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Gastronomie-Tipp: Bergwolf

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DIE WELT Kompakt Bergwolf

Ein reiner Sport-Fernseher, Bier und Curry-Wurst: Sportfan, was willst du mehr? Wer genug von Leberkäse und Brezn hat, den treibt es in den Bergwolf. Dort wird die beste Curry-Wurst der Stadt aufgefahren, denn Würste und Soße kommen laufend frisch mit dem Kühltransporter aus dem Mekka der grönemeyerschen Leibspeise: Bochum. Dazu gibt es Pommes rotweiß oder Kartoffelsalat (ja, auch preiswert).

Frank Bergmeyer und Michael Wolf schufen ein schlicht-kühles Ambiente mit grob gehobelten Holzbänken und orange-blauem Neonlicht. Ein Party-Keller aus den 70er wurde hier ins neue Jahrtausend gebeamt.

Am Wochenende sitzen meist Männer im Raum, denn es läuft Fußball-Bundesliga. Dann traut sich endgültig keiner mehr die auf der Karte angebotene Veggiewurst (Zitat: „schwul & auf Tofubasis“) zu bestellen. Hier gibt es sie halt noch, die echten Kerle.

Bergwolf
Fraunhoferstr. 17
80469 München
Tel: 089/ 23259858
Mo-Do 11.00-14.00 Uhr,
18.00-02.00 Uhr
Fr 11.00-14.00, 18.00-03.00 Uhr
Sa 11.00-03.00 Uhr
So 17.00-22.00 Uhr


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Cannabis Gesundheitssystem Psychoaktive Substanzen

Ein Vergleich der giftigen Inhaltsstoffe von Tabak und Marihuana

Hanfblatt Nr. 114, Mai 2008

Zieh durch!

Ein Vergleich der giftigen Inhaltsstoffe von Tabak und Marihuana

In der Diskussion um die Gefährlichkeit des Cannabiskonsums ist ein Argument immer wieder zu hören: Marihuana-Rauch sei mit erheblich mehr giftigen Inhaltsstoffen belastet als Tabakqualm. Eine Studie im Auftrag des kanadischen Gesundheitsministeriums fand nun heraus: Das stimmt so nicht.

Für den Versuch nutzte man getrocknete Cannabisbuds der Firma Prairie Plant Systems, die ihm kanadischen Saskatoon für das Gesundheitsministerium Cannabis anbaut. Sowohl der Marihuana-Spliff als auch die Tabak-Zigarette wurden von standardisierten Rauchmaschinen eingeatmet, die den menschlichen Lungenzug recht gut imitieren.

Zieht man normal an einer Zigarette oder an einem Spliff fluten etwa 40 mg Teer in die Lunge, dies ist bei beiden Rauschdrogen ähnlich. Zieht man stark, strömen rund 80 mg Teer bei der Zigarette und rund 100 mg Teer beim Spliff ein. Dieser Unterschied in der Menge hängt wahrscheinlich mit dem unterschiedlichen Abbrennprozess der Pflanzenteile zusammen. Ein deutlicher Unterschied ergab sich bei Ammoniak. Dieses wurde in einer etwa 20-mal so hohen Konzentration im Cannabis gefunden. Das ist wahrscheinlich durch die sehr nitrathaltigen Düngemittel bedingt. Aber auch die Höhe der Verbrennungstemperatur spielt eine Rolle bei der Ammoniakbildung.

Auch andere Verbindungen wurden im Cannabisrauch verstärkt nachgewiesen: Blausäure (HCN) kam rund 2,5 mal so oft vor, Stickstoffmonooxid (NO) in etwa 4-mal so hoher Konzentration. Dazu waren einige aromatische Amine in 3- bis 5-mal so hoher Konzentration wie im Tabakrauch vorhanden. Schwermetalle wie Kadmium, Quecksilber und Blei wurden dagegen im Marihuanaqualm im Vergleich in deutlich niedrigeren Konzentrationen gefunden. Auch dies hängt vermutlich mit den Anbaumethoden zusammen. Wird Tabak wird nämlich auf Böden angebaut, der mit Schwermetalle kontaminiert ist, nimmt die Pflanze diese Stoffe auf. Die Spliffs enthielten im Vergleich zu den Zigaretten zudem geringere Konzentrationen an niedrigmolekularen Carbonyl-Verbindungen wie Formaldehyd und Azetaldehyd, sowie an polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen.

