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Elektronische Kultur

Spam: Die digitale Plage

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Juli 2003

Die digitale Plage und der Frust mit der E-Mail

Die Flut an unerwünschter E-Mail nimmt groteske Ausmaße an. Mittlerweile bestehen mehr als 70 Prozent der täglich rund 30 Milliarden um den Globus flitzenden E-Mails aus lästiger Werbung. Das wichtigste bidirektionale Kommunikationsmittel des Zeitalters droht in einer Flut aus Informationsmüll unterzugehen.

Juristische Schritte gegen die Versender versanden meist im Gefüge der internationalen Strafverfolgungsbehörden. Um ihren Kunden weiterhin einen reibungslosen Schriftverkehr zu ermöglichen, setzen deutsche Unternehmen wie der Internet-Provider T-Online oder der Mailbox-Anbieter GMX daher auf aufwendige technische Methoden. „Spam“, so der Ausdruck für diese Art der unerlaubten Werbung und Belästigung, soll vom Provider abgefangen werden und nicht mehr beim Kunden ankommen. Dabei muß zwischen zwei Verfahren unterschieden werden, die nacheinander zum Einsatz kommen: dem Blocken und dem Filtern von Mail.

Beim Blocken schaut der Server im Rechenzentrum des Empfängers in einer internen Liste nach, ob er überhaupt willig ist, Post von dem Mail-Server des Versenders anzunehmen. Diese sogenannte „Blacklist“ besteht aus einer Reihe von Rechneradressen (IP-Adressen), von denen bekannt ist, daß schon einmal Spam über sie versandt wurde. Während der Empfänger am heimischen PC nicht mitbekommt, daß eine an ihn adressierte Mail bereits an den Toren seines Providers abgefangen wurde, erhält der Versender eine kurze Nachricht über seine Klassifizierung als Spam-Host.

Die schwarzen Listen werden von den E-Mail-Anbietern mühsam gepflegt, bei AOL Deutschland beispielsweise beschäftigen sich 30 Mitarbeiter mit dem Thema Spam. Die in aller Welt postierten Server erhalten täglich 1,6 Milliarden E-Mails, bei 75 Prozent handelt es sich nach Angaben von Tobias Riepe, Pressesprecher bei AOL Deutschland, um reinen Spam. Mittlerweile bieten Unternehmen und Organisationen die Blacklists zum Kauf an. Die meisten deutschen Mail-Dienste werten verschiedene Listen aus und gleichen sie mit den IP-Adreßlisten ab, von denen auf jeden Fall Mail angenommen wird (Whitelists). Gleichwohl kommt es immer wieder zu Pannen. So landete im vergangenen Jahr ein Mail-Server des deutschen Anbieters Web.de auf einer Blacklist. Die Folge: Die Kunden von Web.de konnten für einige Zeit keine Mail an bestimmte Adressen versenden.

Heute wird Spam auch über Privat-PCs versandt, die durch Würmer oder Viren infiziert sind. Sie sind Teil eines „Bot-Net“, eines Netzwerks von „Zombie-PCs“, die ferngesteuert und unbemerkt vom Benutzer als Datenschleuder für den massenhaften Versand von Spam-Mail agieren. Die Betreiber solcher Netze haben zeitweilig die Gewalt über 30000 Rechner und vermieten das Netzwerk an Interessenten. Die IP-Adressen der ahnungslosen Spam-Versender stehen auf keiner Blacklist, weisen aber doch einen Nachteil auf: Die meisten Nutzer des Internets wählen sich über einen Provider ins Netz der Netze ein und erhalten eine dynamische IP-Adresse, die sich bei jeder Einwahl ändert. Einige E-Mail-Diensteanbieter wie beispielsweise Web.de sind daher dazu übergegangen, grundsätzlich keine E-Mails von solchen DSL- oder Modem-Verbindungen anzunehmen. Privatleute oder kleinere Unternehmen, die ihren eigenen Mail-Server über DSL betreiben, können also keine Nachrichten an Web.de-Kunden senden.

Enges Kontrollnetz

Das den Datenverkehr umschließende Kontrollnetz wird enger. Damit aber nicht genug: Das Eigentumsverhältnis eines E-Mail-Accounts geht durch die breitgefaßte Einverständniserklärung in Anti-Spam-Techniken langsam auf den Diensteanbieter über. Um Datenfluß und Geschäft aufrechtzuerhalten, besteht er auf immer stärkeren Eingriffsmöglichkeiten bei den Konten der Kunden. Unternehmen, Universitäten und alle anderen Organisationen, die Mail geschäftsmäßig regelmäßig verbreiten, stehen vor einem Spam-Dilemma. Um den betrieblichen Ablauf zu gewährleisten, müßten sie bei Massenangriffen Spam eigentlich an ihren Netzgrenzen rigoros löschen oder ganze IP-Adreßbereiche sperren – unterliegen damit aber immer der Gefahr, daß sie gegen die verbotene Nachrichtenunterdrückung verstoßen. Ulrich Pordesch, IT-Sicherheitskoordinator der Fraunhofer-Gesellschaft: „Wegen des Verbots der Mailunterdrückung zwingt uns das Telekommunikationsgesetz faktisch, Spam durchzuleiten. Wir dürfen ihn nur markieren oder separat, aber zugänglich abspeichern, nicht aber zentral löschen. “

