie außerhalb der Stadien. Erhält ein Land den Zuschlag als Veranstalter eines Großereignisses, werden zusätzlich gigantische Summen aus Steuermitteln in Stadionneubauten und in Infrastrukturmaßnahmen gesteckt. Nach dem „Event“ stehen die Stadionbauten allzu oft als Investitionsruinen in der Landschaft herum. Jüngstes Beispiel für einen skandalösen Fehleinsatz staatlicher Mittel ist Portugal, das nach der Fußball-Europameisterschaft zwar überdimensionierte Stadien vorzuweisen hat, dafür aber nicht genügend Wasserflugzeuge und Hubschrauber bei der Waldbrandbekämpfung zur Verfügung hatte.

Folgt man dieser Logik, dann können Großveranstaltungen dieser Art nur noch in voll entwickelten Industrienationen stattfinden, wo Markt und Fans eh nach neuen Stadien rufen.

Günter Amendt
Ob die Fans tatsächlich nach neuen Stadien rufen, sei dahingestellt. Ich habe da meine Zweifel, wenn ich etwa an das Fan-Publikum von 1860 München denke, das sich gegen den Umzug vom Grünwalder- ins Olympiastadion stemmte. Wenn man mit Mitgliedern von Fan-Gruppen kleinerer Bundesligavereine spricht, wird man in seinen Zweifeln bestärkt. Da wird oft der Verdacht geäußert, mit dem Neubau von Stadien solle gleich auch das Publikum ausgetauscht werden. Aber das ist ein anderes Thema. Was die Veranstaltung von sportlichen Großereignissen betrifft, stimme ich Ihnen zu: nur entwickelte Industrienationen sind dazu in der Lage. Das heißt aber noch lange nicht, dass sich der ganze Aufwand am Ende ökonomisch rechnet. Mangelnde Auslastung, Leerstand und enorme Folgekosten belasten die Haushalte der kommunalen Träger oft über Jahre hinaus. Handelt es sich um private Träger, dann schlagen sich deren Verlustabschreibungen in Form von Steuermindereinnahmen in den Haushalten nieder.

Heißt das, der Staat soll sich aus der Sportförderung zurückziehen?

Günter Amendt
Als Gegenleistung für sein finanzielles Engagement verlangt der Staat einen „sauberen Sport“, denn nur ein „sauberer Sport“ kann die ihm zugedachte Rolle als Vermittler von Werten wahrnehmen. Doch um welche Werte geht es da eigentlich? In der diesjährigen Tourberichterstattung von ARD und ZDF wurde deutlich, dass es darüber keinen Konsens gibt. Als der Chef von T-Mobile Jan Ullrich bescheinigte, er sei keine „Bestie“ und kein „Killer“, gab der Ex-Profi Rolf Gölz als Co-Kommentator des ZDF zu bedenken, man könne das auch als Kompliment verstehen, während sein Kommentatoren-Kollege wie auch der Chef der ZDF-Sportredaktion sich diesen Vorwurf voll zueigen machten. Und kaum war ein Mitglied des T-Mobile-Teams an Ullrich vorbeigezogen, wurde die Frage aufgeworfen, ob Ullrich nicht die Kapitänsbinde an Andreas Klöden abgeben müsse. Mit seiner Weigerung, diesem Vorschlag auch nur gedanklich nahezutreten, setzte sich auch Klöden dem Verdacht aus, keine Bestie und kein Killer zu sein. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, die ihrerseits erhebliche Mittel für die Berichterstattung einsetzen, brauchen deutsche Siege, um ihren Mitteleinsatz zu rechtfertigen und das Publikum am Bildschirm zu halten. Über das T-Mobile-Team wird berichtet, als sei es die deutsche Radsport-Nationalmannschaft.

Nun, Ullrich, das „schlampige Genie“, wie er ja gerne genannt wird, ist ja nun mal auch ein nationaler Held. Und wenn es eine Nationalmannschaft gäbe, wäre Ullrich der Kapitän.

Günter Amendt
Mir ist es völlig egal, ob die Fans schwarz-rot-goldene oder magentafarbene Fahnen schwenken. Ich würde weder das eine noch das andere tun. Tatsache ist jedoch, dass Ullrich seinem Beruf als Radrennfahrer im Dienste eines Konzerns und nicht im Dienste der Bundesrepublik Deutschland nachgeht. Das ist einer der vielen Widersprüche in der Diskussion, den ich im Dopingkapitel meines Buches „No Drugs – No Future. Drogen im Zeitalter der Globalisierung“ bereits thematisiert habe: „Das Bemühen, Sport im Zeitalter der Globalisierung als nationale Klammer zu benutzen, ist eher gewachsen, steht allerdings in Konkurrenz zu den Anstrengungen global operierender Konzerne, an die Stelle von nationalen Symbolen die Logos von Firmen zu setzen.“
Dass eine öffentlich-rechtliche Anstalt als Sponsor eines Firmen-Teams auftritt, zu dessen Mitgliedern des Doping überführte oder des Doping verdächtigte Radsportler gehören, und dann auch noch anfeuernd über den Wettkampfeinsatz dieses Teams berichtet, ist und bleibt ein Medienskandal, auch wenn sich die Öffentlichkeit damit abgefunden hat. Was sich der ARD-Kommentator leistete, als er die nationale Karte zog, und dem CSC-Profi Jens Voigt vorwarf, den Etappensieg von Jan Ullrich, der für T-Mobile im Sattel saß, verhindert zu haben, hat mit kritischem Journalismus nichts aber auch gar nichts zu tun. Diese Art von Berichterstattung trägt zur Vermobbung der Massen am Straßenrand bei, wie sie beim Aufstieg nach Alpe d’Huez und dem Verhalten deutscher Fans gegenüber Lance Armstrong zu beobachten war.

Die US-amerikanische Leichtathletik befindet sich seit Monaten im größten Doping-Skandal ihrer Geschichte, Hunderte von Sportlern haben illegalen Muskelaufbau betrieben. Bei den nun beginnenden Olympischen Spielen in Athen will das IOC hart durchgreifen. Ist der Wille tatsächlich da, entschlossen gegen Doping vorzugehen? Und wie ist die Rolle der Anti-Doping-Agentur der USA (USADA) einzuschätzen?

Günter Amendt
Es wird den Fernsehanstalten auch diesmal gelingen, das Publikum vor dem Bildschirm zu versammeln. Getrommelt wird ja genug. Aber mal ehrlich: Wer interessiert sich noch für die Olympiade? Es gab einmal eine Zeit, als „die Sommerspiele“ ein geradezu festliches Ereignis waren, das alle Sportinteressierten in eine kindliche Vorfreude zu setzen vermochte. Das ist schon lange vorbei. Die inflationäre Aneinanderreihung von großen Events – die Fußball-Europameisterschaft, die Tour de France, die Sommerspiele – wertet die Olympiade zusätzlich ab. Und selbstverständlich stehen die Leichtathletikwettkämpfe, die als der Höhepunkt olympischer Sommerspiele gelten, für jeden einigermaßen informierten Zuschauer im Schatten des US-amerikanischen Dopingskandals. Das IOC will durchgreifen – hart und unerbittlich. Dabei weiß doch jeder, dass ein bei den olympischen Spielen des Doping überführter Sportler nur ein Depp ist, der es einfach nicht geschafft hat, seine Aufbausubstanzen rechtzeitig abzusetzen. Ich rechne mit einigen Dopingfällen bei sogenannten Randsportarten. Auch in der Leichtathletik wird es den einen oder anderen Dopingfall geben. Einige der US-Doper treten erst gar nicht an, weil sie von ihrem Verband gesperrt wurden. Der Rest ist zum Zeitpunkt des Wettbewerbs entweder clean oder auf dem aller neuesten Stand der Dopingtechnik, der einen Nachweis unmöglich macht. Dass die US-Anti-Doping-Agentur und die US-Sportverbände über Jahre hinweg eine äußerst dubiose Rolle spielten, ist hinlänglich bekannt. Ob man das auch jetzt noch, nach dem Bullenmastskandal (THG), weiter behaupten kann, weiß ich nicht. Diese Skandalgeschichte ist noch nicht zu Ende erzählt. Ich traue mir da im Augenblick kein Urteil zu.

Saubere Spiele und die Pharmakologisierung des Alltags

Sind denn „saubere Spiele“ ein realistisches und sind sie überhaupt ein wünschenswertes Ziel?

Günter Amendt
Der Leistungssport wird seine „Unschuld“ nie wieder zurückgewinnen. Den Anspruch auf einen „sauberen Sport“, soweit er sich auf den professionellen Hochleistungssport bezieht, sollte man schnellstens vergessen. „Sauberer Sport“, das ist eine Propagandaformel, und „propaganda all is phony“, erkannte schon Bob Dylan.

Aber was ist die Konsequenz? Die Freigabe des Dopings?

Günter Amendt
Es gibt Profisportler und Verbandsfunktionäre, die genau das fordern. Bei nüchterner Betrachtung liegt ihre Forderung, Doping freizugeben, in der Logik eines total pervertierten Hochleistungssports, der sich als Zirkusveranstaltung den Spielregeln der Unterhaltungsindustrie unterworfen hat. Diese Diskussion macht Sportlerinnen und Sportler, die clean sind, rasend, denn mit der Forderung, Doping zu legalisieren, wird der Generalverdacht, unter dem heute jeder steht, der sich am sportlichen Wettbewerb beteiligt, verstärkt und bestätigt.

Welche Rolle fällt dem Staat in einer mit Medikamenten gesättigten Gesellschaft zu, deren substanzorientierte Institution „Sport“ ja nur ein logischer Teil ihrer selbst ist?

Günter Amendt
Gegen staatliche Sportförderung ist nichts einzuwenden. Doch der Staat fördert nicht den Sport, er fördert die Höchstleistung. Wer die Pharmakologisierung des Alltags, die sich schleichend vollzieht, für einen Fortschritt hält, wird nichts dagegen einzuwenden haben, wenn der Staat und dessen politische Klasse chemisch erzeugte Höchstleistungen als Ausdruck des Leistungswillens der Bevölkerung aus Steuermitteln fördert. Das nennt sich dann Standortpolitik.

Nennen Sie bitte Zahlen, die diese kontinuierliche Pharmakologisierung untermauern.

Günter Amendt
Die These von der Pharmakologisierung des Alltags stützt sich auf allgemein zugängliche Quellen, wie die Geschäftsberichte der Pharmaindustrie, die Berichterstattung der Wirtschaftspresse und den jährlichen Report des Suchtstoffkontrollrates der Vereinten Nationen, der für diese Entwicklung, die leichtfertige Verschreibungspraxis der Ärzte und die Parallelproduktion der Pharmaindustrie zur Belieferung des illegalen Marktes verantwortlich macht. Das im Detail darzustellen, würde den Rahmen eines Interviews sprengen. Hinzu kommt, dass der Medikamentenhandel sich zunehmend in der Grauzone von Legalität und Illegalität abspielt. Denken Sie nur an den Handel im beziehungsweise über das Internet, wo Viagra der Renner ist. Viele Vertreter der Pharmabranche geben unumwunden zu, dass sie daran arbeiten, bestimmte Stoffe vom Image eines Medikamentes zu befreien und unter dem großen Dach des Life-Style-Segments zu vereinen. Das beginnt bei der Vitaminpille und führt zur Raucherentwöhnungspille, der Verhütungspille vor und nach dem Geschlechtsverkehr, der Entfettungspille, der Potenzpille und endet bei angstlösenden Pillen und Antidepressiva. Hinzu kommt die breite Palette der Anti-Aging-Produkte. In einer Analyse des Pharmamarktes bescheinigt das Wirtschaftsmagazin „Capital“ den Life-Style-Produkten ein „sicheres Wachstum“. Lag der Umsatz im Jahr 2000 noch bei 19,5 Milliarden Dollar, so sei für 2010 mit einem Umsatz von 41 Milliarden Dollar zu rechnen.

Der chemisch optimierbare Mensch

Was sind die Konsequenzen der Ausweitung dieser Pillenzone? Was spricht dagegen, dass sich Menschen mit geeigneten Mitteln Alltag oder Freizeit gestalten? Das gab es doch schon immer.

