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Interview mit Svenja Flaßpöhler über Leistungsdruck und Selbstverwirklichung in der postindustriellen Arbeitsgesellschaft

telepolis, 25.02.2011

„Wir kommen um die Systemfrage nicht herum“

Interview mit Svenja Flaßpöhler über Leistungsdruck und Selbstverwirklichung in der postindustriellen Arbeitsgesellschaft

Arbeit und Genuss sind für eine Vielzahl von Menschen in der westlichen Hemisphäre nah zusammengerückt. Gerade die durch die Informationsarchitekturen beschleunigte Mittelschicht der Gesellschaft neigt zu exzessivem Arbeitsverhalten, es herrscht zwanghaftes Tun. Aktivität und Leistung sind selbst in der Freizeit die bestimmenden Antriebskräfte. Der Geist des Kapitalismus, der sich aus Sicht von Max Weber noch aus der protestantischen Ethik speiste, erfährt dabei eine neue Ausformung: Heute arbeitet man nicht mehr für Gott, sondern zur Erhöhung des Selbstwerts. Die Philosophin Svenja Flaßpöhler analysiert die Ursachen und Symptome dieses Phänomen unter dem Stichwort „Genussarbeit“.

Als ich Sie per Email um das Interview bat, haben Sie erst nach knapp vier Wochen geantwortet. Genussarbeit oder falsches Zeitmanagement?

Svenja Flaßpöhler: Das war ausnahmsweise einmal richtiges Zeitmanagement. Ich hatte nämlich schlichtweg keine Zeit, aufgrund meiner neuen Arbeit als stellvertretende Chefredakteurin des Philosophie Magazins. Auf diese Arbeit wollte – und musste – ich mich konzentrieren. Genussarbeit in einem positiven Sinne heißt für mich genau das: Muße, Raum und Ruhe haben, um sich der Arbeit lustvoll zu widmen und trotzdem noch die anderen Dimensionen des Lebens zu leben. Genussarbeit in einem schlechten Sinne besteht aus exzessiver, zwanghafter, ausschließlicher Beschäftigung. Der exzessive Genussarbeiter kann nicht loslassen, nicht ablassen, nicht auslassen, nicht seinlassen. Hätte ich Ihre Mail also gestresst und womöglich nachts beantwortet, wäre genau das der Fall gewesen. Insofern schließen sich Genussarbeit und falsches Zeitmanagement übrigens nicht aus.

Ihr Genussarbeiter definiert seinen Selbstwert vor allem über die Arbeit und macht sich dadurch abhängig von der Anerkennung durch Kollegen und Vorgesetzten. Brauchen wir die Bestätigung unseres Tuns aber nicht alle? Und wie stellt man fest, ab wann die Grenze zum Krankhaften überschritten ist?

Svenja Flaßpöhler: Davon bin ich tatsächlich fest überzeugt: Niemand tut etwas einfach nur aus sich selbst heraus, sondern immer auch für einen Anderen. Das lässt sich an Kindern wunderbar beobachten. So selbstvergessen sie beispielsweise ein Bild malen: Es ist wichtig, dass Mama oder Papa das Bild würdigen. Wenn die Eltern vollkommen gleichgültig und gefühlskalt wären, würde das Kind möglicherweise überhaupt nicht malen. Dieses Angewiesensein auf die Anerkennung Anderer ist die Grundstruktur des menschlichen Schaffens, ja Existierens schlechthin. Schlimm wird es allerdings, wenn der Blick ausschließlich auf die Anderen und deren unter Umständen gnadenloses Urteil gerichtet wird. Dann stellt sich schnell das Gefühl ein, nie genügen zu können, und der individuelle Antrieb des Arbeitens geht verloren. Was zählt, ist nur noch der Erfolg, eine sinnentleerte, abstrakte Anerkennung, die schal ist. Der Kampf in Anerkennung schlägt in Sucht nach Anerkennung um.

Wir halten Passivität kaum mehr aus

Ein Problem dabei scheint zu sein, dass egal, was der Einzelne leistet, er durch viele äußere und innere Faktoren zu immer mehr angespornt wird.

Svenja Flaßpöhler: Ansporn ist zunächst einmal etwas Positives: Was wäre das Leben ohne diesen leichten Schmerz, diese Grundspannung, die uns auf Trab hält? Wem der Ansporn voll und ganz verloren geht, ist depressiv. Das Problem ist aber, dass das Angesporntsein heute absolut gesetzt wird: Das Ideal ist der ständig angespornte Mensch, der unablässig neue Ideen produziert, in seinem Beruf „aufgeht“, wie es so schön heißt und auch im Urlaub das Smartphone ganz nah am Herzen trägt. Aber Aktivität braucht Passivität als entgegengesetzten Pol. Keine Motivation ohne Langeweile, keine Inspiration ohne Phasen des Nichtstuns. Mein Eindruck ist, dass wir Passivität kaum noch aushalten.

Kann man sagen, dass das System diejenigen nach unten durchreicht, die dieses hyperaktive Spiel nicht mitmachen können – oder wollen?

