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Hünengräber, Langbetten, Dolmen: Auf Urkult-Tour in Norddeutschland

Der dampfende Dolmen

Hünengräber, Langbetten, Dolmen: Auf Urkult-Tour in Norddeutschland

Rund um Hünengräber, Hinkelsteine und Steinzeit-Felsbauten ist eine Fan-Kultur entstanden, in der sich von Universitäts-Archäologen bis zum Neuzeit-Druiden alles sammelt. Die archaischen Steine dienen in einer Zeit der Ort- und Bindungslosigkeit auch als Projektionsflächen innerer Wünsche: Profundes Wissen, Leichtgläubigkeit oder Boderline? Wer sich eingehender mit den sakralen Bauten beschäftigen will, wird auf Disziplinen wie Archäoakustik, Astronomie und Erdenergien stoßen. Aber was verspürt Otto Normalo bei einem Besuch so einer Stätte? Sind es Orte mit einem Eingang zur Anderswelt? Wir wagen den Versuch. dolmen

Wolken und Sonne über der norddeutschen Knicklandschaft. Wir schaukeln über die Landstraße bei Bad Segeberg, Städter auf Landpartie an einem Wochentag. Da, das erste Hinweisschild: Grabhügel. Bremse rein, rechts ab. Der Hügel liegt recht unscheinbar am Rande eines Parkplatzes im Vorgarten eines Einfamilien-Hauses. Rauf da. Oben fruchtet zwischen alten Bäumen blaubeerig Weißwurz. Wollen, vielmehr, können wir uns öffnen? Verkehrslärm und eine dahingeworfene Grabsteinplatte verhindern das. Runter von dem Ding, der freundlich murmelnde Vorgartenbesitzer klärt uns auf: Ein anderer Hügel liegt irgendwo da drüben.

Rein ins Auto, drei Kurven später, ein Feldweg, ein Acker. Hier wirkt es schon gemütlicher. Wir machen uns auf die Suche. Vögel zwitschern, im Knick entdecken wir vielerlei fruchtendes Buschwerk. Es geht wie so oft im Leben ums Augen aufmachen. Ebereschen, Faulbäume, Holunder, Haselnuss, ein Wespennest, … Wir landen in einem künstlich angelegten Feucht-Biotop, einer Schonung und schließlich in einer Senke, die schon verdammt heilig aussieht, sich aber als Suhlkuhle für Vieh rausstellt. Egal, auch schön hier. Nach einem halbstündigen Rundgang finden wir denn doch noch den stattlichen Grabhügel unweit unseres Ausgangspunktes mitten auf einem Kartoffelacker. Garantiert 25 Meter Durchmesser, einige Meter hoch, Birken, Buchen, Gräserbewuchs. Vorsichtig umrunden wir das Objekt erst einmal. Jetzt das Herz rein halten.

Der Eingang zu dem Grab ist von einem großen Findling verschlossen. Drei große Trägersteine halten den Dachstein. Die Grabstätte wurde vor circa 5500 Jahren angelegt, das ist, wenn man mal überlegt, ziemlich lange her. Wir klettern auf den Berg, suchen weitere Attraktionen. Außer einem Landvermessungsstein und ein paar Fuchslöchern gibt es keine Hinweise. Wir setzen uns. Es ist plötzlich warm. Jacken aus. Unspektakuläre Wohfühlatmosphäre. Jetzt was opfern. Ein paar frische Galläpfel, das muss sein.

Nun den virginischen Tabak raus, selbstgezogen, eine Pfeife, etwas Füllung. Die Pfeife dreht sich plötzlich. Die Hälfte des Schamanenkrautes verteilt sich auf dem lehmigen Boden. Aha, die Ahnen verlangen ein vernünftiges Opfer. Ein erster Zug, ahh, dann zwei Honks in Jacken von links. Sind das die freundlichen Geister der Ahnen? Nein, es sind die höflichen Wächter des Grabs. Guten Tag, darf ich mich vorstellen, Herr Sowieso vom archäologischen Amt in Bad Segeberg. Der Mann weiß nicht recht, wie er formulieren soll, dass er jeden und so auch uns grundsätzlich des Grabraubs verdächtigt. Deswegen sind er und sein ebenso alter Kollege mit Rucksack hier. Lockeres Geplänkel. Er sieht keine Klappspaten und wird ruhiger. Wir ziehen ihm ein paar Fakten rund um den Hügel aus der Nase. Ja, der Bauer erlaube den Zugang. Nein, viel los sei hier nicht. Die Männern zockeln davon, wir bleiben. Gut, wenn man erwachsen ist, pampiger oder oberlehrerhafter Tonfall fallen meist aus. Abgang mit erstem Fazit: Wild bewachsener Grabhügel mit mittelklassigem Chillfaktor, Straßenrauschen nahe bei, etwas unwirtliche Umgebung, gefühlte erhöhte Temperatur.

Dolmen
Dolmen bei Groß Rönnau (Foto: Torben Berger)

Weiter gehts. Wir fahren nach Groß Rönnau, dort soll sich ein – nach Aussage des einen Grabwächters – beeindruckender Dolmen befinden. Problem: Keine Beschilderung. Aber wir haben ja innere Antennen.

Die meisten unter uns wissen inzwischen mehr über die Finessen ihres Handys als über das Wachsen einer Balkonpflanze, geschweige denn das Leben unserer Vorfahren und ihren Umgang mit der Natur. Dabei sind diese Stätten die ältesten sichtbaren Spuren unserer Kultur. Unsere Ahnen brachten in diesen architektonischen Formen ihre Verbindung zum Kosmos und zu den Urgründen des Seins zum Ausdruck. Es gibt Bestrebungen, diese Sicht der Dinge wiederaufleben zu lassen. Warum? Weil, so diese Annahme, nur im Zusammenspiel mit der Natur und ihren Gesetzmäßigkeiten individuelles Glück, soziale Gerechtigkeit und das Überleben der Menschheit möglich sei. Ob und wie über 5000 Jahre später, nach Aufklärung, industrieller Revolution, Raumfahrt und Informationstechnologie, das Weltbild unserer Ahnen unseres bereichern kann, muss sich zeigen.

Diese Orte galten einst als heilig, als Durchgänge zur Anderswelt, die, entgegen aller heutigen Vermutungen, ebenso den Naturgesetzen gehorchte. Nur sind diese Gesetze noch kaum mit modernen Mitteln erforscht, was nicht zuletzt an der modernen Wissenschaft liegt, die auf Subjekt-Objekt-Spaltungen besteht. Damals wurden mit dieser Architektur nicht nur die Toten, die Sonne und die Gestirne geehrt. Zusammen mit den ersten Wohnbauten können diese Konstrukte ebenso als erste große Zähmung von Natur interpretiert werden. Es ist eine bis heute unbeantwortete Frage, ob in der Technik selbst oder nur in dem übersteigerten Gestaltungswillen des Menschen, die ambivalente, eben auch elendsbringende Kraft technischer Errungenschaften liegt. So oder so: Wir leben heute in einer komplett technisch verfassten Gesellschaft.

Wir irren über die Feldwege, eine riesige Kiesgrube irritiert, kein Dolmen in Sicht. Da, unerwartet auf einem frisch mit massenweise Pferdescheisse gedüngten Acker, da steht er. Na, das ist schon ein anderes Kaliber, ein gelandetes Raumschiff. Wir waten durch das größte Scheißefeld, das wir jemals betreten haben, und werden mit einem klassischen Hünengrab belohnt. Vier fette Säulen und ein riesiger Dachstein. Verschrobener Granit, Flechten, etwas saftiges Moos auf der Nordseite, der Eingang Richtung aufgehende Sonne. Ein Holunderbusch wächst aus dem Inneren hervor, eine fette Kröte hüpft beiseite als ich unter den Stein linse. Wir ahnen, hier müssen wir sauber zelebrieren. Die Räucherkegel werden gezückt. Ich geselle mich mit einer Räucherschale hinzu. Ein Zunderpilz aus den Alpen glimmt, Weihrauch, Myrrhe und Palo Santo von einem Ayahuasca-Schamanen der Shipibo-Conibo duften. Alles reinstellen in die Höhle. Wir kriechen unter den Stein, ein Meter Platz nur, aber genug für eine Leiche. Wir schmiegen uns an die Steinplatte, tänzeln um das Objekt, der Dolmen qualmt und verbreitet köstliche Gerüche, ein Heidenspaß. Besonders spirituell fühlen wir uns nicht, aber gut aufgehoben, irgendwie beschützt. Kein Spielverderber könnte uns jetzt den Kontakt zur Urnatur versauen.

Die Form wirkt wie vom Bildhauer Henry Moore geschaffen. Das Bundeskanzleramt für Druiden. Standorte verschaffen ständig Perspektivverschiebungen. Ein Greifvogel schwebt über uns. Ich stelle mir vor, wie pikant so ein Dolmen als Garage für meinen Opel-Corsa aussehen würde. Aber hinfort, ihr blasphemischen Gedanken. Ein Abgang mit zweitem Fazit: Der dicke Dolmen ist überraschungsresistent. Sinnieren ohne Reue.

Überall im europäischen Raum erfüllen die Megalithen (gr. große Steine) die Sehnsucht nach Authentizität und Dauerhaftigkeit. Der äußeren scheint oft eine innere Archäologie folgen zu wollen. Es ist wenig bekannt über ihre Erbauer, ihnen heute Handlungsstränge und Ritualformen zuzuweisen ist daher problematisch. In Norddeutschland gehören die Großsteingräber zur Hinterlassenschaft der sogenannten Trichterbecherkultur, benannt nach der typischen Form ihrer Tongefäße. Die Bevölkerung begann in der Jungsteinzeit ab 3500 v.Chr. auch bei uns, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Damit beendeten sie den ältesten und längsten Abschnitt der Menschheitsgeschichte, die Zeit der Jäger- und Sammlerkulturen, und führten die sesshafte Lebensweise ein.