Günter Amendt
Dagegen spricht, dass viele Pillen nicht die Wirkung zeigen, die sie versprechen, dass sie Nebenwirkungen haben, die nicht tragbar sind, und dass sie über ein Suchtpotential verfügen, welches die Konsumenten abhängig macht. Darüber hinaus hat die Ausweitung der Pillenzone eine gesellschaftliche Dimension, die man nicht vernachlässigen sollte. Wenn Heranwachsende schon in frühester Kindheit daran gewöhnt werden, alle körperlichen und psychischen Probleme mit Hilfe einer Pille zu regeln, wird das Hirn so programmiert, dass die Fähigkeit, Probleme aus sich heraus zu lösen, verloren geht. Eine Jugendbefragung in Luxemburg hat herausgefunden, dass die Bereitschaft, illegale Substanzen wie Ecstasy und andere sogenannte Partydrogen zu schlucken, um so größer ist, je mehr Vorerfahrung die Betreffenden mit Pillen und Tabletten in ihrer Kindheit hatten. Der routinierte Griff zur Pille schließt die Bereitschaft ein, sich mit der Bekämpfung von Symptomen zu begnügen, und nach den Ursachen der Müdigkeit, des Stresses, der Antriebslosigkeit, des Schmerzes, der Traurigkeit, der Angst und der Depressivität nicht mehr zu fragen. Das führt zu einem Verlust aller gesellschaftlichen und politischen Bezüge.
Ich kann mich auch hier nur wiederholen: „Die schrankenlose Pharmakologisierung des Alltags führt dazu, dass wir den Menschen nicht mehr als soziales, sondern als manipulierbares und chemisch optimierbares Wesen wahrnehmen.“ Wem das keine Probleme bereitet, der ist bei den Sozialingenieuren der Pharmaindustrie gut aufgehoben.

In welcher Hinsicht hängen das ungebändigte Doping im Sport, die fortschreitende Pharmakologisierung des Alltags und der vehemente Pilleneinwurf der „Raving Society“ zusammen?

Günter Amendt
Den übermäßigen Konsum von Amphetamin und Amphetaminderivaten, wie des in der Raver-Szene so beliebten MDMA, habe ich schon immer als eine Form von Alltagsdoping verstanden. Insofern besteht da ein Zusammenhang. Die außerordentlichen körperlichen Leistungen, die sich ein hard-core Raver zumutet, verlangen nach einem Antriebsmittel. Freizeit ist Arbeitszeit, wobei der Energieverbrauch im Freizeitsektor oft weit über dem im Berufs- und Schulalltag liegt.

Die Raver-Generation der 90er Jahre hat die letzten Reste eines chemiekritischen Bewusstseins eliminiert

Die „psychedelische Bewegung“ der 90er sah – wie Teile der 68er-Generation – den „Weg nach Innen“ als die erfolgversprechende Variante zur Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse an. War das ein Trugschluss?

Günter Amendt
Es ist durchaus nicht abwegig, die 60er Jahre als das Jahrzehnt der Drogen zu bezeichnen. Doch anders als der öffentliche Diskurs glauben machen will, waren nicht Haschisch, Marihuana und LSD die damals bestimmenden Drogen, es war die Einführung von Valium und artverwandten Stoffe, die alle auf die Beeinflussung des Zentralnervensystems zielen, welche die 60er Jahre zu einem Drogenjahrzehnt machten. Was die 68er Generation betrifft, so gab es drei Strömungen in der Drogenfrage. Große Teile der Linken lehnten jeden Gebrauch von Drogen rundweg ab – dabei ging es vorwiegend um Cannabis und natürlich nicht um Alkohol. Unter den Drogenbefürwortern waren solche, die synthetische Drogen grundsätzlich ablehnten und solche, die für deren Gebrauch eintraten – dabei ging es vor allem um LSD und andere Trips. In der politisierten LSD- und Kifferszene war der Gedanke populär, mit Hilfe von drogenindizierter Bewusstseinsveränderung oder gar Bewusstseinserweiterung gesellschaftliche Veränderungen zu bewirken. Ich persönlich habe davon nie viel gehalten. Es ist jedoch unbestreitbar, dass sich die kollektive Drogenerfahrung jener Jahre in der Wahrnehmung der Gesellschaft niedergeschlagen hat. Ein Beispiel ist die veränderte Wahrnehmung des Verhältnisses von Mensch und Natur, die wiederum Rückwirkungen hatte auf das sich in den 70er Jahren entwickelnde ökologische Bewusstsein. Zwischen der 90er Jahre Partyszene und der 68er Szene sehe ich nur wenige Gemeinsamkeiten. So viel ist aber sicher, die Raver-Generation der 90er Jahre hat es geschafft, unter den Jungen von heute die letzten Reste eines chemiekritischen Bewusstseins, das sich in den 70er Jahren herausgebildet hatte, zu eliminieren.

Aber auch unter den jungen Drogennutzern gibt es doch den Trend „Zurück zur Natur“. Ephedra statt Ecstasy, Coffein anstelle von Speed, lieber Kiffen als Koksen und Psilos seien besser als LSD. Was ist davon zu halten?

Günter Amendt
Auch ich habe diesen Trend registriert und interpretiere ihn als Abwehrreflex auf das, worum es in diesem Interview unter anderem geht – die schleichende Pharmakologisierung des Alltags. Diesem „Zurück zur Natur“ liegt die Erfahrung zugrunde, dass Drogen besser beherrschbar – sprich: besser dosierbar – sind, deren Rauschwirkung einzig auf dem Wirkstoffgehalt der Pflanze beziehungsweise auf einem Gärungs- und Fermentierungsprozess beruht. Schon vor Jahren bin ich in den Wäldern Nordkaliforniens auf eine Gruppe von Hippies gestoßen, die ihr Interesse an Rauschsubstanzen in Einklang mit ihrem ökologischen Bewusstsein zu bringen versuchten und deshalb alles Synthetische vehement ablehnten. Bezogen auf die Gesamtzahl aller Drogenkonsumentinnen und Konsumenten, handelt es sich hierbei jedoch um eine kleine Minderheit ökobewusster User. Hinzuzufügen wäre, dass auch der Konsum von psychoaktiven Pilzen und anderen Naturdrogen Risiken beinhaltet, die zu verringern Erfahrungswissen und die Bereitschaft sich zu informieren erfordert.

Der „Krieg gegen die Drogen“

Sie haben sich jetzt über 30 Jahre mit Drogen und Drogenpolitik beschäftigt und die sozialen und ökonomischen Auswirkungen der Prohibition erforscht. Trauen Sie sich eine Prognose zu, wie lange Deutschland und wie lange andere Länder noch am Dogma des Drogenverbots festhalten werden?

Günter Amendt
Das Ausmaß der Irrationalität in der drogenpolitischen Auseinandersetzung ist bedrückend. In meinem Buch habe ich Vorschläge gemacht, wie das so genannte Drogenproblem zu entschärfen wäre. Mit meinen Vorschlägen stehe ich im Kreis der internationalen Drogenfachleute nicht alleine. Auch bin ich davon überzeugt, dass die Mehrheit der Bevölkerung in den meisten westeuropäischen Staaten einen drogenpolitischen Kurswechsel mittragen würde, etwa in der Frage der Cannabis-Legalisierung. Das Problem ist die Politik. Die Zeichen stehen auf Kontrolle und Repression. Große Teile der politischen Klasse bis tief hinein in die Sozialdemokratie will sich diesen Repressionsknüppel nicht aus der Hand nehmen lassen. Drogen sind noch immer ein hoch emotionalisierendes Thema. Mit dem Angstpotential, das dem Thema innewohnt, lässt es sich politisch gut spielen. Doch die Hauptverantwortung für die herrschende Drogenpolitik, die ich für eine der gravierendsten Fehlentwicklungen des Globalisierungsprozesses halte, trägt die US-Regierung, egal welche Partei gerade den Präsidenten stellt. Drogenpolitik ist ein Instrument der US-amerikanischen Außenpolitik, der „war on drugs“ ein Übungs- und Rekrutierungsfeld der US-Geheimdienste. Voraussetzung für einen Kurswechsel wäre das Eingeständnis, dass der mit terroristischen Mitteln geführte „war on drugs“ gescheitert ist, soweit es um den Kampf gegen Drogen geht. Doch es geht eben um mehr. Es geht um die Sicherung von Einflusssphären, die militärische Kontrolle von Unruhegebieten, die Sicherung von Ölbohrstellen und von Verkehrsverbindungen. Das alles im Namen des „war on drugs“. Solange die in der UN versammelte Weltöffentlichkeit diesen Krieg aktiv mitträgt oder teilnahmslos geschehen lässt, wird das Prohibitionstabu, aus dem dieser Krieg seine Legitimation bezieht, nicht angetastet werden. Darauf wird man noch lange warten müssen.

 

Literatur:
Günter Amendt: No Drugs. No Future. Drogen im Zeitalter der Globalisierung. Aktualisierte Neuausgabe 2004. 207 Seiten plus 48-seitige Beilage, Frankfurt a.M.: 2001, 15,90 EUR.

* Nachtrag 15. März 2011: Günther Amendt verstarb am Samstag, dem 12.3.2011, bei einem Autounfall in Hamburg Eppendorf. Damit fehlt eine der wichtigsten Stimmen für eine genauso vernünftige wie menschliche Drogenpolitik. Amendt war scheu und zugleich im persönlichen Umgang von ausgesprochener Herzlichkeit, immer an der Sache interessiert, den Blick auf das Ganze gerichtet, nämlich die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse, in denen Drogen und Medikamente konsumiert werden. Er nahm eine einmalige Stellung ein, nie zu nah an den Apologeten eines übermäßigen Konsums, die von globalen Drogenkultur reden, aber das irre Zuballern der vereledeten Randgruppen gerne übersehen. Und ein überzeugter Gegner einer Drogenverbotspolitik, die alles nur noch schlimmer macht. Mit Amendt ist ein Mann mit profunden Wissen aus dem Leben gerissen worden. Es ist nicht zu sehen, wie diese Lücke wissenschaftlich und menschlich geschlossen werden kann.

 

 

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Interview mit dem Suchttherapeuten Helmut Kuntz

hanfblatt, Nov. 2003

Dem Kiffer (mit Problemen) kann geholfen werden

Fragen an den Suchttherapeuten Helmut Kuntz

Legalisierungsbefürworter fordern frei nach dem Motto „Kein Knast für Hanf“ eine Beendigung der Strafverfolgung von Cannabisgebrauchern. Über Cannabisfreunden schwebt nämlich immer noch das Damoklesschwert der staatlichen Bestrafung und der sozialen Ausgrenzung durch beispielsweise Arbeitsplatz- oder Führerscheinverlust. In vielen Berufen und gesellschaftlichen Kreisen kann ein Outing als Cannabiskonsument unangenehme Folgen haben. Die Gefahr der Diskriminierung trägt sicherlich nicht zu einer freien und offenen Auseinandersetzung als Grundlage einer Prävention und Behandlung selbstschädigenden Konsumverhaltens bei. Denn, dass es auch eine Minderheit von Konsumenten gibt, die Cannabis nehmen, obwohl es ihnen offensichtlich nicht gut tut, oder so, dass es sie in unerwünschter Weise in ihren Handlungsmöglichkeiten einschränkt, die also einen problematischen Konsum betreiben, dafür sprechen Umfrageergebnisse und die Berichte von Therapeuten, an die sich Kiffer mit Problemen wenden. Einer dieser Helfer in der Not ist der Familientherapeut Helmut Kuntz. Er hat seine Erfahrungen in dem interessanten Ratgeber „Cannabis ist immer anders“ (siehe unten) zusammengefasst.

az: Mag für die große Mehrheit der Gebraucher der Cannabiskonsum eine Bereicherung in ihrem Leben darstellen, so gibt es doch auch vereinzelt Konsumenten, bei denen sich alles nur ums Kiffen dreht, und die darüber das, was eigentlich in ihrer aktuellen Lebenssituation notwendigerweise zu tun wäre, nicht auf die Reihe kriegen. Wann beginnt Ihrer Einschätzung nach der Konsum von Cannabis problematisch zu werden, und wie äußert sich das?