Die kanadische Studie um ihren Autor David Moir bestätigt frühere Experimente, die im Cannabisrauch viele der gleichen Chemikalien wie im Tabakrauch gefunden haben. Eine Bewertung der vorhandenen Unterschiede ist daher nicht einfach. Zunächst muss festgestellt werden, dass die Verbrennung von Tabak- oder Marihuana-Pflanzenmaterial eine komplexe Mischung von Chemikalien hervorbringt, deren Zusammenspiel noch nicht vollständig verstanden ist. Sodann ist zu konstatieren, dass es darunter Substanzen gibt, die aufgrund ihrer krebserzeugenden Eigenschaften in besonders schlechtem Ruf stehen. Neben Teer sind das vor allem die Schwermetalle und die Nitrosamine. Letztere kommen im Marihuanaqualm nicht vor. Das nicht als krebserregend, sondern als „krebserregend-verdächtig“ beschriebe Formaldehyd kommt in beiden Zigarettenarten vor, allerdings etwas niedrigeren Werten im Gras. Dagegen ist das erhöhte Vorkommen der giftigen Blausäure im Cannabisrauch beunruhigend. Die kanadischen Forscher wollen nun in einem neuen Experiment die Toxizität von Tabak- und Marihuana Rauchkondensaten in drei verschiedenen biologischen Systemen testen.

Eine Verbindung zwischen Krebs und dem Rauchen von reinem Marihuana ist bislang nicht bewiesen. Aufatmen kann da kein Kiffer, denn die westeuropäische Konsumkultur mischt ja bekannterweise zumeist Marihuana oder Haschisch mit Tabak zu den beliebten Joints. Die kanadische Studie zeigt erneut, dass diese Sitte der Gesundheit abträglich ist, denn so mischen sich auch die gesundheitsschädlichen Inhaltsstoffe der beiden Pflanzen.

 

 

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Cannabis

Die Cannabinoide und ihre Empfänger im Körper werden zu einem wichtigen Geschäft der Pharma-Industrie

 

Hanfblatt Nr. 114, Mai 2008

Die Cannabinoide und ihre Empfänger im Körper werden zu einem wichtigen Geschäft der Pharma-Industrie

Jörg Auf dem Hövel

Seit Jahrhunderten ist bekannt, das Cannabiskonsum enorm appetitanregend sein kann. Dieser Heißhunger ist Legende. Auf Basis dieses Effekts entwickeln Forscher nun neue Medikamente. Der altehrwürdigen Pflanze „Cannabis sativa“ und ihrer Inhaltsstoffe steht die vollständige Verwurstung durch den pharmakologischen Industriebetrieb bevor. Das hat Vorteile, denn die Pflanze gerät aus dem Zwielicht. Das hat aber auch Nachteile.

Um die aufsehenerregende Entwicklung in der neuesten Cannabisforschung zu verstehen ist zunächst ein kurzer Ausflug in den medizinischen Sektor nötig: Die Hauptwirkstoffe der Cannabis-Pflanze werden Cannabinoide genannt. Im Körper jedes Menschen sind kleine Empfangsstationen in den Zellmembranen dafür zuständig, dass die Cannabinoide ihre Wirkung entfalten können. Diese Stationen werden Rezeptoren genannt. Die meisten psychoaktiven Substanzen wirken über solche Rezeptoren, indem sie an sie binden oder sie blockieren und damit die Signalweiterleitung beeinflussen. Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts entdeckten Forscher ein ausgedehntes System von Rezeptoren, das primär der Aufnahme der Cannabinoide zu dienen schien. Man nannte es das „endogene Cannabinoid-System“. Die Auswirkung dieser Entdeckung und Namensgebung fängt man erst heute langsam an zu begreifen. Denn im Laufe der Zeit entstand ein ganzer Forschungszweig, der sich nur mit diesem System beschäftigte. Eine neue Welt tat sich auf, Konferenzen wurden abgehalten, Universitäts-Abteilungen beantragten Gelder.

So schön der Mythos klingen würde: Die Cannabinoid-Rezeptoren sind von der Evolution nicht nur dafür geschaffen worden, um Cannabis aufzunehmen. Allen Forschern war Anfang der 90er Jahre klar: Wie bei allen anderen Rezeptoren auch musste ein körpereigener Stoff existieren, der eine bestimmte Funktion an diesen Rezeptoren erfüllt. 1992 entdeckte der tschechische Chemiker Lumír Hanuš und der amerikanische Molekularpharmakologen William Anthony Devane diese Substanz im Körper und nannte sie „Anandamid“. Eine mehr oder minder feine Ironie, denn im Sanskrit steht das Wort „Ananda“ für die Glückseligkeit.

