Kategorien
Cannabis Drogenpolitik Interviews Interviews

Interview mit dem Psychiater Eckart Schmidt

HanfBlatt Nr. 99, 2005

Kiffer im Spannungsfeld von Eltern, Freunden und Therapeuten

Interview mit dem Psychiater Eckart Schmidt

Es gibt verschiedene Motive und Formen Cannabis zu inhalieren. Eckart Schmidt, Facharzt für Neurologie und Psychatrie, hat in den 90er Jahren den Hamburger Drogenentzug für Jugendliche mit aufgebaut, seine Erfahrungen mit moderaten und starken Kiffern hat er nun in einem Buch veröffentlicht.

Wie begann Ihr beruflicher Kontakt mit Cannabisliebhabern, die einen problematischen Konsum aufwiesen?

1999 habe ich in der Fachklinik Bokholt den Kinder- und Jugend Drogenentzug aufgebaut. Da kam ich dann auch zum ersten Mal mit exzessiven Kiffern zusammen. Zunächst war ich selber nicht von einem Cannabisentzug in einer solchen stationären Einrichtung überzeugt, so nach dem Motto „Lass sie doch lieber kiffen als Alkohol trinken“, aber da kamen eben doch Menschen, die täglich und so viel gekifft haben, dass sie allmählich überall rausgeglitten waren. Sie hatten ähnlich wenig Anschluss an „normale“ soziale Verhältnisse wie Heroin-Konsumenten.

In welcher Altersgruppe waren die?

Im Schnitt zwischen 14 und 16 Jahren alt. Manche der exzessiv kiffenden hatten bereits mit zehn oder gar neun Jahren angefangen regelmäßig zu rauchen. Die meisten waren zigarettenabhängig, insgesamt war es eine Gruppe, die allerlei Mittel schon früh als Suchtmittel eingesetzt hatte.

Oft kamen die Jugendlichen nicht freiwillig. Ist das ein Problem bei der anfänglichen Gesprächssituation?

Im Drogenentzug, und das gilt auch für Kiffer, haben meist die Eltern oder Lehrer massiv darauf eingewirkt, dass der Jugendliche zu uns kam. Die wenigsten geben selber zu, dass sie ein Problem haben, sie denken, sie haben alles im Griff. Sie wollen maximal die Spitzen rausnehmen, ansonsten aber weiter funktionieren. Dadurch entsteht durchaus ein ambivalentes Gefühl bei ihnen. Die Folge ist, dass sie den ersten Entzug meist nicht durchhalten. In den meisten Fällen braucht es zwei bis drei Anläufe, erst dann sehen sie ein, dass ihr hartes Konsummuster ihnen Probleme bereitet und entwickeln auch eine Eigenmotivation wirklich etwas zu ändern. Die Entwicklung hinein in den exzessiven Konsum und wieder heraus ist nie geradlinig. Selten ist nach einer Behandlung alles gut.

 

Bei den Kiffern also, die in jungen Jahren jeden Tag und viel rauchen, hilft also zunächst nur Abstinenz, eine Hinführung zu einer kontrollierten Genussform ist nicht möglich?

So vereinfacht kann man das nicht sagen. Jeder Mensch ist anders und es gibt durchaus Kiffer, die zurückschrauben können. Der Größte Teil von den exzessiven Kiffern hat aber Schwierigkeiten direkt in einen kontrollierten Konsum überzugehen.

Wie also bricht man den anfänglichen Widerstand im Gespräch?

Brechen kann man ihn überhaupt nicht, man muss überzeugen. Wichtig ist zunächst für sie zu wissen, das sie zwar bei uns sind, aber jederzeit auch wieder gehen können. Im weiteren geht es darum zu vermitteln, dass sie für ihr Leben selbst verantwortlich sind und ihr Handeln, egal welches, immer auch Konsequenzen zeigt. Wir können und wollen ihnen nicht sagen, was sie mit ihrem Leben machen sollen. Wir können mit ihnen zusammen nur herausarbeiten, welches Wege wahrscheinlich zu welchen Zielen führen. Manchmal waren die Kiffer überrascht, wenn sie von uns eben nicht gesagt kriegten, „Du musst das und das machen, dann wird alles gut.“

"Exzessives Kiffen hängt mit fehlender, innerer Sicherheit zusammen", sagt Eckart Schmidt.
„Exzessives Kiffen hängt mit fehlender, innerer Sicherheit zusammen“, sagt Eckart Schmidt.