Kuntz: Es ist vielleicht „hanfpolitisch“ wenig genehm und kratzt am Mythos von Cannabis als relativ harmloser Droge, doch ich kann auf Grund meiner Erfahrungen leider nicht mehr bestätigen, dass es nur vereinzelte Konsumenten sind, welche durch ihren Cannabiskonsum in Schwierigkeiten geraten. Teilweise bestehen die Schwierigkeiten in ihrem Leben schon vor dem Konsum, und der Gebrauch speziell von Cannabis findet in der trügerischen Hoffnung auf Erleichterung statt. Grundsätzlich ist der Konsum von Cannabis problematisch, wenn er zur Besänftigung bedrückender Gefühle dienen soll. Kritisch ist in jedem Falle der gewohnheitsmäßige, tägliche oder mehrfach tägliche Einsatz der Droge zu werten. Auch der „nicht bestimmungsgemäße“ Gebrauch von „Gras“ oder „Shit“ in der Schule oder am Arbeitsplatz spricht nicht für kompetente Konsumenten. Der chronische Gebrauch von Cannabis birgt in hohem Maße die Gefahr, die tragenden sozialen Beziehungen zu belasten oder sogar zu zerstören. Entwertende Äußerungen wie „Das ist mir doch egal“ oder „Du hast mir gar nichts zu sagen“ können verräterische Alarmzeichen sein. Das Risiko steigt mit den „harten“ Gebrauchsmustern wie „Bhong-“ oder „Eimer-Rauchen“. Es steht außer Frage, dass sie ein weitaus höheres Abhängigkeitspotential bergen, als das Genießen von Joints. Absolut „verpeilte“ Konsumenten mit solchen Gebrauchsmustern, z.T. sogar mit psychiatrischen Auffälligkeiten in Form psychotisch anmutender Symptome sind keine Seltenheit im Beratungsbereich. Das größte Risiko der Konsumenten ist aber weniger die Droge an sich, sondern die eigene Überheblichkeit im Umgang mit ihr, die Illusion, jederzeit alles im Griff zu haben und jede persönliche Gefährdung zu verleugnen.

az: Was sind aus Ihrer Sicht die Ursachen für die Entwicklung selbstschädigender Konsummuster?

Kuntz: Selbstschädigende Konsummuster entwickeln sich auf Grund schädigender sozialer und gesellschaftlicher Beziehungen. Die Konsumgesellschaft, die nach dem Motto „Immer mehr, immer weiter, immer schneller, immer höher“ lebt, ist bereits in ihrem Wesen eine süchtig kranke Gesellschaft. Wo sie als gnadenlose Ellenbogengesellschaft Menschen zunehmend ausgrenzt, ohne Schulabschluss, Lehrstelle, Arbeitsplatz oder Wohnung zurücklässt, nimmt sie den Menschen vielfach ihren Selbstwert. Fehlendes Selbstwertgefühl ist der ideale Nährboden für Suchtmittelmissbrauch. Wie soll jemand gut und fürsorglich mit sich umgehen, der kaum die Erfahrung gemacht hat, respektvoll behandelt zu werden?

az: Wer ist besonders gefährdet, in destruktiver Weise zu konsumieren? In welchen Lebensabschnitten besteht eine besondere Gefahr der Entwicklung problematischen Konsumverhaltens?

Kuntz: Ganz normale Suchtkranke kommen aus ganz normalen Familien. Wer den Platz im Leben nicht findet, wo er sich aufgehoben fühlt und wo er etwas Sinnvolles bewirken kann, entwickelt eher destruktive Verhaltensweisen als jemand, der sich in seiner Haut wohlfühlt. Aber selbstverständlich ist der steinige mühevolle Weg der Pubertät und des Erwachsenwerdens eine besonders anfällige Zeit für Drogengebrauch. Da stellen sich eine Lebensaufgabe und ein Reifungsschritt nach dem anderen: Schulabschluss, Berufsorientierung, Ablösung vom Elternhaus, den Platz in der Gruppe finden, Umgang mit Liebesbeziehungen und Trennungen usw.. Menschen können daran reifen und im besten Sinne „erwachsen“ werden oder scheitern. In diesem Zusammenhang gesehen, muss uns die Tendenz sorgen, dass Jugendliche heute immer früher den Einstieg in den Suchtmittelgebrauch riskieren. Weder körperlich noch seelisch sind 11-, 12-, 13- oder 14-jährige Jungen und Mädchen darauf eingestellt, in diesem frühen Alter mit den Wirkungen potenter eigenmächtiger Rauschmittel zu tun zu bekommen. Dabei spielt es keine große Rolle, ob das Zigaretten, Alkohol oder andere psychoaktive Drogen sind.

az: Was können Kiffer selbst tun, wenn sie mit ihrem Konsumverhalten unglücklich sind und dies verändern wollen? Wohin können sie sich wenden, falls sie das Gefühl haben, Hilfe zu brauchen, und wie wird dann geholfen?

Kuntz: Die Frage enthält bereits den entscheidenden Punkt. Nur derjenige kann und wird etwas verändern, der dies auch will, und zwar ernsthaft und nicht nur halbherzig. Innerlich motivierte Kiffer haben gute Chancen auf positive Veränderungen, selbst wenn sie ganz tief im Schlamassel stecken. Sie können sich an jede örtliche Sucht- und Drogenberatungsstelle wenden, wenn sie erst die Hemmschwelle überwunden haben. Berater haben Schweigepflicht. Niemand muss also befürchten, sich in zusätzliche Schwierigkeiten zu bringen, wenn er Hilfe sucht. Wie die Hilfe aussehen kann, wird im Einzelfall zusammen entschieden. Da es allerdings eine Arbeit zwischen Menschen aus Fleisch und Blut ist, muss die „Beziehungschemie“ stimmen. Wer sich als Hilfesuchender bei einem Berater menschlich oder fachlich nicht gut aufgehoben fühlt, sollte weiter suchen.

az: Wie können Freunde und Angehörige jemandem helfen, der anscheinend über das Kiffen Beziehungen, Schule oder Beruf vernachlässigt?

Kuntz: In ihrer Selbst- und Fremdwahrnehmung beeinträchtigte Kiffer unterschätzen häufig, was ihre Kifferei mit Freunden oder Angehörigen macht. Für Hilfsmöglichkeiten gibt es keine Patentantwort. Angehörige wie Freunde können allerdings nur dann helfen, wenn sie selbst mit ihren heftig widerstreitenden Gefühlen dem Kiffer gegenüber umzugehen wissen. Um die typischen Beziehungsfallen und Fehler im Verhalten zu vermeiden, müssen Angehörige zudem wisssen, was das Wesen der süchtigen Dynamik ausmacht. Wichtig ist klares konsequentes Verhalten. Unter Umständen müssen sich Angehörige darauf einstellen, Kiffer monate- oder sogar jahrelang durch viele Schwierigkeiten hindurch zu begleiten. Das ist ein überaus belastendes „Geduldsspiel“. Wo die Kifferei ein Ausmaß annimmt, dass sie in Diebstahl und tätliche Gewalt ausartet, können Angehörige die Grenze ziehen und dem Kiffer die Tür weisen, durch die er dann zu gehen hat. Andere entscheiden sich, ihr Kind niemals fallen zu lassen und unter allen Umständen die Beziehung zu halten. Für Eltern sind in solch schwierigen Situationen die Elterngruppen in Beratungsstellen sehr hilfreich zur eigenen Unterstützung. Freunde können einem Kiffer eigentlich nur sein Verhalten und seine Persönlichkeitsveränderung spiegeln. Aber weder Freunde noch Angehörige können jemandem helfen, der sich nicht helfen lassen möchte. Irgendwann muss man ihm dann die alleinige Verantwortung für sein Tun überlassen.

az: Es ist zu vermuten, dass auch im Falle einer Entkriminalisierung von Cannabisgebrauchern ein kleiner Teil der Konsumenten zumindest phasenweise in für sie problematischer Weise kiffen würde. Es wäre aber vermutlich ein weniger angstbesetzter, ideologisch verbrämter und damit offenerer Umgang möglich. Deshalb meine Frage: Beeinträchtigt die aktuelle Kriminalisierung der Cannabisgebraucher nicht die Möglichkeiten therapeutischer Hilfe und ehrlicher präventiver Aufklärungsarbeit?

Kuntz: In meiner persönlichen präventiven, beratenden oder therapeutsichen Arbeit fühle ich mich durch die Kriminalisierung der Cannabisgebraucher nicht wirklich beeinträchtigt. Ich brauche kein Blatt vor den Mund zu nehmen und kann offen über alle Aspekte des Cannabsikonsums sprechen. Als Berater habe ich einerseits Schweigepflicht und andererseits bin ich in keinem Zusammenhang zu Aussagen über Klienten gegenüber Dritten verpflichtet. Beratungsstellen sind insofern ein geschützter Raum.

az: Und zum Schluß dann noch die Gretchenfrage: Sie haben beruflich wohl in erster Linie mit Problemkiffern zu tun. Ihrem Buch kann man aber auch entnehmen, dass sie das weite Feld der integrierten Konsumenten kennen und durchaus respektieren. Obendrein verfügen Sie über eigene Konsumerfahrungen. Wie stehen Sie zur Frage einer Entkriminalisierung? Was muss gewährleistet sein oder noch erreicht werden, um eventuelle negative Konsequenzen des Cannabiskonsums möglichst gering zu halten?

Kuntz: Die Kriminalisierung von Cannabiskonsumenten nutzt in der Tat niemandem. Jeder Kiffer muss ein Eigeninteresse haben, das „11. Gebot“ zu beachten: „Du sollst dich nicht erwischen lassen.“ Erstaunlicherweise gibt es bei den Konsumenten noch verbreitete Missverständnisse in Bezug auf Tolerierung und Legalisierung des Cannabiskonsums. Eine Tolerierung haben wir in Grenzen erreicht. Für eine völlige Legalisierung wird es keine politische Mehrheit geben. Vor allem wird Legalisierung niemals bedeuten, Cannabis ebenso frei zu verkaufen, wie derzeit Zigaretten und Alkohol. Wir haben mit diesen beiden Suchtmitteln bereits Probleme genug. Angestrebt werden können pragmatischere Lösungen im Umgang mit Cannabis, wobei die Diskussion um mögliche „Coffeeshop“-Modelle mehr ideologisch als alltagstauglich geführt wird. Bei der praktischen Umsetzung solcher Denkmodelle stecken die Probleme im Detail: Wo soll Cannabis verkauft werden? Welche Qualifikation muss ein Verkäufer aufweisen? Wer darf ab welchem Alter wieviel erwerben? Selbst ein „Coffeshop“ kann wohl kaum an 11-, 12- oder 13-jährige Kiffer offiziell Cannabis verkaufen. Wo wenden die sich dann hin? Für den problematischen Umgang unserer gesamten Gesellschaft mit Suchtmitteln aller Art gibt es keine wirkliche Lösung. Es sei denn, wir könnten so zufrieden oder gar glücklich leben, dass wir es nicht nötig hätten, unser Leben durch die Wirkungen von Rauschmitteln zu „bereichern“. Aber dann hätten wir eine andere Gesellschaft.

Lesetip:

Helmut Kuntz
„Cannabis ist immer anders.
Haschisch und Marihuana: Konsum-Wirkung-Abhängigkeit.
Ein Ratgeber.“
Beltz Taschenbuch, Weinheim/Basel 2002
278 Seiten
ISBN 3-407-22832-5
14.90 Euro

Helmut Kuntz
„Ecstasy-auf der Suche nach dem verlorenen Glück.
Vorbeugung und Wege aus Sucht und Abhängigkeit.“
Beltz Taschenbuch, Weinheim/Basel, 2. erweiterte Neuausgabe 2001 (1. Aufl. 1998)
245 Seiten
ISBN 3-407-22830-9
10,90 Euro

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Interview mit Ronald „Blacky“ Miehling

HanfBlatt, Nr. 83, Mai 2003 (mit Update 2007)

Der Lawinen-Lieferant

Interview mit dem ehemaligen Kokainhändler Ronald Miehling, der über Jahre den deutschen Markt mit Kokain versorgt hat.


Er kehrte in den Koka-Labors in den Wäldern Kolumbiens ein und aus, wies seinen Kurieren den Weg nach Deutschland und Europa und organisierte die kiloweise Verteilung von Kokain an die Zwischenhändler. Er wurde reich, seine Mitarbeiter auch, und zog ganz nebenbei noch „mindestens zwei Kilo durch die Nase“. Ein Leben im Rausch. Dann, 1994, war das „lustige Geschäft“, wie er den Kokainhandel selber nennt, vorbei. Observiert hatte man in schon zwei Jahre lang, ein Einsatzkommando nahm ihn in Venezuela hoch, nach der Auslieferung verurteilte man ihn in Deutschland zu 12 1/2 Jahren Haft. Der Richter vermutete, dass im Prozess nur an der „Spitze des Eisbergs“ gekratzt wurde. Über acht Jahre hat Ronald „Blacky“ Miehling nun hinter sich, davon die ersten zwei in Isolationshaft. „Ein Wunder, dass ich dabei nicht beknackt geworden bin“, sagt er. Jetzt ist seine Lebensgeschichte als Buch erschienen. Im Interview berichtet Miehling von der Kunst des Schmuggelns, der Moral des Dealens und dem ordnungsgemäßen Konsum von Kokain.

Frage
Wie fing deine Tätigkeit im Kokain-Business an?

Miehling
Tja, das waren Verknüpfungen glücklicher und unglücklicher Umstände. Angefangen habe ich hier in Hamburg mit Gramm-packets. Ein paar Jahre später stand ich auf der Plantage und noch ein viertel Jahr später stand ich direkt in der Koka-Küche. Das Prinzip ist doch immer das gleiche überall auf der Welt: Man lernt die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt kennen.