Niedrige Serverlast

Etwas weniger dramatisch sieht es Jürgen Taeger, Rechtsinformatik-Professor an der Universität Oldenburg: „Das Strafgesetzbuch stellt zwar das Abfangen und Löschen von E-Mails durch Provider und sogar durch private und öffentliche Arbeitgeber unter Strafe, aber nur, wenn nicht durch allgemeine Geschäftsbedingungen in den Providerverträgen oder durch Einwilligungen eine Erlaubnis zum Filtern erteilt wird.“ Rechtlich auf der sicheren Seite sind die Diensteanbieter nach der Einschätzung von Taeger dann, wenn die Spams zudem in einen vom Adressaten einsehbaren Ordner abgelegt werden, bevor sie vom Nutzer oder Betreiber in Zeitintervallen gelöscht werden. Seit kurzem analysieren einige deutsche Mail-Provider die Frequenz eingehender Mails. Sie erfassen die Anzahl der vom selben Mail-Server in einem Zeitraum abgeschickten Nachrichten und vergleichen sie mit der bisherigen Mail-Frequenz dieses Rechners. Kommen plötzlich Tausende Mails von einem Server, von dem bisher kaum E-Mail kam, landet der Server auf der hauseigenen Blacklist. Selbiges gilt, wenn ein Rechner versucht, viel Post an nichtexistente E-Mail-Adressen zu senden. Alle diese Verfahren auf IP-Ebene haben einen Vorteil: Da die Spam-Mail erst gar nicht angenommen wird, bleibt die Serverlast beim Provider niedrig. Firmen wie T-Online und 1&1 filtern eigenen Angaben zufolge bis zu 70 Prozent des Spam allein über die Blacklists und die SMTP-Kontrolle aus.

Umstrittene Blacklists

Juristisch ist dieses Vorgehen umstritten. E-Mail unterliegt dem Fernmeldegeheimnis, und während bei der Virenfilterung noch von einem unausgesprochenen Einverständnis der Adressaten ausgegangen wird, soll es ja durchaus Leute geben, die regelmäßig über Neuerungen auf dem Potenzmittelmarkt aufgeklärt werden wollen. Außerdem ist durch Blacklists auch nicht auszuschließen, daß „false positives“, wie die versehentlich aussortierten seriösen E-Mails heißen, unter den nicht zugestellten Sendungen sind. Die Empfänger erhalten aber über die per Blacklists abgewiesenen Mail-Versuche keine Nachricht vom Provider. Während diese sich die Funktion der hinter die schwarzen Listen geschalteten heuristischen Mail-Filter noch meist durch den Kunden bestätigen lassen, ist dieser dem Aussieben durch die Blacklists ungefragt ausgeliefert. Jürgen Taeger: „Eine pauschale Einwilligung in das Blacklisting ist – anders als bei der Filterung und Umleitung in Spam-Ordner – wohl nicht möglich.“

Bisher ziehen sich Mail-Unternehmen, aber auch Firmen, Universitäten und Behörden auf den Standpunkt zurück: Was gar nicht erst angenommen wird, muß auch nicht weitergeleitet werden. Niemand hat, so ihre Meinung, einen Rechtsanspruch darauf, daß sich ihre Server überhaupt mit seinem Rechner „unterhalten“. Aus ihrer Sicht ist eine Nachricht ihnen erst dann anvertraut, wenn die E-Mail komplett auf ihrem Mail-Server liegt. Aber diese Rechtsansicht ist ungeklärt: Immerhin muß der Mail-Server in den Header der Mail schauen, um die IP-Adresse zu extrahieren – einen Teil der Nachricht hat das Unternehmen oder die Behörde also durchaus schon entgegengenommen.

Roland Steidle, Rechtsanwalt bei Waldeck Rechtsanwälte in Frankfurt am Main, kritisiert diesen Standpunkt der Unternehmen: „Grundsätzlich ist im Verhältnis zwischen Providern und Kunden davon auszugehen, daß E-Mails vom Provider anzunehmen und auch zuzustellen sind.“ Dies wird besonders bei kostenpflichtigen Mail-Accounts deutlich, bei denen ein Kunde für die Möglichkeit, Mails zu empfangen, zahlt. Bei Kunden eines Providers, die ihre Mailbox geschäftlich nutzen, können sogar entsprechende gesetzliche Pflichten nach dem Teledienstegesetz bestehen.

Systemzensur möglich

Manche E-Mail erreicht schon heute ihr Ziel nicht mehr – ohne daß der eigentliche Empfänger davon etwas mitbekommt. So wirkungsvoll die Blacklists sind, so sehr greifen sie in den bislang bedingungslosen Transport elektronischer Nachrichten ein. Der bisherige Grundsatz, jede technisch einwandfrei ins System eingebrachte Nachricht auch zu transportieren, wird zunehmend ausgehöhlt. Was heute noch als technische Maßnahme gegen Spam gilt, kann morgen als Bauteil einer Systemzensur mißbraucht werden.

