Der High-Tech Kiffer

Kiffer-Typen IX

Erschienen im Highway Magazin

Der High-Tech Kiffer

Fälschlicherweise könnte man annehmen, das der Kiffer-Typ, dem wir uns heute zuwenden, ein Phänomen des digitalen Zeitalters ist. Aber den technikaffinen Cannabis-Connaisseur, kurz Cannasseur, gab es schon immer. Es ist der Typ, dem die handwerklichen Mittel nie nur Mittel zum Zweck sind, sondern der in ihrem ständigen Gebrauch und ihrer stetigen Erneuerung Sinn findet. Im Grunde müsste man davon ausgehen, das auch Daniel Düsentrieb, dieser Prototyp des Nerds, ein Kiffer ist. Der High-Tech Kiffer hat sich eine mechatronische Trutzburg gebaut, um jederzeit aktiv in sein Leben eingreifen zu können. Und immer droht er sich im Kabelsalat zu verheddern.

Das Smartphone (natürlich ein Fairphone mit gerootetem Android-Betriebssystem) dient als Schaltzentrale seiner Leidenschaft. Hierhin werden nicht nur die Temperatur- und PH-Werte in seinen Growräumen verschlüsselt übertragen, hier sammelt er zudem akribisch alle E-Paper-Ausgaben der Highway und treibt sich als Wissender in allen wichtigen Cannabisforen herum. Als Self-Tracker geht er aber noch ein Stück weiter: In einer App erfasst er seine sportlichen Aktivitäten bei Anbau und Ernte, sowie die Anzahl der täglich inhalierten THC-Einheiten, sauber getrennt nach Joints und Bongs, die er nur noch aus Solidarität auf Parties konsumiert. Er selber vaporisiert und dabbt natürlich als Ergänzung zu den eigenfabrizierten Sublingual-Sprays und Transdermal-Cremes, die er in komplizierten Rhythmen appliziert. Auch diese Hits landen in der App und werden monatlich ausgewertet. Weil er das alles so sauber trackt, hat er schon einen Antrag bei seiner Krankenkasse auf Zuzahlung zu seinen Grow-Aktivitäten gestellt. Schließlich würde er, so seine Argumentation, im Grunde ein mustergültiger Prä-Medizinal-User sein und krankheitsvorbeugend einen vorbildlich gesunden Lebensstil abseits von verunreinigten Schwarzmarktprodukten pflegen. Bisher hat seine hübsche Sachbearbeiterin ihn vertröstet, soweit sei die Gesetzgebung noch nicht. Unser kluger Kiffer hat aber sein E-Mail Programm angewiesen, in regelmäßigen Abständen, das heißt dreimal täglich, Erinnerungsmails an die verständnisvolle Frau zu senden.

Als selbstständiger IT-Experte muss er das Haus von Mutti nicht verlassen, wenn er nicht will – und er will selten. Morgens Frühsport im Keller, dort hat er neben einem Growroom seinen Stepper und andere Fitnessgeräte aufgebaut. Nur durch eine Plexiglasscheibe getrennt kann er die Blütenexplosion seiner Lieblinge wie in einem Haifischbecken auf dem Ergometer strampelnd verfolgen. Er betritt den sterilen Raum so wenig wie möglich, um keine fiesen Parasiten einzubringen und seinen Bio-Status nicht zu verlieren, denn er weiß, im Notfall würde er zu radikalen Maßnahmen neigen. In Anwandlungen von Liebe dokumentiert er die Drüsenhaare seiner Buds mit Hilfe einer Makro-Linse für seine Smartphone-Kamera.

Auf dem Bildschirm vor sich verfolgt er nebenbei die unaufhörlich steigenden Aktienkurse der Hanf AG. Danach sitzt er ein paar Stunden am Schreibtisch und programmiert Software für die Steuerungsanlagen von Bewässerungssystemen, während Mutti nach genauen Anweisungen das vegane Mittagessen kocht. Eine umgemodelte E-Zigarette hängt ihm lässig im Mundwinkel. Er befüllt sie mit einem selbst hergestellten Cannabis-Extrakt. Das hat er mit Dimethyläther extrahiert und mit Designervakuumpumpen rückstandsfrei optimiert. Creme, Glas, Budder, Shatter oder Wax, der High-Tech Kiffer ist immer auch ein Dauerkiffer auf höchstem Niveau. Die Bezeichnung „stoned“ trifft es schon lange nicht mehr, wenn man seinen Bewusstseinszustand beschreiben will. Er hat sich über die Jahre in einen freundlichen Cyborg verwandelt, der kurz vor dem Übergang in den Cyberspace steht und von diesem aus das Universum und seine Vasallen dirigiert. Er glaubt an die Singularität, den Zustand, an dem sich Maschinen selbst verbessern können, und dass die Zukunft der Menschheit maßgeblich davon beeinflusst wird. Es ist wie so oft bei den Nerds: Das Göttliche manifestiert sich nicht mehr simpel in der Liebe, sondern in knisternden Schaltkreisen. Der über 2 Millionen Mausklicks emigrierte Sinn wird über eine technische Vollendung der Welt wieder quasi rektal eingeführt. Der Mensch ist zwar von Anfang an ein Auslaufmodell, aber so lange Mutti noch kocht, Garant für die Zukunft.

Abends wird sich im Chat mit Gleichgesinnten ausgetauscht, und dabei nicht nur über Cannabis, Dabber aus Titan oder Palladium und perfekte Oil-Rigs fabuliert, sondern es stehen auch andere Genussmittel im weitgestellten Fokus seines Interesses: Jüngst hat er neben dem Wäschetrockner eine futuristische Craft-Bier Anlage installiert, um obergärigen Gerstensaft mit maximal-wuchtigen Hanfaromen zu fusionieren.

Und die Frauen? Schlecht steuerbar, denkt er sich. Untergründig fasziniert ihn, dass diese Spezies einen Zustand zwischen 0 und 1 zu kennen scheint, das sanft gehauchte „vielleicht“. Eine willige Erntehelferin wäre zwar zweckdienlich, würde aber wahrscheinlich die wohl gepflegten Lebensrhythmen und Algorithmen durcheinander bringen. Des Nachts, ekstatisch leergewichst und mit Space-Balls vollgefressen, grübelt er manchmal noch „Wer passt denn schon zu meiner Vollkommenheit?“ – und nimmt sich dann sardonisch grinsend vor, morgen den Elite-Partner-Code zu hacken.