Ronald Miehling, © Jörg Auf dem Hövel
Ronald Miehling, © Jörg Auf dem Hövel

Später waren Deine Kontakte so gut, dass Du in Kolumbien direkt vom Hersteller beziehen konntest. Welchen Weg nimmt das Kokain von dort aus?

Wie man weiß, wachsen in Kolumbien Bananen. Die werden dort geerntet, verschifft, kommen hier an und werden dann gegessen. Genau so läuft das bei Kokain ab. Der Unterschied ist nur, dass die Arbeit in geheimen Dschungel-Labors ablaufen muss. Die Bauern sammeln die Blätter, irgendein Konsortium backt das zu Koks zusammen und dann wird´s verkauft.

Und je direkter der Kontakt, umso preiswerter die Lieferung.

Klar, zuletzt habe ich 800 Mark für das Kilo bezahlt, und zwar direkt an die Polizei.

An den Beamten vor Ort?

Die verdienen dort unten halt sehr wenig und manchmal haben sie Glück und können Kokain beschlagnahmen. Ein Teil davon wird einfach gegen Attrappen ausgetauscht und meistbietend abgegeben. Wenn es ganz gut läuft, dann bringen sie einem das sogar noch auf´s Schiff.

Wo es dann unter falscher Deklaration nach Europa verschifft wird?

Oder es wird in wasserdichten Metallkästen an den Schiffsrumpf angeschweißt. Oder im Steuerkasten versteckt. Oder ein Crewmitglied nimmt es mit. Es gibt viele Wege, bekannte und unbekannte.

Dann bitte einen unbekannten.

Na, bleiben wir mal ruhig bei den bekannten. Zunächst gilt es zu wissen, wie die Leute an den Grenzen funktionieren. Und da kann ich sagen: Alle Zöllner dieser Welt funktionieren gleich, alle Bullen dieser Welt funktionieren gleich. Alle haben gewisse Konstanten in ihrem Verhalten. Jetzt muss man nur etwas finden, was in ihr Bild passt und daneben die eigentliche Ware durchschieben. Das ist der ganze Trick.

Ein Beispiel, bitte.

Am Flugplatz stehen die Scouts der Zöllner rum und achten darauf, dass sich jemand auffällig benimmt. Der wird dann rausgepickt und untersucht. Was sie nicht mit kriegen ist, dass nebenan eine ganze Karawane durchläuft. Das nennt man den Hasen jagen. Das hat früher gut funktioniert, heute wohl nicht mehr.

Hört sich eher nach Kleinhandel an.

Na ja, das ging um bis zu 70 Kilo in einer Fuhre. Das ist kaum noch Kleinhandel.

Damit war der Monatsbedarf für Euren „Verein“ gedeckt?

Ungefähr. Unser damaliger Monatsbedarf lag zwischen 50 und 200 Kilo.

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Welches Gebiet konntest Du damit abdecken?

Das hat mich nie interessiert. Ich habe nur bemerkt, dass der Preis erheblich fiel, wenn ich den Markt voll geschmissen habe und anstieg, wenn ich es zurück hielt. Teilweise habe ich darum unter Preis verkauft, dann solange gewartet, bis die anderen Händler, die in Holland teuer gekauft hatten, an den niedrigen Preisen erstickt sind und verzweifelt in andere Städte abtransportiert haben. Dann habe ich den Markt zugemacht, den Preis erhöht und mein Defizit doppelt wieder drin gehabt. Das nennt sich Marktwirtschaft.

Wobei die Illegalität Eure Gewinnspannen in die Höhe trieb.

Wenn du ein Kilo in Südamerika kaufst und hierher transportierst, dann gibst du maximal 5000 Euro aus, eher sogar 2500 Euro. Hier erzielst du im schnellen Verkauf 30.000 Euro, im Großhandel 20.000 Euro und im Straßenverkauf, tja, rund eine viertel Million. Da fließen enorme Gelder. In Deutschland liegt heute so viel Kokain rum, dass selbst bei einer Schließung aller Grenzen der Markt noch mindestens drei Monate beliefert werden könnte. Würde man Holland noch dazu rechnen, dann würde dieser Zeitraum sogar auf ein halbes Jahr anwachsen.

Wenn man Dich so hört, dann könnte man auf die Idee kommen, dass der Handel mit Kokain eine großer Spaß für die ganze Familie ist.

Du musst es mal so sehen: Ich habe in Holland immer zwischen zwei und vier Leuten nur zum Knallen gehabt.

Knallen?

Ja, Leute, die Probleme mit der Waffe bereinigen. Aber die habe ich nie gebraucht und darauf bin ich stolz. Alle meine Konkurrenten haben die benutzt, weil es halt ein hartes Business ist. Ab einer gewissen Größenordnung gibt es nur noch zwei Arten von Geschäftsleuten: Gerade oder Tote.

Und wie sichert man sich da ab?

Du kannst dich nicht absichern, kein Menschen kann sich absichern, nicht mal der amerikanische Präsident kann sich absichern. Das heißt: entweder du hast einen Namen in der Branche und bist als korrekt bekannt oder du bist ein toter Geschäftspartner.

Wurde irgendwann das Geschäft zu groß oder woran lag es, dass die Polizei aufmerksam wurde?

Das lag an meinem falschen Personal. Siehst Du, ob ich eine Mark oder eine Million in der Tasche habe, das merkst du mir nicht an. Ich bin immer der gleiche Mensch…

Das kommt selten vor.

Ja, aber für mich ist Geld nur ´ne Menge Chips und die tausche ich gegen Spaß ein. Mehr ist das nicht. Ab einer bestimmen Summe ist Geld uninteressant. Mit 5000 Euro im Monat kannst du alles abdecken um normal zu leben, alles darüber ist Luxus. Wenn der da ist – gut, wenn nicht – auch gut. Einige Leute, die mit mir zusammen gearbeitet haben, die sahen das anders. Die hatten vorher noch nie einen Tausender gesehen und plötzlich hatten sie ´ne Million in der Tasche. Und plötzlich waren alle anderen nur noch Penner für sie. Wenn man so denkt, dann überschätzt man sich.

Und das ist schlecht für das Geschäft?

… dann geht das irgendwann nach hinten los. Das war ein Grund, weshalb das Geschäft scheiterte: die Leute haben nicht richtig funktioniert.

Gab es noch andere Gründe?

Ich hatte verboten auf St.Pauli zu verkaufen und ich hatte verboten an Kleindealer und Junkies zu verkaufen. Einer meiner Leute garantierte aber immer häufiger für irgendwelche Kleindealer und sprach diese „gut“. So nach dem Motto: „Der ist in Ordnung.“ Dieses ewige Gutsprechen. Na ja, und dann hat er einen erwischt, der war nicht gut. Dieser V-Mann hatte selbst Probleme mit seinem Drogenkonsum, er stand unter Druck, er musste also was liefern. Mein Mann hatte ihm sehr Reines gegeben und behauptet, er können davon mehr besorgen. So hat der V-Mann die passende Geschichte dazu erfunden und bei der Polizei gesungen: „Ein Schiff wird kommen.“

Aber es kam gar keines.

Jedenfalls nicht das, auf welches die Polizei in Bremerhaven wartete. Leider traf ich den V-Mann ebenfalls und so entstand meine Akte. Zwei Jahre lang haben sie mich beschattet – ohne etwas nachweisen zu können. Dann kam der nächste Fehler und wieder nur, weil Leute nicht richtig funktioniert haben.

Wie viele Schritte sind es vom Labor in Südamerika bis zur Linie auf dem Spiegel?

In den Labors in Kolumbien wird Kokain mit einem Reinheitsgehalt von 88 bis 96 Prozent hergestellt. Dann landet es in Europa und wird zum Beispiel in den Labors in Holland sofort in die große Mischmaschine geworfen und um 50 Prozent gestreckt.

Streckmittel?

Unterschiedlich. Koffein, Mannitol, Lidocain, Speed – einmal Bayer Leverkusen hoch und runter. Alles was knallt. Die Koks-Konsumenten brauchen diesen Kick. Reines Kokain macht keinen Kick, das wissen die nur nicht. So, dann fahren die Zwischenhändler rüber und kaufen das in Kilo-Portionen für 20 bis 25 Tausend Euro. Ist es in Deutschland gelandet, wird es wieder Eins zu Eins gestreckt. Dann geben diese Dealer das weiter an ihre Kleinhändler und die, nun die strecken wiederum Eins zu Eins. Bis es auf dem Markt ankommt hat es – wenn man Glück hat – also noch 10 Prozent. Wenn du eine Top-Quelle hat, dann kriegst du vielleicht mal 20-prozentiges. Da ist doch einfacher in die Apotheke zu gehen, sich ein paar Chemikalien zu holen und sich die in die Birne zu knallen. Billiger ist es zudem.

Und gesünder.

Wahrscheinlich auch. Dabei lässt sich reines sehr einfach von unreinem Kokain unterscheiden.

Wie?

Wenn sie auf Steine, also stark gepresstes, krümeliges Kokain treffen, denken viele, sie hätten gutes Koks vor sich. Quatsch. Gutes Kokain ist immer Pulver und wird höchstens dadurch gepresst, dass es feucht verpackt wird. Es ist nie steinig. Im Gegenteil, bestes Kokain ist kristalin, staubfein oder flockig. Zum Testen nimmt man eine sehr, sehr kleine Menge, streut es auf ein Stück Silberfolie und erwärmt diese von unten mit einem Feuerzeug. Dann fängt es an zu schmelzen und muss – das ist wichtig – einen scharfkantigen Hügel bilden. Wenn es an den Seiten brodelt, dann ist es mit Mannitol gestreckt. Zudem darf die erwärmte Masse nicht chemisch oder süß stinken. Wer einmal gutes Kokain gerochen hat, erkennt es immer wieder. Nach dem vorsichtigen, mehrmaligen Erwärmen darf nur ein Nagellacktupfer übrig bleiben. Streicht man über diesen mit dem Finger, dann darf das nicht kratzen, sondern muss wie lackiert sein.

Aber wer kriegt solches Kokain unter den Nagel?

Klar, der Test kann den Leuten nur zeigen, was sie sich für einen Müll reinziehen.

Ronald Miehling, © Jörg Auf dem Hövel
Ronald Miehling, © Jörg Auf dem Hövel

Ist es Deiner Meinung nach die chemische Verunstaltung der Substanz, die die Probleme für den Konsumenten schafft?

Zum einen sicher. Zum anderen: Welcher Wein- oder Whiskeyliebhaber kommt auf die Idee, sich seinen Alkohol intravenös zu spritzen? Keiner.

Also sind – wenn man schon Drogen nehmen will – die natürlichen Wege vorzuziehen?

So ist es. Ich habe mindestens zwei Kilo durch meine Nase geblasen. Und? Ich habe kein Bedürfnis, sehe klar aus und bin hell in der Birne.

Das klingt nach einem Hohelied auf Kokain.

Es ist doch einfach so: Jeder Mensch hat seine persönliche Dosierung. Wenn ich meine Dosierung treffe, dann bin ich tatsächlich das Monster im Bett, der Weltmeister in der Disco und habe auch noch eine Bewusstseinserweiterung. Nehme ich aber ein bisschen zu viel, dann geht das direkt nach hinten los. Richtiges Kokain wirkt rund vier Stunden, bei korrekter Dosierung kann man alle paar Stunden nachtanken und den Zustand so über zwei Tage erhalten.

Um sich danach direkt in die psychiatrische Anstalt zu begeben?

Nach einem solcher Tour muss man mindestens eine Woche Pause machen. Ich habe oft zwei, sogar vier Wochen nichts genommen und hatte danach wieder mit äußerst geringen Mengen von einem Zehntel Gramm meinen Spaß. Man muss Genießer sein und dann ist diese Droge in Ordnung.

Unter der Voraussetzung, dass man mit der reinen Substanz hantiert.

Das ist natürlich richtig. Jeder Dealer, der das mit irgendwelchen linken Mitteln streckt ist für mich ein Verbrecher. Ganz einfach. Ansonsten ist der Handel mit Kokain für mich kein Verbrechen. Die Alkohol- und Tabakdealer werden ja auch nicht bestraft.

Warum dann die Kokaindealer?

