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Elektronische Kultur

Mit Scientology im Cyberspace

ct 3/1996

Zensur oder Urheberschutz?

Scientology im Internet

Während sich vielerorts die Gesetzgeber zunehmend gezwungen sehen, über die Verantwortlichkeit für die Inhalte des Internet zu befinden, führt die Gemeinschaft der Scientologen ihren eigenen Kampf gegen die unkontrollierte Meinungsfreiheit. Sie suchen verzweifelt nach Schuldigen, die sie für vermeintliche Urheberrechtsverletzungen belangen können.

Randgruppen, von den Kanälen der bedruckten und audiovisuellen Medien weitgehend ausgeschlossen, nutzen das Internet als Plattform für ihre Anliegen. Die freie Meinungsäußerung ist dabei Prämisse aller Kommunikation. Durch das anarchische Chaos fühlen sich nicht nur staatliche Machtzentren bedroht, auch die Gemeinschaft der Scientologen sieht seit kurzem die Grundfesten ihres Glaubensgebäudes untergraben. Denn im Internet tauchen immer wieder geheime Schriften von Ron L. Hubbard, dem Stifter der Quasi-Religion, auf. Diese Texte schützt das Urheberrecht, ungeachtet dessen sind sie über die internationalen Datenleitungen frei erhältlich. Die in Amerika als Kirche anerkannte Vereinigung bemüht sich um weltlichen Beistand: In verschiedenen Ländern sollen Gerichte über die Verbreitung der vertraulichen Überlieferungen Hubbards befinden. Im Kern geht es dabei um die Grenzziehung zwischen freier Meinungsäußerung und geistigem Eigentum.

 

Teure Lehren

Warum aber erfreut sich die Kirche nicht an der effektiven Verbreitung der Lehre ihres 1986 verstorbenen Oberhauptes? Um auf konventionellem Wege durch das Werk Hubbards illuminiert zu werden, bedarf es eines randvollen Bankkontos. Wird die Literatur zur Einführung oft noch kostenlos verteilt, sind die Materialien für die Ausbildung zur geistlichen Beratung bis zu 2000 Mark teuer und nur für Mitglieder erhältlich. Das Hinaufschweben der Sprossen zur vollkommenen Bewußtseinserweiterung kostet dann ein Vermögen – Scientologen zahlen für die Absolvierung der fortgeschrittenen Stufen ihrer Religion bis zu hunderttausend Mark. Mit der Veröffentlichung der Publikationen im Internet versiegt somit eine entscheidende Geldquelle der Organisation. Thomas Small, Rechtsbeistand des ‚Religious Technology Center‘, der Institution in den USA, welche die Rechte an den Werken Hubbards hält, forderte Anfang vergangenen Jahres mehrere Internet-Anbieter auf, den Versand von geschützten Schriften über ihre Computer zu unterbinden. Das Problem: Nicht die Anbieter selbst, sondern einige ihrer Kunden hatten per elektronischer EMail Texte von Hubbard in das Diskussionsforum ‚alt.religion.scientology‘ gesandt. Dieses schwarze Brett im Internet, ein öffentlicher Treffpunkt für Gegner und Anhänger der Lehre, ist seit seiner Geburt im Jahre 1991 ein Dorn im Auge der Welterklärer. Über 14.000 Gelegenheitsleser streiten hier über Sinn und Unsinn einer scientologischen Weltanschauung. Der bekannteste der angeschriebenen Anbieter, der finnische Versender ‚anon.penet.fi‘, sah keine Möglichkeit, die privaten Nachrichten seiner Kunden auf illegale Inhalte zu überprüfen. ‚Die Post ist auch nicht für den Inhalt ihrer Briefe verantwortlich‘, antwortete Johann Helsingius, der seit 1992 den Server betreibt. Diese Antwort reichte nicht, denn ein paar Wochen später statteten ihm die Scientologen in Begleitung der Polizei einen Besuch ab. Ein Durchsuchungsbefehl legitimierte die Delegation zur Beschlagnahme der gesamten Computeranlage.

Kinderpornos als Waffe

Nicht den anonymen Transport von Texten Hubbards warf man dem Finnen allerdings vor, sondern die illegale Weiterleitung von Kinderpornographie. Mats Wiklund von der Universität in Stockholm meinte obszöne Bilder auf dem Rechner im Nachbarland entdeckt zu haben. Bereitwillig griffen die Jünger Hubbards den Fund auf und erstellten Strafanzeige. Teile der in Aufruhr geratenen Internet-Gemeinde vermuten, daß die Scientologen selbst die Fotografien auf den Computer des unbequemen Nordländers geladen haben. ‚Es ist eine allgemein übliche Praxis, einem Internet-Anbieter, dem man schaden will, Kinderpornos auf den Rechner zu spielen und Anzeige zu stellen‘, berichtet Coco Danie, Mitglied im Hamburger ‚Chaos Computer Club‘. Die Glaubensgemeinschaft der Scientologen steht seit der Gründung in den fünfziger Jahren in dem Ruf, ihre Anhänger einer systematischen Gehirnwäsche zu unterziehen, um sie schrittweise von der sozialen Umwelt abzuschotten und damit immer weiter von den Definitionen ihres Gründers abhängig zu machen. Gegen Kritiker geht der sektiererische Verein meist so rigoros vor, daß sich die Münchener Staatsanwaltschaft 1986 verpflichtet fühlte, der Organisation ‚geheimdienstliche Methoden im Grenzbereich zur Illegalität‘ zu attestieren. Trotzdem oder deswegen zählt das heilsuchende Bündnis heute weltweit sieben Millionen Genossen in seinen Reihen – 300.000 davon in Deutschland.