 

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Der Abscheißer

Kiffer-Typen IX

Erschienen im Highway Magazin

Der Abscheißer

Nicht selten stellt sich im Leben die Frage, warum man eine Gewohnheit beibehält, obwohl man merkt, dass sie einem nicht gut tut. Die Antwort steht bereits im letzten Satz: Es ist halt eine Gewohnheit, eine Tätigkeit ohne Reflexion, unfreundlich gesagt eine Macke, freundlich formuliert ein Spleen. Der Kiffertyp, dem wir uns hier zuwenden wollen, kifft immer wieder, gleichwohl er dann jedes Mal nichts auf die Reihe kriegt. Er scheißt ab, selten zwar im wörtlichen, wohl aber im übertragenen Sinne.

Das klassische Set und Setting für den Abflug des Abscheißer ist nur schwer aufzudröseln. Sein (Mind-) Set setzt sich zusammen aus dem alltäglichen Unbehagen, im herrschenden System nur eine kleine Nummer zu sein und dem Wunsch, möglichst viel jederzeit kontrollieren zu können. Da fällt das Loslassen am Feierabend schwer. Der anfänglich gut laufenden Playstation-Abend im Kreise der Freunde hat seinen Wendepunkt in dem Moment, als der 1. Joint mit kräftiger Bob-Marley-Mischung kreist. Unser Typ greift gedankenlos zu und zehn Minuten später geht das Horror los. „Man, bin ich stoned“, murmelt er. Mit einem Ächzen fällt ihm der Controller aus der Hand, Sinnbild für den weiteren Verlaufs des Abends. Es ist kein Kollabieren, was nun folgt, eher ein mattes Desinteresse an der Welt, das den Übergang zum Träumen nicht findet. Witz, der sich nur aus sozialer Interaktion ergibt, bleibt unerkannt. Der Abscheißer leidet an Abgestumpftheit, die er für Lässigkeit hält. Der Übergang zur Paranoia ist fließend. „Wer will hier was von mir?“, fragt sich unser Freund, aber er ist viel zu müde, um sich in wahnhafte Gedanken reinzusteigern. Das ist das Problem: Ein richtiger Horror-Trip wird es nie, der Realitätsverlust ist nicht stark genug, irgendwie schafft es unser Freund doch noch die Kontrolle zu behalten.

Eigentlich ist das seltsam, denn das Setting ist nicht schlecht, er trifft ja nicht gerade zugepumpt seinem Chef im Fahrstuhl, sondern hängt locker mit seinen ihm wohlgesonnen Freunden ab. Diese kennen sein regelmäßiges Abschmieren in die Apathie, wissen ihm aber auch nicht zu helfen. Die Abfolge ist immer gleich: Erst sitzt er stumm wie ein Fisch am Küchentisch, dann liegt er steif wie ein Brett auf dem Sofa. Ab einem gewissen Zeitpunkt vergisst er dann das Ausatmen und hechelt leise vor sich hin. Um ihm rum blubbert die Bong und die Musik, das ist ihm meist zu viel gute Stimmung und er zieht sich ins Schlafzimmer zurück. Der liebe Christoph, der Hausherr, hat das akzeptieren gelernt, denn abkotzen tut der Abscheißer nur noch selten. „Alles gut“, beruhigt er seinen Freund und winkt ihn aus dem Zimmer. Geschlafen wird nicht, er dröhnt vor sich hin. Am Ende des Abends steht er mir roten Augen als letzter in der Tür und sagt: „War super, Christoph.“

Aber wie geht es ab, wenn er alleine kifft? Sollte tatsächlich der Umgang mit den anderen Menschen die Ursache des Abkackens sein? Nein, auch auf dem heimischem Sofa fühlt er sich nach dem Joint unwohl, anstatt einkehrender Ruhe herrscht Fahrigkeit. Lethargie muss nicht Langsamkeit bedeuten. Kein Fressflash, kein Kichern, keine Paranoia, keine tiefe Gedanken, die psychische Grundverfassung des Mannes ist nicht für den Cannabiskonsum geeignet. Wenn er ausnahmsweise mal einen guten Trip hat, dann wabern die Karos seiner karierten Shorts und er beginnt lächelnd das Krokodil auf seinem Lacoste-Polohemd zu füttern.

Schlecht reden muss man das allerdings nicht. Denn im Grunde sucht unser Freund ja den mentalen Gang zur Toilette, die Bereitwilligkeit, sich immer wieder in die unangenehm Situation zu bringen spricht für seine psychedelische Hartnäckigkeit. Zudem ist sein Wunsch nach Koma für die anderen ein schönes Beispiel dafür, wie es nicht laufen sollte.

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“Alkoholfrei und spritzig” – Köstritz und die Geschichte der Mate-Brausen in Deutschland

Köstritz und die Geschichte der Mate-Brausen in Deutschland

Copyright by/ von Achim Zubke, Hamburg (1. Auflage in limitierter (23) signierter Printform zum 30.6.2017 anlässlich des Mate-Verwertungs- und -Brausen-Symposions “Mate in Berlin” in der Brasilianischen Botschaft in Berlin), korrigierte und erweiterte Auflage Stand 10.10.2020) mit Abbildungen

Seit etwa 9 Jahren gibt es im Rahmen eines Kreativitätsbooms bei der Herstellung von Limonaden und Erfrischungsgetränken auch eine Fülle an neuen koffeinhaltigen Mate-Brausen und Mate-Eistees. Anfang 2018 sind mehr als 40 verschiedene Anbieter mit Dutzenden von Mate-Getränken am Markt. Natürliche Zutaten, Bio, Fairtrade, Solidarität und Originalität spielten immer öfter eine Rolle bei der Kreation neuer Produkte dieses stimulierenden Getränke-Typs. Es ist im Rahmen dieser innovativen Welle interessant, sich mit der tatsächlichen Geschichte der Mate-Brausen jenseits von Marketingkampagnen zu beschäftigen, um von ihr zu lernen.