Weil das Kokaingeschäft ein riesiger Wirtschafts- und damit Machtfaktor ist. Ab einer gewissen Größenordnung nimmt man nicht nur viel Geld ein, man hat auch bestimmte Kontakte, Verbindungen und es entstehen gegenseitige Abhängigkeiten. Wenn eine Gruppe die enormen Geldströme bündeln würde, was dann? Dann könnte diese sich Politiker und Beamten kaufen. Jeder Mensch hat seinen Preis. Hier in Europa sind die Leute ein wenig teurer, in Südamerika sind sie ein wenig billiger. Nicht die Schädlichkeit der Droge stinkt dem Staat, sondern die politische Macht in ihrem Dunstkreis.

Wusstest Du, dass einige deiner Kunden mit der Droge nicht richtig umgehen können?

Nein, dass war mir nicht klar, denn wir haben in die Schickeria geliefert. Zudem müsste, wenn man so denkt, jeder Alkoholhersteller den Moralisten raushängen lassen und seinen Laden schließen. Ich zum Beispiel bin nikotinsüchtig, aber dafür mache ich doch nicht den Zigarettenhersteller verantwortlich. Klar, Moral ist gut, aber wo fängt sie an und wo hört sie auf?

Das fragt sich wohl auch die CIA, die in den Kokainhandel in Kolumbien verstrickt ist.

Ja, damit werden Kriege sowie halb- und ganz illegale Aktionen in Südamerika finanziert. Die Gewinnspannen sind einfach so hoch, dass einige Regierungen überhaupt kein Interesse daran haben, die Illegalität von Kokain abzuschaffen. Wenn du von zehn Transporteinheiten á einem Kilo nur zwei durchkriegst, dann hast du immer noch Gewinn. Bei dem Geschäft kann man nicht verlieren.

Außer die Freiheit.

Genau, und die habe ich verloren, weil ich nicht monströs genug war. Ich verstehe zwar, wie die Kolumbianer denken, aber selbst so denken kann man als Mitteleuropäer nicht. Die Illegalität ist ein Mordsgeschäft und wird von den Regierungen benutzt, um Politik zu machen. Denen geht es nicht um die Droge.

Das Verbot trifft demnach die Falschen?

Der Mensch sitzt da und denkt, „das ist nicht alles“. Dann macht er Sex, trinkt Alkohol, geht in die Disco, raucht und probiert anderes aus. Das kriegt man durch Verbote nicht aus ihm raus, dieses Verlangen. Er muss also lernen, was und wie viel davon gut für ihn ist.

Stärkung der Eigenverantwortlichkeit ist demnach das Thema.

Das ist der Weg. Restriktionen führen auf Dauer zu nix, im Gegenteil; es gibt genug Leute, die lassen sich immer wieder was neues einfallen, wie man diese Verbote umgehen kann. Ein Kolumbianer sagte mal zu mir: „Eine Tür geht zu, zehn andere öffnen sich. Wo ist das Problem?“ Er hatte Recht.

Wie siehst du den Kokain-Markt heute?

Früher war das eine Art Gentleman-Geschäft. Es gab Räuberbanden, so wie ich eine hatte. Dann hat die Polizei fast alle deutschen Gruppen weggefangen und jetzt haben wir ausländische Gruppen. Die haben bekanntlich eine etwas andere Mentalität. Toll, sage ich da, jetzt haben wir die organisierte Kriminalität, die so lange beschrieen wurde. Selbst Schuld. Jetzt wird bei jeder Gelegenheit geballert und die Gewinne werden sofort ins Ausland transferiert. Da kann man den Behörden nur zu ihren unbestreitbaren Erfolgen beglückwünschen – gute Arbeit, Jungs!

Hast du noch Kontakt zu den alten Geschäftspartner?

Blöde Frage.

Klingelt mal jemand? Schreibt mal jemand einen Brief?

Ich habe keine Feinde und viele Freunde. Denn ich verrate keine Wege und keine Freunde. Das habe ich nie und werde ich auch nicht. Ich hätten diesen Knast gar nicht antreten müssen, die DEA hat mir ein Angebot gemacht, da hätten andere nicht nein gesagt.

Über zwei Drittel der Strafe hast du um. Sind die Zustände im Knast so bestürzend, wie oft beschrieben?

Schlimmer. Das ist Villa Kunterbunt da.

Drogen aller Art?

Ein Wunschkonzert. Alles vorhanden, da wird jeder glücklich. Was in letzter Zeit weniger geworden ist, ist Alkohol, der ist zu groß zum transportieren. Wir haben ein Top-Strafvollzugsgesetz, da drin ist alles geregelt – es hält sich nur keiner danach. Es herrscht Gutsherrenmentalität unter den Beamten. Die wollen, dass man losgeht und den reuigen Sünder spielt und sich von ihnen sagen lässt, wie man zu leben hat. Die Knakis werden so belogen und schikaniert, bis sie den Glauben an die Gerechtigkeit verlieren und nach ihrer Entlassung bald wieder als treue Kunden zurückkehren. Große Firmen nennen so was „Kundenbindung“.

Das nennt sich Resozialisierung.

So ist es. Aber ich habe einen dicken Kopf und ich bin in meinem Leben immer gut klar gekommen. Wo ich hingekackt habe, da haben die noch nie hingerochen. Ich sage mir, wenn ich mir jetzt den Finger in den Arsch stecken lasse, dann steckt mir draußen jeder den Finger in den Arsch.

Mit dieser Einstellung wird es sicher nicht einfacher dort.

Klar. Ihr Versuch mich zu beugen fing ja schon mit der Isolationshaft an. Zwei Jahre lang habe ich nur den Schließer gesehen und mit niemanden gesprochen. Weißt du, in der Türkei, da werden die Leute verhauen, da siehst du blaue Flecken, aber hier ziehen sie so ´ne Nummern mit dir durch, denn auf der Seele siehst du keine Narben.

Danke für das Gespräch.

Literatur

Im Rowohlt Verlag ist von Ronald Miehling und Helge Timmerberg ein Buch mit dem Titel „Schneekönig“ erschienen. Leicht neu oder gebraucht zu bestellen über Amazon:

Update 2007

Drei Jahre nach seiner Freilassung wurde Ronald Miehling im November 2006 in Hamburg wieder verhaftet. Der Vorwurf: Schmuggel von mindestens 40 Kilogramm Kokain von Kolumbien nach Deutschland. Im Mai 2007 wurde er erneut verurteilt, das Landesgericht Hamburg sprach knappe acht Jahre Haft aus.

Update 2013

Ein Doku-Film über Ronald Miehling ist erschienen. Der Schneekönig.

 

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Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Nana Nauwald

HanfBlatt, Nr. 82, März 2003

Schamanismus-Expertin und Künstlerin Nana Nauwald im Interview

Vom Wandeln zwischen den Welten

Ihre über 20jährige Erfahrung im Schamanismus indigener Kulturen, besonders ihre Exkursionen zu Schamanen des Amazonasgebiets und Nepals haben die Künstlerin Nana Nauwald zu einer Expertin für Schamanismus und Anderswelten gemacht. Einer der wichtigsten Gründe für ihre Aufenthalte in Gemeinschaften dieser Kulturen ist, dort zu lernen wie wir in unserem Kulturkreis die Wurzeln des „alten Wissens“ wiederfinden und beleben können. Es ist ein kühler, feuchter Novembertag, als wir die Künstlerin in ihrem Haus in der Lüneburger Heide besuchen. Schon im Garten stehen afrikanische Statuen, Stelen aus Knochen, liegen Steinhaufen absichtsvoll herum, wickelt sich eine Steinspirale auf, sprießen Federn wie Pflanzen aus dem Boden. Schalen und Abalonemuscheln mit Resten von Nüssen und Körnern erzählen von Speiseopfern an die Geister. Das Atelier wirkt geradezu wie von den kraftvollen Farben ihrer Bilder erleuchtet. Angst vor Farbe hat Nana Nauwald, 55, auf jeden Fall nicht.

Nana NauwaldHanfBlatt
„Schamanismus“, damit verbinden viele die auf Messen und Wochenendseminaren angebotenen Kurse, in denen man innerhalb von drei Tagen zum Schamanen wird.

Nana Nauwald
Der Jahrmarkt der Seminar-Eitelkeiten macht auch vor der Vermarktung des Schamanen-Begriffs nicht halt. Schamanismus ist eine immer noch lebendige Art, die Welt zu sehen – eine Erfahrungswissenschaft, nichts, was sich durch Seminar erlernen lässt. Nichts, wozu man sich in Kursen ausbilden lassen kann. Hätten all die, die sich bei uns selbstgefällig mit dem Titel „Schamane“ oder „Schamanin“ schmücken, jemals längere Zeit bei Schamanen in deren in der schamanischen Weltsicht lebenden Gemeinschaften verbracht – sie würden sich schon aus Respekt vor der Arbeit eines wirklichen Schamanen nicht mehr diese Bezeichnung anmaßen. Es gibt auch in unserem Kulturkreis viele Menschen, die integer als Heilerinnen und Heiler arbeiten – ohne sich mit fremden Federn und Mänteln der Macht zu schmücken. Unsere Gesellschaft ist geprägt von einer ständigen Gier nach etwas Neuem, dem ultimativen Thrill, der esoterischen Wunderkur mit persönlicher Schnell-Erleuchtung. Das finde ich manchmal fast lustig, weil das Neue fast immer das bewährte Alte ist – wie beim Schamanismus. Wir leben nicht nur in einer materiellen User-Mentalität, sondern auch in einer geistigen User-Mentalität.

Zum Glück hat jede modische Mentalitätserscheinung auch immer ein Gegengewicht…

Ja, dieses Gegengewicht wächst. Immer mehr Sucherinnen und Sucher nach den Spuren des alten schamanischen Wissens unseres Kulturraums machen sich auf den Weg, den Strand unter dem Pflaster wieder freizulegen. Dazu gehört, dass die heimische Pflanzenwelt mit ihrem Reichtum an heilenden und die Türen ins Feld des Bewusstseins öffnenden Pflanzen mehr und mehr Beachtung findet. Neue Rituale zum Betreten des Bewusstseinsfeldes, der Anderswelt, sind bei uns entstanden und entstehen weiter neu. Rituale, in denen die entheogen wirkenden Pflanzen mit Respekt behandelt werden und aus der „fun-user“ Haltung eine geistige Haltung wird mit der Absicht, Erkenntnis zu erlangen. Schamanen aus schamanischen lebendigen, indigenen Kulturen lehren uns in diesem Punkt, was zweifelsfrei auch unsere Schamanen und Heiler der vorchristlichen Zeit wussten: entscheidend für die Wirkung alle heilerischen Handlungen und das Erfahren in nicht-alltäglichen Bewusstseinszuständen ist die innere geistige Haltung und die Absicht des Handelns.

Zur Zeit hat der Schamanismus aus dem Gebiet des Amazonas bei den Drogisten und Esoterikern dem Schamanismus Nordamerikas den Rang abgelaufen…

Ein Grund liegt sicherlich darin, dass in den meisten Kulturen Amazoniens mit einem stark entheogen wirkenden Trank gearbeitet wird: Ayahuasca. Liane der Seele, Liane des Todes sind nur zwei ihrer vielen Umschreibungen, die etwas von ihrer Wirkung ahnen lassen. Ayahuasca, gebraut aus zwei Grundstoffen: der Liane Ayahuasca und den Blättern des Chacruna-Strauches. Die Schamanen dort arbeiten in ihren Nachtritualen mit „dem Geist der Mutter des Ayahuasca“ um die Ursachen für Krankheiten und Störungen zu sehen, um in die Welt der Geister und Ahnen zu gehen, zur Heilung und Stärkung des Einzelnen und der Gemeinschaft. Selbst für veränderungserfahrende Besucher aus dem Westen ist die Bilderwelt bei der Einnahme von Ayahuasca überwältigend. Die Schamanen am Amazonas sagen oft von den Weißen, sie würden nur kommen um Dschungelkino zu sehen. Wer mehr will als bunte Bilder, wer die Welt des Geistes der Ayahuasca betreten will, der muss sich auf einen Lernweg einlassen, der nicht mit einigen nächtlichen Sitzungen abgeschlossen ist. Ayahuasca ist nicht mein Weg, bei meinen Erfahrungen, meinem Lernweg und meinen Forschungen könnte ich gut und gerne auf diesen mächtigen Trank verzichten. Jedes Mal, wenn ich es trinke, breche ich fast bis zur Bewusstlosigkeit. Trotzdem, die Erfahrung des Geistes von Ayahuasca hat meinen Magen geheilt und mein geistiges Leben nachhaltig verändert.

Mittlerweile kann man auch in Europa ohne Schamanen an Ritualen teilnehmen, bei denen Ayahuasca getrunken wird.

