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Hamburger Dialog 2003

Der Online-Journalismus der großen Verlage arbeitet stark defizitär /

telepolis v. 30.01.2003

Gute Stimmung im Tal der Tränen

Der Online-Journalismus der großen Verlage arbeitet stark defizitär – und das wird so bleiben. Auf dem Kongress „Hamburger Dialog“ übte man trotzdem die Gelassenheit und hofft auf Einnahmen in anderen Bereichen des Web.

Noch immer ist die Medien-Branche mit der prüfenden Durchsicht ihrer Aktivitäten im Netz beschäftigt. Besonders akribisch gehen dabei die Tageszeitungen und Wochenzeitschriften bei der Revision ihrer Online-Angebote vor. Die Frage ist mal wieder: Was spült Geld in die Kassen? Die Antwort: Journalistische Inhalte nicht. Auf dem diesjährigen „hamburger dialog“ wurde deutlich, dass sich Bezahlinhalte, sogenannter „Paid-Content“, in naher Zukunft nicht durchsetzen werden. Denn am Kiosk muss immer bezahlen werden, im Netz geht jeder dahin, wo es gratis ist. Was für die einen die genauso originäre wie wünschenswerte Eigenschaft des Netzes ist, bleibt für die anderen die bitterste Praline der Welt: Für die meisten kostenpflichtigen Angebote existiert eine Gratis-Alternative.

Jörg Bueroße von der „Tomorrow Focus AG“ bestätigte, dass nur schwer erhältliche oder gar exklusive Inhalte zum monetären Erfolg führen. So verzeichnet beispielsweise der Online-Scheidungsrechner des FOCUS munteren Zuspruch seitens der User, obwohl dessen Nutzung satte 4,99 Euro kostet. Ähnlich sieht es bei der Datenbank mit Terminen zur Zwangsversteigerung aus. Diese hat nach Angaben von Bueroße knapp 3000 Nutzer, die „nicht preissensibel“ reagieren würden. Mit anderen Worten: Ist die Brauchbarkeit hoch, dann zahlt der Surfer gerne.

Das bloße Publizieren im Web von Artikeln aus der Print-Ausgabe reicht dagegen bei weitem nicht aus, um die Kosten der schmucken Online-Auftritte der Verlage zu egalisieren. Arndt Rautenberg, von der Beratungsfirma „Sapient“ widersprach der oft gehörten Behauptung von der Beliebtheit von Online-Archiven. „Dies honoriert der User zwar, aber eben nur so lange, wie das Angebot kostenfrei bleibt.“ Und tatsächlich bestätigte Jörg Bueroße, dass die kostenpflichtige Archiv-Nutzung des „Focus“ ebenso wie die des „Spiegel“ „unterirdisch schlecht“ sei. Bei optimistischer Schätzung wird die Branche in vier bis fünf Jahren maximal zehn Prozent mit Paid Content umsetzen.

Glaubt man den Experten dient die Online-Präsenz der überregionalen Tageszeitungen wie FAZ oder Süddeutsche Zeitung damit weiterhin rein der Kundenbindung. Der Massenmarkt, den die Verlage in der Offline-Welt bedienen, sei im Internet für sie nicht erreichbar, behauptet Henrik Hörning vom Management-Beratungsunternehmen „detecon“. Die Folge sei eine Entwicklung wie man sie schon vom Privat-Fernsehen kenne: Umsonst und nur durch Werbung finanziert.

Freibier für Alle!

Von dem Ziel, mit ihren Internet-Auftritten rentabel zu wirtschaften, sind deutsche Medienhäuser also auch künftig weit entfernt. Daran wird wohl auch der „dernier cri“ der Branche, die Abonnements, die für ein monatliches Entgelt freien Zugriff auf Datenbanken erlauben, nichts ändern. Das Wall Street Journal, galt lange Zeit als gutes Beispiel für ein etabliertes und funktionierendes Abo-System. Es strotze mit mindestens 500.000 zahlenden Gästen. Das Problem war nur: Ein mit über 100 Leuten besetztes Call-Center, welches die Anfragen der Online-Abonnenten rund um die Uhr beantworten musste, verschlang über Jahre die eingefahrenen Umsätze. Erst heute schreibt der Netzsektor des Wirtschaftsblatts schwarze Zahlen. Nach dem Goldrausch herrscht weiterhin banges Fragen für welche Inhalte die Web-Gemeinde Geld ausgeben würde.

Der Verband der deutschen Zeitschriftenverleger (VDZ) präsentierte auf dem Kongress den Zwischenstand einer neuen Untersuchung, die Netzuser nach ihrer Zahlungswilligkeit befragt hat. Ob Zeitschriften-Artikel, mp3-Download oder Teilnahme an einem Adventure-Spiel: Die User sind nicht bereit viel mehr als 100 Cents auszugeben. Die magische Grenze für sogenannte „Pay-per-Use-Angebote“ sei ein Preis von rund einem Euro, erklärte Alexander von Reibnitz vom VDZ. Video- und Musik-Download haben nach wie vor das größte Potential. Bedingung für ein florierendes Download-Geschäft in diesem Sektor ist allerdings das breitbandige Internet. Kaum jemand ist gewillt Stunden auf einen Song von den White Stripes zu warten, geschweige denn für das lange Warten auch noch erhöhte Gebühren an den Provider zu entrichten. Ohne flächendeckende DSL-Flatrates stehen die Chancen auf Entertainment-Einnahmen denkbar schlecht.

Aber egal ob Artikel-Abruf oder Download eines Videos: Bezahlinhalte sind auch deshalb unbeliebt, weil der Weg der Tilgung meist kompliziert ist. Elektronisches Geld hat sich nicht durchsetzen können, aufwendige Registrierungen überfordern die Nutzer und führen zu Abbruchraten von über 80 Prozent. Hier funktionieren die klassischen Wege über die verpönten 0190-Nummer oder Fax-Polling wegen der Einfachheit und Anonymität noch immer besser als alle anderen Systeme. Ein klassischer Medienbruch, dessen Ende zur Zeit nicht in Sicht ist.

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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