Die koffeinhaltige Mate-Brause “Club Mate” der Brauerei Loscher wird in den 1990er Jahren zu einem Lieblingsgetränk städtischer Party- und Hacker-Szenen

In der Mitte der 1990er Jahre entdeckten Berliner Freaks aus der Computer-Szene eine koffeinhaltige Brause auf Basis des südamerikanischen Mate-Tees, die von der Brauerei Loscher in Münchsteinach in Mittelfranken als Nebenprodukt produziert wurde: “Club-Mate”. Sie organisierten über ein kollektives Vertriebssystem (“KGB”) den Nachschub ihres stimulierenden neuen Lieblingsgetränks. In Hamburg kannte man das Getränk in der Hausbesetzer-Szene über Selbstversorger und alternative Getränkehändler noch als GEOLA-“Club Mate” bereits schon seit Ende der 1980er Jahre. Orte der nächtlichen Party- und der nerdigen Hacker-Kultur harrten der Belieferung. Der für ein Mate-Gebräu mittels Zitronen- und Kohlensäure bei niedrigem Zuckergehalt relativ angenehme Geschmack und der deutlich spürbare Koffein-Gehalt boten unter den sprudelnden Kaltgetränken bei mäßigem Preis für die Halbliterflasche mit Schraubverschluss gerade Nachts eine gute Alternative zu süßen Colas und künstlich schmeckenden Energy-Drinks. Ohnehin blühte in dieser Boomzeit der elektronischen Tanzmusik eine neue städtische Club-Kultur. Dort stieg das Interesse an nichtalkoholischen Flüssigkeits- und Energiespendern. Da passte der undergroundig klingende Name “Club-Mate” auch mit seiner scheinbaren Doppeldeutigkeit.

Tatsächlich handelt es sich bei “Club-Mate” nicht um eine Neuerfindung. 1994 hatte die Brauerei Loscher von dem Unternehmen GEOLA-Getränke Latteyer & Sauernheimer eine Lizenz zur Herstellung von “Club Mate” erworben. Sie stammte dadurch praktisch von dessen Inhaber Hans Sauernheimer, der seinen Betrieb altersbedingt abwickelte. Dieser hatte 1957 die Tochter des Getränkeherstellers Georg Latteyer aus Dietenhofen in Mittelfranken geheiratet, der wiederum auf einer Ausstellung im Jahr 1924 einen alkoholfreien Mate-Sekt namens “Sekt-Bronte” entdeckt und die Lizenz zu dessen Herstellung und Vertrieb in seiner Region erworben haben soll. Die Firma Latteyer hatte Gasthäuser und Privatleute in Dietenhofen und Umgebung versorgt. Durch den Zweiten Weltkrieg war die Herstellung von “Bronte” zum Erliegen gekommen. Doch sei nach Kriegsende das “Bronte” noch so bekannt gewesen, dass man mit der Herstellung wieder begonnen habe. In den 1950er Jahren sei aus “Bronte” dann “Club Mate” geworden. Das Ehepaar Sauernheimer habe Produktion und Vertrieb verbessert und erweitert. Durch Selbstabholer sei das Getränk bis Ulm, Aschaffenburg oder Hamburg gekommen.

Ilex Paraguariensis, Handkolorierter Kupferstich, Botanical Magazine Nr. 3992

Abbildung 1: Ilex Paraguariensis, Handkolorierter Kupferstich, Botanical Magazine Nr. 3992

 

Am Anfang stand der Mate-Baum

Tee-Getränke aus den auf unterschiedliche Weise getrockneten, gedarrten, gerösteten, gelagerten und zerkleinerten Blättern und Stengeln (Yerba Mate) des Mate-Baumes (Ilex paraguariensis) sind in dessen Herkunftsgebieten im Süden Brasiliens (Paranatee), in Paraguay (Paraguaytee), in Argentinien (besonders bei den “Gauchos”) und darüber hinaus in Uruguay seit Jahrhunderten beliebt (“Nationalgetränk”). Auch im Süden Chiles wird Mate konsumiert. Historisch wurde er bis nach Peru gehandelt. Lange wurden die Blätter in Wäldern (Yerbales) von wild wachsenden Bäumen unter schwierigen Bedingungen von Matepflückern gesammelt. Verwechslungen und Verfälschungen waren nicht ungewöhnlich. Jesuiten pflanzten den Baum (“Jesuitentee”) zwar bereits im 18. Jahrhundert an, ertragreiche Plantagen wurden aber erst ab Ende des 19. Jahrhunderts vor Allem von deutschen Pionieren zuerst in Paraguay, dann im Süden Brasiliens (besonders in Parana) und in Argentinien (Misiones) angelegt.

Die traditionelle Zubereitung eines starken und bitteren Aufgusses des zerkleinerten Blattmaterials (Yerba, portugiesisch Herva) in einem hohlen Flaschenkürbis (Mate), der durch ein Trinkrohr (Bombilla) geschlürft wird, fand in Europa bis heute nur wenige Liebhaber. Man versuchte deshalb immer wieder Mate (ausgesprochen wie das deutsche Wort “Matte”) als preiswerteren Tee-Ersatz zu etablieren. Schließlich enthält Mate als stimulierenden Wirkstoff im Schnitt um die 1 % Koffein (identisch mit “Matein”).

Dr. Alfred Hasterlik, Ober-Inspektor der Untersuchungs-Anstalt für Nahrungs- und Genußmittel zu München wusste 1919 zu berichten, dass die Einführung des Paraguay-Tees in Europa zwar schon öfters, so auf der Weltausstellung in Brüssel 1910 versucht wurde, aber ohne Erfolg. Weiterlesen →

Der YouTuber

Kiffer-Typen XV

Erschienen im Highway Magazin

Der YouTuber

Good old Tante „Demokratie“, eine schöne Erfindung, wenn sie denn funktioniert. Da kann im Grund jeder Rausblasen, was er will. Und mit dem Internet, ja, da geht das alles schnell und global. Das denkt sich auch der Mann dem wir uns heute widmen werden: Der YouTuber. Er oder sie haben einen Auftrag und eine Nachricht, die unter die Leute muss. Grundsätzlich gibt es drei Arten von YouTubern: Der Beseelte, der Politische und der Business-Fuzzie. Mischen possible.

Der beseelte YouTuber zieht aus dem Rauch nur nebenbei THC, in erste Linie füllt er die Lunge mit Weltseele. Für den christlich Eingehauchten ist Cannabis ein Geschenk Gottes, das es zu preisen gilt. Der gefühlten Zerrissenheit der Welt und der eigenen Existenz tritt dieser YouTuber mit Heilsversprechen entgegen, die er in wöchentlichen Botschaften unter die Lämmchen bringt. „Rauche, mein Freund, sehe das Licht und alles wird gut werden!“ Eine Zeit lang war er Abonnent des YouTube-Kanals „Cannabiskirche Sativa“, die waren ihm aber zu gemäßigt, die Rastafaris in ihrer Heilserwartung zu sehr auf die Zukunft ausgerichtet. Nun hat er seinen eigenen Kanal eröffnet: „The First Church of Bong and Paranoia“. Vier Abonnenten hat er schon, zwei davon sind sein Alter Ego gegen Spamnachrichten. Ihnen bläut er in seinen Predigten den Glauben an den einzig wahren Gott ein: Der Große Hanf. Denn der rettet die Umwelt, das Bewusstsein, die Gesellschaft, den Planeten. Das Wort Sendungsbewusstsein erhält bei diesem YouTuber eine neu erfüllte Bedeutung.