Mal anders herum gefragt: Wie erzieht man als Kiffer denn seine Eltern zu einer guten Gesprächsführung?

Das hängt natürlich von den Ausgangslagen ab. Es gibt die Art von Eltern, die keine Diskussion zulassen, und ob man die dazu erziehen kann ist fraglich. Und es gibt die, die einfach ein wenig zu ängstlich sind. Denen kann man zeigen, dass man sein Leben durchaus auf die Reihe kriegt. Und es gibt die, die sich zu Recht sorgen machen. Für den Beginn ist es hilfreich sich eine unangespannte Situation zu schaffen, um das Thema „Haschisch“ mal ganz allgemein und nicht an der eigenen Person festgemacht anzusprechen. Vielleicht anhand eines Zeitungsberichts oder einer TV-Sendung.

Da kommt aber schnell die Frage: „Und du?“

Ja, darauf muss man dann gelassen reagieren. Zu vermeiden sind vor allem Schuldzuweisungen. Wenn beide Seiten nur von Schuld und persönlichem Versagen sprechen, dann werden Gespräche unfruchtbar. Wenn Eltern entdeckt haben, dass das eigene Kind kifft, dann haben sie meistens Ängste. Als Kind kann man dann nur versuchen aufzuzeigen, dass man sein Leben trotz Konsum auf die Reihe kriegt. Da heißt es dann natürlich ehrlich gegenüber sich selbst sein. Die Frage ist: Krieg ich mein Leben gebacken oder bescheiße ich mich selber? In meinem Buch geht es in einigen Bereichen um Extremfälle, aber eben auch um die Kiffer, die sich in einem Grenzbereich aufhalten und diejenigen, die keine Probleme mit ihrem Konsum haben. Es gibt keine einfache Zuschreibung: „Du kiffst also bist so oder so“.

Da steht man natürlich von dem Problem, dass in den Familien, in denen solche offenen Gespräche möglich sind, der problematische Konsum von Cannabis ohnehin weniger vorkommt.

Das kann man wahrscheinlich gesetzmäßig so sagen, ja. Exzessives Kiffen hängt mit fehlender, innerer Sicherheit zusammen, und das liegt halt meistens am Elternhaus. Ich will hier nicht immer den Eltern die Schuld geben, aber oft hakt es in diesem Bereich. Trotz allem bleibt Eltern nichts anderes übrig, als das Gespräch zu suchen. Denn verbieten kann ich es meinem Kind nicht, dann kifft es halt um die Ecke. Ich kann ihm nur sagen: „Du kiffst, und aus meiner Sicht hat das diese und jene Folgen.“

Was aber folgt nach dem Gespräch?

Abgestufte Reaktionen. Wenn ein Kind seinen Eltern beweist, dass es mit der Droge zurecht kommt ohne wichtige Dinge zu verpassen, dann müssen diese nicht unbedingt tätig werden. Wenn aber die Eltern merken, das ihr Kind täglich kifft und aus ihrer Sicht deshalb in den Schulleistungen abfällt, interesselos gegenüber seinen Hobbies wird, immer mehr in eine Kiffergruppe reingeht und keinen Kontakt mehr zu Nicht-Kiffern hat, zudem konfliktscheu ist und sich selbst belügt, dann müssen Eltern ihm dies offen sagen. In einem zweiten Schritt müssen dann auch Konsequenzen folgen. Die sollte man anfangs durchaus gemeinsam besprechen.

Ein Beispiel?

Wie dies genauer aussehen könnte, wird anhand einiger Beispiele im Buch besprochen.

Man setzt eine Grenze und droht mit einer Sanktion?

Ja, er oder sie muss merken, dass sie verantwortlich für ihr Handeln sind. Es ist ihre Entscheidung. Die Sanktion kann offen sein, also so gestaltet, das bei einem Verstoß gegen eine vorher gemeinsam verfasste Abmachung sich danach auch zusammen überlegt wird, was das jetzt für Konsequenzen hat. Und das kann auch durchaus zum Nachteil des Jugendlichen gereichen, denn warum sollte ich beispielsweise meinem Kind weiterhin viel Taschengeld geben, wenn es das Geld komplett verkifft?

Was dann aber zur Folge haben kann, das er es sich auf andere Weise besorgt.