Freier Weg nur noch für erwünschte Mails

Damit das Vertrauen in das Medium E-Mail nicht weiter schwindet, suchen Internet-Organisationen und Provider nach neuen technischen Möglichkeiten der Mail-Kontrolle. Die aktuelle Idee hinter den Bemühungen setzt auf eine Umkehrung der Verhältnisse: Die globalen Mail-Server sollen nicht mehr die unerwünschten Briefe aussortieren, sondern nur noch die erwünschten durchlassen. Dafür sollen sich die weltweiten Absender-Domains gegenseitig authentifizieren. Mehrere Verfahren sind im Gespräch, AOL und andere Firmen präferieren das „Sender Policy Framework“ (SPF), Microsoft setzt auf „SenderID“, Yahoo, Google Mail und Lycos auf „Domain Keys“.

Alle diese Verfahren haben eines gemeinsam: Die am System teilnehmenden Provider und Organisationen veröffentlichen im Domain Name System (DNS), welches normalerweise für die Auflösung einer Internet-Adresse wie www.faz.net in die dahinterstehende IP-Nummer (hier: 193.227.146.1) zuständig ist, die Angabe, welche Mail-Server E-Mails aus ihren Domains heraus versenden dürfen. Gefälschte Absenderadressen sollen so verhindert werden.

SPF funktioniert nur, wenn es weit verbreitet ist. So lange müssen alle Mail-Server nach wie vor Mail von Domains ohne SPF-Eintrag annehmen, können diese jedoch als potentiell verdächtig einstufen. Ein weiterer Nachteil: SPF wie Sender ID lassen nur schwerlich die Weiterleitung (forwarding) von Mail zu, scheint die Nachricht doch von einem falschen Rechner zu kommen. Zudem tauchen in letzter Zeit vermehrt gefälschte SPF-Einträge auf – wieder einmal adoptieren Spamer eine Technik schneller als die legitimen E-Mail-Versender. Neben SPF und Sender ID buhlt das Domain-Keys-Verfahren um die Akzeptierung als Internet-Standard. Es gilt als komplex, aber technisch ausgereift. Der Nachteil: Es benötigt viel Kapazität in den Rechenzentren, nutzt es doch eine asymmetrische Verschlüsselung. Die Mail wird mit einer digitalen Signatur versehen, die der empfangende Server anhand eines Schlüssels, der im DNS dieser Domain verfügbar ist, verifiziert. Schlägt dies fehl, wird die Nachricht nicht ausgeliefert.

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Drogenpolitik Interviews

Interview mit Gundula Barsch

HanfBlatt, Nr. 85, Juli 2003

Interview

„Wir haben in unserer Gesellschaft insgesamt ein Problem mit dem Genießen“

Prof. Gundula Barsch ist Mitglied in der Nationalen Drogen- und Suchtkommission im Bundesgesundheitsministerium. Sie lehrt an der Fachhochschule Merseburg im Gebiet „Drogen und soziale Arbeit“. Im Gespräch erörtert Barsch, Jahrgang 1958, ihr Konzept der „Drogenmündigkeit“, das einen neuen Weg bei der Verminderung der gesellschaftlichen Probleme im Umgang mit Drogen aufzeigen will.

Sehr geehrte Frau Professor Barsch, warum muss Repression scheitern?

Barsch: Wenn Sie mich so allgemein fragen würden, dann würden Sie sehr viel Unverständnis auslösen. In einer Gesellschaft wie der unsrigen, die sich wie viele andere westliche Kulturen als freiheitlich demokratisch verfasste Gesellschaften versteht, würde die Frage nach der Berechtigung von Repression Kopfschütteln, vielleicht auch Empörung auslösen. Längst wähnt man sich entfernt von Zeiten, in denen eine staatliche Macht mit Gewalt Vorgaben durchsetzt, wie Menschen ihr Leben zu leben haben. Vielmehr werden den sozialen Akteuren, seien es nun Individuen, Familien oder sozialen Gruppen, immer größere Wahl- und Freiheitsgrade für die Gestaltung ihres Lebens eingeräumt. Diese Entwicklung vollzieht sich so rasant, dass eher gefragt wird, ob die Entwicklung von Fähigkeiten und Verantwortung, mit diesen immer größer werdenden Optionen umzugehen, mit diesem Tempo überhaupt mithalten kann oder ob nicht auch Überforderungen und Zumutungen eintreten. Wie dem auch sein, diese enormen Möglichkeiten der differenzierten Gestaltung des Lebens abseits von vorgegebenen Mustern, wird in der Regel als Bereicherung aufgegriffen und umgesetzt. Unübersehbarer Beweis dafür ist die Pluralisierung von Lebensstilen in unserer Gesellschaft. Soweit so gut. Erstaunlicherweise sieht die Wahrnehmung der Freiräume, mit denen psychoaktive Substanzen konsumiert werden, ganz anders aus. Völlig gegen den grundlegenden Entwicklungstrend in unserer Gesellschaft werden in diesem Bereich Vorgaben gesetzt, mit denen den einzelnen unter Androhung von Strafen vorgeschrieben wird, welche Substanzen in ihrem Lebensstil eine Bedeutung erhalten dürfen und welche nicht. Drogenpolitik ebenso wie Drogenkonsum sind jedoch keine separaten Bereiche im Leben der Menschen – sie sind in das Gesamtgeflecht der Lebenstätigkeiten und sozialen Entwicklungen eingebunden, werden von diesen beeinflusst, begründet, geformt und limitiert. Sie lassen sich aus dieser Gesamtheit nicht wie ein einzelner Ziegelstein herauslösen, ohne dass das Gesamtbauwerk ins Rutschen kommt. Die Separierung der Betrachtung von Drogenpolitik auf der gesellschaftlichen Ebene und von Drogenkonsum auf der individuellen Ebene ist nicht nur unverständlich. Sie führt auch dazu, dass übersehen wird, dass das Aufrechterhalten von Drogenrepression den ansonsten in allen Bereichen der Gesellschaft geltenden Aufforderungen zu Eigenverantwortung und Ausschreiten von Entwicklungsmöglichkeiten entgegensteht und deshalb umso mehr in Frage gestellt und hintergangen wird, je mehr sich die sozialen Akteure emanzipieren. Man wird diese Entwicklung vielleicht behindern, aber wohl kaum aufhalten können.