Der politische YouTuber ist das Marxsche Gegenstück zum Beseelten. „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“, klärt er seine Zuschauer vor der Bücherwand auf. Die Kamera zum Einspielen seiner Clips hat er von einem Bekannten aus dem Untergrund erhalten – es ist ein ausrangiertes Smartphone. Unser Freund hält nämlich im Grunde nichts von den technischen Neuerungen, sie sind eine weitere Methode, die Arbeiter und Angestellten in dumpfer Abhängigkeit zu halten. YouTube gehört, so sagt er auch offen wiederholt im Film, im Grunde verstaatlicht oder als Genossenschaft organisiert. Als passionierter Kiffer sieht er in der Cannabis-Prohibition nur eine Propaganda für die Produkte der Pharmaindustrie. Legal, illegal, scheißegal: Legaler wie illegaler Drogenhandel unterliegen den Gesetzen des Kapitalismus. Aufgrund seiner analytischen Schärfe ist der Kanal bei TAZ-Lesern beliebt und durchaus erfolgreich. Hohe Klickzahlen erhielt seine Sendung über global agierende Samenjäger, die im Stile von Monsanto unentdeckte Sorten suchen, um sie lukrativ zu vermarkten ohne die Einheimischen zu beteiligen. Insgesamt ein fitter Typ mit dem linken Hang zum Weltschmerz.

Nimmt man den Spruch „The medium is the message“ für voll, dann sendet YouTube als Kanal an sich schon eine Nachricht, die parallel zu dem eigentlichen Video übertragen wird. Diese Nachricht beeinflusst maßgeblich, wie der Clip aufgefasst wird. Was ist diese Sub-Nachricht im Falle von YouTube? Oberflächlich gesehen die Tatsache, das jeder ein Sender werden kann. Lust auf Selbstdarstellung gehört dazu. Schaut man tiefer, dann der Umstand, dass dies unter Preisgabe der persönlichen Daten geschieht und man sich in einen Raum der ständigen gegenseitigen Bewertungen begibt. Die Algorithmen wissen dadurch mittlerweile besser, wer man ist, als man selbst. Verhalten wird vorhersagbar, geliefert wird nur noch „Content“, die zur Filterblase passt. Man kann das Niveau der meisten YouTube-Beiträge kulturkritisch bejammern, aber die vielzitierte Zielgruppe mag es schon aus Authentizitätsgründen lieber quick and dirty aus dem Partykeller als glatt und schal aus dem Programmstudio der öffentlich-rechtlichen Anstalten.

Der Business-Fuzzie hat YouTube als Vertriebskanal für allerhand Paraphernalien und Devotionalien entdeckt, mit dem er sein berauschendes Hobby zu finanzieren sucht. Bis vor ein paar Jahren reiste er als Bong-Vertreter zu den Head-Shops der Republik und testete vor der Kamera mehr zum Spaß verschiedene Pfeifen, Verdampfer und andere Rauchgeräte. Aber die Freundin drückte aufs Gas und plötzlich flogen Begriffe wie Cashback, Return of Investment und Start-Up durch die Pfeife. Schnell musste unser Freund aber lernen, dass Information in heutiger Zeit nicht mehr viel Wert ist. Mehr noch, YouTubes Mutter Google beäugt Kanäle mit Drogenaufklärung und Verklärung mit Argwohn. So kam es zur zeitweisen Schließung des Kanals und erst der Hinweis auf die Pressefreiheit brachte die erneute Freischaltung. Als Befriedungsmaßnahme fing er an nach Vorbild von Bibi Kosmetika mit Hanfölanteil von 0,15% anzupreisen. „Wunderbar, dieses After Shave Balsam, das ist Skincare für den Mann, wie wir Kiffer es lieben.“ Manchmal verfolgten ihn diese Sätze des Nachts. So wurde aus dem vormals engagiertem Freak ein geldgetriebener Höker. Sicher, Brötchen verdienen müssen wir alle, aber unser Mann nutzt seine Credibility, um unnützes Zeug zu vertreiben; gefangen im System, das er mal bekämpfen wollte.

Die Alternative ist der freundliche Chaot, der im Livestream seine Bongs raucht und die Meute teilhaben lässt, wie er „higher and higher“ geht. Sein zum Studio umgebauter Partykeller sieht mit den Fischernetzen, der Kunstholzbar und den Batictüchern aus wie die Hippie-Version von Frankensteins Gruft. Das Kellerfenster ist abgedichtet, Nebelschwaden stehen festgefroren im Raum. Die zertretenen Erdnussflips sind zum einem essbaren Flokati verkommen, aus dem während der Sendung ab und zu ein Kläffen kommt. Rosa, der Zwergdackel, ist vor einer Woche darin verloren gegangen. Von allen drei Typen hat er das größte Durchhaltevermögen, denn er will im Grunde nur seinen Spaß haben.

 

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Der Verheimlicher

Kiffer-Typen XIII

Erschienen im Highway Magazin

Der Verheimlicher

Meist gibt es gute und schlechte Gründe für eine Tat. Etwas zu verheimlichen, das gilt zwar seit Kindertagen als falsch, Ehrlichkeit wird groß geschrieben. Auf der anderen Seite gehören kleine Geheimnisse zum gesunden Alltag. Der Kiffertyp, dem wir uns dieses Mal zuwenden, hat eine grundsätzliche Entscheidung getroffen: Es geht niemanden etwas an, ob und wieviel er kifft. Mehr noch, er achtet sehr darauf, dass sein Hobby unentdeckt bleibt.

Der Tag fängt für unseren Mann immer stressig an. Gleich nach dem Aufwachen tappst er leise aus dem gemeinsamen Schlafzimmer auf den Balkon, um die erste Pickel-Pipe durchzuziehen. Da geht die Sonne auf. Zurück in der Küche setzt er den Kaffee für sich und seine Freundin auf, das törnt nicht nur, sondern übertüncht auch den rauchigen Odor. Ziemlich stoned tritt er neben das Bett, „Guten Morgen, Schatz.“. Damit nimmt ein Tag seinen Anfang, in dessen Verlauf unser Freund immer breiter wird und zugleich zusieht, dass sein soziales Umfeld davon nichts mitbekommt. Im Grund muss er auch deshalb immer wieder nachrauchen, um den Stress der Verheimlichung zu kompensieren.

