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Elektronische Kultur

Der Computer im Portemonnaie

Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt v. 28.08.98

Der Computer im Portemonnaie

Smart Cards, die intelligenten Chipkarten, können rechnen, schreiben und lesen. Sie speichern Geld, persönliche Daten und ermöglichen den sicheren Geldverkehr im Internet.

Für die meisten Menschen ist der Gang zum Arzt heutzutage nicht mehr mit dem umständlichen Ausfüllen eines Krankenscheins verbunden. Der Patient zückt seine Krankenversichertenkarte und seine persönliche Daten wandern blitzschnell in den Computer der Arztpraxis. Aber auch in Handys und als Münzersatz in öffentlichen Telefonen kommt sie zum Einsatz: Die Smart Card. Ihre Einsatzmöglichkeit ist fast unbegrenzt, im Zeitalter des Internet soll sie nun auch als Zugangskontrolle beim Homebanking und elektronische Unterschrift ihre praktischen Dienste verrichten.

Während die Plastikkarte bislang ein autonomes Leben in der Brieftasche ihre Eigners führte, wird sie in Zukunft den Anschluß an die weite Welt erfahren. Über ein Lesegerät am heimischen PC sorgt sie für sicheren Einkauf von Waren im Internet (E-Commerce) und den integren Austausch wichtiger Dokumente. Der Tastaturhersteller Cherry bietet bereits eine Tastatur mit integriertem Lesegerät für Smart Cards an. Und das neueste Betriebssystem von Bill Gates Microsoft, Windows 98, unterstützt Kartenleser von Haus aus. Entwickler können so relativ schnell Programme entwickeln, die über die Standard-Benutzeroberfläche auf eine Smart Card zugreifen.

Nicht alle der bekannten Chipkarten sind ähnlich smart. In ihrer einfachsten Ausführung ist so eine Karte zwar sehr preiswert, aber auch einfach strukturiert. Sie ist auf eine konkrete Anwendung ausgerichtet und besitzen keine programmierbare zentrale Recheneinheit. Ein bekanntes Beispiel ist die Krankenversichertenkarte, von der über 80 Millionen Stück in Deutschland ausgegeben wurden. Ähnlich schlicht funktioniert eine andere Smart Card: Bei der Telefonkarte telefoniert der Besitzer ein festgelegtes Guthaben unwiederbringlich ab. Wieder aufladen nicht möglich. In Sydney identifizieren sich die Fahrgäste der U-Bahn mit einer besonderen Art dieser Karte: Der Zugriff auf den Chip geschieht automatisch, wenn die Karte nur in die Nähe des Lesegeräts gehalten wird. Ohne direkten Kontakt mit dem Lesegerät wird der Karteninhaber als zahlender Kunde erkannt und darf die Schranke passieren. In einigen Wintersportorten in Deutschland und Österreich bewältigt man den Ansturm auf die Skilifte auf die gleiche Weise. Eine eindeutige Identifizierung des Inhabers, etwa durch die Eingabe einer persönlichen und geheimen Nummer (PIN), können diese Karten aber nicht leisten.

Dagegen tragen intelligente Karten alle Bestandteile eines Computer in sich, sieht man einmal von der Benutzer-Schnittstelle und einer Energieversorgung ab. Auf diesen Karten läuft ein eigenes, kleines Betriebssystem. Eine Vertreterin dieser sogenannten Prozessorchipkarten ist die mit maximal 400 Mark aufladbare Geldkarte. Seit einiger Zeit geben Banken und Sparkassen diese Karten an ihre Kundschaft aus, der durchschlagende Erfolg läßt aber auf sich warten. Gleichwohl richten Städte zunehmend Terminals ein, die die Abrechnung von Parkgebühren oder Fahrten in den öffentlichen Verkehrsmitteln über die Geldkarte ermöglichen. In Bremen erprobt der Verkehrsverbund die Akzeptanz der elektronischen Fahrkarten mittlerweile in einem Pilotversuch. Der Leiter für Marktforschung bei der Bremer Straßenbahn AG, Rainer Counen, erklärt: „Man steckt diesen Chip in den Automaten, wählt den Fahrschein, und dieser wird automatisch auf dem Chip gespeichert. Der Papierfahrschein fällt also weg.“ Die endgültige Umsetzung in den Fahrbetrieb erhofft sich Counen für das Jahr 2001.