An der Stelle der Repression wollen Sie Ihr Konzept der „Drogenmündigkeit“ sehen.

Barsch: Nicht ganz. An Stelle der bisherigen, sehr totalitär durchgesetzten Orientierung auf Abstinenz plädiere ich für eine grundsätzliche, also paradigmatische Umorientierung in den gesellschaftlichen Zielen in bezug auf den Umgang mit psychoaktiven Substanzen. Die Forderung nach Abstinenz verbleibt in ihrem Wesen auf der gleichen Grundanschauung wie die Argumentation mit Abhängigkeit. Wie Sie wissen, ist Abhängigkeit ein Konstrukt, das die Unfähigkeit der Menschen mit Drogen umzugehen beschreibt. Die Forderung nach Abstinenz rückt von dieser Grundidee nicht ab. Auch sie geht davon aus, dass der Mensch mit psychoaktiven Substanzen nicht umgehen kann. Deshalb wird Abstinenz als einzige Möglichkeit gesehen, möglichen Risiken zu entkommen. Diesem Grundmuster setze ich den Gedanken der Drogenmündigkeit entgegen. Das Gegenteil von Abhängigkeit ist nicht Abstinenz, wie fälschlicherweise oft argumentiert wird. Das Gegenteil von Abhängigkeit ist Mündigkeit oder wie auch immer der kompetente, autonom kontrollierte und emanzipierte Umgang mit Drogen bezeichnet werden mag.

Ihre Idee ist, vor allem jungen Menschen den Umgang mit Drogen aller Art erlernen zu lassen?

Barsch: Drogenmündigkeit sehe ich als die Fähigkeit, sich eigenständig, in vielfältigen Alltagssituationen orientieren und zu jeweils angemessenen Formen im Umgang mit Drogen finden zu können. Das ist natürlich eine lebenslange Entwicklungsaufgabe. Ein Blick auf die Alkoholprobleme der Erwachsenen zwischen 30 und 50 Jahren im Umgang mit Alkohol, auf die Medikamentenprobleme vor allem der älteren Menschen oder die Alkoholprobleme im Altenheimen zeigen mehr als deutlich, dass mit einer Veränderung von Lebenssituationen auch der Umgang mit psychoaktiven Substanzen immer wieder neu überdacht und den jeweiligen Erfordernissen angepasst werden muss. Insofern ist die Entwicklung von Drogenmündigkeit keine Thema nur für Jugendliche, sondern viel umfassender zu verstehen.

Sie setzen dabei auf vier Kernbereiche: Drogenkunde, Genussfähigkeit, Kritikfähigkeit und Risikomanagement. Zum ersten: Was beinhaltet Drogenkunde?

Barsch: Die bisherige gesellschaftliche Umgangsweise mit psychoaktiven Substanzen hat dazu geführt, dass das allgemein vorhandene Wissen zu psychoaktiven Substanzen, ihre kulturellen Wurzeln, ihre Wirkungsweise und die Möglichkeiten und Grenzen einer Umgangsweise mit ihnen sehr rudimentär ist. Zu vielen Substanzen existiert nur ein sehr oberflächliches Wissen, das oft nicht nur sehr bruchstückhaft, sondern von Halbwahrheiten und Mythen durchzogen ist. Denken Sie nur an die bis heute kursierende These von Cannabis als Einstiegsdroge oder die große Verwunderung darüber, dass Heroin nicht nur injiziert werden kann, sondern auch andere, weniger riskante Konsumformen dazu möglich sind. Dieses Halbwissen ist nicht wirklich verwunderlich. Oft wird ja schon dem Begehren, mehr zu bestimmten Zusammenhängen wissen zu wollen, mit Misstrauen und Kritik begegnet. Hier zu einer sachgerechten Aufklärung zu kommen, die eben nicht nur die Grenzen, sondern auch die Möglichkeiten eines Umgangs thematisiert, ohne gleich als Verführung zum Drogenkonsum gedeutet zu werden, scheint mir ein wichtiger Schritt. Und – um auf Ihre Frage nach der Zielgruppe zurückzukommen – kurioser Weise muss sich diese Aufklärung wohl vorrangig an die Älteren (Eltern, Lehrer, Sozialarbeiter, Ärzte) wenden, die im Vergleich zu den Jugendlichen oft über deutlich mehr Wissensdefizite und vorurteilsbeladene Informationen verfügen.