Ein Grabhügel, ein Dolmen, jetzt fehlt nur noch ein Langgrab, sagen wir, und fahren Richtung Negernbötel. Der Ort heißt tatsächlich so, er liegt sieben Kilometer nordwestlich von Bad Segeberg. Nachdem wir freudig aus dem Wagen springen, erleben wir, was Zivilisation aus den ehemals so schönen Friedhöfen und Kultstätten machen kann. Die ursprünglich als länglich aufgeschüttete Hügel geformten Megalithgräber sind stark zerstört. Früher mitten im Wald und am Flußufer der Faulen Trave gelegen, ist von dem Zauber wenig übrig. Ein Schweinegülleproduzent in der Nähe verbreitet einen unfassbaren Gestank, eine Zufahrtsstraße zerteilt ein früher über 100 Meter langes Grab in zwei Teile. Enttäuschung macht sich breit. Egal, wir ehren auch diesen Platz durch Abgehen seiner Dimensionen und erfreuen uns an den moosbewachsenen, uralten Steinformationen. Wer zuviel Zeit hat, beschließen wir, der sollte mal einen Brief an die Gemeindeverwaltung von Negernbötel schreiben, schließlich ist dieser Steinzeit-Tempel ihre einzige touristische Attraktion. Rückfahrt und drittes Fazit: Jenseits psychischer Projektionen (die dunklen Regenwolken kommen, weil ich mich schlecht benommen habe) und Reisen in inneren Welten scheint, so unsere Vermutung, an diesen Orten eine Art tieferer Wahrheit zu liegen, die von ganz verschiedenen Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturkreisen ganz ähnlich erlebt werden kann.

Wir, so nehmen wir an, sind jedenfalls städtisch fast zu verkorkst, als das wir von den feinstofflichen Potentialen vor Ort allzuviel bemerken. Auf der anderen Seite lässt sich die altertümliche Schönheit, die Ruhe und Kraft, die von ihnen auszugeht, nicht leugnen.

Literatur:

Der Fotograf Johannes Groth hat einen prächtig bebilderten Band zu den schönsten Grabstätten in Norddeutschland veröffentlicht. Daraus stammen auch die von uns besuchten Dolmen und Gräber.

Johannes Groht:
Tempel der Ahnen
Megalithbauten in Norddeutschland
AT-Verlag 2005

 

Weiterführender Link:

http://www.stonepages.de/

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Gesundheitssystem Psychoaktive Substanzen Psychopharmakologie

Vor zehn Jahren kam das Potenzmittel Viagra auf den Markt

Welt am Sonntag v. 25. März 2008

Dem Manne kann geholfen werden

Vor zehn Jahren kam das Potenzmittel Viagra auf den Markt

Jörg Auf dem Hövel
(in der Welt am Sonntag erschien eine gekürzte Version. Am Ende des Beitrags habe ich einen Leserbrief von Günther Steinmetz von der Selbsthilfegruppe Erektile Dysfunktion angefügt)

Das Medikament wurde schnell zur erfolgreichen Stütze für den unter Erektionsstörungen leidenden Mann und geriet zugleich in den Ruf einer Lifestyle-Droge. Ein Jahrzehnt später ist die große Aufregung zwar vorbei, Wirkstoffe für den unbeschwerten Sex haben aber weiterhin Konjunktur.

Jack Nicholson soll gesagt haben: „Viagra? Das nehme ich nur, wenn ich mit mehr als einer Frau zusammen bin.“ Dies beschreibt die Vor- und Nachteile der Potenzpille recht gut, denn Männern mit Erektionsstörungen hilft sie dabei den Schwellkörper zu aktivieren – Männer ohne solche Probleme beschreiben das Phänomen des nicht nachlassende Dauerhochs als eher lästig. Vor zehn Jahren kam Viagra auf den Markt. Es folgte eine pharmakologisch-sexuelle Revolution, wie es sie seit der empfängnisverhütenden „Pille“ nicht mehr gegeben hatte.

Die Angst vor Impotenz bringt Männer seit jeher um den Schlaf, gilt Sex doch als Kit oder gar Grundlage jeder Beziehung. Mit Viagra scheinen sich solche Probleme erledigt zu haben. Das Medikament soll in manches erschlaffte Verhältnis die Spannung zurück bringen. Das zeigt schon der Verkaufserfolg. Im April 1998 kam das Mittel in den USA auf den Markt, innerhalb der nächsten vier Wochen unterschrieben Ärzte mehr als 300.000 Viagra-Rezepte. Schnell entwickelte sich die Arznei zum sogenannten „Blockbuster“, einem jener Medikamente, die mehr als eine Milliarde Dollar im Jahr umsetzen. In der Dekade seit der Einführung 1998 haben sich mehr als 30 Millionen Menschen in 120 Ländern Viagra verschreiben lassen. Millionen haben es sich über das Internet oder auf dem Schwarzmarkt besorgt.

Ein Milliardengeschäft für den Hersteller, den Pharma-Konzern Pfizer, der das Patent auf den Viagra-Wirkstoff Sildenafil bis 2011 besitzt. Denn obwohl sich die ganz große Aufregung um Viagra gelegt hat, wächst der Markt für die Firma weiterhin. 2007 gab das Unternehmen an, im vorangegangen Jahr weltweit blaue Pillen im Wert von 1,7 Milliarden Dollar verkauft zu haben. Sechs Prozent mehr als im Vorjahr. Viagra schien von Anfang an das Bedürfnis eines riesigen Marktes zu befriedigen, Pfizers Mitbewerber wollten partizipieren. Wer über Viagra spricht muss daher heute auch über Cialis reden. Eli Lilly brachte 2003 ebenfalls ein Erektionshelfer in die Apotheken. Wie Viagra wirkt auch Cialis als PDE-5 Hemmer. Das Enzym PDE-5 ist dafür verantwortlich, dass eine Erektion wieder abgebaut wird. Durch die Hemmung von PDE-5 kommt das männliche Glied daher bei einer sexuellen Stimulation leichter in Wallung. Und: Dieser Zustand hält auch länger an. 2006, so Lilly, nahm man mit dem Cialis 971 Millionen Dollar ein. Mit Levitra, einem Gemeinschaftsprodukt von Bayer und GlaxoSmithKline, ist ein weiteres Erektionsmedikament auf dem Markt. Die Konzerne wollten ebenfalls Blockbuster-Spitzenumsätze generieren. Man setzte weltweit 2004 aber nur 200 Millionen Euro um.

Obwohl immer von Viagra die Rede ist, führt im deutschen Erektionsmarkt Cialis vor Viagra und Levitra. Dies liegt vor allem an der längeren Wirkungsdauer von Cialis, das den Mann bis zu 36 Stunden lang in Bereitschaft hält. Insgesamt, so der der Pharma-Dienst IMS Health, wurden 2007 rund zwei Millionen Packungen der Erektionshelfer in deutschen Apotheken verkauft, der Umsatz betrug knapp 117 Millionen Euro. Die Marktanalysten mokieren sich über den seit ein paar Jahren stagnierenden Markt.

Ikonen

Hat Viagra die Welt verändert? Gestützt durch eine massive Werbekampagne herrschte in den ersten Jahren nach Einführung von Viagra ein medialer Rummel um die Substanz. Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Bob Dole warb für Viagra, andere Prominente stellten sich ihm an die Seite, Playboy-Urgestein Hugh Hefner sprach von einem Lebenselixier. Morgan Stanley prophezeite einen Umsatz von 2,6 Milliarden Dollar in 2000, Gruntal & Company gingen noch weiter, die Börsenexperten sprachen von 4,5 Milliarden Dollar in 2004. Die Welt war für kurze Zeit im Viagra-Fieber. Impotenz war plötzlich aus der gesellschaftlichen Schattenecke heraus geholt. Potenzprobleme, vor allem aber ihre schnelle Beseitigung, waren probates Party-Gespräch. Zwar sprach sich schnell herum, dass das Medikament nicht luststeigernd war, sondern nur eine eh schon vorhandene Libido in harte Fakten umsetzen kann. Aber das schien den meisten Männern zunächst egal. Denn, so die einfach- funktionale Schlussfolgerung, steht erst einmal der Kolben ergibt sich der Rest wie von selbst.

Nicht alle waren begeistert. Einige Krankenversicherungen weigerten sich umgehend, die Kosten für eine Viagra-Behandlung zu übernehmen. Man mutmaßte, dass hier nur Männer im besten alten ihren Spaß haben wollten ohne wirklich unter erektiler Dysfunktion zu leiden. Die auf den Plan gerufenen Kulturkritiker wiesen auf Krankheitserfindung und das Problem hin, dass ein Medikament zur Lifestyle-Droge werden könne. Aber zu spät, Viagra war bereits in die Kultur eingedrungen. Die Auswirkung des Viagra-Hypes lassen sich bis heute nicht zuletzt daran ablesen, dass eine ganze Spam-Generation auf den Durchblutungs-Versprechungen basiert. Jeder hat schon einmal Mails mit Verhärtungsversprechungen erhalten. Auch dieser Text musste aus dem Spam-Ordner der Redaktion gefischt werden. Die Substanz ist innerhalb des letzten Jahrzehnts zum weltweit bekannteste Medikament geworden. Es ist aber nicht das am häufigsten verkaufte. Zum Vergleich: In den USA werden Potenzmittel jährlich an die 20 Millionen mal verschrieben, Knochenschwundmittel schon 40 Millionen mal und Antidepressiva über 100 Millionen mal.

Gleichwohl verändert Viagra die Verhaltensmuster der Gesellschaft. Durch das Arzneimittel gestärkt fühlen sich manche Männer berufen ihren zweiten Frühling einzuläuten, jüngere Frauen sind dann das Ziel des Begehrs. Das pharmazeutisch induzierte Selbstbewusstsein führt zu geschürter Krisenstimmung in der Ehe oder gar zu Untreue. So wird berichtet, dass es in den USA immer wieder zu Scheidungen kommen soll, weil graumelierte Herren sich durch Viagra noch einmal zu höherem berufen fühlen. In Floridas Altersheimen sollen Geschlechtskrankheiten zugenommen haben, weil rüstige Rentner sich nach Viagra-Konsum mit Prostituierten vergnügen.

Nach einer Studie der Universität Köln haben in Deutschland vier bis fünf Millionen Männer Probleme mit der Erektion. Warum bleibt oft unklar. Einige Ärzte sehen eher organische Ursachen, andere verweisen auf psychologische Hintergründe. Dabei ist es wahrscheinlich wie so oft: Richtig eingesetzt kann Viagra oder eine anderes Liebesmittel die sexuelle Beziehung eines Langzeitpaares durchaus stimulieren; eine schlechte Ehe wird es indes nicht retten können. In anderer Hinsicht hat Viagra sicher dafür gesorgt, dass Männer das Gefühl haben immer und überall können zu müssen.

