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Mixed Übermensch

Tröpfchenweises Wissen

Telepolis, 06.08.2006

Endlich ist es soweit: Die drängensten Fragen der Menschheit werden an einem Samstag im September in Berlin beantwortet

Kann es eine Welt ohne Macht geben? Was sind die wichtigsten Werte, die man einem Kind beibringen kann? Täglich laufen rund 300 solcher Fragen auf dem Webserver von Dropping Knowledge ein. Die Initiative sammelt weltweit Fragen, die 100 wichtigsten sollen an einem riesigen runden Tisch am 9. September auf dem Berliner Bebelplatz simultan von 112 Experten beantwortet werden.

Auch diese werden von der Internet-Community vorgeschlagen. Im erlauchten Kreis der Personen befinden sich Wissenschaftler, Künstler, Menschenrechtsaktivisten. Der genaue Auswahl ist nicht bekannt, aber die Mischung wird exklusiv: Terry Gilliam neben Peter Sloterdijk, Yoko Ono unweit von Hans-Peter Dürr? Der „Table of Free Voices“ soll Happening, Video-Session und Antwortstunde zugleich sein. 33 Meter Durchmesser hat das Objekt, dazu 112 Sitzplätze, jeder mit Flachbildschirm und Kamera ausgestattet. Es soll später als Teil einer Wander-Ausstellung um die Welt reisen.

Ein Mitbegründer des Projektes ist der Filmemacher Ralf Schmerberg. Seit drei Jahren organisiert er an dem Event. Die Gelegenheit für eine globale Diskussion sei günstig: „Die Menschen auf der ganzen Welt sind bereit umzudenken. Und das müssen wir alle auch, wenn wir das hier nicht komplett vor die Wand fahren wollen.“

Aber was verspricht man sich von dem illustren Frage-Antwort-Spiel? Ist nicht jede Frage schon einmal gestellt, jedes menschliche Problem in der Antike nicht schon formuliert worden? Und werden die Antworten nicht seit Jahrhunderten ignoriert? Und wie viele falsche Fragen werden den Teilnehmer gestellt werden?
Die Lösung der diskutierten Probleme stehe bei Dropping Knowledge nicht im Vordergrund, sagt Schmerberg. Er erwarte neue Formen der Kommunikation und eine „stärkere Integration der Zivilgesellschaft in bestehende Prozesse“. Denn die sei zwischen Politik und Medien kaum noch zu erkennen.

Ein Team aus 30 Mitarbeitern arbeitet in der Berliner Zentrale, hier wertet man die zur Zeit über 10.000 Fragen aus. Auf der Webseite können die Fragen bewerten werden, die besten schaffen es in die Endrunde. Auf Platz 1 steht momentan die Frage von Martie F. aus den USA: „How do we choose whose lives are most valuable?“ Einige der Fragen sind schon filmisch umgesetzt und bei You Tube zu finden.

Die Nominiertenliste umfasst Wendezeit-Aktivisten wie Fritjof Capra und altegedienten Politikhasen wie Avi Primor. Deutsche Staatsbürgerschaft sind auch dabei, unter anderem Roland Berger, Christoph Schlingensief, Eugen Drewermann und Harald Schmidt. Zumindest um die Heterogitität der Antworten muss man sich also keine Sorgen machen.

Der medienwirksame Veranstaltungstag ist nur der Überbau für ein Projekt, das eine „Wikipedia der Lösungen“ werden möchte. Das Deutsche Forschungsinstitut für künstliche Intelligenz (DFKI) hat dazu eine umfangreiche Software entwickelt. Am 9. September kann nicht nur jeder online die Fragen zeitgleich mit den Partizipanten am Tisch beantworten. Es werden auch die ersten der 11.200 Antworten in eine „Living Library“ in das Netz gestellt, um eine globale Diskussion über lebenswichtige Fragen anzustoßen. Das Dropping Knowledge-Wissen soll gesammelt, strukturieren, verlinkt und wieder zur Debatte gestellt werden. Eine 3-D Kartographie soll das Navigieren erleichtern, 25.000 Themen sollen so dauerhaft behandelbar bleiben.

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Rezensionen

Rezension T.C. Boyle – Drop City

HanfBlatt Nr. 101

T.C. Boyles Affinität zu Drogengenießern und Randgruppen ist seit „Grün ist die Hoffnung“ bekannt, nun ist mit „Drop City“ sein äußerst gelungener Roman über eine Hippie-Kommune als preiswertes Taschenbuch erschienen. Eine liebenswerte Horde von ständig bekifften und trippenden Hippies übt im sonnigen Kalifornien im Jahre 1970 das naturnahe Leben. Das ohnehin wacklige Gefüge gerät aus den Fugen, als die Polizei das Grundstück schließen will, ein Kind Orangensaft mit LSD-Zusatz trinkt und schließlich der bärtige Ober-Hippie ein Pferd überfährt und eine Massenkarambolage verursacht. Also macht sich der ganze Tross auf nach Alaska, um dort noch besser, noch freier, noch unbeschwerter zu leben. Aber sie treffen dort auf Waldläufer und andere Aussteiger, die Frauen wehren sich gegen den Sexismus innerhalb der Gruppe, in der die Männer eigentlich nur irgendjemand vögeln wollen und das Leben stellt sich auch sonst als verdammt hart heraus.
Wo Boyle in früheren Werken zu skurriler Überzeichnungen neigte, so findet er in „Drop City“ zu einem ernsthaften Stil, der auf der einen Seite den kalifornischen Traum dekonstruiert, auf der anderen Seite aber den Roman-Figuren eine skurrile Würde zuschreibt und sie nie der Lächerlichkeit Preis gibt. Und ganz im Gegensatz zu seinen anderen Romanen kittet die Liebe die vielen Wunden des eiskalten Alaskas am Ende.
Fazit: Selten wurde die subtile Grenze zwischen Idealismus und Naivität einer Generation so fein beobachtet und mit einem spannenden Abenteuerroman verwoben. Oder wie Elke H. sagen würde: Lesen!

T. C. Boyle: Drop City
Roman
592 Seiten
Verlag: DTV
ISBN: 3-423-13364-3
10 EUR