Was ist an der Art des Genuss´ der Droge so relevant, dass sie diese Fähigkeit zu einem Teil ihres Konzepts der Drogenmündigkeit machen?

Gundula Barsch
Gundula Barsch

 

Barsch: Wir haben in unserer Gesellschaft insgesamt ein Problem mit dem Genießen. Als Konsumgesellschaft geht es oft eher darum, schneller, mehr und umfassender zu konsumieren, als um Genuss. Denken Sie nur daran, wie in den gegenwärtigen Diskussionen darüber nachgedacht wird, wie man die Konsumlust der Menschen wieder ankurbeln könnte, damit wir aus der Talsohle der wirtschaftlichen Entwicklung herauskommen. Übertragen auf den Drogenkonsum ist ein solches Konsumdenken sehr unproduktiv, denn auch für den Genuss von psychoaktiven Substanzen ist Weniger oft Mehr bzw. der schrankenlose Konsum eher mit vielen Risiken für Körper, Geist und soziales Zusammenleben verbunden. Dabei ist der Genuss von Drogen den Menschen nicht naturwüchsig gegeben, sondern das Ergebnis eines Lernprozesses. Es geht dabei um Fähigkeiten, sich auf den Genuss einer Droge durch die angemessene Wahl der Menge und der Applikationsform einstellen, Wirkungserwartungen formulieren und durch entsprechende Konsumstile anstreben und schließlich durch die bewusste Gestaltung von Set und Setting das Angebot einer Droge auch nutzen zu können. Durch das oft sehr verbreitete substanzfixierte Denken ist den meisten Menschen gar nicht deutlich, dass eine Droge nicht allein durch ihre Pharmakologie in eine bestimmte Richtung wirkt, sondern hier ein großer Gestaltungsspielraum besteht. Vielleicht fällt es uns wieder auf, wenn wir an verschiedene Sorten von Raucher denken: der hastige Zigarettenraucher, der seine Zigarette beiläufig im Mundwinkel hat und angespannt vor seinem Rechner sitzt und arbeitet, konsumiert seine Drogen ganz anders als der Pfeifenraucher, der sich ein oder zwei Mal in der Woche in einer ruhigen Stunde ein Pfeifchen gönnt, schon das Stopfen der Pfeife in stiller Vorfreude zelebriert und schließlich schmachtend dem Geschmack des Tabaks und der Ruhe des Augenblicks ergeben ist.

Ein solcher bewusster Umgang mit einer Droge muss Ihrer Ansicht nach mit Kritikfähigkeit einher gehen. Was genau verstehen Sie darunter?

Barsch: Wer seinen Drogenkonsum so gestalten will, dass Selbst- und Fremdschädigung ausbleiben, benötigt Kritikfähigkeit um Situationen in bezug auf ihre Eignung für Drogenkonsum einschätzen zu können. Kritisch zu prüfen sind beispielsweise, ob Ort, Zeit, Menge und Art der Droge – also die Art und Weise, in der der Drogenkonsum gestaltet wird – wirklich mit der Situation, in der sich der einzelne befindet, harmonieren. Diese Einschätzung muss jedoch auch in das Verhältnis zu den Besonderheiten der jeweiligen Person gesetzt werden. Ich will dabei nicht auf die immer wieder benannte Situation schwangerer Frauen aufmerksam machen, in der Drogenkonsum natürlich auf besondere Weise abgewogen werden muss. Denken Sie einfach an Erfahrungen, die wohl jeder in bezug auf Alkohol längst gesammelt hat: Es gibt Tage, an denen Sie vielleicht wenig gegessen und getrunken haben, dafür aber durch Stress ziemlich ausgepowert wurden. Jetzt ein Bier und Sie sind sofort so trunken, dass Autofahren unverantwortlich wäre, auch wenn der Gesetzgeber es erlaubt. An anderen Tagen aber können Sie zu der gleichen Frage großzügiger reagieren. Zu dieser Kritikfähigkeit gehört meiner Einsicht nach aber auch, sich in bezug auf die Konsumnormen der Gemeinschaft, in der man sich gerade befindet, kritisch vergewissern zu können; sie also nicht unhinterfragt zu akzeptieren oder abzulehnen. Die Nachlässigkeit, mit der viele Menschen beispielsweise mit Medikamenten umgehen, um Missstimmigkeiten und Krankheit zu überdecken und leistungsbereit zu sein, obwohl Körper und Geist etwas anderes einfordern, lässt mich als wichtige Dimension von Kritikfähigkeit schließlich auch den Respekt vor der inneren und äußeren Natur des Menschen anführen. Das Schlagwort „Doping“ erhellt wohl unzweideutig, was ich damit meine. Kritikfähigkeit hat also viele Dimensionen – analytische, reflexive und ethische. Sie werden nötig, weil nicht alle Situationen sich für Drogenkonsum eignen; in manchen Situationen sind nur bestimmte Mengen oder nur bestimmte Drogen angemessen; bestimmte Konsummuster müssen dagegen Ausnahmesituationen vorbehalten bleiben. Mich hat einmal ein Bericht von einem Pilzritual beeindruckt, an dem Menschen, die in sehr verantwortlichen und anspruchsvollen Berufen arbeiten (Ärzte, Piloten, Rechtsanwälte, Richter), teilnahmen. Sie hatten diesen Drogenkonsum lange in ihren Kalendern als ein besonderes Ereignis geplant, für das auch eine angemessene Vor- und Nachbereitungszeit vorgesehen war. Zu diesem Ritual traf man sich in der Abgeschiedenheit der Natur in die keine beruflichen Pflichten hineinreichen konnten. So widmeten sie sich dem Pilzkonsum, dem sie sich ausgiebig zuwandten. In ihrem verantwortlichen Alltag kamen erst wieder an, als alle Effekte des Drogenkonsums vorüber waren. Ist die Forderung, sehr eingreifenden Drogenkonsum in Ausnahmesituationen zu zelebrieren sehr unrealistisch?