Es wurde angenommen, dass der demographischer Wandel den Markt für Potenzmittel weiter beflügeln wird. Noch steht aber nicht fest, ob die Generation 60 Plus ein ausgewiesenes Interesse an der Beibehaltung oder Wiederbelebung ihrer sexuellen Aktivität hat. Viele ältere Paare sind mit penetrationslosen Zärtlichkeiten durchaus zufrieden. Weiterhin ist unklar, welche zukünftige Rolle Viagra & Co. als Lifestyle-Droge bei den unter 50-Jährigen spielen werden. Zum einen sind Potenzpillen fast überall verschreibungspflichtig, zum anderen muss der Patient sie aus eigener Tasche bezahlen, denn die Krankenkassen übernehmen die Kosten nicht. Mit der Gesundheitsreform vom Januar 2004 hat der Gesetzgeber festgelegt, dass Medikamente zur Behandlung von Erektionsstörungen nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden dürfen. Manche Ärzte behaupten gegenüber ihren Patienten, dass auch die Diagnostik der ED nicht mehr von der Krankenversicherung übernommen wird. Dies ist allerdings nicht richtig.

Für den gesunden Mann ändert sich im praktischen Liebesverkehr wenig, er weiß, dass dessen Qualität nicht in Härtegraden gemessen werden sollte. Oder, wie der amerikanische Sexualpsychologe Michael A. Perelman es einmal ausdrückte: „Ob man nun einen vollen Tank oder nur einen halb vollen Tank hat – das Auto fährt gleich gut.“

 

Wie Viagra & Co. wirken

Die für eine Erektion nötige Blutzufuhr in den Penis wird durch kleine Muskeln gesteuert. Im nicht erigierten Zustand sind diese Muskeln angespannt und verschließen die Blutgefäße des männlichen Schwellkörpers. Eine sexuelle Stimulation führt beim Mann innerhalb dieser Muskelzellen zur Ausschüttung einer chemischer Substanz mit der Abkürzung cGMP (cyklisches Guanosinmonophosphat). Dadurch entspannt sich der Muskel, Blut fließt ein und das männliche Glied richtet sich auf. Damit dieser Zustand nicht ewig anhält muss das cGMP wieder abgebaut werden. Dies übernimmt eine Enzym mit Namen PDE-5 (Phosphodiesterase-5).

An dieser Stelle setzen Medikamente wie Viagra an. Sie hemmen den Abbauprozess, indem sie die Wirkung des Enzyms PDE-5 blockieren. Dies gelingt ihnen, in dem sie an das Enzym binden und dieses dadurch nicht mehr zur Aufspaltung an cGMP andocken kann. Das Ergebnis: In den Zellen steht mehr muskelentspannende Substanz zur Verfügung, dadurch fließt mehr Blut in den Schwellkörper ein. Alle drei der zugelassenen Arzneimittel gegen krankhafte Erektionsstörungen (so genannte „erektile Dysfunktion“) wirken auf diese Weise. Die Krankheit beschreibt die Unfähigkeit, über lange Zeiträume hinweg trotz sexueller Erregung eine Erektion zu bekommen. Oft sind die Ursachen organischer Natur, Lecks in den Schwellkörpern können ebenso dafür verantwortlich sein wie Verkalkung der Blutgefäße.

Die Geschichte der Potenzmittel auf Basis der Hemmung des Enzyms PDE-5 beginnt 1985. In den Forschungslabors der Firma Pfizer im britischen Sandwich war man auf der Suche nach einem neuen Wirkstoff für die Behandlung von Brustengegefühl (Angina Pectoris) und der damit zusammen hängenden Herz-Durchblutungsstörung. Nach vielen Versuchen synthetisierte man eine Substanz, die sehr zielgerichtet PDE-5 blockierte und nannte sie Sildenafil. Die Halbwertszeit im menschlichen Körper war mit vier Stunden allerdings zu gering, um als Mittel gegen Angina Pectoris eingesetzt zu werden, zudem waren die durchblutungsfördernden Eigenschaften nicht so ausgeprägt wie erhofft. Einige der Testpersonen berichteten allerdings von einer starken Nebenwirkung: Sie hatten schon nach geringfügigen erotischen Reizen eine Erektion bekommen. Analysen ergaben, dass PDE-5 vor allem im Penisschwellkörper des Mannes vorkommt und Sildenafil daher in erster Linie hier wirkt. Die Marketingabteilung schlug den Namen „Viagra“ vor, das Potenzmittel des neuen Jahrhunderts war gefunden. Bis dahin beruhte die Behandlung der organischen Impotenz auf umstrittenen Naturmitteln oder dem Einsatz von Implantaten und Vakuumpumpen.

Die pharmakologische PDE-5-Hemmung ist so effektiv und mit relativ wenigen Nebenwirkungen verbunden, dass nach der Jahrtausendwende zwei weitere Medikamente auf den Markt kommen: 2002 zunächst Cialis mit dem Wirkstoff Tadalafil, 2003 Levitra mit dem Wirkstoff Vardenafil. Wie die Wirkstoffbezeichnungen schon andeuten ist die chemische Struktur der Medikamente ähnlich. Sie alle blockieren PDE-5, wirken aber unterschiedlich lang. Über weitergehende Unterschiede wie beispielsweise dem Härtegrad der Erektion herrscht Uneinigkeit. Viele der wissenschaftlichen Studien werden durch einen der drei Hersteller finanziert.

Levitra ist für den eiligen Patienten geeignet. Es wirkt bereits nach 40 Minuten, eine Studie unter Alltagsbedingungen will sogar eine Anfluten innerhalb von 10 Minuten bei einigen Männern nachgewiesen haben. Viagra-Nutzer brauchen mit rund einer Stunde etwas länger, dafür soll anekdotischen Berichten zufolge die Erektion auch kräftiger ausfallen als bei den anderen Mitteln. Cialis benötigt zwar etwas mehr Zeit bei der Entfaltung im Körper des Mannes, wirkt dafür aber länger. Während die gedeihliche Wirkung bei Viagra vier bis sechs Stunden und bei Levitra acht bis 12 Stunden anhält, kann sie bei Cialis bis zu 36 Stunden betragen. Aus diesem Grund ist das Arzneimittel in Deutschland mittlerweile beliebter als Viagra. Morgens genommen besteht den ganzen Tag die Möglichkeit zum Koitus, dosisabhängig sogar noch am nächsten Morgen.

 


Online-Leserbrieg v. 28.03.2008 von Günther Steinmetz von der Selbsthilfegruppe Erektile Dysfunktion:

Dieser Artikel hebt sich wohltuend von vielen Artikeln ab, die am 27.3. in fast allen Tageszeitungen zu lesen waren. Inhaltlich fehlt mir, dass zu wenig darauf eingegangen wird, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Viagra und Co. einem Paar wieder zu einer erfüllten Sexualität
verhelfen können. Kurz gesagt, geht es dabei um folgende Punkte:

1. Die Medikamente müssen wirken, was längst nicht bei allen Männern der Fall ist. Besonders nach Operationen im kleinen Becken ist die Erfolgsrate gering.
2. Es dürfen keine Kontraindikationen vorliegen. Das ist allerdings entgegen der weitverbreiteten Meinung, dass Viagra für alle Herz-Kreislauf-Patienten gefährlich ist, nur selten der Fall.
3. Die Nebenwirkungen müssen erträglich sein. Zum Glück lassen oft die Nebenwirkungen nach mehrmaliger Einnahme nach.
4. „Mann“ hat sich über die Voraussetzungen für die Wirkung dieser Medikamente informiert. Bei der Einnahme kann man einige Fehler machen: zu kurze Zeit zwischen Einnahme und Beginn der sexuellen Aktivität, ein vorangegangenes fettreiches Essen (nur bei Viagra und Levitra), fehlende oder unzureichende sexuelle Stimulierung, zu geringe Dosis. Oft führen auch die ersten Versuchen zu keinem Erfolg, weil die ersten Tests auch viel Stress und Angst erzeugen können.
5. Die Partnerin muss damit einverstanden sein, was längst nicht immer der Fall ist. Der heimliche Einsatz dieser Mittel ist besonders konfliktträchtig: er wird irgendwann einmal auffliegen und dann mit Recht von der Partnerin als Vertrauensbruch aufgefasst.
6. „Mann“ kann sich diese Medikamente auch finanziell leisten

Für alle Männer, für die Viagra und Co. nicht in Frage kommen, gibt es aber auch noch andere Möglichkeiten. Manchmal ist die Einnahme von Viagra auch mit der Hoffnung verbunden, dass damit die Beziehung wieder aufblüht. Das ist in aller Regel ein Trugschluss, ein Medikament kann keine Beziehung beleben.

Günther Steinmetz
Selbsthilfegruppe Erektile Dysfunktion (Impotenz)

 


 

 

 

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Rezensionen

Rezension Jens Förster: Kleine Einführung in das Schubladendenken

HanfBlatt Nr. 113, März 2008

Schubladendenken

Mädchen rechnen schlechter als Jungen und Blondinen sind blöd. Das sind reine Vorurteile, aber sie wirken seit Jahren. Der Sozialpsychologe Jens Förster hat untersucht, wie solche Vorurteile unser Leben beeinflussen. Das Buch ist eine kleine Sensation: Anekdoten mischen sich mit wissenschaftlichen Fakten, Witze leiten über zu komplexen Analysen. Jeder kann sich angesprochen und ertappt fühlen. Das allzu menschliche wird gefeiert, beweint, auseinander genommen und wieder zusammengesetzt. Gleichzeitig kommt Förster nie oberlehrerhaft daher, vielmehr stellt er sich dem Leser – ausweislich seiner Biografie, beispielsweise singt der Professor nebenbei am Weimarer Nationaltheater – als gänzlich unprätentiösen Zeitgenossen an die Seite.
Vorurteile sind ein so umfassendes Phänomen, dass sie irgendeinen Sinn haben müssen. Förster fasst die Forschung zusammen und sagt: ohne Vorurteile können wir die Welt gar nicht erfassen und wir könnten uns selbst nicht als Mensch definieren. Warum? Weil wir die Welt sekundenschnell begreifen müssen, dabei helfen uns grobe Kategorisierungen. Ein Schwuler? Der hat Geschmack!

„Ein Vorurteil ist ein Urteil auf Grund einer vorgefertigten Einstellung gegenüber Mitgliedern einer Gruppe, die man nicht genügend kennt“, definiert Förster. Derartige Schubladen erlauben es, sich von bestimmten Gruppen abzugrenzen und damit eine eigene Identität zu entwickeln. Die Kehrseite der Medaille: Vorurteile begünstigen diskriminierendes Verhalten und neigen dazu, sich selbst zu bestätigen. Wenn beispielsweise Lehrer vorab die Information erhalten, dass Dieter klug und Elke dumm ist, wird Dieter plötzlich zu einem guten Schüler und Dieter bekommt schlechtere Noten – auch wenn es eigentlich Elke ist, die mehr auf dem Kasten hat. Fazit: Trotz der vielen Alltagsbezüge und munteren Sprache kein Buch, das man in einem Rutsch begreift. Aber die Mühe des zweimaligen Lesens lohnt sich.