Vor ein paar Jahren, mit 17, da war es cool, die Kifferei vor den Eltern geheim zu halten. Sein Vater war zwar ein lockerer Typ, aber alles musste der auch nicht wissen. Seine erste Freundin kam aus einem erzkatholischem Haushalt, undenkbar mit ihr Äpfel zu klauen, geschweige denn Hanf vom Feld zu ernten. Er versteckte den Bong im Schrank. In der Fußballmannschaft wurde viel Bier und Schnaps getrunken, Kiffer galten als Looser. In der Schule herrschte Dämonisierung statt Drogenaufklärung. Man glaubte der Geografielehrerin, als sie davon sprach, das „Hasch spritzen sofort süchtig macht“. So wurde für unseren Kiffertyp aus der kleinen Geheimnistuerei ungewollt eine Passion.

Die Anstellung bei einem Immobilienmakler festigte seine Vorsicht. Ständig in Anzug und Krawatte, der Chef ein cholerischer Alter, der, warum auch immer, eine Abscheu gegenüber der Welt und seinen Bewohner aufgebaut hatte. Das passte so gar nicht in die weich-bunte Welt, die unser Freund in seinem Kopf hegte. Überhaupt schien der Arbeitsalltag die beste Begründung für seine Heimlichtuerei zu sein. Denn aufgrund der Kriminalisierung des Besitzes und Stigmatisierung des Konsum ist es für niemanden in Deutschland eine gute Idee, sein Hobby auf einer Weihnachtsfeier öffentlich kund zu tun. Man sieht: Die meisten von uns sind Verheimlicher, weil sie gar nicht anders können. Wer zudem noch in einer Firma oder Branche arbeitet, in der Urinkontrollen gang und gäbe sind, der muss auch noch ständig auf die Sauberkeit seiner Abgänge achten. Ganz zu schweigen von Führerscheininhabern, denen nicht zugetraut wird, Fahren und Kiffen zu trennen und die daher ebenfalls in ständiger Angst vor einem Führerscheinentzug leben. Das muss man alles erst mal erfolgreich verdrängen, die Republik gebiert innerlich verhuschte Gestalten.

„Heimlich“, das kommt von Heim, dem häuslich Vertrauten also. Das Private ist unmodern, gleichwohl gibt es für die Wahrung der Intimsphäre gerade in Zeiten von Google, Facebook & Co. gute Gründe. Was unser Freund nämlich nicht weiß: Google hat aus seinen Surfverhalten schon lange errechnet, dass er täglich zwei Gramm Cannabis konsumiert. Das Diskrete hat wenig Chancen heutzutage, die offene Zurschaustellung jedweden mentalen Furzes im Netz hat schleichend zu einer Kontrollgesellschaft geführt, in der jeder jeden überwacht. Das weiß unser Mann grundsätzlich sauber zuzuordnen, gleichwohl sind die Übergänge zum Paranoiker fließend.

Einen großen Fehler hat unser Kiffertyp gemacht: Er hat über seine Verschwiegenheitsstrategie ganz vergessen, dass er nichts Böses tut. So wurde aus Vorsicht langsam der schlechte Berater Angst und er hat sich niemanden anvertraut. Weder Freundin, noch Familie, noch Freunden. Gemeinsames Erleben und Gespräche über dasselbe sind aber ein hoch einzuschätzender Faktor im Konzept des mündigen Drogenkonsums. Und alleine kiffen macht vielleicht Spaß, aber herzhaft lachen tut man mit sich selbst im Raum bekanntlich seltenst. Ein verklemmter Typ ist unser Kiffertyp deswegen nicht. Er hat seinen Frieden mit der Situation geschlossen, die Verborgenheit ist zum gut gehegten Teil seiner Persönlichkeit geworden.

 

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Der Ignorant. Oder auch: Der Kiffer, dem man nichts anmerkt

Kiffer-Typen XII

Erschienen im Highway Magazin

Der Ignorant. Oder auch: Der Kiffer, dem man nichts anmerkt

In den alten weisen Schriften wird die Gelassenheit gelobt. Und auch die moderne psychologische Ratgeberliteratur sieht in der inneren Ruhe den Quell der Kraft, aus der sich die geglückte Existenz speist. In der umsetzbaren Realität ist man dadurch zu mindestens zweierlei gezwungen. Zum einen gilt es, den Müllhaufen des eigenen, eventuell verpfuschten Lebens zu akzeptieren, zum anderen der neo-liberalen Logik zu folgen, dass immer wir selbst es sind, die sich ändern müssen, nicht das System. Auf unheilvolle Weise arbeiten hier Vulgär-Buddhismus und Kapitalismus Hand in Hand. Allerdings hat der Kiffer, den wir heute betrachten, einen dritten Weg gefunden: Er merkt nichts oder man merkt ihm nichts an. Es ist ein Wunder, wie eng beieinander Stoizismus und Abgestumpftheit liegen können. Um das Ende vorweg zu nehmen – es bleibt die Grundlage der Cannabisignoranz oft offen: Nimmt die Körpergeisteinheit etwas unbewusst oder absichtlich nicht zur Kenntnis?

Die Party läuft gut. Kein Gin-Basil oder ähnlicher Schnickschnack, es gibt Bier und Hasch. Unser Kiffertyp sitzt auf dem Küchenstuhl und rollt mittlerweile die dritte Tüte ein. Dabei ist es erst 20:30 Uhr. Er parliert mit der Gastgeberin, ordnet den Käseigel neu und holt sich ein frisches Bier vom Balkon. Die vorherigen zwei Joints hat er mit Partygästen geteilt, er gibt gerne, nicht zuletzt, weil er es liebt, andere Leute stoned zu sehen. Ihm selber scheint das Dauerfeuer auf seine Synapsen nichts auszumachen, und dieses Phänomen begleitet ihn schon seit Leben lang. Früher, ja früher, in den Anfängen seiner Kifferkarriere, da hat er vorsichtig am Bong gezogen und sich später gewundert, dass die Leute reihum ins temporäre Nirvana eingetaucht sind. Er dagegen verspürte ein Jucken der rechten Fußsohle. Seither ist dies für ihn selbst und auch für andere, aufmerksame Beobachter das einzige Zeichen dafür, dass er bekifft ist. Er kratzt sich kurz die Fußsohle.