Daran kann ich dann aber nichts mehr ändern. Wenn ich ihm mehr Geld gebe, und er kann es nicht verwalten, dann wird er auch mehr für das Haschisch ausgeben. Dazu kommt, das das Handeln der Eltern dem Kind in diesem Moment auch zeigt, das es ernst genommen wird. Wer seinem Kind alles durchgehen lässt, der wird nicht ernst genommen. Aber ein Patentrezept für einen mündigen Umgang von Eltern und Jugendlichen miteinander und in ihrer Stellung den Drogen gegenüber gibt es leider nicht.

Eltern, Schulen, Gesellschaft und Politik wollen aber genau diese klaren Richtlinien haben.

Wenn so, dann so, als ob der Mensch eine Maschine ist. Menschen sind alle unterschiedlich und wenn man sich darauf einigen würde, das zu akzeptieren und den schwierigen Weg der individuellen Herangehensweise an individuelle Problemlagen zu gehen, dann wäre man schon einen beträchtlichen Schritt weiter.

Sie möchten die Diskussion von der Schädlichkeit von Cannabis von der Diskussion um die Legalisierung komplett abtrennen. Wie soll das funktionieren, denn wie soll man über eine andere Rechtsstellung von Cannabis diskutieren, wenn man nicht auf die wissenschaftliche Fakten zurück greift?

Wenn man aufklären will, wann Cannabis für den Menschen problematisch werden kann, ist es klüger, dies von der Diskussion um die Legalisierung abzutrennen. Die sogenannten „Fakten“ rund um Cannabis werden doch ohnehin immer so zusammengewürfelt wie es das jeweilige Konzept passt. Man kann den Menschen so oder so nicht von der Selbstverantwortung befreien. Es gibt ja Leute, die schlagen vor, man solle die Alleebäume fällen, weil sie besonders unfallträchtig seien. Es scheint für den Menschen immer nur die Variante „Ja“ oder „Nein“, „Gut“ oder „Schlecht“ zu geben. Und es macht ihn irre, wenn man bei genauerer Betrachtung feststellt, das es so etwas nicht gibt.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Eckart Schmidt Cannabis – Wann kann der Konsum problematisch werden?
Hamburg 2005 Verlag: Mein Buch
255 Seiten
Paperback ISBN: 3-86516-405-6
14,90 EUR

 

 

 

]]>

Kategorien
Mixed Psychoaktive Substanzen

Angst und Schrecken mit Hunter S.

blond, 3/2005

Der Dalai Lama der Furcht

Halluzination und Recherche, Fiktion und Realität: Hunter S. Thompson ist der erste und letzte Mohikaner der Gonzo-Reportage.

(Hier das Original PDF des Beitrags aus dem mittlerweile eingestellten Magazin „blond“)

Die knallharte Pfeife entfaltete ihre Wirkung genau in dem Moment, als wir zu unseren Kino-Plätzen stolperten. Beine von Zuschauern schlängelten sich wie dunkle, verdorrte Wurzeln durch die Sitzreihen, mit einem Bier in der rechten und einem in der linken Hand balancierte ich mit Storchenschritten über die Wurzeln, im Augenwinkel donnerte ein rotes Cabrio durch die Wüste. Noch bevor wir unsere Sitze erreicht hatten sprang Hunter S. Thompson alias Johnny Depp aus dem Chevy, spaddelte Richtung Kofferraum, verjagte ein paar Fledermäuse und inspizierte dann eine beneidenswert gut sortierte Drogensammlung.
Wir sackten hysterisch kichernd immer tiefer in die Sessel, mein erster Schluck Bier spülte drei Minuten meinen Rachen, an Schlucken war nicht zu denken. Die Eingangssequenz von „Fear and Loathing in Las Vegas“ im Jahre 1998 war eine Offenbarung, hielten wir uns doch schon für Kenner des von der Leine gelassenen Wahnsinns, hier aber hatte sich offensichtlich unser Meister ausgedrückt. Es war die erste Begegnung mit dem Totengräber des objektiven Journalismus, dem Erfinder der fiktiv-realen Reportage, dem Dr. Jekyll und Mr. Hyde der Schreiber, kurzum: mit dem teuflischen Gott.

Schreiben, das war für den 1937 geborenen Thompson Anfangs nur „einfacher als Algebra“, wie er sagt. Seine ersten Reportagen verfasst er für das Truppenblatt der Air Force, die Jobs bei Zeitungen und einem Wrestling Newsletter enden meist fatal, seine Südamerika-Tour als freier Autor verläuft eher mau. Hunter ist das relativ egal, solange genug Alkohol fließt und sich ab und zu eine Frau in sein Bett verirrt. In dieser Zeit, er ist gerade 25 Jahre alt, schreibt er seinen ersten und einzigen Roman, der erst jetzt auf Deutsch erschienen ist: „The Rum Diary“. Ein intensives Stück Literatur im Stile von Ernest Hemingway. Freelancer schwitzen unter der Sonne Puerto Ricos, zumeist in einer Bar rumhängend, in der man nur drei Dinge bestellen kann. Bier, Rum und Hamburger.

