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Interview mit Stephan Schleim über das Gedankenlesen

www.gedankenlesen.info

Interview mit dem Autor Stephan Schleim über sein Buch „Gedankenlesen“

Frage: Herr Schleim, wer an Gedankenlesen denkt, denkt zunächst an den klassischen Lügendetektor. Mit welcher Zuverlässigkeit können die herkömmlichen Polygraphen jemanden beim Lügen ertappen?

Stephan Schleim: Schon beim „klassischen Lügendetektor“ gibt es große Unterschiede. Interessanter als die wissenschaftlichen Daten ist hier ein Blick in die Gerichtssäle: In den USA lässt kein Gericht – außer im Bundesstaat New Mexico – den Polygraphen als Beweismittel zu. Auch in Deutschland genießt er keinen guten Ruf. Urteile des Bundesgerichtshofs aus den 1950er und 1990er Jahren erklären ihn höchstrichterlich als unzulässig. Die Begründung hierzulande wie in den USA ist, das Verfahren sei nicht wissenschaftlich gesichert.

Bringt die moderne Technik mit ihren bildgebenden Verfahren da einen Fortschritt?

Die einfache Idee vieler ist: Lügen seien gedankliche Prozesse; und Gedanken fänden im Gehirn statt; also müsse man nur das Gehirn untersuchen, et voilà, schon könne man zwischen Wahrheit und Lüge unterscheiden. Wer einmal selbst Hirnforschung betrieben hat, der weiß aber: In Sachen Hirn ist nichts so einfach. Dennoch ist es manchen Forschern gelungen, unter experimentellen Bedingungen auf bis zu 90 Prozent Zuverlässigkeit zu kommen. Dabei bleiben noch viele Fragen offen – es ist aber ein beachtlicher erster Erfolg.

Also ist die Unterscheidung zwischen „Lüge oder Wahrheit“ bald gerichtsverwertbar den Maschinen überlassen?

Nein, keineswegs, das ist noch unentschieden. Wenn man einem Studenten eine Spielkarte gibt und ihm sagt, er solle jetzt immer „nein“ antworten, wenn man ihn danach fragt, und ihn zudem dafür bezahlt, was heißt das? In Wirklichkeit gibt es viele Arten von Lüge, die viel komplexer sind. Wie ich im Buch argumentiere, könnte sich ein echter Lügendetektor im Sinne einer Gedankenlese-Maschine als verfassungswidrig herausstellen. Ob die Maschinen jemals im Gerichtsaal landen, das ist noch nicht abzusehen.
Stephan Schleim
Aber die Neuro-Wissenschaft erhofft sich viel von den bildgebenden Verfahren.

Ja, das ist korrekt. Nachdem die ausgerufene „Dekade des Gehirns“ (1990 bis 2000) vorüber ist und sich nun auch das „Jahrzehnt des menschlichen Gehirns“ (2000 bis 2010) dem Ende nähert, zeichnet sich jedoch ab, dass manche Hoffnungen überzogen sind. Die bildgebenden Verfahren können Erstaunliches sichtbar machen, dennoch bleibt es wichtig, genau hinzuschauen, was einem die Daten sagen. Wir messen Bildern aufgrund unserer Alltagserfahrung oft eine erhebliche Überzeugungskraft bei – aber was bedeuten Hirnbilder wirklich? Dieser Frage wurde bisher in der Öffentlichkeit kaum Aufmerksamkeit geschenkt.

Ist es nicht bis jetzt so, dass die konkreten Inhalte des Denkens nur dann ausgelesen werden können, wenn die Vorgaben durch den Versuchsaufbau sehr eng sind? Der Proband darf also an einen Kreis oder ein Quadrat denken, nicht aber an seine Mutter?

Das kommt einem bestimmten Experiment sehr nahe, bei dem ermittelt werden konnte, ob jemand gerade an ein Gesicht denkt oder an einen Ort. Das wäre nur in einem sehr reduzierten Sinne „Gedankenlesen“. Allerdings gibt es auch schon erfolgreiche Versuche, den gedanklichen Inhalten weitaus näher zu kommen. Beispielsweise wurde es mit zehn verschiedenen Objektkategorien probiert; oder auch damit, anhand der Muster von Versuchsperson A die Erlebnisse von Versuchsperson B zu bestimmen.