„Und nun Einen zum Aufklaren!“, sagt er gegen 4:00 Uhr. Gegen 5:00 Uhr verlässt unser Freund als einer der letzten Gäste die Party. Tanzen war und ist nicht so sein Ding, er unterhält sich lieber angeregt über Gott und die Welt. Die Interessen sind vielfältig, meist spiegeln sie die Interessen den Gegenübers wieder. Auf dem Nachhauseweg kommt er kurz ins Denken und wünscht sich den Kontrollverlust, der sich nicht einstellen will. Er hat es schon mit einer Überdosierung versucht. Aber das führte nur zur Stasis, einer Art Schockstarre, die sich aber durch keine Blässe oder andere körperlich sichtbare Merkmale Bahn brach.

Grundsätzlich lassen sich zwei Sub-Kiffertypen unterscheiden, Hybride sind möglich. Der, dem man nichts anmerkt, bei dem aber innerlich die Post abgeht und der, der tatsächlich selbst nichts merkt. Letzterer ist oftmals der oben beschriebene Dauerkiffer. Durch Jahre währende Übung ist er zu einem Typ geworden, bei dem man nicht mehr unterscheiden kann, ob er abgehärtet oder gefühlsarm ist. Bei ihm ist es dann oftmals anders herum: Im nüchternen Zustand wirkt er fahrig und sucht nach Worten, total breit wirkt er normal. Man sieht, die Typologisierung dieses Kiffertyp hängt auch an der Außenwahrnehmung. Seine Freunde kennen ihn nur THC-geschwängert und fragen sich manchmal, wenn sie da kennen.

Die Freundin dieses Kiffers hat ihn im Grunde auch nie in das Wesen geschaut, das er ohne stete Intoxinierung ist. Einmal, nach einer schweren Lungenentzündung, setzte der gute Mann mit dem Kiffen aus. Seine Freundin war so verwundert über den lebhaften Typen, der da neben ihr durch den Biomarkt hetzte und mit Kommentararien die abendlichen Netflix-Session belegte, dass sie ihn nach einer Woche bat wieder mit dem Kiffen anzufangen. Wie man macht ist verkehrt.

Der andere Kiffertyp ist noch spezieller. Seine Reaktionen auf THC sind äußerst sensibel, aber das freie Assoziieren will nicht herausbrechen, oft steigert das soziale Umfeld noch die Unsicherheit. Dann doch lieber nichts sagen. Hier droht das Abdriften in den Horrortrip, denn wie wir wissen sind die unbewussten Pferdekräfte im Zweifelsfall stärker als der Wille, sie im Zaum zu halten. Es sind meist die Kontrollfreaks, die Probleme mit der Abfahrt vom Hanfhügel haben. Von Außen sieht das ruhig aus, wenn ihn nicht die Schweißperlen auf der Stirn verraten würden. So mummelt sich dieser Kiffertyp lieber zu Hause in die Decke ein und wartet, bis es vorbei ist. Die Möglichkeiten, das Leben zu genießen sind vielfältig.

 

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Die Kifferfreundin

Kiffer-Typen XI

Erschienen im Highway Magazin

Die Kifferfreundin

Wie männlich dominiert die Kultur und Sprachkultur noch immer ist, merkt man alleine am Titel dieser Serie. Die hier spaßig beschriebenen Kiffertypen waren dann auch allesamt männlich. Nun kann man argumentieren, dass die Leidenschaft für Cannabis vor allem Männer umtreibt, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Der Autor ist selber Mann, biologisch, vor allem aber auch per Erziehung, und hat diese Prägung in die Serie eingebracht. Etwas zerknirscht widmet er sich daher nun dem Typus der „Kifferfreundin“ zu, die schon per Definition zum nachgeordneten Anhang des Mannes zu werden droht; sicher eine Verdrehung von gelebter Beziehungswirklichkeit. Dies vorweg gestellt darf wacker ironisiert werden.

Kluge Paare haben gemeinsame Hobbys, glückliche Paare nicht. Die Frau oder Freundin eines Kiffers sattelt seltenst das gleiche Pferd wie ihr Mann, um mit ihm durch die Rauschprärie zu reiten. Bestenfalls kann sie gut drehen. Ansonsten hält sie sich aus den Liebhabereien des Mannes raus und betrachtet die nichtsnutzigen Luschen, die ihren Mann zum Kiffen und Spaß haben im gemeinsamen Haushalt besuchen, eher mit Argwohn. Sicher, sie hat versucht sich ihnen anzunähern, aber der Kifferhumor, der mehr auf Absurdität und Trash setzt, als auf ausgefeilten Wortwitz, ist ihr fremd geblieben. Wenn es gut läuft, bringt sie Schnittchen in den Partykeller, wenn es schlecht läuft, mahnt sie gegen Mitternacht die Gäste zum Aufbruch.
So entspricht sie im Zweifelsfall eben doch dem Klischee. Hier der wilde Krieger, der mit dem Kopf durch die Wand immer auf der Suche nach rauschhaften Erfahrungen ist, da die ausgleichende Hüterin des Heimes, die sich ungern aus der Wirklichkeit rauskegelt.

Wie haben die beiden sich kennen gelernt? Ironischerweise genau in dem Moment, als er einmal versucht hatte, vier Wochen kein Dope anzurühren. Das hat natürlich nur vier Tage geklappt. Am letzten Abend überredeten ihn seine Freunde zum Ausgehen, es folgten Clubbesuch, wummerte Bässe und Gin-Tonic. Er sah sie, sie ihn, man sprach, brüllte gegen die elektronischen Klänge und war angetan. Sie gab ihm ihre Festnetznummer. Festnetz! Da war es um ihn geschehen. Am folgenden Tag war er so aufgeregt vor dem Anruf, dass er zur Beruhigung einen durchziehen musste. Das hat dem Gesprächsfluss keinen Abbruch getan, im Gegenteil. Er war belebt, wiederbelebt sogar nach Jahren der weiblichen Abstinenz. Der Rest ist die Geschichte einer Liebe.

Für die Freundin eines Kiffers gibt es nur zwei Möglichkeiten: Akzeptanz oder Ignoranz. Ändern kann man den Kerl sowieso nicht, Rettungsversuche oder gar therapeutische Maßnahmen sollten unterlassen werden, sie stören nur sein über Jahre erarbeitetes Gleichgewicht, das sich aus den Komponenten Genügsamkeit, Verschrobenheit und Vorfreude aufs Wochenende zusammensetzt. Dem dauerhaften Ignorieren seines krümeligen Hobbys wohnt die Gefahr inne, im Inneren dann doch Abneigung anzuhäufen, die sich dann auf Nebenschauplätzen Bahn bricht: „Wir brauchen drei Kisten Sprudel und wenn meine Eltern nächste Woche zu Besuch kommen, dann kann das hier nicht so unaufgeräumt aussehen!“.