Nach Angaben der deutschen Sektion des Vereins ist die Einspeisung der Werke Hubbards in das Internet zunächst auf Anregung aus den eigenen Reihen lanciert worden. Wie der Hamburger Scientologe Riedl erklärt, sei dies geschehen, ‚um verfälschten Darstellungen und Kopien auf diese Weise zu entgegnen‘. Erst später sendeten Scientology-Aussteiger Texte dazu, die der breiten Öffentlichkeit auf gar keinen Fall zukommen sollten. Das sind die Kursstufen des ‚Operating Thetan‘, OT I bis OT VIII, die höchsten und geheimsten Kategorien, die in der Scientology-Hierarchie erreichbar sind. Hier soll sich der Mensch nicht nur seiner Unsterblichkeit bewußt werden, sondern auch die ultimativen Antworten auf alle Fragen erhalten. Daß auch die geheimsten Anweisungen im globalen Netzwerk liegen, birgt nach Riedl die Gefahr, daß Menschen um ihren spirituellen Fortschritt gebracht würden. Und der sei nur durch die ‚genaue Anwendung der in Scientology dargelegten grundlegenden Wahrheiten möglich‘.

Aufklärung

Dies sieht Steven Fishman ganz anders. Er war es, der die umstrittenen Dokumente publizierte und damit den ersten Konflikt im Internet verursachte, der vor Gerichten geklärt werden soll. Der US-Amerikaner und frühere Scientologe setzt sich vehement für transparente Strukturen in religiösen Großbetrieben ein. ‚Jeder soll wissen, was ihn in der Scientology-Kirche erwartet und was die angewandten Dogmen und Praktiken beinhalten‘, fordert Fishman. Folglich beharrt er darauf, daß das Kursmaterial weiterhin jedem zugänglich bleibt. Mit dieser Forderung steht Fishman nicht allein. Seit die Fehde im Netz publik wurde, veröffentlichen immer mehr Internet-Nutzer die Dokumente. Beim niederländischen Internet-Anbieter ‚XS4ALL‘ existieren mittlerweile Hunderte von Kopien der Schriftstücke, und Wissenschaftler aus Stuttgart und Saarbrücken haben auf den Universitätsrechnern das kompromittierende Material ebenfalls der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Die Anwälte der Scientologen nehmen dennoch den sisyphusähnlichen Kampf gegen die ungeordnete Verbreitung der Gedanken ihres Messias auf. Während der Konzern für das Seelenheil in den USA mehrere Prozesse gegen Internet-Anbieter führt, sollte im Dezember der erste Rechtsstreit auf dem europäischen Kontinent ausgefochten werden. In Den Haag klagte die Kirche gleich vier Computerfirmen an, auf ihren Rechnern die durch das Copyright geschützte Texte liegen zu haben. Felipe Rodriques, Manager bei ‚XS4ALL‘, sah dem Händel freudig entgegen: ‚Wir haben schon immer gesagt, daß wir nicht für unsere Nutzer verantwortlich sind‘, kommentierte er, ‚und um dies endgültig zu klären, wollen wir den Prozeß.‘ Soweit kam es indes nicht. Zwei Tage vor Verhandlungsbeginn zogen die Scientologen ihre Anklage zurück, denn kein Notar wollte bestätigen, daß der Inhalt der Texte auf den Rechnern mit den OT-Kursschriften identisch ist. Ohne diesen Nachweis, so war den Anwälten klar, läßt sich ein Verstoß gegen das Urheberrecht nicht belegen.

Unsicherheit

Die Freude unter den Beklagten währte nur kurz, denn durch den nie aufgenommenen Prozeß bleibt vorerst ungeklärt, was im Internet veröffentlicht werden darf und ob der Transporteur einer Nachricht für deren Inhalt haftbar ist. In Deutschland bemüht sich die Staatsgewalt dagegen, die Grenzen der freien Meinungsäußerung im virtuellen Raum frühzeitig abzustecken. Die Münchner Staatsanwaltschaft läßt derzeit in einem Gutachten prüfen, welche technischen Möglichkeiten die Internet-Anbieter haben, um eine inhaltliche Kontrolle der transportierten Daten auszuüben. Auch den Scientologen ist die Bedeutung des Internets unterdessen klar. Während etwa die Church of Scientology in Los Angeles schon länger mit einem WWW-Server vertreten ist, sucht das Unternehmen noch nach einer Adresse im deutschen Teil des weltweiten Dorfes, um die Vorzüge des spirituellen Weges in der Religionsgemeinschaft zu beschreiben und neue Kunden zu gewinnen. Riedl: ‚Die Einrichtung einer solchen Kontaktmöglichkeit im Laufe des Jahres 1996 wird von uns ins Auge gefaßt.‘