Zumindest ist die dazu nötige Modifikation der Gebrauchsmuster nur über einen längeren Zeitraum vorstellbar. Wer setzt wo und wann also bei der Schulung eines mündigen Umgangs mit geistbewegenden Substanzen an? Wäre eine Art „Rauschkundeunterricht“ ein Schritt?

Barsch: Scheinbar können wir uns Bildung nur in den institutionellen Formen von Schule vorstellen, die ich als alleinig verantwortliche Institution allerdings nicht wirklich geeignet halte, die Entwicklung von Drogenmündigkeit zu unterstützen. Ich stell mir die Normalisierung des Themas „Drogen“ so vor, dass es zunächst einmal selbstverständlich wieder in unsere allgemeine Bildung zurückgeholt wird. Geschichte, Kunst, Musik, Literatur, Ethik, Lebenskunde bieten heute über die Biologie hinaus so viele interessante Anknüpfungspunkte, ohne Exotisierung und Geheimniskrämerei das Thema anzusprechen und Impulse für das eigene Nachdenken zu geben. Das würde aber wohl nur den mehr kognitiven Teil der Auseinandersetzung mit dem Drogen betreffen. Aber wesentlich prägender wird sich wohl die emotionale und soziale Auseinandersetzung damit gestalten. Wie es bei Sexualität nicht allein um Bau und Funktion der Geschlechtsorgane geht, geht es bei Drogenmündigkeit auch nicht allein um Stoffkunde und Einweisung in bestimmte Praktiken. Die von mir bereits beschriebenen Aspekte von Drogenmündigkeit haben das hoffentlich längst aufgeblendet. Meiner Einsicht nach haben nicht nur Familien und Jugendeinrichtungen, die die Kinder und Jugendlichen bei ihren ersten Näherungen an den Umgang mit legalisierten und illegalisierten Drogen beratend und reflektierend begleiten eine wichtige Funktion, die sie nicht einfach an andere Institutionen delegieren können. Ganz besonders wichtig für die Sozialisation von Drogenmündigkeit halte ich Drogenkulturen, die von den Drogenkonsumentinnen und -konsumenten ausgehen, in denen Erfahrungen und Wissen in Sitten und Bräuchen festgeschrieben sind und die sich gegenseitig bei der Stilbildung und damit beim Hineinwachsen in einen mündigen Umgang mit psychoaktiven Substanzen unterstützen können. Eve&Rave und JES – die Selbsthilfe der Junkies, Ehemaligen und Substituierten führen mit ihrer Arbeit vor Augen, welche bisher viel zu wenig beachteten Möglichkeiten in diesem Bereich liegen. Aber auch gut geführte Coffeeshops in den Niederlanden machen auf mögliche Potenzen für den Entwicklungsprozess von Drogenmündigkeit aufmerksam. Kurzum, es wäre geradezu fatal, wenn man in bezug auf Drogenmündigkeit wieder nur an die Institution Schule denken würde.

Folgt man Ihrer Ansicht, so hat die bisherige Kriminalisierung der Drogenkonsumenten die Entwicklung einer funktionierenden Drogenkultur extrem behindert. Wo würden Sie bei einer Änderung der momentanen Verhältnisse zuerst ansetzen wollen: Ist es realistisch auf die politischen Parteien einzuwirken? Oder muss es zunächst zu einer weiteren gesellschaftlichen Enttabuisierung des Drogenkonsums kommen, die ja zumindest im Bereich von Cannabis weit fortgeschritten ist?