Weltweit forschte man in den Laboren der Pharma-Firmen und Universitäten weiter, nun galt es, die Cannabinoid-Rezeptoren genauer zu untersuchen. Man entdeckte zwei Arten, diese werden heute als CB-1 und CB-2 Rezeptoren bezeichnet. Ersterer findet sich vorwiegend in Nervenzellen. Am häufigsten kommt er im Kleinhirn und im Hippocampus (eine Sektion im Großhirn) vor. Der CB-2 findet sich dagegen vorwiegend in den Zellmembranen des Immunsystems und auf Zellen, die am Knochenauf- und -abbau beteiligt sind. Es wird vermutet werden, dass weitere Sub-Rezeptoren für Cannabinoide existieren. Diese beiden Rezeptoren sind Ziel der Entwicklung von neuen Wirkstoffen und damit letztlich neuen Medikamenten. Für Kranke lockt Linderung, für die Pharma-Industrie ein Riesengeschäft. Wie immer, wenn neue Medikamente in Aussicht stehen, vermischen sich Wünsche, Prognosen und Versprechungen. Fakt ist: Alleine im Markt der Appetitzügler haben über zehn Unternehmen Wirkstoffe entwickelt und in der Prüfung, die am CB-1-Rezeptor ansetzen. Abbildung 1 zeigt den Aufschwung, den dieser Forschungszweig seit 2000 erfahren hat.

Versuche wirksame Appetitzügler herzustellen gab es viele: Amphetamin (Speed) galt in den 40er und 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts als probates Mittel, um den Hunger zu stillen. Bei regelmäßig-übermäßiger Einnahme, so stellte man fest, überwogen allerdings die negativen Langzeitwirkungen. Bis heute weisen viele der auf dem Markt befindlichen Appetitzügler eine ähnliche chemischen Struktur wie Amphetamin auf. Nur haben sich die Chemiker darum bemüht, die psychoaktiven Wirkung zu eliminieren. Ein solcher Wirkstoff ist beispielsweise Fenfluramin, einer anderer Phentermin. In den USA kam es Anfang der 90er Jahre zum sogenannten „Fen-Phen“- Debakel, weil die beiden Medikamente von Patienten parallel eingenommen wurden und es zu Herzbeschwerden kam.

Ein Problem ist: Die zugrunde liegenden Mechanismen der körpereigenen Regulation von Nahrungsaufnahme und Sättigungsgefühl sind erst in Ansätzen verstanden. Die fresslustzügelnden Eigenschaften von Speed basieren auf der Hemmung des Hungerzentrums im Zwischenhirn. Aber die auf Amphetamin beruhenden Medikamente haben unerwünschte Nebenwirkungen. Aus diesem Grund und weil die Pharma-Industrie naturgemäß immer auf der Suche nach neuen Verkaufsschlagern ist geriet Cannabis in den Fokus.

Die Überlegung der Pharmakologen: Wenn Cannabis den Appetit über die Cannabinoid-Rezeptoren anregt, dann müsste eine Blockierung des Rezeptors den Hunger zügeln. Solche Blockierer werden Antagonisten genannt. 1994 synthetisierten Wissenschaftler beim Pharma-Konzern Aventis einen einen CB-1-Antagonisten und nannten ihn „Rimonabant“. Dieses Medikament ist bis heute in Europa zum erfolgreichen Appetitzügler geworden. Wie so oft treten aber Nebenwirkungen auf, in den USA ist das Medikament daher nicht zugelassen. Auch in Europa sollen Langzeitstudien klären, ob Rimonabant gefahrlos länger eingenommen werden kann. Glaubt man den Studie, verlieren fettleibige Patienten in Rimonabant-Therapie tatsächlich an Gewicht.

Seit dem Erfolg von Rimonabant ziehen die anderen Firmen nach. Merck & Co. entwickeln Taranbant, Pfizer einen Stoff mit dem Arbeitstitel CP-945598. Die Blockade des Cannabinoid-Rezeptors bringt aber nicht den Vorteil der Hungerreduktion. Der Rezeptor ist eben nicht nur für den Appetit, sondern für andere Mechanismen im Körper zuständig, so kommt es, dass Testpersonen immer wieder mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, wenn sie CB-1-Antagonisten einnehmen. Eine Erklärung ist: Die Euphorie, die beim Konsum von Cannabis verspürt wird, schlägt bei der Blockade des dafür zuständigen Rezeptors ins Gegenteil um. Fest steht bisher nur, dass ein Eingriff in das cannabinoide System des Menschen weitreichende Folgen haben kann. Trotz dieser Hindernisse haben heute diverse Pharma-Firmen und Biotechs Patente auf CB-1 und CB-2 Blocker oder Enhancer eingetragen.