Der ultimative Test einer universellen Gedankenlesemaschine wäre es aber, ein Experiment frei von jeglichen Beschränkungen durchzuführen, da gebe ich Ihnen recht. Ob es jemals so weit sein wird und wenn ja, wann, darüber lässt sich heute nur spekulieren. Es lohnt sich aber, die aktuellen Fortschritte genauer anzuschauen, um eine realistische Einschätzung darüber zu gewinnen, was schon möglich ist und was noch nicht.

Und was die Gesellschaft will.

Ja, natürlich, und dafür muss man die Datenlage richtig einschätzen können. Relativ unabhängig von dem, „was die Gesellschaft will“, dürfen die Wissenschaftler erst einmal ihrer Forschung nachgehen. Aus diesen Ergebnissen können dann technische Anwendungen entstehen, die wiederum auf die Gesellschaft rückwirken. Das wird am Beispiel der Lügendetektion mit dem Hirnscanner deutlich, wo zwei Firmen in den USA seit Kurzem mit Hirnforschern kooperieren, um diese Anwendung marktreif zu machen. Eine von beiden Firmen, „No Lie MRI“, will jetzt auch in den europäischen Markt einsteigen und plant dafür gerade eine Vorführung in der Schweiz.

Gesetzt den Fall, das Auslesen von Gedanken verfeinert sich immer mehr, lässt sich schon absehen, ob dies Auswirkungen auf das Selbstbild des Menschen haben wird? Ich kann mir vorstellen, einige Philosophen sichern schon das Terrain.

[lacht] Ja, tatsächlich versuche ich selbst, da einen Fuß in die Tür zu bekommen. Ein schlechtes Beispiel für einen viel beschworenen Einfluss auf das Selbstbild, manchmal wurde gar von einer „Kränkung des Subjekts“ geredet, stellt meines Erachtens die Willensfreiheitsdebatte dar. Da wurden manchmal Behauptungen aufgestellt, ohne überhaupt die Bedeutung solcher Wörter wie „Wille“ oder „Freiheit“ zu reflektieren. Ich frage mich, hat irgendein Mensch in Deutschland durch diese Diskussion aufgehört daran zu glauben, dass er – zumindest manchmal – aus freien Stücken handelt?
Ich wünsche mir, dass wir eine kritische Neurophilosophie bekommen, damit sich so eine verfehlte Diskussion nicht wiederholt; und ich wünsche mir, dass sich auch mehr Laien trauen, sich mit der Hirnforschung philosophisch auseinanderzusetzen: Einerseits gibt es dort nämlich wirklich Interessantes über den Menschen zu lernen, andererseits würde es dazu beitragen, dass sich die Diskussion nicht im abstrakten Raum des akademischen Elfenbeinturms verliert.

Existieren eigentlich Untersuchungen darüber, ob Liebe und Empathie uns tatsächlich die Gedanken des anderen fühlen lassen können – oder ist das ein gänzlich anderes Feld?

Was Sie ansprechen, ist sogar ein traditionelleres Forschungsfeld als das „Gedankenlesen“ in dem Sinne, wie ich es verwende. Von Natur aus können wir nämlich bestimmte Fähigkeiten entwickeln, die Gedanken eines anderen besser nachzuempfinden oder auch zu manipulieren. Haben Sie schon einmal Poker gespielt? Dann wissen Sie, wie schwer es ist. Wären wir aber perfekte Gedankenleser, dann würden solche Spiele keinen Sinn machen und auch unser sozialer Alltag wäre wesentlich härter. Das selbsterklärte Ziel der Forscher ist es nun aber gerade, es mit Hightech besser zu machen, als wir es von Natur aus können. Es bleibt spannend zu verfolgen, wie dieses Wettrennen ausgehen wird.