Svenja Flaßpöhler: Einerseits ja. Wer sonntags prinzipiell nicht arbeitet und wochentags nach Feierabend keine Emails mehr checkt, gilt schnell als unbrauchbar. Allerdings, und insofern stimmt Ihre Annahme nur eingeschränkt, landen in der Regel ja auch die „unten“, die das Spiel mitmachen. Hyperaktivität schützt vor sozialem Abstieg keineswegs. Irrtümlicherweise glauben wir, uns durch ständige Präsenz unentbehrlich zu machen. Aber Präsenz ist keine individuelle, das heißt unaustauschbare Eigenschaft. Es gibt immer jemanden, der noch präsenter ist. Insofern sollten wir, da das Spiel nicht gewonnen werden kann und auch nicht glücklich macht, den Mut haben zu sagen: I would prefer not to.

Und wo liegt die Grenze zur Faulheit, die ohne soziale Verantwortung agiert?

Svenja Flaßpöhler: Ich würde den Spieß gern umdrehen. Ein hyperaktiver Mensch, der immer nur nach vorne, nie aber nach links und rechts, geschweige denn nach hinten schaut, weil er dafür gar keine Zeit hat, agiert ohne soziale Verantwortung. Ihn interessiert nur das Vorwärtskommen. Jede Ablenkung verursacht Stress.

Der faule Mensch, der Sonntags nachmittags auf dem Sofa liegt, schläft, ein bisschen Zeitung liest, zwischendurch auf der Gitarre klimpert, agiert hingegen sozial. Durch seine Passivität, die ja nie reine Passivität ist; die gibt es nur im Tod, wird er wieder offen für die Welt. Hyperaktivität verhärtet den Menschen. Passivität lässt ihn weich werden, empfindsam für Eindrücke, Verlockungen, Kinderfragen.

Wobei neue Eindrücke doch wiederum ständig um die Aufmerksamkeit buhlen. Heutzutage scheint mir selbst die Passivität von Disziplin begleitet sein zu müssen, um nicht Gefahr zu laufen, zwischen Gitarre, Zeitung, Kind und iPad hin und her zu pendeln. Die moderne Unterhaltungsindustrie setzt ja mittlerweile den Second Screen voraus, möchte also, dass wir die im Fernsehen laufenden Ereignisse und Nichtigkeiten parallel mit dem Smart Phone kommentieren.

Svenja Flaßpöhler: Das ist richtig. Und die Frage, die sich da aufdrängt, lautet: Wer beherrscht wen? Ich die Maschine oder die Maschine mich? Ich habe mir gerade ein Smartphone angeschafft und laufe ständig Gefahr, dem Gerät erlegen zu sein. Die Faszination, die davon ausgeht, mit dem Zeigefinger die Welt zu bewegen, ist enorm. Das Fatale ist doch, dass wir uns im Grunde gern den Maschinen unterwerfen. Lust dabei empfinden. Wir müssen heute nicht mehr Pferdekarren über Äcker schieben, sondern sitzen auf ergodynamischen Stühlen vor schicken Macs und geben uns dem Rausch der Arbeit hin. Der moderne, technisch hochgerüstete Leistungsträger genießt sein Tätigsein, fühlt sich wichtig mit dem iPhone in der Hose. Warum also soll er nach Feierabend aufhören, das Display zu liebkosen? Um der Aktivitätsfalle zu entkommen, müssen wir das Begehren identifizieren, das uns in sie hineintreibt.

Das flüssige Selbst des modernen Menschen westlicher Industrie- und Informationsgesellschaften hat enorme Probleme der Grenzziehung, ständig wird sich neu erfunden, außer dem Therapeuten sagt uns keiner mehr, wann genug ist. Wie könnten, abseits der bewussten Passivität auf individueller Ebene, Anfänge vom Ende der Beschleunigung aussehen?

Svenja Flaßpöhler: Ich bin mir sicher: Wir kommen um die Systemfrage nicht herum. Wer nur empfiehlt, ab und zu mal das iPhone auszuschalten, betreibt Symptombehandlung, und die geht bekanntermaßen nicht sehr tief. Selbstverwirklichung, für mich immer noch eine lohnenswerte Utopie, setzt die Anerkennung der eigenen Grenzen, das Wissen um die eigenen Neigungen voraus: Ohne Selbst keine Selbstverwirklichung. In Zeiten neoliberaler Flexibilisierung sind wir davon weit entfernt. Marx war der Ansicht, dass Selbstverwirklichung im Kapitalismus nicht realisiert werden kann, weil das Arbeitsprodukt nie dem Arbeiter, sondern einem Anderen gehört. Dieser Andere treibt uns an mit dem Versprechen, dass die Mühe sich lohne. Aber lohnt sie sich wirklich? Möglich, dass wir gerade dabei sind, uns auf grandiose Weise selbst zu verfehlen.

Dieses System ist nicht die beste aller möglichen Welten

Zumal auch die neuen Medien, unter der Preisgabe der Privatsphäre, die Handlungs- und Beziehungsmuster der Nutzer mittlerweile im Sinne der Logik der globalen Verwertungsmaschinerie verändern. Welche Rolle spielt die Genusskultur aus ihrer Sicht in dieser Hinsicht? Für was steht das exzessive Genießen?