Zurück in den USA folgt der erste Knall: Hunter Stockton taucht für über ein Jahr bei den Hell’s Angels ein und marodiert mit den Rockern durch den wilden Westen. Seine stark subjektiv gefärbte Erinnerunge vermischen sich mit harter Recherche und Polemiken. Er zitiert ausführlich aus Zeitungsberichten und Akten, nimmt an den Ausfahrten („Runs“) und Gelagen teil und stellt nebenbei die Sensationslust der amerikanische Medien bloß. Der Trip wird zur Blaupause seiner künftigen Arbeit: Vom Rande der Gesellschaft aus beobachtet er deren maroden Kern.
Trotz der Nähe biederte sich Thompson nicht bei den biersaufenden Speed-Outlaws an. „Die kollektive Haltung der Angels war immer eine faschistische“, schreibt er, „ihre politischen Überzeugungen sind auf denselben Retro-Patriotismus begrenzt wie die des Ku Klux Klan und der American Nazi-Party.“ Das Buch über die gefallenen Engel, 1967 veröffentlicht, wird ein Erfolg. Von dem Geld kauft er sich eine BSA 650 Lightning, das damals mit Abstand schnellste Serienmotorrad. Es ist die Ära, von der Thompson bis heute zehrt und die er zugleich nie überwunden hat.

Die cineastische Einführung in die Urgründe des Drogentrips in dem verschmutzten Kino auf dem Hamburger Steindamm zeigte deutliche Parallelen zu den Erlebnissen in den nebligen Schweinekoben (neudeutsch: Clubs), durch die wir uns während der letzten Jahren gerockt hatten. „Fear and Loathing“ passte wunderbar in die verspulten 90er: Die ganze Welt ein Trip, eine Matrix wohlmöglich, und überhaupt: Was ist schon Realität? Egal, vorwärts, hinein ins Vergnügen.
Trotz aller Euphorie war uns im Kinosaal nicht entgangen, dass sich das Publikum in zwei Teile spaltete: Diejenigen, die recht genau nachfühlen konnten wie es Johnny Depp und seinem samoranischen Anwalt bei ihrer Reise erging und diejenigen, die außer einem Alkohol-Vollrausch oder einer Atem-Therapie noch keine außergewöhnlichen Abfahrten durch die Psyche und darüber hinaus erlebt hatten. Die einen brüllten vor Lachen, die anderen schwiegen irritiert.

Sein Faible für Drogen und hippe Randgruppen brachte Thompson schnell mit den Beatnicks und Hippies zusammen. Ken Kesey, Autor von „Einer flog über Kuckucknest“, lud Thompson und die Hell’s Angels auf seine Farm in die Nähe von San Francisco ein. Die Polizei belagerte die Farm, drinnen herrschte seit Wochen der induzierte Ausnahmezustand. Eine intellektuelle Dauerparty war hier und im ganzen Land in Gang, es ging um den Vietnamkrieg, den Weltfrieden, die größtmögliche Bewusstseinerweiterung und letztlich immer auch um das große Ganze. Ein riesiger Traum blies sich auf und schwebte für einige Monate über dem Land. Und Hunter, dem schon schlecht wurde, wenn er nur ein Peace-Zeichen oder florale Muster sah, saß mitten drin.
Zwischen Beat-Poeten wie Allen Ginsberg und Showmastern wie Timothy Leary sonnten sich die Angels in der neuen Aufmerksamkeit, nebenbei gab es natürlich Acid für alle. Wochen später war es vorbei mit der Eintracht, die Angels mischten eine Anti-Vietnam-Demo auf, später boten sie sich in einem öffentlichen Brief sogar als freiwillige Kämpfer in Vietnam an.