Das Interview führte Jörg Auf dem Hövel

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Interview mit dem Kognitionsforscher John-Dylan Haynes

Berliner Zeitung v. 24.03.2007

Der Gedankenleser

Interview mit dem Kognitionsforscher John-Dylan Haynes vom Berliner Bernstein-Center über die Möglichkeiten mittels Kernspintomografien dem Menschen beim Denken zuzusehen

Das bildgebende Verfahren der funktionalen Magnetresonanz-Tomographie (engl: fMRI) ermöglicht Einblicke in die Funktionsweise des aktiven Gehirns, Wissenschaftler aus den Bereichen Neurologie, Kognitionswissenschaft und Biotechnologie nutzen die Apparate, um dem Menschen beim Denken zuzusehen.
Die Bilder haben enorme Suggestivkraft, decken sie doch eine bisherige Intimsphäre des Menschen auf: Denken und Emotionen liegen nun scheinbar offen, um auf dem Seziertisch von Psychologen und Hirnforschern analysiert zu werden.

Die Technik der Kernspintomografie funktioniert vereinfacht dargestellt so: Zunächst wird ein starkes Magnetfeld von mindestens 1,5 Tesla auf den menschlichen Kopf ausgestrahlt. Die Veränderung diese Blutflusses beim Denken sowie die Sauerstoffsättigung des Blutes ziehen Veränderungen des lokalen Magnetfelds mit sich, die vom Gerät aufgezeichnet werden können. So kann prinzipiell jede mentale Aktivität gemessen werden.

Am Bernstein-Center hat nun der Kognitionsforscher John-Dylan Haynes die Professur für „Theorie und Analyse weiträumiger Hirnsignale“ angetreten. Er soll weiter in den Welten des Bewusstsein eindringen und klären, auf welchen neuronalen Grundlagen unsere Hirnleistungen beruhen.

Frage: Professor Haynes, in welchen Bereichen ist man schon heute sicher in der Lage aus fMRI-Scans abzuleiten was ein Proband wahrgenommen hat?

John-Dylan Haynes: Man kann schon sehr gut elementare Bilder, wie zum Beispiel Linienmuster oder aber auch komplexere Bilder erkennen. Unsere Forschung hat jetzt auch gezeigt, dass man sogar in der Lage ist, verborgene Absichten und Pläne aus der Hirnaktivität abzulesen.

Zum Beispiel?

John-Dylan Haynes: Wir haben einen Probanden gebeten, sich frei eine von zwei Aufgaben auszusuchen, dann aber vor der Ausführung ein paar Sekunden zu warten. Noch bevor der Proband mit der Bearbeitung der Aufgabe loslegte konnten wir aus dem Gehirn auslesen, welche Aufgabe sich der Proband insgeheim ausgewählt hatte. Wir konnten also quasi seine verdeckten „Absichten“ lesen.

Zur Verdeutlichung: Können sie als Versuchsleiter quasi live am Bildschirm verfolgen, welchen Kreis der Proband gerade betrachtete oder muss dazu erst ein computergestütztes Analyseverfahren bemüht werden?

John-Dylan Haynes: Prinzipiell wäre es schon möglich quasi-online zu rekonstruieren, was ein Proband gerade sieht. Allerdings wäre damit ein erheblicher Rechner-Aufwand verbunden, weshalb wir zur Zeit offline arbeiten und die Wahrnehmung im Nachhinein ermitteln. Die Mustererkennung einer 1-stündigen Kernspin Sitzung kann pro Proband schon mal 24 Stunden dauern. Es liesse sich jedoch ohne viel Aufwand auch ein quasi-realtime Erkennung realisieren.

Existieren theoretische Grenzen bei dem Auslesen von Vorgängen im Gehirn?

John-Dylan Haynes: Auf jeden Fall gibt es theoretische Grenzen. Selbst wenn man einen perfekten Hirnscanner hätte, der Hirnprozesse bis ins feinste Detail auflösen kann, müsste man noch wissen, welcher Hirnzustand zu jedem Gedanken gehört. Theoretisch müsste man also die Aktivierungsmuster zu jedem einzelnen denkbaren Gedanken aufgezeichnet haben, was natürlich unmöglich ist.

Sind nicht viele Hirnprozesse einmalige Aktivitäten, weil sich die Engramme ständig ändern? Was bedeutet das für die Aussagekraft der Experimente?

John-Dylan Haynes: Das Gehirn verändert sich in der Tat ständig, und das könnte auch für das Auslesen von Gedanken ein Problem sein, auch wenn wir hierüber zur Zeit noch nichts genaueres wissen. Es ist aber denkbar Verfahren zu entwickeln, die auch diese Lernprozesse in Betracht ziehen.