Svenja Flaßpöhler: Wer exzessiv genießt, überschreitet zwanghaft Grenzen. Körpergrenzen, Schmerzgrenzen, Grenzen der Privatsphäre, moralische Grenzen. Diese Form des Genießens wird uns durch unsere heutige Kultur nachgerade aufgedrängt, indem sie die Überschreitung einerseits untersagt und gleichzeitig anpreist. Auf der einen Seite sollen wir moralisch integer, fürsorglich uns selbst und anderen gegenüber, leistungsstark, schlank und vieles anderes sein; auf der anderen Seite aber leben wir in einer Kultur der All-you-can-eat-Angebote, der Flatrates, des Internetshoppings, der ständigen Erreichbarkeit und frei verfügbarer Internetpornographie.

Unsere Konsumgesellschaft fördert zwanghaftes Genießen, weil sie einerseits auf strengstem Verzicht beruht, gleichzeitig aber durch ihre Reize die Lust an der Überschreitung provoziert. Wenn ich beim Gehen Emails checke, meinem Gesprächspartner kaum zuhöre, weil es wieder einmal piept in der Tasche, dann fühle ich durchaus – ganz subtil, als leisen Kitzel – in meinem Inneren, dass ich eine Grenze, die Grenze des Anstands, die Grenze meines Aufnahmevermögens überschreite; aber gerade in der Überschreitung liegt ja die Lust.

Das klingt so, als ob durch korrekt angewandte Passivität zugleich der systemimmanente Leistungsdruck ausgehebelt und der Konsumterror abgemildert werden könnte. Das löst noch nicht das oben aufgeworfene Problem, dass die Produkte unserer Tätigkeit selten uns selbst, sondern einem Anderen gehören.

Svenja Flaßpöhler: Der Kapitalismus funktioniert doch nur so lange, wie der oder die Einzelne mitmacht bei dem Dreischritt: Produzieren – Konsumieren – Sterben. Würde er oder sie mehr seinlassen, auslassen und weglassen, bliebe die Shoppingmall am Samstag möglicherweise leer und das Büro auch.

Ich möchte mein Plädoyer für das Lassen tatsächlich nicht nur als ein Aufruf zum Nickerchen am Sonntagnachmittag verstanden wissen, sondern durchaus auch im Sinne des Streiks: Dieses System, in dem wir vor allem damit beschäftigt sind, Geld zu verdienen und Geld auszugeben, ist nicht die beste aller möglichen Welten. Insofern ist es nicht ausgeschlossen, dass der Andere früher oder später sein Köfferchen packen muss, wenn sich die 99 Prozent zu korrekt angewandter Passivität entscheiden.

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Elektronische Kultur

Computerspiele und Suchtgefahr

Hanfblatt Nr. 104

Shoot me!

Warum Computerspiele eine gute Sache sind – obwohl sie auch abhängig machen können

Computer und Konsole sind allgegenwärtig geworden, kein Haushalt ohne Spielmaschine. Die Wissenschaft streitet: Fördern Prozessorkraft und Joystick den jungen Geist oder führen sie schon früh zu süchtigem Verhalten? Ein Streifzug durch die Seele des homo ludens.

Letztlich kam der neunjährige Sohn eines Freundes zu diesem und sagte: „Papa, das bringt soviel Spaß, ich kann gar nicht mehr aufhören.“ Die Rede war von einem Computerspiel, dass er seit zwei Stunden mit seinem Joystick malträtiert hatte. Zwei Umstände sind an seiner Aussage aufschlussreich: Zum einen bemerkt er seine veränderte Geisteshaltung, zum anderen spricht er mit seinem Vater darüber. Wie, so wird die Frage seiner Zukunft lauten, nutze ich das Potential der Prozessoren ohne mich in ihnen zu verlieren? Die Parallelen zum Gefährdungspotential von Cannabis und anderen Drogen sind deutlich.

Auch dieser Sohn wird erwachsen werden und man muss davon ausgehen, dass Computer und die dazugehörigen Spiele ihn weiter durch sein Leben begleiten werden. Wird er dann bemerken, wenn ein Spiel ihn eventuell über Stunden, Tage und Wochen so sehr packt, dass er andere Interessen total vernachlässigt? Das nennt sich Kontrollverlust. Kommen nun noch Entzugserscheinungen und Toleranzsteigerung hinzu sind schon die klassischen Merkmale einer „Sucht“ vorhanden.

Ralf Thalemann arbeitet im Suchtforschungszentrum der Berliner Charité und hat eine Studie über exzessives Computerspielen durchgeführt. „Die Hirnreaktionen von exzessiven Computerspielern ähneln denen von Alkohol- und Drogensüchtigen“, sagt er. Allerdings schlägt nur ein kleiner Anteil der Spieler diesen Weg ein, glaubt man den Untersuchungen, sind maximal 10 Prozent der Jugendlichen, die gerne mal einen ausdaddeln, süchtig danach. Fazit: Daddeln kann abhängig machen, muss es aber nicht. Stellt sich die Frage, wer besonders gefährdet ist.