Die Rituale stehen und fallen mit der Person, die sie leitet und die in der Geisteswelt des Ayahuasca mehr als nur ein Besucher sein sollte. Meine Erfahrung ist, dass sich der Geist einer Pflanze nicht in eine Flasche stecken lässt. Dieser Geist ist kulturgebunden, lässt sich nicht manipulieren und als Instant-Geist am anderen Ende der Welt wieder zu dem ihm eigenen wirkungsvollen Einsatz bringen. Ich weiss, dass im Rahmen der Drogisten-Szenerie auf der Suche nach immer neuen Türöffnern eine andere Meinung zu diesem Thema herrscht. Aber so sehe ich das. Der Teil der Wirklichkeit, der sich mit Ayahuasca erkennen und betreten lässt, kann ungeheuerlich in dem Erfahren sein und bedarf der Führung ortskundiger Menschen.

Individuell ist so eine Suche nach psychedelischen Erfahrungen aber doch legitim und begründbar.

Sicher, eine Suche nach Erfahrung bedarf keiner weiteren Legitimierung als den Wunsch nach Erfahrung. Erfahrung an sich besagt aber noch gar nichts. Wichtig ist, was wir aus der Erfahrung machen. Ich denke, es ist an der Zeit auch daran zu denken, dass wir durchaus auch eine Verantwortung haben im Gebrauch solcher Pflanzen aus indigenen Kulturen den Menschen dieser Kulturen gegenüber. Auch als bewusste Sucherinnen nach dem Wissen und der Erfahrung von Schamanen können wir mit dazu beitragen, dass die Wurzeln ihrer geistigen Kultur durch hungrige Westbesucher durchgetrennt werden. Die heilenden Rituale der Schamanen – gleich aus welcher Kultur – lassen sich nicht von uns imitieren, es sei denn, wir geben uns mit dem Schein der äusseren Form zufrieden. Aber wir können von diesen Schamanen lernen, unseren Blick so zu verändern, dass wir die Zugänge zu den schamanischen Wurzeln unseres Kulturraums erkennen. Dieser Zugang zu den uns umgebenden Kräften der Natur, zum Wissen der Alten, wurde nicht nur durch Jahrhunderte der gewaltsamen Christianisierung gekappt, sondern wurde auch im sogenannten Dritten Reich stark parteipolitisch manipuliert und missbraucht. Erst langsam ist es wieder möglich, die Zugänge zu der „Anderswelt“ unserer Ahnen zu betreten, ohne gleich in die rechte Ecke nationalistischer Naturanbeter zu geraten.

Wie können diese Zugänge freigelegt werden? Und wer leistet dies?

Hauptsächlich Frauen sind es, die behutsam wieder diese Zugänge freilegen. Kräuterkundige, Jahreskreis- und den Mond feiernde Frauen mit Freude an der lebendigen Welt der Wesen und Geister, mit viel Lust am irdischen Leben. Hier geht es mir nicht um einen feministischen Ansatz – ohne die männliche Energie ist keine Bewegung des Lebens möglich. Aber ich denke, dass wir Frauen einen leichteren Zugang zu den nicht-sichtbaren Welten haben, zu dem schöpferischen Potential der kreativen Lebensenergien. Das Thema „aus sich selbst schöpfen und in die Welt bringen“ ist das weibliche Grundthema. Außerdem sind Frauen geduldiger wenn es darum geht, etwas wachsen zu lassen – meistens jedenfalls. Meine Erfahrung ist, dass Frauen viel stärker durch Klang, Rhythmus und Bewegung die Türen zum geistigen Bewusstseinsfeld öffnen können als es Männern meist möglich ist. Männer brauchen häufig stärkere Türöffner.

Klar, spezielle Pflanzen lösen einen biochemischen Prozess aus, der zu einem intensiven Farb-und Bilderleben führt.

Will man aber mehr als das, will man dem Geist der Pflanze so begegnen, dass eine erkennende Erfahrung möglich ist, ist es angeraten das zu tun, was Schamanen im Umgang mit entheogenen Pflanzen tun: sie bereiten sich vor – innerlich und äusserlich. Macht man das in unserer Gesellschaft jedoch in einem ungeschützten Umfeld, ist es ein Leichtes, beim Psychiater zu landen. Wer mit Pflanzen redet, ihnen zuhört, der kann nur verrückt sein.

Wie also hört man zu, ohne verrückt zu werden?

Als erstes braucht man einen von störenden Außeneinwirkungen geschützten Platz. Empfehlenswert ist, vor der Begegnung mit der Pflanze etwas zu fasten – man wird dadurch feinsinniger. Manche setzen sich auch vorher in die Schwitzhütte oder vollziehen eine rituelle Reinigung durch Waschungen oder durch Räucherungen. Und dann braucht man möglichst viel Zeit – ohne eine Uhr in der Nähe. Es kann anfangs eine sehr ermüdende und entnervende Übung sein, vor einer Pflanze draußen in der Natur zu sitzen und nichts weiter zu tun, als die ganze Aufmerksamkeit auf sie zu richten und zu warten. Das funktioniert nicht nach dem Motto: „Ich, der große Krieger, nehme jetzt Kontakt auf“, sondern die Pflanze übernimmt den aktiven Part. Irgendwann macht sie sich bemerkbar, irgendwann nehme ich die Pflanze wahr in der ihr eigenen Wesensqualität. Wirklich wahrnehmen dessen, was ist, kann nur geschehen wenn mein Urteil und meine Interpretation ausgeschaltet sind. Das ist das schwerste an allen Übungen, die den Zustand einer veränderten Wahrnehmung als Erkenntnisprozess zum Ziel haben. Erkennen beinhaltet die Möglichkeit der Wahrnehmung durch alle Sinne. So kann es sein, dass ich die Wirkungsessenz einer Pflanze riechen kann, dass ich ihre Schwingung höre. Diese Art der Wahrnehmung kann machen, dass ich zu einem Teil der Pflanze werde, ihre Wirkungskraft körperlich spürbar erfahre, hinunter zu Ihren Wurzeln und bis in die letzte Blütenspitze klettern kann. Unsere heimatliche Flora ist immer noch voll von wissensdurchtränkten Pflanzen, Sträuchern und Bäumen. Efeu, Haselnussstrauch, Holunder, Wacholder, Eibe – zum Glück füllt altes und neues Wissem um ihr Wesen und ihre Wirkung schon wieder so einige Bücher und Köpfe. Wichtig ist nur, bereit zu sein, alte Denk- und Erfahrungsmuster beiseite zu schieben und immer wieder neu zu „sehen“ und zu „hören“. Fragt man Leute nach ihren Erfahrungen auf der Sinnesebene nach so einer Begegnung, erhält man oft erstaunlich genaue Antworten in bezug auf die durch die Sinne erfahrenen Qualitäten einer Pfl anze. Und ich denke, so viel anders haben das die Seherinnen und Hexen früher auch nicht gemacht.

Das angesprochene Potential von Pflanzen ist weithin unbekannt. Nur bei denjenigen, die mit diesen Welten -meist durch hedonistisch motivierten Zufall- in Berührung gekommen sind, besteht der Drang nach Aufhellung und Einordnung der psychedelischen Erfahrung. „Was ist hinter meiner Alltagserfahrung?“, so könnte man die dahinter stehende Frage formulieren. Ist das deine Frage?

Ja, der Antrieb zur Suche nach der Welt hinter der Welt muss ein Hunger nach Erkenntnis zugrunde liegen, eine Ahnung davon dass die Materie, die ich berühren und sehen kann, nicht alles ist. Oder wie Tolkien sagte:
Es wartet vielleicht um die Ecke / Ein Tor, ein Durchschlupf in der Hecke / So oft ging ich daran vorbei / Doch kommt der Tag da geh ich frei / Den Weg der ins Geheimnis führt / Wo West die Sonne Ost den Mond berührt

Und hinter der Hecke, was wartet dort?

Na, die Teile der Wirklichkeit, die ich mit meinem „Normalfilter“ nicht wahrnehmen kann! Meiner Meinung nach gibt es zwar nur eine Wirklichkeit, aber darin sind viele Räume. Die Erkundung dieser Räume sollte mit dem Wissen um die Verantwortung verbunden sein, die ich beim willentlichen Betreten dieser Räume trage.

Warum?

Ich sehe das so: Wenn tatsächlich ein Bewusstseinsraum existiert, in dem alle Information zeitunabhängig gespeichert ist und sich immer wieder neu kreiert, dann hinterlässt jeder, der diese Räume betritt, auch seine Informationsspuren. Es geht meiner Ansicht nach bei der absichtsvollen Erfahrung des Raumes der Wirklichkeit, des Bewusstseinsfeldes, um mehr als um persönliches Erleben, es geht um die Erfahrung, in welchem Kontext ich in dieses Bewusstseinsfeld gehöre. Wenn ich diesen Kontext erkannt habe, sozusagen meinen Ton im großen Orchester, dann hat das auch Auswirkungen auf mein Leben in der sogenannten „normalen“ Wirklichkeit.

Ein großer Teil unserer Gesellschaft lebt ja dagegen zwanghaft an und ist an einem materiell ausgerichteten Rationalismus orientiert. Anhänger von Religionen wie Christentum glauben daran, dass es ausreicht sich im Wesentlichen ein paar neurotischen Richtlinien zu unterwerfen, um nach dem Tod die Glückseligkeit zu erreichen.

Richtig, das Erfahren der durch Menschen nicht regulierbaren Welten des Bewusstsein, des Feldes der Information, der Kreativität ist in der Glaubenswelt der sogenannten durch Regeln bestimmten Schriftreligionen nicht vorgesehen. Da herrscht das Prinzip des Glaubens. Eigene Erfahrung macht Menschen schwerer beherrschbar, denn die Erfahrung der Bewusstseinswelten kann die Menschen ja in einen Zustand vom Gefühl der eigenen Vollkommenheit und Aufgehobenheit in einem schöpferischen Urgrund führen, auf den ordnende weltliche Mächte keinen Einfluss haben. Die Extase ist verbannt, macht Angst, gehört in den Bereich unwünschenswerter Phänomene. Zur größten Not muss sie ausgetrieben werden. Dabei wäre ein gesellschaftlich erwünschtes und integriertes Erfahren von Ekstase vor allem für junge Menschen die Stärkung ihrer Lebenskraft, aus der heraus sich selbst bewusste Menschen in die Anforderungen eines Erwachsenenalltags hinein wachsen könnten. In den schamanischen Kulturen gibt es Experten, die jungen Menschen beim Erleben von Ekstase und bei den Reisen in die Wirklichkeit helfen.

Nana Nauwald: Der Schamane (90x70 cm)
Nana Nauwald: Der Schamane (90×70 cm)

Experten geben den entsprechenden geistigen Erfahrungen auch manchmal eine sichtbare oder hörbare Form – Klang, Tanz, Skulptur oder Malerei.

Wenn du damit auf meine Malerei anspielst, dann ist es mir zunächst wichtig zu betonen, dass ich nicht male, was ich in den Feldern des Bewusstseins sehe. Das ist gar nicht möglich, solche Farben gibt es als vermalbare Materie gar nicht. Wenn ich male, webe ich auf meine Art den Geschmack einer Energie oder eines Fadens aus diesem Bewusstseinsfeld hier in der Alltagsrealität ein. Ebensogut könnte ich diese Energie auch singen – wenn ich gut genug singen könnte. Zu malen ist mein Weg, die Verbindung zwischen den Welten, den Wirklichkeiten sichtbar zu machen. Wenn ich male, bin ich Ganz, fühle ich mich manchmal für den Bruchteil von Zeit vollkommen. Meine Sehnsucht, die mich seit zwei Jahrzehnten immer neu antreibt zu durchaus unbequemen äußeren und inneren Reisen ist die, diese Verbundenheit aller Lebensenergien in allen Formen zu erfahren. Gesättigt wurde dieser Hunger bisher hauptsächlich da, wo ein Leben in enger Verbindung mit der Natur und einem geistigen Feld geschieht. Die Erfahrung des Seins in diesem nicht immer wahrnehmbaren und trotzdem wirklichen Bewusstseinsfeld hat nichts zu tun mit Visionen oder Halluzinationen. Meine Erfahrungen mit dem Betreten des Bewusstseinsfeldes mit Hilfe unterschiedlicher Techniken haben mein Leben grundlegend verändert, denn ich habe die ungeteilte Wirklichkeit erfahren.

Heisst die Zukunft zurück zum Einfachen, weil es uns so selten enttäuscht?