So ist die Kifferfreundin zumeist doch eine Abstinenzlerin. Das wurmt den Kiffer, aber die Alternative will im Grunde keine Mann länger an seiner Seite wissen: Die weibliche Feiersau, die die Kumpels vom Bong wegdrängelt und ihre Backenzähne aufgrund Jahrzehnte währender Freshflashattacken nebst mangelnder Zahnpflege bereits eingebüßt hat. Zunächst ist es eine tolle Sache, wenn die neue Freundin in der Lage ist, auf dem Hip-Hop-Konzert mitten in Menge einhändig veritable Joints zusammen zu rollen. Das erhöht die credibilty enorm. Und Liebesbeziehungen sind ja immer auch Assimilationsprozesse an den vom Partner eingebrachten Freundeskreis. Auf längere Sicht feiern sich solche Paare oftmals aber nicht nur ins Abseits gesellschaftlicher Konventionen (das wäre ja schön), sondern betreiben körperlich-geistigen Raubbau. Sich gut ergänzen muss nicht heißen, die wirrsten Eigenschaften zu summieren. Nebenbei gesagt sind Powercouples ja ohnehin eher unsympathische Zeitgenossen. Der berauschte Tanztee findet ohnehin meist sein Ende, wenn Kinder geboren werden. Dann wird aus der Kifferfreundin die Kiffermutti – und die hat zumeist mit einem Mann zu kämpfen, der aus gutem Grund nicht erwachsen werden will. Aber es hilft kein Jammern, denn aus der Rumpelkammer wird ein muckeliges Kifferheim werden.

Das weibliche Geschlecht, Entschuldigung, die Geschlechtsrolle Frau ist noch immer vom Traum der Familie unter einem Dach beseelt. Das mag zu Schul- und Studien- sowie in Zeiten allgemeiner Festlegungsschwäche nicht gleich sichtbar sein, dem Kiffer sollte es allerdings spätestens schwanen, wenn die Zahnbürste der Freundin dauerhaft im WG-Badezimmer Einzug gehalten hat. Natürlich gibt es Ausnahmen: So sind männliche Kiffer aufgrund ihrer eingehauchten Empathie als Übergangslösung prädestiniert. Der alte Mann geflüchtete, der neue Ryan Gosling noch nicht in Sicht. So sucht sich die Kifferfreundin den frauenverstehenden Notnagel. Der darf kochen, kuscheln und das psychische System neu kalibrieren. Na, vielen Dank. Dann ja doch lieber die Feiersau.

 

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Der Minimalist

Kiffer-Typen X

Erschienen im Highway Magazin

Der Minimalist

Man stelle sich ein Häuschen vor, aus Holz zwar tatsächlich, aber teerpappengedeckt, gelegen in einem Waldstück zerupfter Fichten, eher einer Industriebrache ähnelnd als einem idyllischen Bergweiler. Mehr Schrebergarten als denn Haus am See, der Garten wild, die Brennnesseln sprießen friedlich neben den Bauernrosen, der Schlafmohn wie zufällig neben dem Flieder. Der Schuppen windschief. Kein Autoauffahrt stört das friedliche Bild. Hier wohnt der Kiffer-Typ, den wir heute betrachten wollen: Der Minimalist.

Das kleine Häuschen, von Vogelmiere überwuchert, hat er vor zehn Jahren von seiner Oma geerbt. Seither lebt er von einer kleinen Leibrente inmitten schmackhafter und psychoaktiver Nachtschattengewächse und Kräuter. Neben Hanf wächst auf dem Grundstück diverses Gemüse im Hochbeet, wovon er gerne die Hälfte den Schnecken überlässt. Angst vor Entdeckung hat er in heimischen Gefilden nicht, die Nachbarn kennen und schätzen den liebenswürdigen Freak. Sein Rauchmischungen oder Tees helfen der Gesundung von den selten vorkommenden, maladen Zuständen unseres Freundes. Er hat geschafft, wovon viele Träumen: Er beschränkt sich auf das Wesentliche im Leben.

Nippes, Tinnef, Krimskrams? Fehlanzeige. Alle ihn umgebenden Dinge haben eine klare Funktion. Wiederverwertung steckt ihm im Blut, er braucht wenig, er verlangt wenig. Dem Rauschhanf ist er seit der Schulzeit zugetan, schon damals wurde sparsam aus der Pickel-Pipe gekifft. Heute fängt er nie vor Nachmittags um vier Uhr an, ein Prinzip, von dem er nicht mehr weiß, wann es entstand, an dem er aber eisern festhält. Abends lädt er eine Freunde auch schon mal zu einer Runde unter Glas rauchen ein, wenn sie ihm denn etwas Haschisch mitgebracht haben. Die alte Revox B77 Tonbandmaschine sprudelt dazu brillanten Sound von Steve Reich aus den Boxen. Sein weit gestreuter Bekanntenkreis verschrobener Typen und kumpelhafter Freundinnen schätzen ihn trotz oder gerade wegen seiner Bärbeißigkeit. So bekommt er regelmäßig Schnittreste geschenkt, aus denen er sich „Polle“ schüttelt, die er zu kleinen Ecken für seine Pickel-Pipe presst. Wir sehen, der Übergang zum Asketen ist fließend, ein Geizhals ist er aber nicht. Wenn der Abend richtig ausgelassen ist, lässt er auch schon mal ein paar Öttinger Export und Aldi-Wudkis springen, zu denen er eine komplexe Philosophie der Redundanz entwickelt hat. Sound und Lichteffekte bedeuten ihm viel. Dadurch transformiert er seine an eine Matratzengruft erinnernde Eremitage in ein Raumschiff und hebt gern mit seinen Gästen ab, besonders wenn er aus Versehen eine Runde aus der Wodka-Flasche mit den eingelegten spitzkegeligen Kahlköpfen nachgeschenkt hat.

Wozu dieser Minimalismus? Unser Mann verbindet damit Freiheit. „Ich besitze nicht, damit ich nicht besessen werde“, zitiert er im Rausch gerne Antisthenes, der das Vorbild für Diogenes war. Und dieser saß bekanntlich sein Leben lang extrem selbstgenügsam im Fass. Ansonsten vermeidet er auf sympathische Weise jede moralische Attitüde. Dieser Minimalist ist keiner, der in einer 100 Quadratmeter Altbauwohnung residiert, sich nur ein paar ausgewählte Designermöbel reinstellt und dann behauptet, dass sei Minimalismus. Wenig Dinge zu besitzen ist eine Sache, eine andere ist eine tatsächlich bescheidene Lebensweise. Daher reist unser Mann nicht mit dem Flugzeug, er hat aus gutem Grund ohnehin Angst vor dem Zoll. Er vermeidet Müll, in dem er erst gar keinen erzeugt, alle Angebote für den Hausverkauf schlägt er ab, 50% des Mülls auf der Welt seien Bauschutt, sagt er. Wer nichts besitzt, kann auch nicht enttäuscht werden, weil er nichts verlieren kann. Das ist extrem gekonnter Vulgärbuddhismus.

Wir ahnen es, die ästhetische Damenwelt fühlt sich durch unseren bedürfnislosen Freund wenig angesprochen. Umgekehrt hat er mit den Frauen im Prinzip schon lange abgeschlossen. Nicht zuletzt, weil keine Dame seinen naturnahen Lifestyle mitmachen möchte. Seine große Liebe hat mittlerweile 5 Kinder von dreien seiner alten „Kollegen“ und zwei Typen aus ihrer Nachbarschaft. Sie ist in dem Vorort dafür bekannt, dass man sie anrufen kann, wenn Not am Mann ist. Er kümmert sich dagegen lieber um sich selbst. Nicht besonders hilfreich für seine Mitmenschen, andererseits geht er auch niemanden richtig auf den Sack.

 

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Kurzrezension zu Andreas Reckwitz: Das Ende der Illusionen – Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne

fliegenpilz

Mit den Essays zum Zustand der Gesellschaft ist es ja so eine Sache: Was soll das sein, “Gesellschaft“, die Subsumierung millionenfacher Individuen unter einen Begriff? Diese Unterscheidung, die einen Unterschied macht, lässt so viel außen vor, jedenfalls dann, wenn man anfängt, dieser Gesellschaft eindeutige Merkmale zuzuordnen. Gemeinschaften, so ist sich die Soziologie weithin einig, wird es nicht mehr geben, zu unterschiedlich die Ansprüche der Menschen. Aber “Gesellschaften” existieren als beliebte Kategorie und Andreas Reckwitz nutzt den Begriff, um den vehementen Strukturwandel zu beschreiben, den die technisch formierte Welt zur Zeit durchläuft.

In Das Ende der Illusionen – Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne schlägt der Professor den großen Bogen: Die alte industrielle Moderne mit ihren Fabriken und Produkten ist, so nicht nur Reckwitz, von einer Spätmoderne abgelöst worden, die von neuen Polarisierungen und Paradoxien geprägt ist – Fortschritt und Unbehagen liegen dicht beieinander. Digitalisierung, Überarbeitung auf der einen, prekäre Verhältnisse auf der anderen Seite, eine Parallelität von sozialen Aufstiegsprozessen der Globalisierungsgewinner, die Reisen, Yoga machen und die asiatische Küche lieben und sozialen Abstiegsprozessen derjenigen, die die Globalisierung oftmals eher kritisch sehen. So sei, so Reckwitz, eine Dreiklassengesellschaft entstanden, in der sich eine liberale, kosmopolitische neue Mittelschicht, eine verunsicherte traditionelle Mittelschicht und ein neues Dienstleistungsproletariat im kulturellen Gegensatz gegenüberstehen.

In einer Reihe von Essays arbeitet Reckwitz die zentralen Strukturmerkmale der Gegenwart heraus: die neue Klassengesellschaft, die Eigenschaften einer postindustriellen Ökonomie, den Konflikt um Kultur und Identität, die aus dem Imperativ der Selbstverwirklichung resultierende Erschöpfung und die Krise des Liberalismus.

Schwierig wird es bekanntlich immer dann, wenn aus der Analyse Schlüsse gezogen werden müssen. Der Soziologe traut sich: Man könne argumentieren, so Reckitz, dass eines der größten Defizite des in jeder Hinsicht grenzüberschreitenden Liberalismus darin besteht, “eine Kultur der Reziprozitat zu schwächen and stattdessen einseitig eine Kultur der subjektiven Interessen und subjektiven Rechte zu forcieren.” Die Auswirkungen der beiden Flügel des liberalen seien Paradigmas: “Die Neoliberalen arbeiteten mit dem Modell eines nutzenmaximierenden Akteurs, der sich auf Märkten bewegt und dort seine Interessen vertritt; die Linksliberalen mit dem Modell eines Akteurs, der seine subjektiven Rechte gegenüber Anderen einfordert.” Auf der einen Seite wird der Mensch so zum selbstbezogenen Konsumenten, auf der anderen zum Demonstranten in eigener Sache.

Aber wo, fragt Reckeitz, bleibt dabei der Bürger als politische Einheit mit seiner Verantwortung für die Gesellschaft als ganze? Das Soziale der sozialen Gegenseitigkeit, der Rechte und Pflichten, der Abwägung eigener und anderer Interessen, scheint in diesem Modell keinen Platz mehr zu haben. Es sei nicht verwunderlich, dass die Renaissance einer Kultur der Reziprozität, in der sich Individuen für andere und für die Gesellschaft verpflichten, in jüngster Zeit verstärkt angemahnt wird. Eine solche Politik hat etwas Unpopuläres, da die Menschen sich an eine Artikulation von Rechten und Interessen gewöhnt haben. Im populistischen Modus würden Verpflichtungen fast ausschließlich von “den Anderen” eingefordert werden.

Reckwitz stellte folgende Fragen zur Diskussion: “Hat jemand, der staatliche Bildung in Anspruch nimmt, nicht auch eine Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft, seine Begabungen und Fähigkeiten zum Wohle aller zu realisieren (und nicht nur zum eigenen monetären Nutzen)? Haben Familien, die vielseitige staatliche Unterstütaung erfahren, nicht auch die Verpflichtung, die Kinder au verantwortungsbewussten Mitgliedern der Gesellschaft au erziehen (und nicht nur zu rationalen Egoisten)? Haben Personen, die auch garantiert durch eine rechtliche und zivile Ordnung durch Kapitaleinkünfte hohes Vermögen akkumuliert haben, nicht auch eine Pflicht, Teile davon an die Gesellschaft zurückzuerstatten?”

Man merkt, einen Systemwechsel spricht Reckwitz hier nicht das Wort, er möchte das kapitalistische bzw. marktwirtschaftliche System zähmen. Vielleicht ist dies Teil einer Variante, den Karren ohne gewaltsamen Umbruch aus dem Dreck zu ziehen.