Auch hier decken sich die Ergebnisse mit den Erfahrungen aus dem Drogenbereich: Die Ursachen für eine Sucht sind genauso komplex wie der einzelne Mensch. Thalemann behauptet: „Menschen, die nicht gut mit Stress umgehen können, sind eher gefährdet exzessives Computerspielverhalten zu entwickeln. Menschen, die dazu tendieren ihre Probleme nicht lösungsorientiert anzugehen, die versuchen, sie zu verdrängen. Besonders bei Jungen hat das Computerspielen dann einen Stress reduzierenden Effekt – man vergisst seine Sorgen, es macht Spaß, man kann in Welten abtauchen, die einem gut gefallen.“

Liegt dazu noch das Verhältnis zu den Eltern völlig brach und sind auch die Freunde nicht in der Lage ein Korrektiv zu bilden, dann sieht es schlecht aus für den High-Score in zeitnaher Zukunft. Es gibt tatsächlich Typen (und es sind nunmal hautsächlich Männer), die fünf Mal die Woche bis spät in die Nacht zocken und sich wundern, dass sie am nächsten Tag nichts gebacken bekommen.

Über die Diskussion der möglichen negativen Folgen des Spielens am Rechner sind die positiven Seiten lange Zeit aus der Sicht geraten. Das ändert sich gerade, in Köln trafen sich vor kurzem Spieler und Spieltheoretiker, um auf der Konferenz „Clash of Realities“ zu erörtern wie Spiele Gesellschaft und Kultur prägen.

Erstes Ergebnis: Es bestehen riesige Unterschiede in der Sicht auf virtuelle Spiele. Eltern und viele andere Erwachsene sehen nur die Oberfläche des Spiels, beobachten entsetzt, wie jemand Autos zu Schrott fährt oder feindliche Soldaten erschießt. Gerade bei den schnellen Actionspielen tritt aber die Optik nach einiger Zeit in den Hintergrund, es geht dann nur noch um den Wettkampf und vor allem um »Flow«, das fast trancehafte Agieren und Reagieren in der durch die Technik vorgegebenen Umwelt. Die Spiele bedienen nicht nur pubertäre Allmachtsfantasien, sondern können schnelles Denken unter Druck, kollektives Vorgehen und Kreativität fördern. Wer einmal „Crazy Machines“ gespielt hat, kann das bestätigen.

Leider sind die Produktionskosten für ein Spiel mittlerweile so hoch, dass sich nur wenige Firmen Experimente abseits der klassischen Spielgenres leisten können. Das dies in Zukunft anders werden könnte, führt zum zweiten Punkt: Die Spielebranche versucht neuerdings auch Frauen und die ältere Generation an den Bildschirm zu locken. Diese haben weniger actionorientierte Vorlieben beim Spielen.

Drittens: Die Zeiten des reinen Geballers sind vorbei. Seit seinem Start im Jahr 2004 hat das Online- Rollenspiel „World of Warcraft“ weltweit 6,5 Millionen Spieler registriert. Zehntausende verhandeln, kaufen, tauschen und, ja, kämpfen hier täglich. Einer der Entwickler des Spiels, Frank Pearce, bemerkte in einem Interview: „Computerspiele sind wie jede andere Art von Medien und Unterhaltung – man muss sich in Mäßigung üben.“

In den konventionellen Computerspielen gibt es nur Täter oder Opfer. Neue Varianten haben von der Literatur gelernt, dass es auch den hilflosen oder duldenden Zuschauer gibt. Obwohl ein typischer First-Person-Shooter, zeigt beispielsweise „Half Half 2“, wohin die Reise geht. Lange Erzählstrukturen durchwirken das Spiels, reines Betrachten und Interaktivität wechseln sich ab. Aber: Nach einem Wochenende „Half Life 2“ reagieren sensibleren Menschen auf scharrende Geräusche im Treppenhaus schon mal nervös. Selbst wenn man dem Genre gewogen ist, fällt doch die Vorrangstellung der militärischen Ego-Shooter auf dem Markt auf. Da liegt der bedauerliche Schluss nahe, dass die männliche Natur enormen Spaß am Verstecken, Zielen, Ballern und Eleminieren zu haben scheint.

Kill Bill

Alle paar Jahre taucht die Diskussion wieder auf, ob diese „Killerspiele“ die Gewalt fördern. Dave Grossmann, ein amerikanischer Psychologe, ist überzeugt, dass Jugendliche durch Videospielen das Töten lernen. Als Beweis führt er immer wieder Michael Carneal an, einen 14-jährigen Jungen aus Kentucky. Dieser stahl eine Waffe und schoss auf Klassenkameraden. Fünfen davon in den Kopf, die anderen drei traf er in den oberen Körperbereich. Der Junge hatte nie zuvor eine Waffe in der Hand gehabt, aber er hatte Videospiele gespielt, in denen genau diese Art zu schießen geübt wird.