Barsch: Tja, die schwere Frage, wo soll man anfangen, wenn so viel Arbeit anliegt. Ich denke, auch hier darf man nicht auf ein Pferd allein setzen. Natürlich werden Politiker immer nur so viel drogenpolitisches Neuland betreten, wie sie glauben, dass sie damit in der Bevölkerung, vor allem bei den meinungstragenden Schichten auch Pluspunkte sammeln und Stimmenmehrheiten erringen können. Insofern muss man natürlich zu einem allgemeinen Bildungsprozess zum Drogenthema in der Bevölkerung kommen, mit dem sich Entdramatisierung und Normalisierung durchsetzen. Andererseits kann dieser Prozess durch ein drogenpolitisch verändertes Klima sehr unterstützt und gefördert werden. Vor diesem Hintergrund sind viele Zungenschläge und zum Teil auch bewusst eindimensional gestalteten Veröffentlichungen und Stellungnahmen von Politikern sehr dysfunktional und mehr als ärgerlich, weil sie oft die in Sisyphusarbeit erreichten Fortschritte schnell wieder zum Wanken bringen können. Aber dass es sich bei drogenpolitischen Veränderungen um Sisyphusarbeit handelt, die mehr als die Lebenszeit einer einzelnen Generation beanspruchen wird, davon bin ich überzeugt. Aber als Ostdeutsche, die von den Ereignissen der Wende, vor allem ihrem plötzlichen, friedlichen und erfolgreichen Verlauf überrascht wurde, habe ich ein wenig Hoffnung, dass die fatalen jetzigen drogenpolitischen Ansätze vielleicht eines Tages auch implosionsartig in sich zusammenfallen werden, um einem Pragmatismus Platz zu machen. Daraus nehme ich für mich jedenfalls meinen Optimismus und die Kraft, mich immer wieder in die Debatten einzumischen.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

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Hanf

Interview mit dem Hanf-Forscher Michael Karus

hanfblatt Nr. 84, Juli/August 2003

Hanf – Eine Nutzpflanze unter vielen?

Ein Interview mit dem Hanf-Forscher Michael Karus

Michael Karus gilt als der führende deutsche Experte für den Anbau von Hanf. Er ist Geschäftsführer des nova-Instituts, das sich durch die Erforschung der ökologischen Nutzbarmachung der Hanfpflanze einen Namen gemacht hat. Seit dem Erscheinen der deutschen Ausgabe des Bestsellers von Jack Herer „Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf – Cannabis – Marihuana“ im Jahre 1993 und dem im Zusammenhang mit diesem Buch stark angestiegenen Interesse an Produkten auf Hanfbasis sind nun 10 Jahre vergangen, Zeit einmal Bilanz zu ziehen und einige Entwicklungen Revue passieren zu lassen.

Hanfblatt: Wie steht es mittlerweile um den Hanfbau in Deutschland? Wie hat er sich in dem zurückliegenden Jahrzehnt entwickelt?

Karus: Nachdem der Hanfanbau im Jahr 1996 erstmalig seit über 15 Jahren Anbauverbot wieder möglich war, ist die Hanfanbaufläche zunächst stetig gewachsen (bis auf knapp 4.000 ha in 1999) und dann aber wieder auf ca. 2.000 ha gefallen (2002). Für dieses Jahr erwartet man wieder einen leichten Anstieg. Grund für diese Entwicklung waren zu Beginn überzogene Erwartungen an den Markt, die Absenkung der EU-Beihilfen und damit einhergehend ökonomische Probleme, die bereits zum Aus für einige Aufschlussanlagen wurden.

Hanfblatt: Hat der Hanfanbau in Deutschland eine Chance, sich gegen ausländische Konkurrenz zu behaupten?

Karus: Ja! Der Bedarf an Hanffasern kann in Deutschland weitgehend durch die deutsche Produktion gedeckt werden. Die EU dürfte inzwischen sogar eher Hanffasern exportieren als importieren.

Postkarte von 1917
Postkarte von 1917

Hanfblatt: Welche Bedingungen müssen geschaffen werden, damit Hanf sich gegen konkurrierende Rohstoffe durchsetzen kann?

Karus: Wenn Hanffasern zu Weltmarktpreisen produziert werden können, so gibt es kein Problem mit dem Absatz. Die Nachfrage nach Naturfasern, insbesondere in der Automobilindustrie, wächst stetig. Wenn Preis und Qualität stimmen, können die Fasern abgesetzt werden. Allerdings ist es nicht leicht, bei sinkenden EU-Beihilfen den Preis auf Weltmarktniveau zu halten. Dies wird nur durch verbesserte Aufschlusstechnik, höhere Durchsätze und geschickte Vermarktung der Nebenprodukte (Schäben und Samen) möglich sein.

Hanfblatt: Hat der Hanf den in ihn gesetzten Erwartungen entsprechen können, oder ist er doch nur eine Nutzpflanze von vielen?

Karus: Hanf war immer nur eine Nutzpflanze unter vielen. Alles andere war und ist Ideologie und irrationales Wunschdenken – und keine Basis für reale Geschäfte. Aus Hanf kann man tausende Produkte machen. Aber auch aus Soja (und vielen anderen Pflanzen) kann man tausende Produkte machen. Aber: Im Gegensatz zu Hanf macht man aus Soja bereits tausende Produkte … Das einzig wirklich Besondere an Hanf ist, dass bestimmte Sorten den bewusstseinsverändernden Stoff THC in relevanten Mengen enthalten. Dies hilft aber nichts, um die Fasern, Schäben oder Samen in den Markt zu bringen. Im Gegenteil, manchmal ist es sogar eher hinderlich.

Hanfblatt: Kann man sagen, dass der ersten Euphorie eine gewisse Ernüchterung gefolgt ist?

Karus: Wer heute noch im Nutzhanfbereich tätig ist, ist dies nicht mehr aus ideologischen Gründen oder Wunschträumen, sondern unter den realen Rahmenbedingungen des Marktes. Die anfängliche Euphorie hat zum Teil das Marketing von Endkonsumenten-Produkten erleichtert. Diese Produkte bestanden aber oft nur zu marginalen Anteilen aus Hanf (echte Hanfanteile in vielen Shampoos, Bieren oder Limonaden unter 1%) bzw. kamen ihre Rohstoffe vor allem aus China und Rumänien.

Hanfblatt: Wie steht es mit der verarbeitenden Industrie? In welchen Bereichen rechnet sich die Hanfverarbeitung?

Karus: Die wichtigsten Märkte für Hanffasern sind die Automobilindustrie (Formpressteile wie Türinnenverkleidungen) und die Dämmstoffindustrie. Weiteren Einsatz finden die Fasern in Anzuchtvliesen für Kresse (in jedem Supermarkt!). Die Schäben werden primär als Tiereinstreu (Pferde und Kleintiere) eingesetzt und die Samen gehen vor allem als Tierfutter über die Theke. Hier gewinnt allerdings der Lebensmittelbereich (Samen, Öl) an Bedeutung.

Hanfblatt: Kann man einem Bauern noch mit gutem Gewissen den Hanfanbau empfehlen? Auf was sollte er achten? Welche Voraussetzungen müssen stimmen?

Karus: Wieviel Hanf dem Bauern pro Hektar bringt, kann heute leicht berechnet werden. Der Anbau lohnt sich, wenn im Umkreis von 50 km ein Faseraufschlussbetrieb existiert, der hinreichend viel für das Hanfstroh zahlt. Wo dies genau anzusiedeln ist, hängt vor allem von den regionalen Konkurrenzkulturen ab.

Hanfblatt: Die HanfHaus-Kette musste ja bekanntlich Konkurs anmelden. Hat sich wenigstens insgesamt ein stabiler Absatzmarkt entwickeln können und was muss noch geschehen, damit sich das Potential von Hanf als Rohstoff besser entfalten kann?

Karus: Dies habe ich oben schon beantwortet. Und noch einmal: Die HanfHaus-Kette hat außer ein paar Samen und Ölen praktisch nichts verkauft, was von deutschen Äckern stammte, sondern vor allem Produkte (insb. Textilein) aus China und Rumänien.

Hanfblatt: Herer und sein Übersetzer Bröckers sind ja mit der provokanten These angetreten, dass Hanf als nachwachsender Rohstoff die Welt retten könne, zumindest vor den Folgen des Raubbaus an unersetzlichen Urwäldern, der Verschwendung fossiler Rohstoffe und Energieträger und unökologischer Landwirtschaft wie dem monokulturellen Anbau von Baumwolle. Kann man diese Behauptung so immer noch stehen lassen oder muss man sie revidieren?

Karus: Das ist natürlich vollkommener Unsinn. Jack hat ja sogar einen Preis für denjenigen ausgesetzt, der das Gegenteil beweisen könne. Für uns wäre dies ein Leichtes. Ich habe diesbezüglich auch mit Jack Kontakt aufgenommen. Wir haben uns aber nicht darüber einigen können, was er als Beweis akzeptieren würde ….

Hanfblatt: Wie sieht die Zukunft für den Hanf aus?

Karus: Gut! Hanffasern werden sich als industrielle Fasern weiter etablieren, Schäben werden (und sind) eine feste Größe für hochwertiges Tiereinstreu, und Hanfsamen werden sich mehr und mehr als gesundes Lebensmittel etablieren. Und auch im pharmazeutischen Bereich ist der Wall gebrochen, mehrere Unternehmen werden in den nächsten Jahren neue Präparate auf den Markt bringen.

Hanfblatt: Woher kommt Ihr besonderes Interesse am Hanf?

Karus: Das Interesse ist garnicht mehr so besonders. Wir beschäftigen uns inzwischen auch mit vielen anderen nachwachsenden Rohstoffen. Es gab halt damals in den Jahren 1993 bis 1997 die historisch günstige Situation, dass sehr viel Interesse an den Nutzungsmöglichkeiten von Hanf bestand und gleichzeitig kaum belastbares Wissen existierte. Diese Chance haben wir genutzt, um das nova-Institut als Experten-Institut für Hanf zu entwickeln. Heute ist bei uns ein so großes und breites Wissen über Hanf (und andere Faserpflanzen) verfügbar, ebenso wie zahlreiche nationale und internationale Kontakte, dass die Hanfforschung – insbesondere die Marktforschung und ökonomische Analysen – immer noch eine wichtige Einnahmequelle darstellt.

Hanfblatt: (scherzhaft) Ist es einsam auf dem Olymp?;-)

Karus: Im Gegenteil: Ich habe über den Hanf unzählige interessante Menschen in der ganzen Welt kennen gelernt, von denen viele meine Freunde geworden sind.