Ein alter Mann am Ucayalli sagte mir einmal: „Sieh dich um, wir sind sehr arm hier. Wir haben nichts ausser unserem Leben und die Freude am Leben.“ Einfach, nicht? Und oft wie schwer zu leben. Diese Haltung hat für mich sehr viel mit den Grundpfeilern des Schamanismus zu tun: Freude und Lust am Leben. Und ein anderer Pfeiler ist das Wissen, dass zwar jeder Mensch ein ganz eigener Punkt im kosmischen Netzwerk ist, aber in seiner Individualität gelichzeitig immer mit dem ganzen Netz verbunden ist. Alles existiert nur, weil es im Zusammenhang mit allem steht. Bei uns im Westen achten wir immer sehr darauf, dass man als „Punkt“ der wichtigste Punkt von allen ist, mein Wohlergehen immer an erster Stelle steht. Nur – anders gesehen – wie kann ein einzelner Punkt gesund sein, wenn das ganze Gewebe um ihn herum krank ist? Schamanismus beinhaltet auch das Wissen, dass die Gemeinschaft so gesund oder krank ist wie ihr schwächstes Glied. Nicht verwoben zu sein macht krank. Auch in unserer nicht-schamanischen Gesellschaft gibt es Ansätze von Wegen, sich neu miteinander zu „verweben“. Dazu gehören sicherlich die immer mehr zelebrierten Feste des Jahreskreises, rituelle Kreise zum gemeinsamen Erfahren entheogener Pflanzen, Mondfeste und alle Spielarten der Techniken aus verschiedenen schamanischen Kulturen, die das Beleben unseres alten, in unserem Kulturraum verwurzelten Wissens haben. Schwer ist immer nur der Schritt, diese besonderen Rituale in einer Gemeinschaft mit den Bedingungen unserer Arbeitswelt und den in ihr herrschenden Umgangsformen zu verbinden. Diese Art der Rituale tragen eine explosive, klärende Sprengkraft in sich, die fast immer auch klärend auf die Gestaltung des eigenen Lebensfeldes wirkt. Nur ein Benutzen entheogener Pflanzen ohne den Hintergrund einer geistigen Absicht kann durchaus Spaß machen, hat auf längere Zeit gesehen aber fast immer die Wirkung, den Menschen nicht in die Erfahrung der Ganzheit, sondern in die Zerrissenheit und Entwurzelung zu führen. Um zu lernen, die Welten in uns und ausser uns mit Hilfe von Trancezuständen, entheogenen Pflanzen oder anderen Türöffnern in einen harmonischen Zusammenhang zu bringen, braucht es rituelle Schutzräume.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Nana Nauwald
Nana Nauwald

Zur Person: Nana Nauwald
Ursprünglich als Kirchenmalerin und Restauratorin tätig, verschrieb sich Nana Nauwald 1991 der „visionären Kunst“. Diese veranschaulicht die Vernetzung der geistigen Welten und die Verbindungen von unterschiedlichen Lebensformen. Immer wieder ist Nauwalds Motiv zu erkennen, jedes „Lebewesen“ als das Ganze und ein Teil des Ganzen zur gleichen Zeit darzustellen. Ihre Gemälde sind unter www.visionary-art.de zu sehen. Die Bilder „Amazon Dancing“ und „Der Schamane“ sind als signierte, handabgezogene Siebdrucke erhältlich.

Literatur
Nana Nauwald: Bärenkraft und Jaguarmedizin. Die bewusstseinsöffnenden Techniken der Schamanen.
Nana Nauwald: Der Gesang des schwarzen Jaguars. Mein Leben bei den Schamanen des Amazonas.“

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Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Wolf-Dieter Storl

HanfBlatt 2002

Der Kosmos am Wegesrand

Interview mit Wolf-Dieter Storl

Wolf-Dieter Storl ist Kenner psychoaktiver und germanisch-keltischer Heilpflanzen und weiß bildhaft von deren Mythen und Geschichten zu berichten. Er selbst lebt in einem Verhältnis zur Natur, das stark von seiner Verbindung zu den lebenden Pflanzen geprägt ist. In seinen Büchern, wie beispielsweise „Pflanzendevas“, vermittelt Storl die Perspektive, dass die menschliche Kultur maßgeblich von Pflanzen bestimmt wurde und wird und dass wir direkt von den Pflanzen lernen können. Wir treffen den „Wurzelsepp“ nach einem Vortrag, den er im Rahmen des Hamburger Hanffest gehalten hat. Storl fühlt sich in der Großstadt sichtlich unwohl, seine Augen fangen immer wieder dann an zu leuchten, wenn es um Pflanzen und alte Mythen geht.

HanfBlatt
Es entspannt sehr, durch den Garten zu schlendern und hier und dort einen Grashalm auszuzupfen, ihn zu zerreiben und daran zu riechen. Wie aber bist du darauf gekommen, in den Pflanzen ein Wesen zu entdecken? Wo wir vielleicht noch den Geschmack ersinnen, entdeckst du in jeder Pflanze eine besondere Wesenheit, die sich mitteilt. Das klingt für mich sehr esoterisch.

Storl
Als ich als Junge nach Amerika kam, bin ich anstatt Baseball zu spielen in die Wälder gegangen. In Ohio auf dem Land gab es Schlangen, Schildkröten, Waschbären, Opossums, und vor allem Pflanzen. Dort gibt es noch heute fast zehn mal so viele Pflanzenarten wie hier in Deutschland. Alleine 150 verschiedene Laubbäume – das war enorm faszinierend. Ich habe dann die Lehrer nach den Pflanzen gefragt und die antworteten nur: „God dammed weeds, they are not interesting“. Ich fand sie aber sehr wohl interessant und meine ganze Freizeit war ich im Wald und auf den Bäumen. Es gab keine Bücher darüber, keinerlei intellektuelle Information, und so saß ich da, habe die Pflanzen beobachtet und einen Spürsinn für sie entwickelt.

HanfBlatt
Also ein sehr frühes Interesse. In den 50er Jahren in den USA dürftest du dabei vom Hanf wenig mitbekommen haben. Es herrschte die Verteufelung des Hanfs.

Storl
Man sah nie eine Hanfpflanze, ich hätte nie gewusst, wie eine aussieht. Es war irgendein Rauschgift, dass die Leute zum Wahnsinn treibt, zu Mord und zu ausschweifender, perverser Sexualität.

HanfBlatt
Wenn man den Mord streicht, eigentlich alles Dinge die wir uns wünschen.

Storl (lacht)
Nicht wenn ihr im Mittleren Westen der USA aufwachst. Dort war Sexualität das Werk des Teufels. Eine vollkommen schizophrene Entwicklung.

HanfBlatt
Die sich bis heute durch die amerikanischen Gesellschaft zieht.

Storl
Klar, schau dir nur den Clinton mit seiner Tussi an. Hanf habe ich aber erst bei einer Reise nach Kalifornien kennen gelernt. Ich hatte enorme Angst vor dem Rauchen. Ich studierte dann Botanik, hörte damit aber bald wieder auf, weil ich nur im Labor stand und ich wollte ja raus in die Natur.

HanfBlatt
Das muss am Anfang der Hippie-Bewegung gewesen sein.

Storl
Auf den Campus kamen um 1964 die ersten Leute die Indien bereist hatten. Sie hatten lange Haare, sie hatten natürliche Klamotten, fließende Gewänder, sie haben Sachen gerne geteilt, sie hatten Zeit und saßen gerne im Grünen. Es waren Blumenkinder. Davon war ich natürlich begeistert. Der Begriff der „Hippies“ kam erst auf, als Journalisten in New York fragten: „Hey, was ist das für ein neuer Trend?“. Beatniks waren das nicht, Hipsters auch nicht, denn das waren die Leute aus dem Ghetto, die wussten, wo es die Drogen gibt. Aber gekifft haben sie, also nannte man sie Hippies. Das war die Zeit in der die ersten Flugzeuge regelmäßig nach Indien flogen. Dort entdeckten die Abenteuerlustigen eine völlig neue Welt. Die Inder konnten nicht wissen, wer diese Menschen waren, vielleicht ja Shiva und Parvati? Also nahmen die Ärmsten sie in ihre Hütten auf, haben sie bewirtet. Diese Leute haben auch die Sadhus kennen gelernt, Cannabis geraucht und kamen völlig ekstatisch zurück nach Amerika. Sie brachten ein Element der Ekstase mit. Lange Zeit hatte sie jeder gerne, Probleme mit der Polizei gab es kaum. Dies entwickelte sich erst, als die Bewegung politisiert wurde und Klassenkampf-Parolen Einzug hielten.

HanfBlatt
Was lehrte dich das Botanik-Studium?

Storl
Im Studium habe ich gleich gespürt, dass die Pflanzen wie tote Gegenstände behandelt wurden, die Wirkstoffe akkumulieren, Zellulose anhäufen und das war’s. Das waren reine Materialisten die dort lehrten. Sie sagten: „Die Pflanze lässt ihre Wurzeln nicht wachsen um Nährstoffe zu suchen. Dies würde ihr ein Motiv zusprechen, was nicht vorhanden ist.“ Ihrer Ansicht nach ist alles in der Natur einfach eine chemisch-mechanische Reaktion.

HanfBlatt
Seelenlose Biomassefabriken.

Storl
Genau. Ich wusste, dass stimmt nicht. Ich hatte über Jahre im Wald gesessen und die Natur empfunden. Ein Teil dieser Ansicht war sicherlich auch dadurch bestimmt, dass ich in meiner frühen Jugend einige Bücher der Romantik gelesen hatte. Aber das amerikanische Ethos unterscheidet zwischen „Kultur“ und „Natur“. Kultur ist zivilisiert und kontrolliert, die Natur ist wild. Dementsprechend wurden die Indianer behandelt. Genauso sind Wildkräuter aus dieser Sicht wertlos. Mir scheint es fast anders herum: Das was Kultur ist, dieser kurzgemähte Rasen, die ganze Entseelung. Der Wald ist für mich viel wertvoller und mit viel mehr Seele ausgestattet. Ja, ja, so ist es.

HanfBlatt
Das kam mir bei den Vegetariern schon immer etwas merkwürdig vor. Im Grunde genommen ist es auch ein Akt der Grausamkeit, wenn man eine Pflanze schlachtet, tötet.

Storl
Dann muss man es wie die Jains machen, die kein Karma mehr verursachen wollen. Sie setzen sich hin und nach 40 bis 60 Tagen entschweben sie ins Nirwana.

HanfBlatt
Schneller noch, wenn sie das Atmen eingestellt haben.

Storl
Es gibt keine Naturvölker, die Vegetarier sind, aber die Tiere werden respektvoll von ihnen behandelt. Vegetarismus ist eine späte zivilisatorische Entwicklung, die entstand, als die indische Gesellschaft um 500 v.u.Z. eine Krise durchmachte. Die ganzen Sekten wie der Buddhismus und Jainismus sich den Brahmanen gegenüber brüsteten, dass sie viel heiliger wären, weil sie keine Tiere essen würden.

HanfBlatt
Wie aber nimmt man Kontakt zu Pflanzen auf. Was können wir, als „Vertreter der gelangweilten genusssüchtigen Konsumkultur“, wie du es einmal nanntest, lernen?

Storl
Eine bequeme Antwort wäre: man pfeift sich eine Menge Shit rein, dies öffnet die „Pforten der Wahrnehmung“, wie Aldous Huxley das sagte und dann geschieht das. Ich denke nicht, dass dies automatisch geschieht. Als ich Ethnologie und Anthropologie studierte, unternahm ich eine Feldforschung unter Gärtnern in Genf. Ich tarnte mich als Gärtner, um die Gruppe dort zu studieren. Was mir dort auffiel: Wenn man stundenlang in einem Garten hackt, jätet und arbeitet, dann wirkt das wie das monotone schamanische Trommeln. Wenn man es schafft, das schnell schnatternde Gehirn zur Seite zu legen, dann kommt die Natur und spricht einfach. Dann kommen Sachen rüber. Das ist nicht etwas, was man mal eben am Wochenende macht, sondern das geschieht über eine lange Zeit. Zum Beispiel stand ich bei einem Busch, der viele Blattläuse hatte. Da dachte ich: „Eigentlich sollten hier ein paar Marienkäfer sein“. Ein Jahr später sah ich tatsächlich viele Marienkäfer an dem Busch.

HanfBlatt
Das hatte sich rumgesprochen.

Storl (lacht)
Ja. Wenn man solche Beobachtungen lange und öfter macht, dann merkt man, dass die Natur zuhört und reagiert. Natur ist nicht tot, sondern sie besitzt einen seelisch-geistigen Aspekt, der für uns meistens unsichtbar ist.

HanfBlatt Von diesem Prozess sind wir aufgrund der Kulturation stark entfremdet.