Existiert so etwas wie ein „guter Bewusstseinszustand“ (Thomas Metzinger), sollte man Kindern das weltanschaulich neutrale Meditieren beibringen?

John-Dylan Haynes: Sicherlich gibt es positive und weniger positive Bewusstseinszustände und Gedanken, und Meditation trägt sicherlich zu einem ausgeglicheneren und positiveren „Grundbewusstsein“ bei. Ich bin jedoch skeptisch inwiefern es möglich ist, durch „Nachdenken“, oder besser gesagt „Nicht-Nachdenken“, allein wirklich tiefgreifende Veränderungen der Persönlichkeit herbeizuführen. Ich halte die menschliche Persönlichkeit für weitgehend Veränderungsresistent.

Aber verändert sich das Gehirn und damit die Persönlichkeit nicht oft, sei es durch einschneidende Erlebnisse, sei es durch wiederholtes Übungen?

John-Dylan Haynes: Das Gehirn und somit auch die Persönlichkeit ändert sich ständig, mit jeder Erfahrung, die wir machen. Die entscheidende Frage ist jedoch, inwiefern wir diesen Veränderungsprozess in unserem Sinne steuern können. Wir können natürlich durch Training bestimmte motorische Fertigkeiten oder Denkabläufe optimieren. Wir können auch durch Verhaltenstherapie bestimmte Ängste in den Griff bekommen. Beides geht mit Veränderungen im Gehirn einher. Allerdings sind die Kerneigenschaften unserer Persönlichkeit weitgehend resistent gegenüber gezielten Veränderungen, was sich nicht zuletzt darin zeigt, wie schwierig eine psychotherapeutische Behandlung von Persönlichkeitsstörungen ist. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist auch, wie solche gezielten Veränderungen der „Neuropsyche“ am besten zu erreichen sind. Zur Zeit hat die Hirnforschung nur wenig Mittel, gezielte Veränderungen der Persönlichkeit herbeizuführen, weil wir keine gezielten „Inhalte“ in das Gehirn „schreiben“ können. Auf absehbare Zeit ist Psychotherapie dafür immer noch der beste Weg.

Durch die Erfolge des Brain-Readings stellen sich alte ethische Fragen neu. Welche halten sie für die dringensten?

John-Dylan Haynes: Die ethischen Probleme des Brain-Readings sind in den letzten Jahrzehnten schon oft im Zusammenhang mit Lügendetektion diskutiert worden. Die Frage war, inwiefern man die „mentale Privatsphäre“ des Menschen vor technischen Zugriffen schützen sollte. Diese Debatten waren allerdings eher theoretischer Natur, weil wir keine guten Techniken zum Auslesen von Gedanken hatten. In meinen Augen wird sich diese Frage in den nächsten Jahren völlig neu stellen, sobald wir tatsächlich über hocheffektive Techniken verfügen, menschliche Gedanken aus der Gehirnaktivität abzulesen. Ich bin mir zum Beispiel sicher, dass sich Gerichte nicht ewig sperren können, Brain-Reading Beweise zuzulassen, denn die Beweise können ja auch zu einer Entlastung beitragen. Und im Bereich der Rehabilitation werden bereits heute sogenannte Brain-Computer-Interfaces entwickelt, mittels derer Gedanken ausgelesen werden, um künstliche Prothesen oder Joysticks zu steuern. Ein anderes Beispiel: In den USA gibt es den Employee Polygraph Protection Act, der regelt, dass bei Einstellungstests keine Polygraphen-Tests zum Einsatz kommen dürfen. Ausnahmen sind nur für Bundesbehörden mit hohem Sicherheitsbedarf gestattet. Oder nehmen Sie zum Bespiel die Flugsicherheit. Wenn es eine hypothetische Möglichkeit gäbe einen Terroristen an seiner Gehirnaktivität zu erkennen, können wir uns dann dagegen sperren, solche Verfahren einzusetzen? Wir brauchen also eine neue ethische Debatte darüber, in welchen Bereichen wir Brain-Reading zulassen wollen, und in welchen nicht.