Der zweite Frühling der Chipkarten wird nicht zuletzt durch die Forderung der Wirtschaft an einen sicheren Datenverkehr im Internet möglich. Das jüngst verabschiedete Signaturgesetz gilt als Grundstein für den E-Commerce, den elektronischen Handel im Internet. Im Cyberspace stehen die Geschäftspartner immer wieder dem Problem gegenüber, daß sie sich nicht sicher sein können, ob der Gegenüber wirklich der ist, der er behauptet zu sein. Das Vortäuschen von Identitäten ist im Netz kein Problem. Zudem können wichtige Dokumente und Nachrichten auf ihrem Weg zum Empfänger abgefangen und verändert werden. E-Mail, die digitale Post, läuft gänzlich ungeschützt durch das Netz der Netze. Aus diesem Grund haben sich Verschlüsselungsverfahren etabliert, die zum einen verbürgen, daß die Nachricht vom Absender stammt und zum anderen mittels einer elektronischen Unterschrift die Unversehrtheit und vertragliche Bindungskraft des Dokuments garantieren. Diese Verfahren der Verschlüsselung generieren einen geheimen, nur dem Benutzer bekannten Schlüssel auf dem PC, mit dem Nachrichten und Daten verschlüsselt werden, so daß nur der rechtmäßige Empfänger sie entschlüssel und lesen kann. Der Nachteil: Wer Zugang zum Computer bekommt, hat auch Zugriff auf den geheimen Schlüssel.

Hier kann die Smart Card Abhilfe leisten, weil sie den geheimen Schlüssel sicher in sich trägt. Der Maßnahmenkatalog zum Signaturgesetz weist denn auch ausdrücklich darauf hin, daß Smart Cards eine mögliche Komponente im Signaturvorgang sind, da sie „es aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit und kompakten Bauart erlauben, persönliche Informationen und geheime Daten sicher und mobil bereitzustellen“. Die Smart Card gilt demnach auch beim Gesetzgeber als extrem sicher, ein Zugriff von außen auf die geheimen Daten scheint kaum möglich. Dies ist natürlich Musik in den Ohren der Chipkartenhersteller, die auf steigende Umsätze warten. Aber auch die digitalen Kaufhäuser im Internet hoffen auf mehr Kundschaft in ihren Online-Shops, die mittels Smart Card bargeldlos und sicher einkaufen. Denkbar sind Kombi-Chipkarten, die sowohl ein Geldguthaben als eine Signaturschlüssel in ihrem goldfarbenen Chip tragen. Wer auf diesem Weg Waren bestellt, kann sich nicht nur sicher sein, daß sein Geld in die richtigen Hände fließt, er unterschreibt auch einen rechtskräftigen Kaufvertrag.

Der neue Markt weckt Begehrlichkeiten. Wie gewohnt versuchen unterschiedliche Interessengruppen ihre Standards der Chipkartenbauart durchzusetzen. Wie Smart Cards in Zukunft an den PC angebunden werden ist noch offen: Microsoft, IBM, Toshiba und andere Industrieriesen setzen auf den PC/SC-Standard, nicht minder wichtige Firmen wie Visa, Bull, Sun und Schlumberger wollen mit OpenCard die Verbindung von Computer und der klugen Karte herstellen.

Bei aller Euphorie bleibt fraglich, wie sich die Vermehrung von Geldkarten auf die Privatsphäre der Besitzer auswirken werden. Papier und Münzgeld ist anonym, man sieht der Barschaft nicht an, welchen Weg es genommen haben. Chipkarten ermöglichen dagegen den rückhaltlosen Nachvollzug des Geldlaufs. Die Deutsche Bank testet auch aus diesem Grund zur Zeit das bargeldlose Verfahren von David Chaum mit dem Namen DigiCash, welches das anonyme Zahlen mit Smart Card möglich macht.

Jörg Auf dem Hövel

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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