So einfach ist es aber nicht mit dem Ursache-Wirkung-Prinzip. Studien weisen darauf hin, dass sich aggressivere Kinder von vornherein häufiger die brutaleren Games aussuchen. Mittlerweile gilt als bewiesen, dass Spieler, die heftig Ballern, auch kurze Zeit nach dem Spiel noch aggressive Tendenzen haben. Die Effekte sind aber deutlich geringer als nach dem Anschauen von Kinofilmen mit Gewaltszenen. Das Feuilleton feiert Filme wie „Kill Bill“ und die Ästhetisierung von Gewalt, will aber unter PC-Spielern nur Dumpfbacken ausmachen. Spielen gilt halt, ob nun elektronisch oder nicht, als Domäne der Kinder, Erwachsene haben sich dem Ernst des Lebens zu widmen.

Ob Spiele mit viel Gewalt auch längerfristige Wirkungen zeigen, ist unklar. Es ist aber unsinnig anzunehmen, dass alleine Computerspiele aggressive Ausbrüche bedingen. Man muss immer sehen, was sonst noch im Leben der jeweiligen Personen passiert und welchen Medienzugang sie außerdem haben.

Die Lust der Menschen aufs Geballer hat auch die US-Armee erkannt. Sie gibt ein grafisch anspruchsvolles Spiel heraus: America’s Army. Im Spiel ist man Soldat – und kann man sich direkt von der echten Armee rekrutieren lassen. Über vier Millionen registrierte Spieler gibt es bereits, einige davon spielen über 40 Stunden in der Woche. Die Armee organisiert Hunderte von Turnieren im Jahr, nach den LAN-Schlachten zeigen Sergeants der Army den Spielern echte Waffen, den besten Spielern werden Jobs angeboten.

Aus gesellschaftlicher Perspektive ergibt sich ein seltsamen Phänomen: Nutzt ein Mensch die Rechenmaschine konstruktiv-kreativ, dann darf er durchaus Tage und Nächte vor der Kiste verbringen: Er ist dann ein „Computerfreak“, ein „Geek“ oder „Nerd“, aber kein „Süchtiger“. Dreht man an dieser Gedankenschraube weiter, dringt einem die ohnehin ausgeprägte Begeisterungsfähigkeit der Computer-Fans in den Geist. Die gesamte Programmierer- und vor allem Open Source-Szene, die Entwickler des frühen Internet und auch die Millionen Hobby-Hardcore-User kommen ohne einen gewissen Hang zum Enthusiasmus gar nicht aus. Für Männer ist der Rechner eben das perfekte Objekt: Jedem Reiz folgt eine Reaktion, die Maschine gehorcht und reagiert stets logisch. Das aus jeder Inbrunst auch Übereifer werden kann ist hinlänglich bekannt. Interessanter zu erforschen als das abgekaute Suchtpotential dürfte zukünftig sein, in wie weit die Maschine rein technisches Denken fördert. Aber bisher beschränkt man sich darauf, wie bei den Drogen auch, ein Phänomen, weil man es nicht versteht, primär als Gefahr zu deuten.

 

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Historische Texte

Haschisch und Unsterblichkeit: Ideen des Königlich Sächsischen Bezirksarztes Dr. F.R. Pfaff (1864)

Haschisch und Unsterblichkeit

Ideen des Königlich Sächsischen Bezirksarztes Dr. Emil Richard Pfaff (1864)

Im Grunde ist für den Menschen nur eine einzige Frage wirklich von Belang: Gibt es eine menschliche Seele, die in irgendeiner Form in einem Jenseits den körperlichen Tod überdauert? Der wissenschaftliche Erkenntnisweg macht da keine Hoffnung: Die individuelle Existenz verlischt demnach mit den Gehirnfunktionen. Das ist eine schockierende und betrübende Vorstellung für unsere Zentralinstanz das Ego, die es stets zu verdrängen sucht. Es möchte gern unsterblich sein. Lassen sich nicht doch Beweise für ein Jenseits finden, die selbst wissenschaftlichen Kriterien standhalten? Dann wäre man auf der sicheren Seite. Mit derartigen Fragen hat sich auch der Arzt Emil Richard Pfaff beschäftigt und seine Überlegungen 1864 in einem kleinen Büchlein, den „Ideen eines Arztes über die Unsterblichkeit der menschlichen Seele“, veröffentlicht. Darin beschäftigt er sich am Ende mit den Wirkungen des Haschisch:

„Die eigenthümliche Wirkung narcotischer Gifte, wie Opium und namentlich Haschisch auf die Gehirnfunction bringt eine so merkwürdige Alienation der Aeußerungen des Seelenlebens hervor, daß man daraus wichtige Schlüsse und Offenbarungen über die Unsterblichkeit der menschlichen Seele hat ableiten wollen, allein so interessant für das Studium der Seele und zum Theil unerklärlich und daher geheimnisvoll diese Wirkungen auch sind, so gehört es doch in das Gebiet der menschlichen Schwärmerei, denselben eine Deutung unterzulegen, wie mehrere französische Aerzte, z.B. Cahagnet, sowie die Swedenborgianer gethan haben. Daß der Gebrauch des Opiums und Haschisch schon in den ältesten Zeiten bekannt war, geht aus den Mittheilungen arabischer Aerzte ganz unzweifelhaft hervor und es ist darnach anzunehmen, daß diese Mittel in den Orakeln und den Geheimlehren der Alten eine Hauptrolle gespielt haben. Es lag ziemlich nahe, die Wirkungen jener Mittel in dieser Richtung zu benutzen, da dieselben hauptsächlich in Hervorbringung einer merkwürdigen Ekstase, verbunden mit einer Art von Clairvoyance, bestehen, in welcher die in der Narcose befindlichen Personen die an sie gerichteten Fragen beantworten und die Bilder zu beschreiben im Stande sind, die ihnen die erregte Phantasie so lebendig vormalt, daß sie selbst an ihre Wirklichkeit glauben. Die Haschisch-Ekstase ist außerdem noch dadurch charakteristisch, daß die in derselben erzeugten Bilder und Phantasien sich tief in das Gedächtnis der Träumer einprägen und die Seele des Verzückten in eine unbeschreibliche Glückseligkeit versetzen. Und diesem Gefühle einer unendlichen, alle irdischen Genüsse weit übertreffenden Wonne ist es zuzuschreiben, daß aus dem ekstatischen Zustande Enthüllungen über das Jenseits erwartet und abgeleitet worden sind. Wie die Somnambüle Dinge sieht und beschreibt, die ihr fern sind, so giebt der durch Haschisch in Ekstase Versetzte Auskunft über Dinge, die den Bereich der menschlichen Fassungskraft weit übersteigen und die Mittheilungen, welche in diesem Zustande über das Jenseits und über die Unsterblichkeit der menschlichen Seele gemacht worden sind, tragen insgesammt ein übereinstimmendes Gepräge, indem sie die Zukunft unserer Seele als eine überaus glückliche bezeichnen.

Nach den Schriften des Arabers Takiyy-eddin Makrizi ist Haschisch unter dem Namen „Keff“ (Haschischat alfokara, l`herbe des Fakirs) schon den ersten Muhammedanern bekannt gewesen. Die Pflanze, von deren Blättern das Mittel bereitet wird, wächst häufig in Egypten und heißt dort Konnab hindi (chanvre, Cannabis indica, Indischer Hanf). Die Zubereitung, welche einfach im Zerstoßen der Blätter und Vermischen des Breies mit Honig und einigen Gewürzen besteht, soll der Scheik Biraztan aus Indien erfahren haben, wo der Genuß des Haschisch seit dem grauesten Alterthume Mode war. In der arabischen Literatur existiren viele Lobpreisungen und Gedichte über dieses Mittel, sowie zahlreiche Vorschriften zu dessen Bereitung. In zu großer Dosis bewirkt es gefährliche Zufälle, sogar Convulsionen und Tod. Der arabische Arzt Ebn-Djezla empfiehlt als Gegenmittel gegen Haschisch den Genuß saurer Milch, Andere empfehlen Essig als Gegenmittel. In einem Punkte stimmen aber alle arabischen Aerzte überein, nämlich darin, daß der öftere Genuß des Haschisch noch weit nachtheiliger für die Gesundheit ist, als der des Opiums und daß unheilbare Geisteszerrüttung als die unausweichliche Folge der täglichen Gewöhnung an dieses berauschende Mittel bezeichnet wird. Es ist dies Grund genug, vor dem Gebrauche dieses Mittels zu warnen, wenngleich französische Aerzte behaupten, daß die jährlich dreimalige Anwendung desselben in nicht stärkerer Dosis, als zu 2-3 Grammes unschädlich sein soll. Nach einer solchen Dosis tritt die Wirkung innerhalb 1-2 Stunden ein und beginnt gewöhnlich mit einem krampfhaften Lachen, worauf die Visionen ihren Anfang nehmen. Daß aber von der durch Haschisch hervorgerufenen Ekstase keine wichtigeren Enthüllungen über unser Seelenleben zu erwarten sind, als von dem Somnambulismus, dem fieberhaften Delirium, dem magnetischen Schlafe, dem Traume und dergl., das geht aus den sehr detaillirten Beschreibungen der Seelenthätigkeit während der Haschisch-Narcose hervor, welche arabische und französische Aerzte und Schriftsteller mitgetheilt haben und denen zufolge die Haschisch-Wirkung weiter Nichts ist, als eine durch Vergiftung hervorgerufene Geisteszerrüttung.

Es bedarf übrigens für den Dichter, Schriftsteller und Künstler , dafern er mit genügendem Talente ausgestattet ist, eines derartigen gefährlichen Erregungsmittels nicht, um seine Seele in eine Exaltation zu versetzen, in welcher er etwas Hervorragendes schaffen kann. Durch tiefes Eindringen in den Gegenstand der Betrachtung, durch Concentration aller Seelenkräfte gleichsam auf einen Punkt tritt bei dem Denker von selbst der an Ekstase grenzende Zustand ein, in welchem ihm Dinge begreiflich und klar werden, die an sich über die menschliche Fassung zu gehen scheinen, und nur in einer solchen Lage sind wir im Stande, den trostreichen Gedanken in seiner ganzen Tiefe und überzeugenden Wahrheit zu erfassen, von dem wir ausgingen:

In dem ganzen Weltall giebt es keinen Tod, sondern nur ein Hinübergehen aus einem Leben, oder einem Zustande des Seins in den anderen.“

 

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Cognitive Enhancement

Hirndoping im Schach

telepolis, 09.02.2011

Jenseits des Schwarz-Weiß Denkens

Jörg Auf dem Hövel

Ist Hirndoping im Schach möglich? Eine praxisnahe Studie sucht Aufklärung

Der legendäre Schachgroßmeister und TV-Kommentator Helmut Pfleger unternahm 1979 einen heroischen Selbstversuch. Vor einer Partie gegen den Ex-Weltmeister Boris Spasski nahm Pfleger einen sogenannten Beta-Blocker ein – wohlgemerkt mit dem Wissen Spasskis. Beta-Blocker galten damals wie heute als probates Mittel gegen Nervosität vor öffentlichen Auftritten. Sie senken in erster Linie den Blutdruck. Pfleger verlor, wie er selber sagte, „sang- und klanglos“, weil sein Puls im Keller und die Gleichmut groß war. Er testete die Substanz noch bei einigen Sportkameraden, die Ergebnisse waren seiner Aussage nach „widersprüchlich, einmal sogar eindeutig schlecht“.

Schach gilt als eine der letzten dopingfreien Domänen. Die Verantwortlichen sind sich seit Jahrzehnten der Sauberkeit ihres Denksports sicher. Umso größer war die Aufregung, als das deutsche Innenministerium den Schachverbänden vor einigen Jahren nahe legte, die Anti-Doping-Statuten zu unterzeichnen. Man drohte mit dem Streichen der Fördermittel. Seit 2009 hat sich der Deutsche Schachbund dem Code der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA) unterworfen. Bei den deutschen Einzelmeisterschaften der Frauen, der Männer sowie der Juniorinnen und Junioren gibt es seither je drei Kontrollen.

Über die potentiellen Möglichkeiten von Hirndoping wird viel spekuliert, aber wenig ist bewiesen. Die oft genannten Kandidaten sind, neben Koffein, das als „Ritalin“ bekannte Methylphenidat und das bei Narkolepsie eingesetzte Modafinil. Keine der Substanzen konnte aber bislang ihren Ruf als Hirndopingmittel gerecht werden. Sie helfen, wenn überhaupt, nur übermüdeten Menschen, länger wach zu bleiben. Intelligenteres Handeln wurde noch nicht beobachtet.

Zusammen mit dem Internisten Harald Balló, der zudem Präsident des Hessischen Schachverbandes ist, führt die Universität Mainz nun eine interessante, weil praxisbezogene Studie durch. 40 Schachspieler werden ihrer ELO- Stärke entsprechend gegen das Schachprogramm „Fritz“ antreten. Sie spielen 40 Partien Schnellschach, wobei sie doppelblind entweder Koffein, Methylphenidat, Modafinil oder einen Placebo erhalten. Jeder Spieler erhält dabei jede Substanz genau einmal. Die Dosierungen werden sich im üblichen Rahmen bewegen: 200 mg (das entspricht zwei Tassen Kaffee) bei Koffein, wahrscheinlich 200 mg bei Modafinil. Beginn der Studie ist im März, Teilnehmer werden noch gesucht. Mit den Ergebnissen ist nicht vor dem Herbst 2011 zu rechnen.

Die Untersuchung dürfte einen Einblick in das reale Potential von Doping im Denksport geben. Bislang gelten Schachpartien als zu diffizil, um mit Aufputschmitteln wie Amphetaminen positiv gelenkt werden zu können, überhastetes Handeln ist unerwünscht. Koffein ist zwar beliebt unter Schachspielern, bei hohen Dosierungen können aber die negativen Kreislaufwirkungen überwiegen, zudem kann das klaren Denken gestört werden. Eine kurze Zeit lang stand Koffein auf der Dopingliste, heute ist das Verbot aufgehoben. Das intellektuelle Ethos der Spieler ist zudem hoch, man ist Stolz auf die reine Denkleistung im traditionellen „Spiel der Könige“.

Dies und wohl auch die fehlenden Kontrollen sind der Grund dafür, dass bislang auf großen Schachturnieren keine Dopingfälle bekannt geworden sind. Es wurde immer wieder vermutet, dass einige Spieler in langen Partien mit Amphetaminen nachhelfen, nachgewiesen werden konnte bislang nichts. Sollte die Mainzer Studie allerdings einen positiven Effekt von Hirndoping nachweisen, dürfte die psychoaktiven Helferlein von einigen Schachspielern sicherlich genauer in Augenschein genommen werden.

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Historische Texte

Das Haschischschmuggel-Museum in Alexandrien – E. Koller (1899)

Das Haschischschmuggel-Museum in Alexandrien

Ein Sittenbild von E. Koller aus dem Jahre 1899

„Seit Jahrhunderten und auch heutzutage noch ist der Haschischgenuß im Orient sehr verbreitet, und zwar frönt man ihm mit Vorliebe in den hierzu besonders eingerichteten, mit seltsamen Wandmalereien versehenen Kaffeehäusern, wo die Haschischpfeife die Runde macht und unter eintöniger Gesang- und Musikbegleitung die Raucher in träumerische Glückseligkeit wiegt. Es ist leicht begreiflich, daß solche Genüsse verlockend auf die Masse des Volkes wirken, und das sogar die in hohem Grade gesundheitsschädlichen Folgen dieses Lasters die denselben Verfallenen nicht mehr davon abzuhalten vermögen.