Der legendäre „Gonzo-Journalismus“ (span. gonzagas „jemanden verarschen“) entstand kurz darauf aus einer depressiven Phase des jungen Künstlers heraus. Ein Redaktionsauftrag hatte gelautet über das jährliche Kentucky Derby, das wichtigste Pferderennen der USA, zu berichten. Thompson pendelte aber nur betrunken zwischen Hotelbar und Schlafzimmer hin und her und schickte in einem Anflug von Wahnsinn die aus seinem Notizbuch herausgerissen Seiten. Überschrift: „Das Kentucky-Derby ist dekadent und verkommen“. Die Redaktion war verzweifelt, die Leser begeistert: „was für eine Sprache, was für ein Formgefühl“. Ein Mythos war geboren.
Hunter hatte seinen Stil gefunden, eine aggressive, schnelle Sprache, die, wenn sie keine Lust mehr hat zu argumentieren, sich martialischen Bilder bedient. Aus der Tatsache, dass er eine Zumutung für seine Umwelt war wurde langsam ein Geschäft. In seinem Worten: „Wenn du dafür bezahlt wirst verrückt zu sein, dann kannst du so verrückt nicht sein.“ Gut so, war es doch für alle besser, wenn er seine Individualität auf der Schreibmaschine auslebte, als, wie er es selber ausdrückte „in plötzliche Ausbrüchen von frustrierte Gewalt“. Noch heute ballert er gerne mit einem seiner vielen Gewehre auf tibetanische Gongs, die in seinem Garten aufgehängt sind.

ChevySein nie versiegender Zorn wird zusätzlich von dem Glauben gespeist, dass es nach den Morden an Kennedy, Martin Luther King und Malcolm X keine Versöhnung mit Amerika mehr geben kann. Thompson trägt den amerikanischen Traum seit nunmehr dreißig Jahren zu Grabe. Dazu gehört sein Hass auf die Präsidenten, heißen sie nun Nixon, Ford, Reagan, Clinton (in dessen Beraterstab er kurz saß) oder jetzt wieder Bush. In Pamphleten für den „Rolling Stone“ kriegen alle ihr Fett weg. Lange vor Michael Moore attestierte Thompson den USA eine verlogene Politik, eine korrupte Wirtschaft und eine nur auf Konsum geeichte Gesellschaft. Die mit dem System verbandelten Medien und den Journalismus hält er dabei für „eine blinde Gasse zur Kehrseite des Lebens, ein dreckiges, nach Pisse stinkendes kleines Loch, auf Anordnung eines Bauamt-Inspektors zugenagelt, aber noch groß genug für einen Wermutbruder, sich in einer Nische am Gehsteig zu verkriechen und sich einen runterzuholen wie ein Schimpanse im Zookäfig.“

Das war die Sprache die wir hören wollten. Seit „Fear and Loathing“ spukte die Idee in unseren Köpfen rum, mit einer Mischung von Nörgeln auf hohem Niveau und systematischer Breitheit eventuell sogar unseren Lebensunterhalt verdienen zu können. Nüchtern betrachtet bediente Thompson nur unsere infantile Junggesellenfantasien: Ein ungebundenes Leben, die jederzeitige Verfügbarkeit von Uppern, Downer und Heulern, die einen mächtig rauskickten oder – wenn es schlecht lief – zumindest ein inneres Gepöbel verursachten.
Den Höhepunkt dieser selbstvergessenen Lust auf Mehr bildete sicherlich eine Reise nach Asien, bei der ich im karnevalesken Thompson-Outfit (gelbe Sonnebrille, Hawaii-Hemd, kurze Hose, Zigarettenspitze) durch das, na, sagen wir mal „Disco-Viertel“ von Bangkok schwebte, das Hirn mit LSD und Johnny Walker zugeschissen, die Reisekasse aller Beteiligten locker in der Hose tragend, weil „Du der Vernünftigste bist“, wie mir gesagt worden war. Aus dem Hotel waren wir rausgeflogen, denn die Wanne war bis ins Zimmer übergelaufen, im Restaurant fuhren dann die Pappen so heftig ein, dass wir uns mit Basmati-Reis beworfen hatten. Momente ohne Furcht, Schmalspur Rock’n’Roll.

In den Neunzigern trat der Desperado mit kahlrasiertem Kopf auf. Er sah damit, so beschrieb es ein US-Journalist, wie „ein Dalai Lama der Furcht und des Schreckens“ aus. Tatsächlich steigt seine Anhängerschaft in den prüden USA, seine Farm in der Nähe von Aspen, Colorado, ist zur Pilgerstätte geworden. Allzu aufdringlichen Fans verjagt der zornige 68-Jährige in Wildwest-Manier mit dem Schießeisen vom Gelände.

Nachtrag: Hunter S. Thompson erschoss sich im Februar 2005 auf seiner Farm in der Nähe von Aspen, USA.