Sativex

Expertise im Cannabinoid-Markt hat sich die britische Firma GW Pharmaceuticals erarbeitet. Mit „Sativex“, einem Mundspray, haben sie das einzige Cannabinoid-Produkt auf dem Markt, welches aus organischem Material hergestellt wird. GW hat die Erlaubnis Cannabispflanzen in großen Mengen anzubauen. Mit jedem Spraystoß liefert Sativex 2,7mg THC and 2,5mg Cannabidiol an den Patienten. Bis heute ist es nur in Kanada zugelassen und auch nur bei Patienten mit Multipler Sklerose. In anderen Ländern laufen Genehmigungsverfahren, um Sativex als Schmerzmittel zuzulassen. Auch GW Pharmaceuticals arbeitet an einem Appetitzügler, dieser basiert auf einer Unterart des THC, dem Tetrahydrocannabivarin (THC-V). Dieses gewinnt GW ebenfalls aus den eigens angebauten Pflanzen. Wie das oben erwähnte Rimonabant gilt THC-V als CB-1-Antagonist, allerdings als natürlich vorkommender.

Die Analyse des endogen cannabinoiden Systems fokussierte sich bis 2006 vor allem auf den CB-1-Rezeptor. Neuere Forschung zeigen nun, dass der CB-2 Rezeptor eine wichtige Rolle bei einigen Körperfunktionen spielt: Knochenschwund im Alter (Osteoporose), Modulationen des Immunsystems, Nervenentzündungen, Schmerzempfinden. Schon jetzt zeigt sich aber: Die für die Medikamentenentwicklung so wichtigen Tierversuche sind hier wenig aussagekräftig, weil Ratten und Mäuse anders auf CB-2-Substanzen reagieren als Menschen. Dazu kommt: Weder Cannabis noch die cannabinoiden Agonisten oder Antagonist wirken zielgenau in nur bestimmen Regionen des Körpers oder Gehirn, wenn auch die Pharma-Industrie gerne von „hochselektiven Wirkstoffen“ spricht. Nein, das System Mensch wird in seiner Gesamtheit geflutet, so kommt es zu chemischen Kaskaden bei Botenstoffen, deren Ausgang nur durch Trial and Error heraus gefunden werden kann. Die Naturmedizin hat ein solches Verfahren über die Jahrhunderte an Millionen von Menschen angewandt, die moderne Pharmazie arbeitet dagegen mit 1000 Probanden, die einen Wirkstoff über einen kurzen Zeitraum erhalten.

Fazit

Die Entdeckung des cannabinoiden Systems ist aus vielerlei Gründen ein Meilenstein. Zum einen kann die wissenschaftliche Erforschung der Wirkung von Cannabis fortschreiten. Die verschiedenen Pflanzenwirkstoffe scheinen für diverse Vorgänge im menschlichen Organismus mitverantwortlich zu sein. Die Geschichte hat die breite Anwendungsmöglichkeit von Cannabis gezeigt, nun wäre es Aufgabe der modernen Forschung, dieses alte Wissen in moderne Medizin umzusetzen. Das Problem: Moderne Medizin heißt heute meist Pharmakologie. Pharma-Unternehmen sind in erste Linie an patentierbaren Wirkstoffen interessiert und werden daher alles versuchen, die natürlich vorkommende Wirkstoffe zu diskreditieren. Der euphorisierende Effekt von natürlichen Cannabisprodukten wird daher weiterhin als unerwünschte Nebenwirkung beschrieben werden. Mit viel Aufwand versucht man heute in den Labors, die psychoaktive Wirkung der Cannabinoide zu eliminieren und ein Reinprodukt zu erhalten, dass zielgenau nur bestimmte Bereiche des menschlichen Organismus beeinflusst. Die Geschichte der Medikamente zeigt aber nur zu deutlich, dass solche Bemühungen nur mit neuen Nebenwirkungen erkauft werden. Aber das Marketing der Pharma-Firmen wird dieses Phänomen weiterhin zu kaschieren wissen. Die Apologeten einer naturnahen medizinischen Anwendung des Hanfs, so traurig dies ist, werden unter den Bedingungen der heutigen Marktwirtschaft auch weiterhin als Kifferfreunde abgestempelt werden. Zukünftig werden diverse Medikamente auf den Markt stoßen, die das cannabinoide System zum Ziel haben werden. Zu einer Rehabilitierung der Pflanze wird das aber nicht führen.


 

 

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Rezensionen

Rezension zu Fellner/Unterreiner: Morphium, Cannabis und Cocain

HanfBlatt Nr. 120

Sissy auf Koks

Um 1900 waren Präparate auf Basis der Bedeutendsten der heute als Rauschgift verteufelten Substanzen wie Cannabis indica, Cocain, Opium, Morphium, Codein und Heroin gebräuchliche Medikamente. Ein Opiumgesetz gab es noch nicht. Campher, Coffein und Strychnin kamen als Stimulanzien zum Einsatz. Mildere pflanzliche Beruhigungsmittel wie Hopfen und Baldrian gehörten ebenso zum Repertoire wie Nachtschattenalkaloide und schlichtweg toxische Mixturen auf Quecksilber- und Arsen-Basis. Selbstverständlich wurde in Adelskreisen fleissig konsumiert, litt man doch nicht nur unter allerlei psycho- und somatischen Wehwehchen, sondern unter schweren Erkrankungen wie der verbreiteten Tuberkulose (TBC) und diversen Geschlechtskrankheiten, insbesondere der Geißel Syphilis. Diese infektiösen Krankheiten waren in der Prä-Antibiotika-Zeit praktisch kaum heilbar und führten zu Siechtum und frühem Tod. Die Rezeptbücher der Apotheke des Wiener Hofes der K.u.K.-Monarchie der Habsburger geben einen Einblick in die Verschreibungspraxis der damaligen Zeit, zumindest was die Rezepturen der reichen Elite betrifft. Den Autorinnen Sabine Fellner und Katrin Unterreiner ist es gelungen an Hand von diesen ergänzt durch umfangreiche Recherchen ein spannend zu lesendes pharmaziehistorisches Sittenbild dieser Zeit zu zeichnen.

Fünf Prominenten sind dabei eigene Kapitel gewidmet: Erzherzog Otto, der Quecksilber gegen seine Syphilis einsetzte, aber auch homöopathisch Cannabis nahm; Kronprinz Rudolf, der Morphium zur Linderung seines Trippers bekam, aber auch Cocain (so wie Kronprinzessin Stephanie); Kaiser Franz Joseph, der das beliebte Hustenmittel Codein konsumierte und sonst Einiges mehr; der legendären Sissy, Kaiserin Elisabeth, die in ihrer Reiseapotheke über eine eigene Spritze verfügte, mit der sie sich Cocain gegen ihre Melancholie zu injizieren pflegte und auch Hustenpulver auf Cannabis indica-Basis nicht verschmähte; Erzherzog Franz Ferdinand der nicht nur Cocain nahm, sondern auch allerlei Opiate gegen seinen chronischen Husten, darunter Heroin.

Lediglich ein paar besserwisserische Anmerkungen, die den hohen Unterhaltungswert des vorliegenden Werkes nicht schmälern können, seien hier erlaubt: Dass Cannabis indica im 19. Jahrhundert „in erster Linie zur Behandlung von Appetitlosigkeit“ (S.113) verwendet wurde, müsste belegt werden. (Maßgeblich ist hier Manfred Fankhauser mit seinem großartigen Meilenstein „Haschisch als Medikament“, der nicht auf diese Indikation gestossen ist.) Sigmund Freud empfahl oral (!) eingenommenes und daneben subkutan injiziertes Cocain. Die „intravenöse“ und die „intranasale“ Applikation waren zu seiner Zeit (1884) noch nicht etabliert (S.117).

Dass der karrieregeile „Wiener Quacksalber“ (so Han Israels) seiner damaligen Verlobten im Nachhinein vorwarf, sie sei Schuld, dass er nicht schon in jungen Jahren als Entdecker der Lokalanästhesie berühmt geworden wäre, wurde als Lüge entlarvt (Han Israels „Der Fall Freud“, sehr zu empfehlen). Demnach hatte Freud selbst die Verantwortung für sein damaliges Handeln zu tragen (S. 119). Aber vielleicht wäre der Menschheit so eine der großen Pseudo-Wissenschaften, die Psychoanalyse, erspart geblieben. Die Shen-Nung-Datierung ist fragwürdig wie eh und je (S. 174). Pemberton benutzte für die Ur-Coca Cola Cocablätter- und Colasamen-Extrakt und nicht Cocain (das damals verhältnismäßig teuer war) und Coffein als Reinsubstanzen (S. 176). Und der Name des Entdeckers des möglicherweise mit dem etwas später isolierten „Cocain“ identischen „Erythroxylin“s (1855), des Pharmazeuten Dr. Friedrich Gaedcke (1828-1890), wird verbreitet gerne falsch geschrieben (S. 175).

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Sabine Fellner/Katrin Unterreiner
„Morphium, Cannabis und Cocain.
Medizin und Rezepte des Kaiserhauses.“
Amalthea Signum Verlag, Wien 2008
Geb. mit Su., 192 S., 11 Abb.
ISBN 978-3-85002-636-9