Jens Förster: Kleine Einführung in das Schubladendenken. Über Nutzen und Nachteil des Vorurteils.
Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
2. Auflage, München 2007, DVA
ISBN-10: 3421042543
EUR 16,95

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Rezensionen

Thomas L. Friedman will beschreiben, wie sich der Westen auf die Globalisierung einstellen muss

Achtung, Flachland!

Thomas L. Friedman will beschreiben, wie sich der Westen auf die Globalisierung einstellen muss

Über ein Jahr lang stand ein Werk von Thomas L. Friedman auf der Bestsellerliste der New York Times, es wurde in 25 Sprachen übersetzt, jetzt ist es auf deutsch erschienen: „Die Welt ist flach. Eine kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts.“ Die These: Durch die Kommunikationstechnologien ist die Welt eine Scheibe geworden, auf der heute jeder Mensch und jedes Unternehmen zu gleichen Bedingungen agieren kann. Die Frage sei nur, wer preiswerter ist. Friedman unterfüttert seine Beobachtung von der Einebnung der Weltwirtschaft mit zahlreichen Beispielen und Anekdoten, allesamt flüssig zu lesen, ein Plauderton durchzieht das Werk.

Für eine ganze Reihe von in diesem Jahr veröffentlichten Büchern ist die Rezeptvorlage folgende: Zunächst etwas Globalisierungsgemüse in ungeklärter Effektbutter anschwitzen, dann mit 20 Seiten Expertenbrühe anreichern. In diesem Saft das gut abgehangene Wesen eines menschlichen Individuums bei lauer Temperatur auf seinen ökonomische Zusammenhänge reduzieren. Schon während des Kochens kräftig mit Prozessorkraftbrühe und Internetkraut würzen. Zum Abschluss einen Viertelliter Bildungsreformsahne zugeben und möglichst heiß servieren.

Sein Ruf als Kolumnist der New York Times und Pulitzer-Preisträger öffnete Friedman Türen zu Bill Gates, Colin Powell, Google, Wal-Mart, der japanischen DoCoMo und indischen Callcentern, die Anrufe aus den USA abarbeiten. Friedmans Mentor ist der indische Software-Millionär Nandan Nilekani, Infosys, der seit Jahren darauf hinweist, dass eine Revolution läuft, von der die Europäer nichts merken.

Denn tatsächlich: Alle Dienstleistungen, die nicht an einen Raum gebunden sind und online verschickt werden können, lassen sich überall auf der Welt ausführen. Englische Steuererklärungen werden so immer öfter in Bangalore, fMRI-Aufnahmen in Bombay analysiert. Indien und China sind in dieser Hinsicht die großen Herausforderungen für die USA und Europa. Seit Mitte der 90er Jahre stehen, zählt man die geöffneten lateinamerikanischen Märkte dazu, nicht nur 3 Milliarden neue Konsumenten, sondern auch 1,5 Milliarden arbeitswillige und teilweise hochqualifizierte Arbeitskräfte auf dem Weltmarkt.

Das alles ist so neu nicht und auch der notorische Optimismus der Autoren jenseits des Atlantiks ist bekannt. So wurde Friedman schon als „Cheerleader der Globalisierung“ bezeichnet. Interessanter ist das gewagte Manöver, das er, ausgehend von seinen vielfältigen Beobachtungen in allen Teilen der Welt (sieht man mal vom afrikanischen Kontinent ab), vollführt, um zu einer These zu gelangen, die höchst umstritten ist: Der Globalisierung ist mit Optimismus zu begegnen, denn sie bringt Wachstum, persönliche Freiheit, sie überwindet Armut und Krieg.

Wer von Globalisierung spricht, so viel sollte auch Friedman klar sein, ohne religiöse Phänomene und aufkeimenden Nationalismus zu erwähnen, der hat das Thema verfehlt. Interessanter als die Litaneien vom Ende des Sozialstaats wäre es, wenn Friedman das Konfliktpotential zumindest erwähnen würden, das im Aufstieg von China und Indien zu Großmächten des 21. Jahrhunderts liegt. Vielleicht wird die Welt flacher, aber wird sie damit automatisch friedlicher?

Aber Friedman ergeht sich lieber im Voraussagen einer rosigen Zukunft: „Wenn Indien und China sich weiterhin in Richtung freie Marktwirtschaft bewegen, wird die Welt nicht nur flacher, sondern meiner Überzeugung nach auch wohlhabender werden denn je.“

Die Kur für den maladen Westen hat Friedman ebenfalls parat: Zum einen muss „horizontales Denken“ geübt werden, was nichts anderes als die Wiederaufnahme des Slogans von den „flachen Hierarchien“ ist. So beginnt er auf S. 261: „Angenommen, ich bin als General im Irak eingesetzt und wünsche mir bessere Echtzeit-Aufklärung über Kampfvorgänge.“ Friedman hat keine Berührungsängste und legt den Militärs horizontal geeichte Handlungsoptionen zu Drohnensteuerung ans Herz.
Zum anderen müsse die Jugend durch bessere Bildung fit für den Kampf um globale Marktanteile gemacht werden. Anders formuliert: Sie muss sich stromlinienförmig in die Wertschöpfungskette einreihen.

Nur selten schimmert in dem Buch eine Idee vom Leben abseits ökonomischer Zwänge durch, beispielsweise, wenn er den ehemaligen IBM-Mitarbeiter John Swainson zitiert, der den Kontakt zur Open-Source Gruppe herstellte, die in den 90er Jahren den Apache Web-Server entwickelten. „An Geld waren die Leute von Apache nicht interessiert“, wunderte sich Swainson, „sie wollten den bestmöglichen Beitrag zu ihrem Projekt“.

Friedman hält sich lieber an Bill Gates, den er ein paar Seiten später zitiert: „Eine Bewegung, die den Standpunkt vertritt, Innovationen sollten keinen ökonomischen Gewinn abwerfen dürfen, steht im Widerspruch zur Entwicklung der Welt.“ Friedman umgeht durch das Buch hinweg die Beantwortung der Anschlussfrage: Von welcher Welt reden wir? Eine Antwort kann sein: Es ist eine Welt des Fressen oder gefressen werden.

Das alles soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Friedmans Beschreibung globaler Wirtschaftsphänomene wichtige Ansatzpunkte für die Diskussion liefert, wohin die Globalisierung führen kann. Bislang aber, und das will Friedman nicht sehen, sind vor allem die global agierenden Konzerne die Gewinner dieses Spiels mit Umweltressourcen und Arbeitskräften. Dass die sogenannten Entwicklungsländer über die Globalisierung am Reichtum des Westens partizipieren ist richtig. Die offene Frage ist aber, ob durch Globalisierung nicht nur der Wunsch, sondern auch die Möglichkeit einer gerechteren Verteilung von Reichtum entsteht.

Thomas L. Friedman: Die Welt ist flach
Eine kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts
720 Seiten, Gebunden
Suhrkamp Verlag
Euro 26,80

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Drogenpolitik Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Hans Cousto von Eve & Rave

 

HanfBlatt

TECHNO, TANZEN, TÖRNEN, FICKEN – WEGBEREITER DER EKSTASE

Ein Interview mit dem Mathematiker, Musiker („Die kosmische Oktave“) und vor allem Eve & Rave-Urgestein Hans Cousto

Hanfblatt: Seit wann gibt es Eve&Rave?

Hans Cousto:  Im Sommer 1994 entwickelten ein paar Raver in Berlin die

Idee von Eve & Rave. Auf wöchentlichen Treffen wurde das Konzept

entwickelt. Am 27. September 1994 wurde das Konzept und die

„Party-Drogen-Broschüre – Safer Use“ im Rahmen einer Pressekonferenz im

E-Werk in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt. Am 12. Oktober 1994

wurde der Verein Eve & Rave zur Förderung der Party- und Technokultur

und zur Minderung der Drogenproblematik offiziell gegründet.

 

Hanfblatt: Wie finanziert sich der Verein?

 

Hans Cousto:  Vor allem sind zwei Einnahmequellen zur Finanzierung der

Arbeit von Eve & Rave zu nennen: Beiträge der Mitglieder (Schüler und

Studenten DM 5.- pro Monat. Erwerbstätige DM 10.- pro Monat) und

Spenden (Eve & Rave Verein, Kto. Nr. 5809907009, Berliner Volksbank,

BLZ 10090000). Die Arbeit der Mitglieder von Eve & Rave Berlin ist nach wie

vor ausschliesslich ehrenamtlich. Dies gilt auch, von ganz wenigen

Ausnahmen abgesehen, für alle Eve & Rave Vereine.

 

Hanfblatt: Was kann man bei Eve&Rave machen?

 

Hans Cousto:  Die Augabenbereiche sind vielfältig. Das Organisieren,

Aufbauen und Betreuen von Informationsständen an Parties wie auch das

Planen und Durchführen von Fortbildungskursen für Mitarbeiter und

Szenemultiplikatoren sind zentrale Aufgabenbereiche bei Eve & Rave.

Hinzu kommt das Erstellen von Informationsmaterialien, die Gestaltung

von Internetseiten, die Bearbeitung der Post und E-mails und das

Veranstalten von Parties.

 

Hanfblatt: Und seit wann bist du dabei?

 

Hans Cousto: Ich bin Gründungsmitglied von Eve & Rave.

 

Hanfblatt: Wie bist du als menschliches Wesen Hans Cousto dazu gekommen, dich

ausgerechnet drogenpolitisch zu engagieren, in den trüben Ozean der

Drogenpolitik zu tauchen, und dann auch noch von der Seite aus, die die

Verhältnisse nicht gerade im Sinne der herrschenden Meinung betrachtet, und

von daher mit staatlichen finanziellen Segnungen zu rechnen hätte?

 

Hans Cousto: Prinzipell: Ob ich Haschisch rauche oder nicht, ob ich Zauberpilze esse

oder nicht oder ob ich LSD geniesse oder nicht, diese

Entscheidung will ich frei nach eigener Überzeung treffen. Diese

Entscheidung betrifft nur mich. Sie betrifft grundsätzlich keinen

anderen Menschen. Diese Entscheidung treffe ich für mich nach

individual-ethischen Prinzipien auf Grund meiner Erfahrungen und

Erkenntnisse betreffend der Wirkungsweise dieser Substanzen.

Das Recht ist die verbindliche Ordnung des Verhaltens,

das der Einzelne gegenüber anderen äussert. Das Recht reguliert

menschliche Beziehungen. Mein Drogenkonsum betrifft nur mich.

Nur ein Verhalten, das die Rechtsgüter anderer Menschen oder einer ganzen Gruppe unmittelbar

beeinträchtigen könnte, kann strafwürdig sein.

Nur solange sich das im Gesetz verankerte Recht, insbesondere das Strafrecht,

auf die Regelung menschlicher Beziehungen nach Massgabe sozial-ethischer

Prinzipien beschränkt und nicht, wie das beim Betäubungsmittelgesetz der Fall ist,

die Gebote der individuellen Sphäre oder gar der individual-ethischen

Grundprinzipen tangiert, ist gewährleistet, dass die

praktizierte Gesetzestreue nicht unwürdig entartet, wie das Wüten des

Strafrechts in totalitären Staaten (der Stalinismus in der Sowjetunion,

der Volksgerichtshof im III. Reich, u.s.w.) oder das Wirken der Inquisition

der römisch-katholischen Kirche (Hexenverbrennungen, Bücherverbrennungen).

Also, erstens bin ich nicht bereit, die durch das heutige

Betäubungsmittelgesetz bedingten freiheitlichen Einschränkungen

individueller Lebensgestaltung zu tolerieren oder gar zu akzeptieren,

und zweitens sehe ich die freiheitlich-demokratische Grundordnung durch

das Betäubungsmittelgesetz gefährdet. Darum setze ich mich politisch für

eine grundlegende Änderung dieses Gesetzes ein.

Generell: Das Betäubungsmittelgesetz gibt vor, die individuelle als auch

die öffentliche Gesundheit zu schützen, wirkt sich aber in der Realität

als gesundheitsschädigend aus. Bezugnehmend auf das

Betäubungsmittelgesetz wurde z.B. bis in die 90er Jahre hinein die

Abgabe von sterilen Spritzen an Fixer be- und verhindert. Dies

begünstigte nicht nur den Gebrauch bereits verwendeter Spritzen, sondern

nötigte die Fixer zum gemeinsamen Gebrauch ihrer Sprtzen. Dadurch haben

sich Tausende mit HIV infiziert, sind Tausende an AIDS erkrankt und

Tausende in jungen Jahren verstorben.

Bezugnehmend auf das Betäubungsmittelgesetz wurde z.B. auch in vielen

Städten die Einrichtung von Fixerstuben verhindert, obwohl seit langem

bekannt ist, dass die Überlebenschancen nach einer Überdosierung in

einer Fixerstube bei weitem grösser sind als in einer Privatwohnung. In

Deutschland geschehen 70% der Todesfälle, zumeist durch eine

Atemdepression bedingt, in Wohnungen, dem gegenüber ist weder in

Deutschland noch in der Schweiz jemand nach einer Überdosierung in

einer Fixerstube verstorben, da dort beim Auftreten einer Atemdepression

rechtzeitig Hilfe geleistet werden kann. Auch hier haben die

drogenpolitischen Hardliner Menschenleben auf dem Gewissen.

Heute wird z.B. in Deutschland das Drug-Checking, die chemische Analyse

von auf dem Schwarzmarkt erhältlichen Drogen und die Veröffentlichung der

Testergebnisse, be- und verhindert, was die Vergiftungsgefahr von

Drogenkonsumenten erhöht. Allein diese drei Beispiele offenbaren

deutlich, dass das Betäubungsmittelgesetz von der Grundstruktur her

nicht geeignet ist, die individuelle als auch die öffentliche

Gesundheit zu schützen. Deshalb ist das Grundkonzept der

Betäubungsmittelpolitik zu überdenken und neu zu strukturieren.

Zum letzten Punkt betreffend der finanziellen staatlichen Segnungen sei

hier angemerkt, dass ich etliche Drogenberater, die ihren Lohn

von staatlichen Institutionen beziehen, kenne, die leider aus Angst ihren

Arbeitsplatz zu verlieren, nicht sagen was sie denken oder was ihrer

Erfahrung und Überzeugung entspricht, sondern sich in

selbstverräterischer Weise zu opportunistischen Formulierungen verleiten

lassen. Nicht zuletzt trübt eben dieser Opportunismus den Ozean der

Drogenpolitik!

 

 

Hanfblatt: Eve & Rave war ein Phänomen früher Technopartystunden, sozusagen der

intellektuelle Extrakt des Technofeierspirits zum Verein gefasst, die

Botschaft: Friede, Freude, Pillentesten (Drug-Checking). Du als Veteran der

Bewegung kannst sicher auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken. Wie hat

sich die Technoszene und ihr Genussmittelgenuss über die Jahre gewandelt und

wie veränderte sich Eve & Rave?

 

Hans Cousto: Vorweg: Ich gehe immer noch gerne feiern, liebe es nach wie vor

nächtelang zu tanzen und dabei mit anderen die ekstatischen Gefühle der

Lebenslust zu geniessen. Dies gelingt mir vor allem in kleineren Klubs,

die eher der alternativen Szene zuzurechnen sind, da sich hier auch

heute noch häufig Partyfamilies mit einer ausgeprägt reifen Partykultur

treffen. In grossen komerziellen Klubs – ich denke, dies gilt nicht nur für

Berlin – kann es einem jedoch leicht passieren, dass man zwischen

Tausenden von sich modisch präsentierenden Schaulustigen und TänzerInnen

so wenig wahrgenommen wird, dass man nicht selten auf dem Dancefloor

angerempelt wird und so auf äusserst unangenehme Weise aus der Ekstase

herausgerissen wird. Die merkantilistische Vereinnahmung grosser Teile

der Technoszene hat einen unübersehbaren kulturellen Flurschaden

hinterlassen, so dass viellerorts die Voraussetzungen für echtes

Partyfeiern nicht mehr gegeben sind, ja vielerorts ist die Kunst des

gemeinsamen Geniessens erschreckend schnell verwelkt und verdorrt.

Der Gebrauch psychoaktiver Genussmittel entwickelt sich von Szene zu

Szene sehr unterschiedlich. In bestimmten Kreisen wird sehr bewusst mit

den psychedelischen, die Seele erhellenden und ästhetischen, die

Sinneswahrnehmung betreffenden Wirkungen verschiedener Pflanzen und

synthetischer Substanzen experimentiert. Hier trifft man oft auf Leute,

die in subtiler Weise unterschiedliche psychoaktive Substanzen

miteinander kombinieren, so dass ein ausgewogenes Wirkungsprofil zur

Entfaltung kommen kann und die Genussfähigkeit beflügelt wird. In

anderen Kreisen hingegen werden vor allem die Drogen konsumiert, die in

den Massenmedien unter reisserischen Überschriften hochstilisiert

werden. Ecstasy – weil es einfach gemäss Medien dazugehört – und viel

Speed, Amphetamin, zum Durchhalten, in letzter Zeit auch immer mehr

Methamphetamin, da auf Grund der Gewöhnung normaler Speed kaum noch eine

Wirkung hervorrufen kann. Für das Ego werden dann noch ein paar Nasen

Kokain reingezogen, und da man auf Dauer ein solches Übermass an

Aufputschmitteln nicht mit Genuss aushalten kann, wird der entstandene

Frust mit reichlich Alkohol ertränkt. Auf dieses Gebrauchsmuster trifft

man vor allem in kommerziellen Klubs, wo die Schönlinge aus der

sogenannten „High Society“ sowie jene, die den Schein erwecken wollen,

sie gehörten auch dazu, verkehren.

Um der Verwahrlosung der Genusskultur bezüglich Drogen und Rausch in

gewissen Kreisen entgegenzuwirken, wäre es sinnvoll, in Schulen das Fach

Drogen- und Rauschkunde einzuführen. Hier sollte nicht nur ein

theoretischer Unterricht anvisiert werden, sondern auch den jungen

Menschen die Möglichkeit geboten werden, im Rahmen von professionell

geführten praktischen Übungen eigene Erfahrungen zu sammeln. Ein solcher

Unterricht wäre sicherlich für viele Menschen ein wertvoller Beitrag zum

Erlernen einer kompetenten Drogenmündigkeit. Da jedoch das

Betäubungsmittelgesetz in der heute rechtskräftigen Fassung einen

derartigen praktischen Unterricht verbietet, ist eine Änderung dieses

Gesetzes eine unabdingbare Notwendigkeit, um der Verwahrlosung der

Drogenkultur entgegenzuwirken.

Die Verbotspolitik vermochte weder die Verfügbarkeit bestimmter

Substanzen noch die Nachfrage nach denselben einzudämmen. Einige

Untersuchungen zeigten sogar, dass eine verstärkte Repressionspolitik

eine beschleunigte Verbreitung des Drogenkonsums nach sich zog. So haben

z.B. in der welschen Schweiz mehr Jugendliche und junge Erwachsene

Erfahrungen mit illegalisierten Drogen als in der deutschsprachigen

Schweiz, obwohl oder vielleicht gerade weil in der welschen Schweiz der

polizeiliche Verfolgungsdruck auf Drogenkonsumenten wesentlich grösser

ist als in der deutschsprachigen Schweiz.

Nun zu Eve & Rave: Nebst Förderung der Techno- und Partykultur sind

Aufklärung und Informationsvermittlung nach wie vor Leitmotiv der

Tätigkeit der Eve & Rave Vereine. Früher konzentrierte sich das

Betätigungsfeld hierfür vor allem auf Informationsstände an Parties,

heute gewinnt das Internet immer mehr an Gewicht in diesem Bereich.

Mehrere Eve & Rave Vereine betreuen eine Homepage, wobei die

Schwerpunkte der Inhalte sich unterschiedlich entwickelten. Eve & Rave

Schweiz konzentriert sich vor allem auf Drug-Checking (in der Schweiz

völlig legal) und Substanzinformationen (http://www.eve-rave.ch), Eve &

Rave Münster auf „safer use“ und Szeneinformationen

(http://www.eve-rave.de), Eve & Rave Berlin auf Technokultur,

Drogenrecht und Drogenpolitik (http://www.eve-rave.net). In Kassel

konzentriert man sich nach wie vor auf die vor Ort Arbeit in Klubs, die

Homepage von Eve & Rave Kassel ist im Aufbau (http://www.eve-rave.org).

Die Kölner sind noch nicht im Netz, dafür noch immer auf Parties

präsent. Das kulturelle und drogenpolitische Engagement wird durch die Vernetzung

mit anderen Vereinen wie Eclipse e.V Berlin und Projekten wie

Drug-Scouts in Leipzig, Alice in Frankfurt am Main oder dem

Party-Projekt in Bremen im bundesweit tätigen Sonics Netzwerk

koordiniert.

 

Hanfblatt: Siehst du Chancen, dass legales Drug-Checking einmal so selbstverständlich

werden wird wie Kiffen, Spritzentausch, Oktoberfest und Koksen auf dem

Reichstagsklo? Wohin wird und will sich Eve & Rave bewegen?

 

Hans Cousto: In den Niederlanden ist Drug-Checking schon lange so selbstverständlich

wie Spritzentausch. In der Schweiz hat ausser Eve & Rave auch die

Stiftung Contact in Bern mit dem Project-e (Drug-Checking an Parties mit

mobilen Labor vor Ort) positive Erfahrungen gemacht. In Österreich führt

der Verein Wiener Sozialprojekte mit dem Projekt Check-it mit grossem

Erfolg ebenfalls seit Jahren chemische Analysen von Partydrogen vor Ort

an Parties durch. Die Testresultate werden im Internet dokumentiert

(http://www.checkyourdrugs.at). Auch in Belgien ist ein grosses

Drug-Checking-Programm im Aufbau. Auf Dauer wird sich auch Deutschland

trotz seiner vornehmlich repressiv-konservativ ausgelegten Drogenpolitik

nicht mehr gegen vernünftige Lösungsansätze zur Schadensminimierung im

Umfeld der Drogenkonsumenten verschliessen können. Zum Leidwesen der

Betroffenen kommt in Deutschland die Einsicht des Gesetzgebers bezüglich

der Notwendigkeit einer Legalisierung vernünftiger Massnahmen in der

Drogenpolitik oft reichlich spät. Die Spritzenabgabe wurde erst 1992 und

die Fixerstuben erst 2000 legalisiert!

 

Hanfblatt: Was ist das Geheimnis von MDMA? Warum wird es allen Unkenrufen und

Horrormeldungen zum Trotz immer noch beliebter?

 

Hans Cousto: MDMA verstärkt das Auftreten wie auch das Empfinden von Gefühlen. Die

eigenen inneren Gefühle werden angeregt und stärker wahrgenommen. Darum

bezeichnet man MDMA auch als Entaktogen von griechisch en gleich innen und gen gleich

erzeugen und lateinisch tacto, ich fühle, ich empfinde. Des weiteren wird die

Wahrnehmung der Gefühle anderer Menschen ebenfalls angeregt. Darum

bezeichnet man MDMA auch als empathische Droge. In einer gefühlsarmen

rein leistungsorientierten Gesellschaft ist das Bedürfnis nach einer

Gefühlsdroge gross.

 

Hanfblatt: Gibt es neue psychedelische Highlights bei den JüngerInnen der Tanzkultur,

auf die man sich schon mal geistig-moralisch vorbereiten sollte?

 

Hans Cousto: Biogene Substanzen, also pflanzliche Stoffe, werden nicht nur in der

Technoszene immer beliebter. Der Garten der Natur ist reichhaltig und

vielfältig. Vor allem Zauberpilze, aber auch Ayahuasca, ein

Pflanzentrunk mit den Wirkstoffen Harmalin und DMT, werden heute von

weit mehr Leuten als psychoaktive Stimulans geschätz als dies vor ein

paar Jahren der Fall war. Zauberpilze und Ayahuasca wurden von Schamanen seit

alters her bei rituellen Zeremonien eingesetzt. Somit kann man hier auf eine lange

Tradition aufbauen, die es zu pflegen gilt und auf einen grossen

Erfahrungsschatz zurückgreifen, den es zu vermitteln gilt.

 

Hanfblatt: Wie geht man am besten an psychoaktive Substanzen heran, ein kurzer,

knackiger Tip vom Fachmann?

 

Hans Cousto: Erst informieren, dann konsumieren. Neue Substanzen nie alleine nehmen,

sondern nur in Begleitung von einem oder mehreren Menschen, zu denen man Vertrauen hat

und die bereits Erfahrungen mit dieser Substanz haben. Vor

dem Mischkonsum sollte man auf jeden Fall erst die Wirkungsweise der

einzelnen Substanzen gut kennen lernen.

 

Hanfblatt: Schon fast seit Anbeginn der Technobewegung wird behauptet,

Techno sei eigentlich schon lange tot. Wann ist Techno tot und was kommt

dann?

 

Hans Cousto: Derzeit ist Techno eine gelebte Kultur – und das geniesse ich. Ich kann

weder den „Tod“ von Techno voraussehen, noch kann ich sagen was danach

kommen wird.

 

Hanfblatt: Was haben Sex und Drogen und Tanzmusik miteinander am Hut?

Hat das was mit Leitkultur zu tun?

 

Hans Cousto: Ein Mantra ist ursprünglich eine magische Formel der Inder, die als

wirkungskräftig geltender Spruch durch ständige Wiederholung Erlösung

herbeiführt. Der englische Punk-Musiker Ian Dury setzte mit seinem Song

„Sex and Drugs and Rock’n’Roll“ ein ausgeprägt rhythmisch betontes

Mantra in die Welt, wobei er durch die stetige Wiederholung der Worte

„Sex and Drugs and Rock’n’Roll“ in einer eingängigen Melodie eine

magische Wirkung bewirkte, die so manchem neue Dimensionen des Glücks

ebnete. Über Jahre hinweg erinnerte ich mich immer wieder an diesen Song

und er ging mir oft minutenlang durch den Kopf. Im Wandel der

kulturellen Vorlieben prägte sich mir wie aus dem Nichts auf dem

Dancefloor ein neues Mantra ein, das im 4/4-Takt simultan zu Technomusik

über Stunden durch den Kopf kreisen kann:

Techno, Tanzen, Törnen, Ficken – Wegbereiter der Ekstase!

 

az

 

 

Lesetips:

H. Cousto: „Techno – Eine neue Kultur mit alten Traditionen. Vom Urkult

zur Kultur – Drogen und Techno“

2. erweiterte Fassung, Berlin 2000 (im Netz bei http://www.eve-rave.net)

1. Aufl., Nachtschatten Verlag, Solothurn 1995; ISBN 3-907080-10-6

H. Cousto: „Drug-Checking – Qualitative und quantitative Kontrolle von Ecstasy und anderen Substanzen“

Nachtschatten Verlag, Solothurn 1997; ISBN 3-907080-23-8

 

 

Adressen von Eve & Rave:

Berlin: Eve & Rave e.V. Berlin, Postfach 450519, D-12005 Berlin

(http://www.eve-rave.net)

Kassel: Eve & Rave e.V. Kassel c/o Beate Marx, Gottschalkstr. 31,

D-34127 Kassel

(http://www.eve-rave.org)

Köln: Eve & Rave NRW e.V. c/o Ralf Wischnewski, Postfach 250349, D-50519

Köln

Münster: Eve & Rave Münster, Schorlemerstr. 8, D-48143

(http://www.eve-rave.de)

Eve & Rave Schweiz, Kronengasse 11, Postfach 140, CH-4502 Solothurn

(http://www.eve-rave.ch)

 

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Mixed

Gastronomie-Tipp: Favorit Bar

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DIE WELT Kompakt Sanfte Anarchie Es wirkt, als ob die engagierten Maler vorzeitig das Weite suchten, weil sie nicht bezahlt wurden. Kein bemühter Chic, kein Kahnsinn, dafür Plaste&Elaste-Module, die eine Körperhaltung zwischen Sitzen und Liegen erzwingen. Egal, es gibt Knackig-kaltes Bier (und auch nicht viel mehr). Wochentags ist es mit einem Hauch Atelier-Atmosphäre sehr gediegen, am Wochenende palavert die gedrängte Menge oft noch lauter als die Musik spielt. Es ist dieser leichte Duft von Anarchie, der die Favoritbar zu einer Erscheinung im Münchener Nachtleben macht.

Wenn es auch anders aussieht, der Abriss steht nicht bevor. Das freut, denn hier ist das wohl angenehmste Asyl für alle Verweigerer von blonden Haarsträhnen und Arschgeweihen.
Leider drückt der Türsteher neuerdings sein Ego in den sanften Flow von Kommen und Gehen, aber das ist wohl nur eine Manöverübung für die Wiesn. Oder hat man etwa selbst hier noch nichts von „Selbstorganisation“ gehört?

Das musikalische Konzept jedenfalls ist traumsicher: Verwegene DJs pendeln zwischen 60er Garage-Punk und lecker Electro. Verlassen kann man sich dabei auf gar Nichts, aber es ist ja auch Feierabend.

 

Favoritbar
Damenstiftstraße 12
80331 München
Mo-So, 20.30 bis 2.00 h

 


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Rezensionen

Rezension Henrik Jungaberle/Peter Gasser/Jan Weinhold/Rolf Verres (Hrsg.) „Therapie mit psychoaktiven Substanzen. Praxis und Kritik der Psychotherapie mit LSD, Psilocybin und MDMA.

HanfBlatt Nr. 122

Psycholytische Therapie

Der Weg an die Pfründe von Staats-, Kranken- und Rentenkassen erfordert bürokratisches Engagement, einen Anstrich von wissenschaftlicher Seriosität, eine scheinbare Objektivierbarkeit der Ergebnisse mit dem zumindest langfristigen Versprechen relativer Kostenersparnis für den Kostenträger und die Bereitschaft zu Dokumentation nach internationalen Standards und bevormundender Kontrolle durch die Behörden.

Da hört für Viele der Spaß bereits auf. Dennoch ist es zahlreichen Therapeuten hierzulande (notgedrungen) gelungen unter dem Deckmantel „Psychotherapie“ ihre Finanzierung zu gewährleisten und auch irrationale und in ihrer Wirksamkeit durchaus fragwürdige Vorgehensweisen, Methoden und Richtungen (unter der Hand) beizubehalten, wenn nur vor den Behörden der Rahmen des Anerkannten und die Berichterstattung stimmen. Bei schwerwiegenden psychischen Krisen gilt ohnehin die psychiatrische Behandlung mit ärztlich verschriebenen Psychopharmaka als Lösung erster Wahl.

Bei der Psychotherapie mit Hilfe psychoaktiver Substanzen vom Typ des LSD/Psilocybin (der klassischen Psychedelika) und des MDMA (der Empathogene) tut man sich auf Grund deren Gebrauchsgeschichte besonders schwer. In Folge der Hippiewelle mit ihrer Fetischisierung des Psychedelika-Gebrauchs in den Sechzigern wurden diese weltweit geächtet und einer Prohibition unterworfen, die ihre wissenschaftliche Erforschung und therapeutische Nutzung erschwerte bis verunmöglichte. Ähnlich erging es den Empathogenen mit dem archetypischen MDMA, das als „Partydroge Ecstasy“ in den Achtzigern Furore machte.

Historisch gesehen, ist der Einsatz der Psychedelika durchaus kritisch zu betrachten: Sie wurden über die Jahrtausende sowohl im Rahmen heilender schamanischer Rituale und von Initiationsriten, wie auch profanisiert im Alltag und selbst bei Menschenopfern eingesetzt. Die moderne medizinische Wissenschaft interessierte sich für sie zunächst als Hilfsmittel zur Simulation und zum besseren Verständnis von Geisteskrankheiten, sowie zur Erforschung psychischer Prozesse, auf der Seite von KZ-Ärzten, Militärs und Geheimdiensten als Wahrheitsseren, Folterinstrumente und Psychokampfstoffe. Erst in den Fünfziger Jahren begann man den therapeutischen Nutzen von durch sie induzierten grenzüberschreitenden spirituellen Erfahrungen und des intensivierten Zugangs zum Unbewussten zu erkennen und systematisch zu untersuchen. Die ersten Ergebnisse waren durchaus vielversprechend. Dann kam die Forschung durch die Prohibition in Folge massenhaften unkontrollierten Gebrauchs abrupt zum Erliegen. Substanzunterstützte Therapieansätze wurden in den Untergrund gedrängt.

In der Schweiz war es von 1988 bis 1993 einer kleinen Gruppe psychiatrisch und psychotherapeutisch ausgebildeter Ärzte (im Rahmen der Schweizerischen Ärztegesellschaft für Psycholytische Therapie = SÄPT) erneut möglich, Substanz-unterstützte Psychotherapie, wie sie es nannten, vor allem mit MDMA und LSD zu leisten. Der vorliegende Band ist Output dieser Arbeit.

Wie schon in den Sechzigern beobachtet, scheint es auf Seiten der Therapeuten einen gewissen Ausflippfaktor in Richtung Guruismus zu geben. Die Intensität und vermeintliche Wahrhaftigkeit eigener Erfahrungen und die Suggestibilität für Interpretationen, die Manipulationswilligkeit und Verschmelzungswünsche auf Klientenseite scheinen dies zu begünstigen. Auch einer der Schweizer Therapeuten (Samuel Widmer) wandelte ab auf den esoterischen Pfad und gründete seine eigene Psychosekte. Dass er in seinen Büchern auch noch das Inzesttabu thematisierte, liess Kritiker aufhorchen. Vereinzelte Todesfälle in Folge unvorhergesehener Drogenwirkungen im Rahmen leichtfertig praktizierter „Psycholytischer Therapie“, wie zuletzt bei einem seiner Jünger im September 2009 in Berlin, sind nicht nur tragisch für die unmittelbar Betroffenen, sondern bringen die gesamten Anstrengungen, die gesundheitspolitischen Bedingungen zu schaffen, das mögliche Potential dieser Substanzen professionell zu nutzen öffentlich in Miskredit.

Was außerdem alte Psychedeliker ärgern mag: Obwohl die geistig-moralische Unterstützung für diese umstrittenen therapeutischen Hilfsmittel jahrzehntelang besonders aus eben diesen Althippie-Kreisen stammte, bemüht man sich derzeit (zumindest bei MAPS, Rick Doblins herausragend engagierter „Multidisciplinary Association of Psychedelic Studies“) um eine Distanzierung von dieser Szene und ihrer inoffiziellen Neigung zu selbstbestimmten Gebrauch unabhängig von der aktuellen Gesetzeslage. Man ist vor staatlichen Stellen auf Teufel komm raus und allen Unkenrufen zum Trotz um den Anschein von Seriosität bemüht und lockt mit dem Angebot einer schnell wirkenden preiswerten Instant-Therapie in ansonsten hoffnungslosen Fällen. So wundert es nicht, dass man kriegstraumatisierte US-amerikanische und israelische Soldaten als potentielles Klientel anpreist und sich über diese Schiene finanzielle Unterstützung, sowie wissenschaftliche und rechtliche Fortschritte verspricht.

In dem vorliegenden Werk jedenfalls kommen neben den Herausgebern eine ganze Reihe, der derzeit für die Erforschung der Substanz-unterstützten Psychotherapie wichtigen Personen zu Wort (Scharfetter, Vollenweider, Oehen, Hermle, Passie, Dürst, Mithoefer, Hämmig, Grob, Hess, Styk, Doblin, Davis und Grof). Es ist somit eine Fundgrube aktueller Kenntnisse und Ansichten und ein unverzichtbares Grundlagenwerk für jeden an dieser gegenwärtig unter kritischem Beschuss stehenden Therapierichtung Interessierten.

Henrik Jungaberle/Peter Gasser/Jan Weinhold/Rolf Verres (Hrsg.)
„Therapie mit psychoaktiven Substanzen.
Praxis und Kritik der Psychotherapie mit LSD, Psilocybin und MDMA.“
Verlag Hans Huber, Bern 2008
Kart., 422 S., 15 Abb., 27 Tab.
ISBN 978-3-456-84606-4
36,95 Euro/ 62,- SFr

 

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Cannabis Psychoaktive Substanzen

Im krisengeschüttelten Afghanistan wird wieder Cannabis angepflanzt und Haschisch produziert

hanfblatt, Nr.111, Januar 2008

Die Wiedergeburt einer alten Bekannten

Jörg Auf dem Hövel

Im krisengeschüttelten Afghanistan wird wieder Haschisch produziert

Die Bauern im nördlichen Afghanistan finden zu einer alten Tradition zurück: Sie bauen Cannabis Indica an. Für sie ist es oft der letzte Ausweg aus bitterer Armut. Im Westen darf man sich freuen, das Haschisch wird 2008 den deutschen Markt erreichen.

Das Haschisch aus den nördlichen Berg-Regionen Afghanistans galt schon immer als exzellent, Händler und internationale Connaisseure greifen jetzt wieder gerne zu: Außen schwarz-glänzend, innen dunkelbraun, gut knetbar und vor allem bretthart in der Wirkung. Die Afghanen sind stolz darauf, ein extrem stoned machendes Naturprodukt herstellen zu können.

Seit den 80er Jahren ist man an schlechte Nachrichten aus Afghanistan gewöhnt. Damals fiel die sowjetische Armee in das Land ein, ein bis heute währender Bürger- und Stellvertreterkrieg begann, in dem sich die Sowjetunion und die USA auf fremden Gebiet gegenüberstanden. Nach dem Abzug der Russen 1989 bekämpften sich zunächst Mudschaheddin-Gruppierungen, später eroberten die Taliban das Land und errichteten einen äußerst restriktiven Staat. Seit 2001 soll eine internationale Afghanistan-Schutztruppe (ISAF) über den Frieden wachen. Aber die Rivalitäten zwischen den Stämmen und Völkern sind extrem, die ausländischen Interessen gespalten. Es ist nicht absehbar, das das Land zur Ruhe kommt.

In diese Krise hinein arbeitet die Drogenpolitik der Vereinten Nationen. Ihr Motto: Vernichtung der Schlafmohn-Felder, mit denen sich die Bauern über Wasser halten, der wahre Profit mit Opium und Heroin wird an ganz andere Stelle erwirtschaftet. Aber: Afghanistan gilt als der Opium-Lieferant der Welt, über 80% des weltweit konsumierten Heroins soll aus Opiumlieferungen aus Afghanistan stammen.

Noch vor zwei Jahren blühten in der nördlichen Provinz Balkh, die an Usbekistan grenzt, die Schlafmohnfelder. Auf internationalen Druck ließ der Gouverneur die Felder vernichten. Farhad Munir, Sprecher des Gouverneurs erläuterte stolz: „Wir haben es geschafft, den Opiumanbau in Balkh auf Null herunterzufahren.“ Die Bauern versuchten es auf Anordnung für eine Saison mit Weizen, dieser gedieh zwar, brachte aber kaum Einnahmen. Man versprach den Bauern finanzielle Unterstützung, die nie ankam. Unter diesen Rahmenbedingungen haben sich die Bauern in der Provinz notgedrungen auf eine Tradition besonnen, sie pflanzen eine alte Kulturpflanze: Hanf.

Vor Ort wiegen sich nun die grünen Dolden im Wind. Die Cannabis-Kultivierungsflächen seien in 2007 um 40% gestiegen, jammert denn auch die UN in einem Report. Man spricht von über 50.000 Hektar Anbaufläche. Die Bauern dagegen sind begeistert. Die Hanfpflanze ist nicht so kompliziert in der Aufzucht wie der Mohn. Gesät wird nach alter Tradition im April und Mai, geerntet im November und Dezember.

Ein Reporter der New York Times berichtet von erstaunlichen 2,70 Meter hohen Pflanzen, der interviewte Hanfbauer sagt: „Das ist noch gar nichts, die müssen sie mal sehen, wenn die den richtigen Dünger kriegen.“ Mit dem Anbau verdiene er doppelt so viel wie mit der Kultivierung von Baumwolle, die zudem arbeitsintensiver sei. Wie viele andere in der Region steht er in einer Tradition: Schon sein Vater und sein Großvater hätten hier Cannabis angebaut, berichtet er.

Verkauft wird das Haschisch an lokale, vertrauenswürdige Zwischenhändler. Fotos zeigen ölig-schwarze, etwa handflächengroße Platten. An den Straßen rund um die größte Stadt im nördlichen Afghanistan, Mazar-i-Sharif, wird das wohlduftende Harz relativ offen in kleinen Straßenbuden verkauft. Der Preis: Rund ein Dollar. Nein, nicht pro Gramm, sondern Einheit. Sogar auf einigen Wochenmärkten soll es einfach zu erhalten sein. Die afghanische Bevölkerung sieht im Haschisch ohnehin nicht ein Teufelszeug, seit Jahrhunderten wachsen die Indica-Pflanzen im Land wild. Nach der Schreckensherrschaft der Taliban gehört Hasch rauchen heute wieder zum Alltag, lokalen Schätzungen zu Folge kifft die Hälfte der Bürger in der Provinz Balkh mehr oder minder regelmäßig. Die UN spricht allerdings von nur „rund 520.000“ Cannabis-Konsumenten im gesamten, 30 Millionen Bürger starken Land.

Bis Ende der 70er Jahre war Afghanistan für leckeres Haschisch bekannt, mit dem Beginn des Krieges in den 80er Jahren hörten die Bauern auf Cannabis anzupflanzen. Lange war kaum noch Haschisch auf dem internationalen Markt erhältlich, vieles, was als „Afghane“ angepriesen wurde war (schlechtes) Hasch aus Pakistan. Das sieht heute wieder anders aus. Ein Bauer aus dem Charbolak-Distrikt im Norden Afghanistans berichtet dem „Institute for War and Peace Reporting“ von zwei Sortierungen von Haschisch, dem hochqualitativen „Shirak“ und dem nicht so guten „Khaka“. Pro Pound (453 Gramm) Shirak könne er 20 Dollar verlangen, pro Pound Khaka 10 Dollar. Die Zwischenhändler liefern das Haschisch dann zunächst nach Pakistan, Iran und Tadschikistan geschmuggelt, von dort aus erreicht es dann die Welt.

Der Anbau ist und bleibt illegal, das Katz und Maus Spiel wird weiter gehen. Die Regierung in Kabul hat angekündigt keine in 2008 keine Ernte zuzulassen. Die Ernte 2007 habe man deshalb nicht zerstört, so die Offiziellen, um den Bauern nicht die Lebensgrundlage zu nehmen. Diese haben auf die Ankündigung schon reagiert – sie wollen wieder Cannabis aussähen. Nebenbei: Im Rahmen ihres ISAF-Einsatzes ist die deutsche Bundeswehr auch in der Region Balkh stationiert. Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis den Damen und Herren das neue Entspannungsangebot dort auffällt.

 

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Drogenpolitik

Die europäische Drogen-Beobachtungsstelle legt ihren Bericht für 2007 vor

Koksen ist 80er? Weit gefehlt.

Die europäische Drogen-Beobachtungsstelle legt ihren Bericht für 2007 vor

Jörg Auf dem Hövel

Same procedure as every year: Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) legt ihren Bericht für das europäische Drogenjahr vor. Die EBDD überwacht im Auftrag der EU die Entwicklung im Drogensektor in den Mitgliedstaaten. Einige Zahlen lassen aufmerken: Jeder siebte Erwachsene hat im letzten Jahr mindestens einmal zum Joint gegriffen – das sind rund 23 Millionen Menschen. Damit bleibt Cannabis die beliebteste illegale Droge Europas. Trotzdem der Konsum nach wie vor auf hohem Niveau liegt, schöpft die EBBD Hoffnung: „Nach einem stark ansteigenden Cannabiskonsum in den 90er Jahren und einem leichteren Anstieg nach 2000 weisen die jüngsten verfügbaren Daten darauf hin, dass sich der Cannabiskonsum insbesondere in den Ländern mit hohen Prävalenzraten stabilisiert oder sogar rückläufig ist“, schreibt die EBDD. Im Klartext: Der große Hype ist nach Ansicht der Experten vorbei. In einigen Mitgliedstaaten gäbe es Anzeichen für eine „sinkende Popularität der Droge unter jüngeren Menschen“.

Laut Drogenbericht haben durchschnittlich 13 % der jungen erwachsenen Europäer (das sind die zwischen 15 und 34 Jahren) in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert. Der höchste Konsum wird in Spanien (20 %), der Tschechischen Republik (19,3 %), Frankreich (16,7 %), Italien (16,5 %) und dem Vereinigten Königreich (16,3 %) verzeichnet. Die aktuellen Daten für Länder mit mittlerem Konsum zeigen eine Stabilisierung in Dänemark und den Niederlanden sowie sinkende Raten in Deutschland. Unter jüngeren Erwachsenen stieg der Konsum in Ungarn, der Slowakei, Norwegen und Italien.

Laut Drogenbericht konsumiert nur ein relativ geringer Anteil der Konsumenten Cannabis „regelmäßig und intensiv“. Was heißt das? Schätzungsweise ein Prozent (ja, 1 %) der europäischen Erwachsenen, also rund 3 Millionen Menschen, kiffen nach Ansicht der EBDD möglicherweise täglich oder fast täglich. Die Prävalenz ist unter männlichen Jugendlichen im Allgemeinen höher.

Damit kommt auch der EBDD zum neuen Steckenpferd aller Statistiken über Cannabis, den „behandlungswürdigen Kiffern“. Zwischen 1999 und 2005 habe sich die Zahl der Europäer, die eine Behandlung wegen Cannabisproblemen nachfragten, etwa verdreifacht. In diesem Zeitraum stieg die Zahl der Behandlungsnachfragen wegen Cannabisproblemen von 15 439 auf 43 677 an. Allerdings, so die Beobachtungsstelle, scheint sich dieser Aufwärtstrend jetzt zu stabilisieren. Unklar ist nach wie vor, inwieweit die zunehmende Behandlungsnachfrage auf einen Anstieg eines intensiven Konsums und des damit verbundenen Behandlungsbedarfs zurückzuführen ist. Oder aber andere Faktoren eine größere Rolle spielen, wie eine größere Zahl von Zuweisungen aus dem Justizsystem, ein besseres Berichtswesen oder die Eröffnung spezifischer Behandlungsdienste für Cannabiskonsumenten.

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Interessant ist aus dieser Sicht vor allem der Beliebtheitsgrad von Cannabis unter Schülern und Schülerinnen. Die europaweit höchste Lebenszeitprävalenz („habe schon mindestens einmal im Leben gekifft“) des Cannabiskonsums unter 15- und 16-jährigen Schülern wurde in Belgien, der Tschechischen Republik, Irland, Spanien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich und Spanien verzeichnet, die allesamt Raten zwischen 30 % und 44 % meldeten. Deutschland, Italien, die Niederlande, Slowenien und die Slowakei verzeichneten Raten von über 25 %. Dagegen wurden aus Griechenland, Zypern, Rumänien, Schweden, der Türkei und Norwegen Schätzungen für die Lebenszeitprävalenz von unter 10 % gemeldet.

Laut Drogenbericht wird die Bewertung der Cannabissituation in Europa durch Marktfaktoren erschwert. Mehr als die Hälfte der Mitgliedstaaten der EU berichteten 2007 über die Herstellung beträchtlicher Mengen von Cannabis im eigenen Land. Der Trend zur Selbstversorgung und Home-Growing scheint sich fortzusetzen.

Rechtslage

In Europa ist auch 2007 die Tendenz fortgesetzt worden, alternative Maßnahmen zu strafrechtlichen Verurteilungen zu finden, wenn es um den Besitz kleiner Mengen Cannabis für den persönlichen Gebrauch geht und keine erschwerenden Umstände vorliegen. Stattdessen setzt man auf Geldbußen, Verwarnungen, Bewährungsstrafen, Straffreiheit und Beratung. Es gibt deutliche Hinweise: die Abschaffung der Haftstrafen in Luxemburg (2001) und Belgien (2003) sowie die Verringerung der Haftstrafen in Griechenland (2003) und in Großbritannien (2004). Entspannte Leitlinien für Polizei oder Staatsanwälte wurden in Belgien (2003 und 2005), Frankreich (2005) und im Vereinigten Königreich (2004 und 2006) verabschiedet. 2006 war man in der Tschechischen Republik nahe daran, unterschiedliche Klassen nicht-medizinischer Drogen einzuführen.

Pulvermanie

Trotz großer Unterschiede zwischen den Ländern scheinen die neuen Daten zu belegen, dass Kokain zu einer Primärdroge in Europa geworden ist. Es ist nach Cannabis die am zweithäufigsten konsumierte illegale Droge, und hat damit Ecstasy und den Amphetaminen den Rang abgelaufen hat. Die EBDD schätzt, dass rund 12 Millionen Europäer, das sind 4 % aller Erwachsenen, einmal in ihrem Leben Kokain ausprobiert haben. Rund zwei Millionen Europäer haben in den letzten 30 Tagen Kokain konsumiert, das ist mehr als das Doppelte der Schätzung für Ecstasy.

Über psychedelische beziehungsweise entheogene Drogen macht der EBDD-Bericht kaum Angaben. Trotzdem sie immer mal wieder durch das mediale Sommerloch getrieben werden, scheint entweder ihre Mengenrelevanz auf dem gesamteuropäischen Markt zur Zeit unbedeutend zu sein oder aber die Konsumenten fallen nicht unangenehm auf. In Zahlen: In den letzten 12 Monaten haben laut EBDD in nur sieben Ländern mehr als ein Prozent (1 %) der 15-24-Jährigen LSD genossen. Das war in Bulgarien, der Tschechischen Republik, Estland, Italien, Lettland, Ungarn und Polen. Die Lebenszeiterfahrung des LSD-Konsums liegt bei Erwachsenen in Europa zwischen 0,2 % und 5,5 %, wobei zwei Drittel der Länder sogar nur Prävalenzraten zwischen 0,4 % und 1,7 % melden. Unter jungen Erwachsenen (15 bis 34 Jahre) liegt die Lebenszeitprävalenz des LSD-Konsums zwischen 0,3 % und 7,6 %, während er in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen zwischen 0 % und 4,2 % beträgt.

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Rezensionen

Rezension Harry G. Frankfurt – Bullshit

HanfBlatt Nr. 101

Darf man dieses Buch verschenken? Leicht könnte sich der Beschenkte der Laberei beschuldigt fühlen, aber schon Design und Haptik des kleinen Bändchens aus dem Suhrkamp-Verlag lassen den guten Willen des Schenkers erkennen. Der amerikanische Philosoph und Professor an der Universität Princeton Harry G. Frankfurt weiß, was Bullshit ist. In einem kurzen Essay klärt er die folgenden Fragen: Sind Bullshit und Humbug das gleiche? Wie unterscheidet sich der Bullshit von der offenen Lüge? Man greift den Worten des Professors nicht zuweit vor, wenn man sagt: Die Lüge unterscheidet sich vom Bullshit durch das unterschiedliche Verhältnis zur Wahrheit. Während die Lüge das Gegenteil der Wahrheit ist, bleibt sie dem Bullshitter schlicht gleichgültig. „Der Bullshitter“, so schreibt Frankfurt, „weist die Autorität der Wahrheit nicht ab und widersetzt sich ihr nicht, wie es der Lügner tut. Er beachtet sie einfach gar nicht.“
Zusätzlich klärt der Mann auch noch die Frage, warum es heute soviel Bullshit gibt. Bullshit sei immer dann unvermeidbar, „wenn die Umstände Menschen dazu zwingen, über Dinge zu reden, von denen sie nichts verstehen“. Und wie sollte das bei der Komplexität der Welt auch anders ein, könnte man hinzufügen.
Leider streift Frankfurt den Zusammenhang von Bullshit und Humor nicht, gleichwohl: Insgesamt ein erhellendes, gewitztes, anspruchsvolles und damit rundum empfehlenswertes Werk. Kein Scheiß.

Harry G. Frankfurt: Bullshit
Aus dem Englischen von Michael Bischoff
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2006
73 Seiten, gebunden
ISBN: 3518584502
8,– EUR