Storl
Vor kurzem war der älteste Medizinmann der Cheyenne, George Elkshoulder, ein guter Freund von mir, bei einer Schamanen-Tagung in Garmisch. Dort waren viele Schamanen aus der ganzen Welt und George war in der Hoffnung dahin gekommen, das diese Schamanen zusammen daran arbeiten, das der ganze destruktive Prozess auf dem Globus umgekehrt wird. Sein Eindruck war allerdings das dort nur, wie er es ausdrückte, „Ceremonial people“ waren, „Showmen“. Und er fragte mich, weshalb ich ihn überhaupt eingeladen hätte. Ich sagte: „Weil wir alles verloren haben. Wir haben keine sakralen Lieder, keine sakralen Tänze, und wir wissen nicht wie man mit der Natur umgeht.“ George sagte: „Ihr habt überhaupt nichts verloren. Ihr habt doch die Berge, die Tiere, Bäume und Pflanzen. Fragt sie. Fragt sie doch. Die sagen euch, was ihr wissen wollt.“ Dass der springende Punkt ist, dass wir nicht mal mehr wissen, wie wir fragen sollen, das hat er nicht begriffen.“

HanfBlatt
Müssen wir uns nur trauen zu fragen?

Storl
Dazu muss man wohl erst einmal die beengenden Annahmen der Psychoanalyse abstreifen. Selbst Jung deutet alle unsere Ideen als Projektion in eine leere Welt hinein – solch ein Kontakt zur Natur besteht danach nur in unserer Fantasie. Das ist eine Annahme, die nie irgendjemand bei den Naturvölkern haben würde. Das ist ein klares Produkt unserer kranken Zivilisation.

HanfBlatt
Projektionen sind ein wichtiges Stichwort.

Storl
Projektionen finden ja auch statt. Und viele Phänomene der New Age-Szene sind voller Projektionen. Diese Menschen hören ja überhaupt nicht zu, sie projizieren alle ihre Wünschen und Vorstellungen hinein. Wie viele Cleopatras sind inzwischen reinkarniert worden!

HanfBlatt
Und die Männer werden Napoleon.

Storl
Gleichwohl ist eine Kommunikation mit der Außenwelt, der Natur, möglich.

HanfBlatt
Aber wie kommuniziert die Natur?

Storl
In den Schulen wird uns eingedrillt nur nach der objektiven Außenwelt zu schauen. Alles muss wägbar, messbar, analysierbar sein. Das ist ein Kult. Aber es gibt auch eine andere Art der Wahrnehmung. Die kann man als innerliche Resonanz mit der Umwelt bezeichnen. Dies erlangt man, indem man sich seines Inneren bewusst wird. Dann sieht man die Welt mit dem Spiegel der Seele, nicht nur mit den äußeren Augen. Die Seele des Menschen kommuniziert dann mit der Seele der Natur.

HanfBlatt
Dagegen arbeitet eine wissenschaftliche Tradition, die alles einteilen will. Alle Pflanzen sind eigentlich individuell, jeden Moment anders, es herrscht buntes Chaos. Wir nennen es Löwenzahn, aber es könnte auch viele andere Namen haben.

Storl
Das ist ein Teil der äußeren Wahrnehmung und gegen diese Kategorisierung ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Ein Löwenzahn kann mit den nach außen gerichteten Sinnen wahrgenommen werden, aber eben auch mit den inneren. Wir haben einen Seelenspiegel, der das innere Wesen des Löwenzahn wahrnehmen kann. Man kommuniziert nicht mit dem äußeren Wesen, sondern mit dem inneren. In den westlichen Industrieländern herrscht seelische Hungersnot. Und wir werden abgespeist mit einer Massenmedien-Industrie, die letztlich nur seelisches Junkfood bietet. Darum sind die sogenannten Drogen auch so bedrohlich. Es ist der Versuch etwas zu finden – wieder Zugang zu den seelischen Aspekten der Welt zu erhalten.

HanfBlatt
Kann das klappen?

Storl
Manche Pilze beispielsweise klinken den Menschen in die makrokosmische Intelligenz der Erde ein. Ganja kann den Menschen Zugang zur göttlichen Seele offenbaren – dazu muss man aber die innere Bereitschaft haben.

HanfBlatt
Zeit scheint mir eine große Rolle zu spielen. Und die nehmen wir uns wenig. Ein Wochenendseminar unter dem Titel „Jetzt höre ich meiner Pflanze zu“ kann es ja wohl nicht sein.

Storl
„Mit der Pflanze sein“ oder „Mit dem Tier sein“; dazu bedarf es schon Geduld. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Konsumgesellschaft von dem Frust des verlorenen Kontaktes zur Natur lebt. Wenn man nicht befriedigt ist, dann greift man zur Ersatzbefriedigung. Neue Klamotten, ein neues Auto. Das sich Finden in einem sprechenden und göttlichen Universum bringt Seelenheil. So geht man beispielsweise eine Straße entlang und sieht zwischen zwei Gehwegplatten einen Storchenschnabel hervorwachsen. Man riecht daran, stellt sich vor wie eine Ameise den Samen in die Ritze transportiert hat, und erinnert sich an alte Geschichten. Daran, dass der Geruch Depressionen lindert oder man erinnert sich an Adebar, den Storch. Schon geht man durch eine ganz interessante und beseelte Landschaft und rennt an den vielen Schaufenstern glatt vorbei. Pflanzen können dabei helfen uns mit der Heiligkeit des Seins zu verbinden. Aber wenn Mafiastrukturen einen Pflanzenmarkt beherrschen und Leute mit Knarren rumrennen, zudem der Staat Katz und Maus spielt, dann können sich die Leute hier die Rübe vollrauchen und sind trotzdem blöd und entfremdet. Ich habe Leute kennen gelernt, die rauchen Unmengen Cannabis, natürlich mit Tabak, obwohl der eine entgegengesetzte Wirkung hat und sind trotzdem so schlecht drauf wie vorher. Vielleicht hören sie die Musik, die sie gerne haben, ein wenig besser.

HanfBlatt
Hardcore! Die denken viel hilft viel.

Storl
Weiter geführte Konsummentalität. Ich höre Leute rauchen Skunk: Es ist eine Qual für eine heilige Pflanze unter Kunstlicht, in Nährlösungen und geschlossenen Räumen aufzuwachsen. Die Leute die das rauchen sind dann genau so wie die Pflanzen, denn die Pflanzen vermitteln das was sie sind.

HanfBlatt
In der Natur reicht es einem ja meist auch aus etwas sensibilisiert zu sein.

Storl
Ich habe vor vielen Jahren einen letzten LSD-Trip in der Natur genommen und ich fand das irritierend.

HanfBlatt
Zu „artificial“?

Storl
Ja, wie eine Plastikwelt. Aber selbst die psilocybinhaltigen Pilze bergen Gefahren. Ich habe Leute kennen gelernt, die ständig Pilze genommen haben. Die waren in einer Art Pilzwelt gefangen. Auch Terence McKenna, ein großer Pilzexperte, hat sich mit seiner „Time Wave Zero“ verrannt. Beschleunigte Geschichte, ein Attraktor und ein Kumulationspunkt, der zufällig genau auf seinen Geburtstag fiel: das ist typisch Pilzfreak.

HanfBlatt
Respektvoller Umgang ist auch bei Pilzen wichtig. Damit man sie nicht das ganze Jahr nimmt, wachsen sie ja auch im Herbst.

Storl
Bei den Naturvölkern ist es Tradition, dass die sakralen Pflanzen nur zu bestimmten Jahreszeiten genommen werden. Erdbeeren isst man auch nur im Juni und Juli. Der Fliegenpilz wird in den nordpolaren Kulturen zur Wintersonnenwendzeit genommen, weil er das Licht der Erde sichtbar macht. Auch Wein war einmal eine hochekstatische wilde Pflanze, dem Dyonisos geweiht. Und was haben wir heute? So völlig verschrumpelte Leute, die was von „wunderbares Bouquet“ und „Chateau Sowieso“ faseln. Eine totale Überästhetisierung.

HanfBlatt
Wen trifft man in den Weinkellern Würzburgs? Die spießigsten und konservativsten aller alten Knacker bei einer Mumienversammlung. Im pseudogepflegten Stil wird sich da die Kante gegeben.

Storl (lacht)
Das sind dann die wilden Mänaden. Oder nehmt das Beispiel Tabak in den indianischen Kulturen: Das wurde in genau bemessenen Dosierungen genommen und dann wurde -zack- die Seele aus dem Alltag rausgehauen um in die Welt der Geister zu gehen. Und bei uns? Dieses gelangweilte Rauchen bis einem die Zunge dick wird ist wieder Ausdruck der ewigen Konsumlust. Ich sehe diese Entwicklung auch beim Ganja. Mein Gott, was die jungen Leute da reinstopfen! Die stopfen viel rein, es kommt aber nicht viel raus.

HanfBlatt
Eine deiner Leistungen ist die Öffnung der Tür zu den Mythen, Geschichten und Betrachtungsweisen traditioneller Kulturen. Da hast du nicht nur eine Geschichte zu erzählen; manchmal erscheint es, als gäbe es Tausende. Die Menschen haben sich früher offenbar sehr intensiv mit den sie umgebenden Pflanzen auseinandergesetzt.

Storl
Die Kelten und auch die nordamerikanischen Indianer haben diese Geschichten von den Pflanzen bekommen. Das Wissen darüber habe ich den Cheyenne zu verdanken. Über 1 ½ Jahre bin ich mit einem alten Medizinmann oft durch die Wälder Montanas gewandert. Der sagte zu mir: „Bilde dir nicht ein, dass du die Rituale oder den Zugang zu den Pflanzen erfindest. Die Pflanzen suchen dich! Die Heilpflanze weiß, wenn du kommst. Sie geben dir die Rituale.“ Praktisch sieht das so aus, dass die Pflanze einem das Ritual gibt, wie man zukünftig den Kontakt aufnimmt. Das können Worte sein oder etwas Feuer. Die Pflanze gibt einem sozusagen ihre Telefonnummer und das Wählen ist das Ritual. Wenn man nicht richtig zugehört hat, dann kommt kein Kontakt zustande und man kann nur fantasieren. Genau dies sagen uns doch die Naturvölker auf der ganzen Welt: Wir sind nicht die einzigen Aktiven, die Pflanzen nehmen Kontakt auf. Vielleicht sind wir gar nicht so aktiv wie wir meinen.

HanfBlatt
Im Grunde genommen verdanken wir den Pflanzen und der Sonne das Leben.

Storl
Aus der Dialektik von Sonne und Erde besteht unser Planet. Die Sonne gibt die Energie und die verschiedenen Pflanzen nehmen verschiedene Aspekte dieser Energie auf und transformiert sie je nach Standort auf der Erde auf ihre Weise. Beim Essen vermittelt jede Pflanze diese Kräfte.

HanfBlatt
Und wir rasen mit Autos durch die Pflanzen, degenerieren sie zu Schnittblumen und stellen Plastikblumen her.

Storl
In Los Angeles ist es mittlerweile Aufgabe der Stadtgärtner, die großen Plastikpalmen an den Boulevards einmal im Monat abzuwaschen.

HanfBlatt
Bestehst du auf die pure Nutzung von Pflanzen und Heilpflanzen oder wie stehst du Extraktion und Synthetisierung gegenüber? Wo würdest du da die Grenze ziehen wollen?

Storl
Ich würde da keine Grenze ziehen. Wenn die Möglichkeit gegeben ist barfuss zu laufen, dann laufe ich lieber barfuss. So einfach und natürlich wie möglich. Klar, Destillieren, Potenzieren, dass macht ja auch Spaß. Aber wenn es um Heilung geht, um das heil werden, dann würde ich so nah wie möglich am Heil sein der Natur arbeiten. Bei den Kelten reichte eine Schale, Wasser, Feuer, die Pflanze und ein Segensspruch: „Hier das hilft.“ Das ist genügend. Die Einfachheit betrügt einen sehr selten im Leben.

HanfBlatt
Alchemie und Chemie dürsten nach der Vervollkommnung.

Storl
Dahinter steht die Vorstellung, dass die Natur unvollkommen ist – wir, die Menschen, müssten sie vorwärts bringen und das sei eine ehrenwerte Aufgabe. Davon halte ich nicht viel. Die Natur ist göttlich und vollkommen in Ordnung. In der Einfachheit und dem Leben mit der Natur sind wir am besten dran. Das ist alte daoistische Weisheit und das ist auch die Weisheit, welche die Naturvölker leben.

adh und az

Wolf-Dieter Storl hat eine Reihe von Büchern veröffentlicht. Die einheimischen Kräuter behandeln tut „Heilkräuter und Zauberpflanzen zwischen Haustür und Gartentor“, die Praxis der Naturrituale erklären tut „Naturrituale. Mit schamanistischen Ritualen zu den eigenen Wurzeln finden“. Beide Bücher und andere Werke sind neu oder gebraucht zu bestellen bei Amazon: