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Das Dilemma mit den neuen „Designerdrogen“

AM RANDE DER LEGALITÄT

Der Begriff „Designerdrogen“ ist ja schon an sich fragwürdig. Man versteht darunter gemeinhin psychoaktiv wirksame noch legale chemische Substanzen, die von „Underground-Chemikern“ in der Absicht entwickelt, „designed“ wurden, bestehende Drogenverbote, bei uns also das Betäubungsmittelgesetz, zu umgehen und sich damit einer effektiven Strafverfolgung zu entziehen. Nun wurden aber die meisten der sogenannten „Designerdrogen“ zuerst im Rahmen ganz legaler Forschung in Laboren der pharmazeutischen Industrie oder von Wissenschaftlern an Universitäten entwickelt. „Underground-Chemiker“ brauchen nur in der einschlägigen Fachliteratur nachzuschlagen, um auf die Synthesewege potentiell psychoaktiver Substanzen zu stossen. Zugegeben, nicht zuletzt inspiriert durch die beiden von dem amerikanischen Chemiker Alexander Shulgin und seiner Frau Ann vorgelegten Meilensteine „Pihkal“ und „Tihkal“, Bücher, in denen Synthese und Wirkungen zahlreicher Phenyläthylamine und Tryptamine detailliert beschrieben werden, machen sich vermehrt Chemiekundige an die Synthese und Entwicklung noch rarer oder gar neuer „Psychodelikatessen“.

In grossem Masstab wird aber vor allem das produziert, was der Markt bereits verlangt, und das sind in erster Linie Amphetamin („Speed“), LSD („Acid“) und MDMA („XTC“). Die dem MDMA in Chemismus und Wirkung nahestehenden aber nicht so beliebten Substanzen (MDA, MDE, MDOH, MBDB, BDB), die am ehesten der Vorstellung von „Designerdrogen“ entsprechen, da sie in grossen Mengen als „Ecstasy“ verkauft wurden und zum Teil noch werden, sind mittlerweile alle dem deutschen Betäubungsmittelgesetz (BtmG) unterstellt.

Zwei Substanzen, die 1998 in holländischen Smart-Shops auftauchten, wurden noch im selben Jahr in die strengste Stufe Anlage 1 (nicht verkehrsfähige Betäubungsmittel) des BtmG aufgenommen.

2-CT-2 trat an die Stelle des 1997 in den Niederlanden verbotenen Sinnesverstärkers 2-CB. Der Amsterdamer Avantgarde-Smart-Shop „Conscious Dreams“ brachte, mutig wie immer, 2-CT-2 in weissen Tabletten zu 8 Milligramm, je zwei zu 25 Gulden, 3 zu 35 Gulden auf den Markt. Es handelt sich dabei um ein recht lang wirkendes leicht psychedelisches Phenyläthylamin, das bei den meisten Konsumenten keine allzugrosse Begeisterung auslöste, weil eine stärker stimulierende Komponente fehlte und oft Schwummrigkeit und eine gewisse Übelkeit besonders zu Beginn der Wirkung das Erleben beeinträchtigen.

2-CT-2
2-CT-2

Der Arnhemer Konkurrent „The Shamen“ schickte 4-MTA ins Rennen, ein Amphetamin-Derivat, dessen Wirkung an „Ecstasy“ erinnern sollte. Die Substanz fand deshalb schnell ihren Weg in die britische Club- und Rave-Szene. Viele Konsumenten beklagten allerdings einen fehlenden „Peak“ und legten nach, was zu mehreren Todesfällen geführt haben soll. Die Substanz entpuppte sich als voreilig auf den Markt geschmissen und im Vergleich zur Wirkung mit einem hohen gesundheitlichen Risiko behaftet.

Nicht gerade neu, aber dafür bei uns nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt, ist Dextrometorphan, kurz DXM, ein Opiat, dass in rezeptfrei in der Apotheke käuflichen Hustenmitteln enthalten ist. In entsprechender „Überdosis“ (100 bis 250 Milligramm) wirkt es enthemmend und wahrnehmungsverändernd. Höhere Dosierungen wirken zunehmend halluzinogen-delirös bis narkotisch. Schon Rosa von Praunheim („50 Jahre pervers“) nahm es in den Sechziger Jahren als noch „Romilar“-Tabletten (die reines DXMHydrobromid enthielten) in Apotheken freiverkäuflich waren. Der „Missbrauch“ führte dazu, dass dieses Präparat in der BRD vom Markt genommen wurde. Manche holländischen Smart-Shops verkaufen die reine Substanz in psychoaktiver Dosis als „Robo“.

Es tut sich ausserdem etwas im nicht ganz so leicht zugänglichen Chemikalienhandel: Einige kleinere Schweizer und Deutsche Chemikalienhändler führen in ihrem Sortiment neuerdings psychoaktive Substanzen aus der Reihe der Tryptamine, die nicht den jeweiligen Betäubungsmittelgesetzen unterstehen. Ähnlich wie zuvor die Händler ethnobotanischer Spezialitäten versuchen sie bestehende Gesetzeslücken zu nutzen und die Zugänglichkeit psychoaktiver Spezereien zu erhöhen. Selbstverständlich werden die entsprechenden Substanzen in keiner Weise zum Konsum angeboten. Im Gegenteil: Vor dem Konsum wird entweder ausdrücklich gewarnt, oder die Kundschaft muss sich gar schriftlich verpflichten, die bestellte Ware nicht in unerlaubter Weise anzuwenden.

5-Meo-DIPT (5-Methoxy-N,N-Diisopropyl-Tryptamin) ist eine dieser Substanzen. In geringen Dosierungen zwischen 6 und 12 Milligramm oral eingenommen wirkt es vier bis acht Stunden lang leicht psychedelisch und emotional öffnend. Ein gewisser Ruf als sinnlichkeits- und hingabeverstärkendes Aphrodisiakum eilt ihm (im Internet) voraus. Jedoch wissen Konsumenten auch von eher umangenehmen Wirkungen wie Übelkeit und Schweissausbrüchen zu berichten. Schon leichte Überdosierungen können zu als ausgesprochen anstrengend empfundenen Rauschzuständen führen. In Form der freien Base kann 5-Meo-DIPT in Dosen von wenigen Milligramm auch geraucht werden. Das „High“ ist dann lediglich ein bis drei Stunden spürbar. 5-Meo-DIPT lässt sich unter Umständen auch psychotherapeutisch einsetzen, z.B. im Rahmen einer psycholytischen Therapie.

DPT
DPT

DPT (N,N-Dipropyl-Tryptamin) zählt zu den besonders eifrig im Internet diskutierten psychedelischen Substanzen. Es wird sowohl oral eingenommen, als auch geschnupft, geraucht und intramuskulär injiziert. Obwohl es schon seit den 60er Jahren bekannt ist und die chemisch nahe verwandten Substanzen DMT und DET seit dieser Zeit dem BtmG unterstehen, blieb DPT bislang von dieser Einschränkung verschont. Dennoch ist kaum etwas über seinen Gebrauch in den letzten drei Jahrzehnten bekannt geworden. Eine obskure New Yorker Sekte „The Temple of the True Inner Light“ benutzt seit Jahren in den U.S.A. unbehelligt DPT als Sakrament. In psychotherapeutischen Kontexten wurde DPT gelegentlich auch bei uns eingesetzt.

Kompliziert wird es für Chemikalienhändler und ihre Kundschaft, wenn eine Substanz beispielsweise in der Schweiz (noch) gehandelt werden kann, während sie in Deutschland dem Betäubungsmittelgesetz untersteht und nicht verkehrsfähig ist, wie dies bei Alpha-Methyl-Tryptamin der Fall ist, das in den 60er Jahren in der UdSSR als langwirkendes Antidepressivum „Indopan“ in Tabletten zu 5 und 10 Milligramm auf dem Markt war und in Dosierungen von 5 bis 20 Milligramm geraucht stimulierende und leicht psychedelische Effekte induzieren soll.

Einige der gehandelten und dem BtmG entgangenen Substanzen sind noch weniger „Designerdrogen“ im obigen Sinne, sondern Naturstoffe in reiner Form, die allerdings meist nicht extrahiert, sondern vollsynthetisch hergestellt werden.

Dazu gehört 5-Meo-DMT (5-Methoxy-N,N-Dimethyl-Tryptamin), das in Dosierungen von 5 bis 20 Milligramm geraucht wird, um auf einen sehr schnell einsetzenden, aber nur zehn bis zwanzig Minuten anhaltenden, ins Innere gerichteten stark energetischen Trip, in der Regel ohne ausgeprägte Farbvisionen, zu gehen. Bekannt geworden ist 5-Meo-DMT als Hauptwirkstoff im rauchbaren getrockneten Sekret der Bufo alvarius-Sonora-Wüsten-Kröte. In zahlreichen Pflanzen wurde es nachgewiesen. Einige von Ihnen werden vermutlich seit Jahrtausenden von südamerikanischen Schamanen als bewusstseinsverändernde Schnupfpulver eingenommen. Andere haben erst in den letzten Jahren als Bestandteil von Ayahuasca-Analogen Bedeutung erlangt. 5-Meo-DMT ist kurzfristig mit der 13. BtmG-Änderungsverordnung, unterschrieben von der Grünen Gesundheitsministerin Andrea Fischer, zunächst befristet für den Zeitraum eines Jahes und wirksam ab Oktober 1999, dem deutschen Betäubungsmittelgesetz unterstellt worden, allerdings unter der Bezeichnung 3-Methoxy-DMT (2-(5-Methoxy-indol-3-yl)-ethyl)-dimethyl-azan).

Harmalin ist ein interessanter antidepressiver, innerhalb von einer halben Stunde und nur vier bis fünf Stunden lang wirkender reversibler Monoaminoxidase (MAO)-Hemmer, der gemeinsam mit dem sehr ähnlich wirkenden Harmin und weiteren verwandten Alkaloiden in hoher Konzentration in Steppenrautensamen (botanisch Peganum harmala), in niedrigerer Konzentration in der Ayahuasca-Liane (bot. Banisteriopsis Caapi) vorkommt. Die Pflanzenprodukte sind viel preiswerter als die Reinsubstanzen und werden seit Jahrtausenden genutzt. Allerdings lässt sich reines Harmalin oder Harmin effektiver dosieren. Üblich ist die Einnahme von z.B. 150 Milligram des Harmalin-Hydrochloridsalzes eine halbe Stunde vor Einnahme anderer Substanzen, um diese erst oral psychoaktiv wirksam zu machen, wie dies bei DMT und DMT-haltigen Pflanzenextrakten der Fall ist, oder aber deren psychedelische Wirkungen zu verstärken, wie dies beispielsweise bei Meskalin und meskalinhaltigen Kakteen oder psiloc(yb)inhaltigen Pilzen der Fall ist.

Die Reinsubstanzen DMT, Meskalin, Psilocybin und Psilocin unterstehen allerdings dem deutschen BtmG, die diese Substanzen enthaltenden Pflanzen und Pflanzenteile seit dem 1.2.1998 mit Hilfe von SPD- und SPD/Grünen-regierten Ländern auch, „wenn sie als Betäubungsmittel mißbräuchlich verwendet werden sollen“, wie es so schön heisst.

Wer allen möglichen, insbesondere den weitgehend unbekannten gesundheitlichen Risiken zum Trotz, den Umgang mit den oben erwähnten (noch) „legalen“ Substanzen beabsichtigt, sollte vorher alle verfügbaren Informationen einholen und sich mit den auf dem aktuellsten Stand befindlichen Gesetzestexten (BtmG, Arzneimittelgesetz, Gefahrstoff-Verordnung, Chemikalien-Verbotsverordnung) vertraut machen und wissen, dass er auf eigenes Risiko handelt. Im Falle des beabsichtigten Handels sollte vorher ein kompetenter Rechtsanwalt zu Rate gezogen werden.

Die Händler lehnen sich in jeder Hinsicht am weitesten aus dem Fenster und begeben sich aufs drogenpolitische Glatteis. Einerseits sind sie Pioniere, die ernsthaft Interessierten die Zugänglichkeit zu psychedelischen und psychotherapeutisch einsetzbaren Sakramenten erleichtern, andererseits leiten sie vielleicht durch eine mögliche Popularisierung das Auge des Gesetzes beschleunigt auf die entsprechenden Substanzen. Letzten Endes lässt sich aber der fatale Antidrogenkrieg eh nicht gewinnen, selbst wenn am Ende alle Chemikalien der Welt in den Anlagen des BtmG erfasst würden.

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Drogenpolitik Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Jon Hanna über die neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der unerforschten Substanzen

HanfBlatt, November 2004

Jon Hanna ist Autor und Herausgeber der „Psychedelic Resource List“, die nun in ihrer vierten Auflage erschien, einem Kompendium psychedelischer und halluzinogener Substanzen. Im Gespräch geht es um die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der psychoaktiven Substanzen, den ethnobotanischen Kräutermarkt und – wie so oft bei US-Amerikanern – den „Krieg gegen Drogen“.

Frage:
Als langjähriger Autor im Bereich der psychedelischen Substanzen hast du Zugang zu aktuellen Forschungsergebnissen. Was sind die relevanten Entdeckungen im wissenschaftlichen Studium der so genannten „research chemicals“, der „forschungsoffenen Substanzen“?

Hanna:
Die Bezeichnung „research chemicals“ bezieht sich meist auf Tryptamine und Phenethylamine, die nicht spezifisch im Betäubungsmittelgesetz der USA stehen. Während Drogen wie Meskalin oder Psylocybin verboten sind, stehen vergleichbare Substanzen wie 2C-I und 4-AcO-DET noch nicht auf der Liste der illegalen Drogen. Diese Substanzen sind zwar verboten, aber eben nur, wenn jemand sie für den Konsum verkauft oder sie jemand nutzt, um davon High zu werden. Es ist eine seltsame Art von Graubereich. Diese Chemikalien können zu Forschungszwecken genutzt werden, aber nicht, wenn die Erprobung das High-Werden beinhaltet.

JonHannaDie US-Regierung geht nicht besonders hart gegen diese Substanzen vor. Warum, denkst du, greift der Staat hier nicht stärker durch?

Um ehrlich zu sein, bin ich selber überrascht, dass die Behörden die vertreibenden Firmen nicht aggressiver verfolgt. Wahrscheinlich befindet sich die DEA (Drug Enforcement Administration) in einer Datenerfassungsphase und beobachtet diejenigen, der in diesem Bereich verkaufen oder kaufen. Jedoch ist dies nicht das ganze Bild: Einige dieser Substanzen sind nicht besonders interessant, andere haben frappante Nebenwirkungen. Diese beide Tatsachen führen zu einem geringen Verbreitungspotenzial, der Grund zum Durchgreifen ist also gering. Aber hin und wieder wird eben doch eine Substanz entdeckt, die der Masse als „neue“ Form von Ecstasy (MDMA) verkauft werden kann.

Was mit 5-MeO-DIPT geschah.

Exakt. Diese Substanz kam sogar zur Ehre eines Berichts im „Playboy“, mit dem Fokus auf die aphrodisierenden Eigenschaften. „Foxy Methoxy“, wie es gerne genannt wird. Dort, zwischen den Seiten mit nackten Frauen, ist ein Bild von Sasha Shulgin, wie er in einer Phiole irgendwas braut! Wenn eine „neue“ Substanz viel Aufmerksamkeit von der Mainstream-Presse erfährt oder wenn die Raver-Szene darauf einsteigt, dann wird die Chance erheblich größer, dass sie kurz darauf verboten wird. Momentan ist mir kein solcher Hype bekannt. Es gibt jedoch ständig Fortschritte, immer vorangetrieben von denen, die gerne damit experimentieren. Jüngst wurde der Effekt einer pharmazeutische Ketamin-Creme entdeckt, die als schmerzstillende Salbe verschrieben wird. Als Einlauf genommen führt diese Salbe zu ähnlichen Effekten wie die intramuskuläre Injektion.

Hui, das klingt nach der großen Hafenrundfahrt. Und was tut sich im Untergrund bei der Erforschung der entheogenen Pflanzen?

Vor kurzem sind einige einfache Extraktionsprozesse, die durch jeden Küchenchemiker oder Keller-Schamanen durchgeführt werden können, veröffentlicht worden. Darunter war die Extraktion von Psilocybin und Psilocin. Mit 140 Proof-Äthanol und einem Prozess von Extraktion, Abkühlung, Dekantieren und Einfrieren kann ein relativ reines Puder hergestellt werden. Yachaj Paye berichtet davon in der Herbstausgabe der „Entheogen Review“.
Obwohl die Erforschung von „Salvia Divinorum“ keine Untergrundtätigkeit im engeren Sinne ist, da der Gebrauch in den meisten Ländern legal ist, werden die meisten Entdeckungen von Fans der Substanz und nicht von offiziellen Wissenschaftlern gemacht. Ein schneller Extraktionsprozess für relativ reines Salvinorum A. mit Hilfe von Aceton wurde letztes Jahr im Netz veröffentlicht. Und Daniel Siebert, das ist derjenige gewesen, der endgültig feststellte, dass Salvinorum A die Substanz ist, die für die Psychoaktivität von „Salvia Divinorum“ verantwortlich ist, beschreibt einen weiteren zügigen Extraktionsprozess. Der funktioniert mit Chloroform.
In den vergangenen Jahren wurde eine Anzahl von neuen Chemikalien aus dem Göttersalbei purifiert. Die meisten von diesen kommen nur in Spuren in der Pflanze vor. Siebert, wiederrum einen Schritt weiter gehend als alle vor ihm, hat nun die Wirkung von Salvinorum B und Salvinorum C im menschlichen Körper erprobt. Unglücklicherweise ist weder B noch C psychoaktiv, zumindest nicht in den Dosen, in denen Salvinorum A wirkt. Er nahm bis zu vier Gramm vaporisiertes Salvinorum B und bis zu drei Gramm Salvinorum C zu sich. Nichts. Wir erinnern uns: Salvinorum A ist schon bei Dosen unter einem Milligramm psychoaktiv.
Auch in der „Untergrund-Szene“ folgt der Forschung der Kommerz. Es gab im letzten Jahrzehnt eine explosionsartige Ausbreitung von Firmen, die halb legale psychoaktive Pflanzen verkaufen. Das Internet bietet die nötigen Informationen, der Enthusiasmus für Entheogene wächst und parallel dazu die Anzahl der Leute, die mit dem wachsenden Markt Geld verdienen möchten. Botanisch spezialisierte Firmen wollen vom nächsten großen Hype zu profitieren.

Diese Firmen konzentrieren sich zum Teil auf relativ obskure Pflanzen, weil das Seltene, Neue oder Ungewöhnliche die Leute anzieht.

Ja, vor kurzem sahen wir das bei „Kratom“, lateinisch „Mitragyna Speciosa“ genannt. Die Pflanze verursacht Effekte wie wir sie von Opiaten kennen. Es scheint so, dass dies an einem Indol-Alkaloid liegt, Mitragynin, welches nur in dieser Pflanze vorkommt. Die chemische Struktur ist mit Psilocybin verwandt, dennoch erzeugt „Kratom“ keine psychedelischen Effekte, jedenfalls nicht in den bisher getesteten Dosierungen. Leider ist die Pflanze in ihrem Ursprungsland, nämlich Thailand, illegal. Folglich ist es schwierig „Kratom“ zu exportieren, obwohl es in den meisten Teilen der Welt legal ist.
Wohl wissend, dass die Pflanze begehrt, aber schwer zu bekommen ist, flutete ein Franzose den botanischen Markt mit einer großen Menge getrockneter Blätter, von der er behauptete, es wäre „Kratom“. Daniel Siebert erkannte allerdings, dass die Blätter nicht der botanischen Beschreibung der Pflanze entsprachen, und schlug vor, dass ich die Leute vor dem Kauf der Blätter öffentlich warnen sollte. Ich beschaffte mir einen Referenz-Standard von Mitragynin Picrate von einer Pharma-Firma aus England und schickte diesen Standard und das vorgeblich „Kratom“ zu diversen Chemikern zum Testen. Es stellte sich heraus, dass die Refernz aus England Mitragynin enthielt…

… was zu erwarten war…

… der Scheiß aus Frankreich aber überhaupt kein Mitragynin enthielt. Nun gab es also nicht nur den botanischen, sondern auch den chemischen Beweis, dass die Blätter unkorrekt etikettiert waren. Mehr über diese Untersuchung findet sich in einer PDF-Datei auf der Webseite der Entheogen Review.
Leider arbeitet der ethnobotanische Markt auf unprofessionelle Weise, es existiert keine Qualitätskontrolle und keine staatliche Organisation wacht über die Anbieter dieser Produkte. Verbraucherschützer, so wie ich, sind gezwungen diese Art von Untersuchungen zu finanzieren und durchzuführen. Ich sollte vielleicht noch anmerken, dass korrekt gekennzeichnetes „Kratom“ jetzt in einigen Online-Shops erhältlich ist.

Kratom
Kratom

Ist diese Art von Desinformation im ethnobotanischen Kräutermarkt üblich?

In den meisten Fällen agieren die Leute ehrlich, wenn Fehler passieren, dann aus Versehen. Aber eben nicht immer. Erinnere dich an die Ereignisse mit dem mutmaßlichen „Lagochilus Inebrians“. Das kommerzielle Interesse an dieser Pflanze gründet auf einer kurzen Erwähnung in „Pflanzen der Götter“ von Richard Evan Schultes und Albert Hofmann. Aus psychoaktiver Sicht ist das vermutlich keine besonders interessante Pflanze; der Effekt ist mild sedativ und blutdrucksenkend. Aber allein die Tatsache, dass es ein Diterpenoid, nämlich Lagochilin, enthält und Salvinorium A ebenfalls ein Bestandteil von Diterpenoid ist, ließ die Händler aufhorchen. Ein paar Kilos getrockneten Materials tauchten jüngst in den USA auf, aber es stellte sich heraus, dass die Kräutermischung eine plumpe Fälschung war, sie stammte nicht einmal aus derselben botanischen Familie wie „Lagochilus“. Dankbarerweise wurde in diesem Fall die weitere Verbreitung des Produkts verhindert. Traurig war nur, dass der Verkäufer des Materials, ein gewisser Dr. Ashley Minas aus Russland, die Rückzahlung des Geldes für das falsche Kraut verweigerte. Wie bei „Kratom“ auch wird auch das originale Kraut wohl bald korrekt vermarktet werden, obwohl es zu früh ist, hierüber endgültige Aussagen zu treffen. Seltene Kräuter, gerade wenn sie getrocknet und zerkleinert sind, können sehr schwer korrekt zu identifizieren sein.

Lass uns von der Produktion zum Konsum übergehen. Der Genuss jeder Substanz birgt auch Gefahren. Stellt das alte Konzept von „Set und Setting“ noch immer den Kern der Risikovermeidung dar?

Die Berücksichtigung von „Set und Setting“, also der Erwartungshaltung und geistigen Situation der Person und die Umgebung, in der die Droge eingenommen wird, stellen nach wie vor die goldene Regel dar, speziell bei Psychedelika. Aber es gibt einen dritten Aspekt, den die frühe LSD-Forscherin Betty Eisner in die Diskussion einbrachte und welcher nie die verdiente Aufmerksamkeit erhielt. Dieser Aspekt wird „Matrix“ genannt und zielt auf die soziale Gemeinschaft, die die konsumierenden Person umgibt. Es muss eine Gruppe von unterstützenden, verständnisvollen und erfahrenden Leuten da sein, die eine Atmosphäre schafft, in der die psychedelische Erfahrung gelebt werden kann. Manchmal geraten Psychonauten in ein Muster des sich oft wiederholenden Konsums, ohne vorteilhafte Änderungen an ihrem Leben vorzunehmen. „Instanterleuchtungen“ durch eine Pille sind eine feine Sache, aber diese halten nicht an und berühren das nicht-trippende Leben nicht, wenn nicht daran gearbeitet wird. Wieder und wieder High werden zu wollen kann zu einer Krücke werden, eine Krücke, die vergessen lässt, dass eine innere Arbeit, eine Art Nachbereitung, im nüchternden Zustand erfolgen muss. Ich denke dass die „Matrix“ ebenso wichtig wie „Set und Setting“ ist, wenn nicht sogar wichtiger. Wir brauchen Menschen um uns herum, die uns die Erlebnisse in wertvoller Weise integrieren helfen, so dass wir uns positiv weiter entwickeln.

Gibt es neue Entwicklungen in der Risikominimierung beim Drogengebrauch?

Sicher, es gab große Fortschritte in den letzten Jahren, dafür sind Pillentests ein gutes Beispiel. Diese geben zumindest eine Ahnung davon, ob die auf einem Rave oder der Straße gekaufte Pille wirklich die gewünschte Substanz beinhaltet. Desinformation ist ein gefährlicher Aspekt des „War on Drugs“: Es ist doch völlig absurd zu behaupten, das die Drogen-Verbotsgesetze dafür da sind eine gesündere Gesellschaft schaffen zu wollen! Was die Prohibition wirklich verursacht ist eine Gesellschaft, in der der Konsument unnötige Gesundheitsrisiken auf sich nehmen muss. Pillen werden zum Teil nicht vorschriftsgemäß hergestellt, oftmals führen die schlechten Laborbedingungen zu einer falschen Synthese oder Verunreinigungen im Endprodukt. Eine standardisierte Produktion in einem kontrolliert pharmazeutischen Labor würde dieses Problem aus der Welt schaffen.
Und dann ist dort noch die Frage, wie hoch die verkaufte Dosis tatsächlich ist. Durch wie viele Hände ist das Produkt gegangen und wie sehr wurde es gestreckt? Und mit was? Die einfachen, auf dem Markt erhältlichen Pillentests können diese Fragen nicht alle beantworten, aber sie geben zumindest eine Idee davon, was ich mir da zuführe. Trauriger Weise schlagen skrupellose Dealer zurück. Beispielsweise beinhalteten einige Pillen 10 % MDMA und 90 % Koffein oder Pseudoephedrin. Ein einfacher Drogentest zeigt nur an, dass die Pille MDMA enthält, nicht aber, was deren Hauptbestandteile sind. Jüngere Konsumenten gewöhnen sich an die schwachen Dosierungen und nehmen teilweise zehn oder mehr dieser Pillen, um die erwünschten Effekte zu erzielen. Was aber ist mit den Wirkungen von Koffein und Pseudoephedrin? Und was ist, wenn der Konsument an eine voll dosierte, reine Pille gerät, von der er oder sie wie üblich zehn nimmt?

Die gesundheitlichen Auswirkungen des „War on Drugs“ liegen offen dar.

Es ist traurig, aber die fatalen Folgen dieser Politik haben sich immer noch nicht weit genug rumgesprochen. Unterstützt wird der Irrsinn auch noch durch staatlich geförderte Forscher, die fehlerhafte Daten veröffentlichen, so wie das bei Dr. George Ricaurte der Fall war. Ricaurtes Versuche an Ratten führten ihn zu dem Schluss, dass eine einzelne Dosis MDMA schwere Schäden am Dopamin-Haushalt verursachen kann. Sein Report führte zu verschärften Gesetzen gegen MDMA in den USA. Später stellte sich die Untersuchung als völliger Humbug heraus, denn man hatten versehentlich Methamphetamin genommen, was erheblich potenter ist, statt MDMA. Als der Fehler entdeckt wurde, gab Ricaurte zu Mist gebaut zu haben, aber die Gesetze waren schon verabschiedet. Im Endeffekt kommt als Nachricht bei drogeninteressierten Jugendlichen an, dass die Regierung sie eh nur anlügt und die Drogen ungefährlich sind. Aber sie sind eben nicht völlig ungefährlich. Die Folge: Es entsteht ein Klima des Misstrauens, denn aus Sicht der Kinder und Jugendlichen sind Erwachsene Lügner. Der sich entwickelnde Groll dient später eventuell dazu, die eigene Unehrlichkeit zu rechtfertigen. Was für eine beschissene Welt bauen wir da für unsere Kinder?

Um das einseitig negative Bild, welches die Regierungen über Drogen in die Welt setzen, zu bekämpfen, müssen da eventuell die Menschen, die von ihren Drogenerfahrungen profitiert haben eine Art positive Gegenpropaganda kreieren?

Genau. Das führt gut zu dem anderen Bereich meines Interesses: der psychedelischen Kunst. Das Kunst durch Psychedelika inspiriert wird ist alltäglich. Dieser „Kunststil“ wird von Leuten angewendet, die daraus Werbefilme im TV für Süßigkeiten, Getränke oder auch Autos kreieren. Immer mehr Künstler nutzen psychedelische Drogen als Werkzeug für die Inspiration und sind auch bereit, darüber offen zu reden. Das Thema „Psychedelika“ ist in diversen Produkten der Popkultur gegenwärtig. Ob in Episoden bei den „Simpsons“ oder den „X-Akten“ oder als Basis für ein Drehbuch, man denke an die „rote Pille“ in „The Matrix“.
Einige zeitgenössische Künstler haben an Filmen mitgewirkt, wie beispielsweise H.R. Giger, der das Design für „Alien“ entwarf oder der Kanadier Luke Brown, der jüngst von Steven Spielberg für dessen neuen Film angestellt wurde.
Aber auch in Bereichen abseits der hohen Künste spielen psychedelische Substanzen bei kreativen Prozessen eine Rolle. So hat etwa der Träger des Chemie-Nobelpreises von 1993, Kary Mullis, in seiner Autobiografie die Welt wissen lassen, dass seine Entdeckung der Polymerase Kettenreaktion (PCR) zur DNA-Synthese auf den Einfluss von LSD zurückgeht. Mark Pesce, Mitautor der Virtual-Reality Programmiersprache VMRL, gab zum Besten, dass ihm die Idee zu dem Code auf LSD kam, mehr noch, dass er LSD danach weiterhin nutzte, um den Code weiter zu entwickeln. Überhaupt war die gesamte Personal Computer Revolution von LSD angetrieben. Mensch, selbst Bill Gates von Microsoft sprach in einem Interview offen über seine LSD-Erfahrungen.
In meinem Leben agieren psychedelische Drogen als ein Fenster zu Wissensbereichen, an denen ich vorher wenig Interesse hatte: Botanik, Chemie, Geschichte, Studium von Religionen, Anthropologie und Soziologie, um nur einige zu nennen. Für mich ist klar, dass psychedelische Drogen ein wertvolles Werkzeug für positive Veränderungen sein können, persönlicher und gesellschaftlicher Art. Unser Job ist es, die „richtige“ Einstellung zu fördern. Wenn wir dies tun, so hoffe ich, beenden wir auch die herrschende falsche Einstellung gegenüber diesen Werkzeugen.