Schon wiederholt wurde versucht, dem Haschischgenuß durch gesetzliche Verbote zu steuern; so erließ zum Beispiel schon im 13. Jahrhundert der ägyptische Sultan Bebars ein diesbezügliches Verbot, und auch in unserer Zeit bestehen in Aegypten Gesetze, welche nicht nur den Genuß, sondern auch die Herstellung und die Einfuhr dieses verderblichen Giftes verbieten. Trotzdem wird dasselbe in beträchtlichen Mengen heimlich eingeführt, und zwar vorzugsweise durch griechische Schmuggler, die mit ihren leichten Segelschiffen an entlegenen Stellen landen, wo verwegene Beduinen auf sie warten und den beliebten und einträglichen Handelsartikel übernehmen, um ihn auf ihren Kamelen in das Innere des Landes zu befördern, falls es ihnen gelingt, den Späherblicken der Küstenwächter zu entgehen, denen sie nicht selten hartnäckigen Widerstand leisten.

Auch auf weniger gefährliche Weise wird ziemlich viel Haschisch in Aegypten eingeschmuggelt, indem man ihn unter anderen zur Einfuhr bestimmten Waren und Gegenständen versteckt und so die Zollbeamten zu täuschen sucht. Letztere haben jedoch auf diesem Gebiete schon so viele Erfahrungen gesammelt, daß sie auch die heimlichsten Verstecke ausfindig machen und dadurch den Schmuggel immer mehr erschweren. Aus den verschiedenartigen Gegenständen, in welchen auf dem Zollamt in Alexandrien verborgene Haschischsendungen entdeckt wurden, ist daselbst eine reichhaltige Sammlung angelegt worden, die dem Besucher einen interessanten Einblick in die von den Schmugglern angewandten Schliche gewährt und die man als ein Haschischschmuggel-Museum bezeichnen kann.

Beim Eintritt in dasselbe glauben wir uns in eine große Rumpelkammer versetzt, denn ringsum an den Wänden erblicken wir ein buntes Durcheinander von Haushaltungs- und sonstigen Gegenständen, die sich teilweise in einem sehr schadhaften Zustande befinden.

In der Mitte des Zimmers steht ein schönes Piano, dessen Klänge uns nicht ahnen lassen, daß es außer musikalischen auch noch anderen Zwecken zu dienen bestimmt war. Als es bei der Einfuhr zollamtlich untersucht wurde, entdeckte man mit Hilfe eines langen Bohrers, daß es im Innern Haschischpulver enthielt, und nach Entfernung der Rückwand zeigte es sich, daß alle Hohlräume, sogar der unter der Klaviatur, mit Haschischsäckchen angefüllt waren, worauf das Klavier samt Inhalt beschlagnahmt wurde.

Ein anderes Mal wurden etwa zwanzig Dutzend Tischbeine eingeführt, die alle ausgehöhlt waren und Haschisch enthielten; einige derselben sind dem Museum einverleibt worden, wo sie neben einer großen, gar nicht verdächtig aussehenden Korbflasche liegen. Dreht man letztere aber um, so erblickt man in ihrem Innern einen Blechcylinder. Die Flasche war, der Zollerklärung entsprechend, mit Oel gefüllt; bei der Untersuchung entdeckte jedoch der Beamte mit Hilfe seines Hebers das Vorhandensein des Cylinders, worauf die Flasche auf einer Seite eingeschlagen wurde, und ihr aus Haschisch bestehender Hauptinhalt zum Vorschein kam. Aehnlichen Zwecken diente die daneben stehende Cognakflasche; dieselbe war, vielleicht mit einem glühenden Draht, mitten entzwei geschniten und nach Einsetzung einer mit Haschisch gefüllten Blechbüchse wieder zusammengekittet und mit einem großen, alles verdeckenden Etikett versehen worden. Der Betrug wurde indessen auf dem Zollamt entdeckt, was die Beschlagnahme von etwa 150 solcher Flaschen zur Folge hatte.

Mit Vorliebe werden auch ausgehöhlte und sorgfältig wieder verschlossene Quadersteine und Säulen, deren das Museum auch welche enthält, zum Haschischschmuggel verwendet, ebenso Packpapierballen und Tapetenrollen.

Sogar Seifenstücke, die eine kleine Blechbüchse umschlossen, und denen man äußerlich nichts ansehen konnte, mußten demselben Zwecke dienen, ferner ausgehöhlte Bücher, Schemel, Feldstühle, Pferdekummete, Laternenpfähle, Feuerherde und Schubkarren.

Wie viel Schlauheit und Mühe auf den Schmuggel verwendet wird, zeigen die in dem Glase enthaltenen Oliven, welche teils echt, teils aus Wachstuch künstlich hergestellt und mit Haschisch angefüllt sind. Natürlich fehlen in dem Museum auch nicht die mit doppelten Böden und Wänden versehenen Kisten, Koffer und Fässer, welch letztere behufs Erschwerung der zollamtlichen Untersuchung oft mit spitzigen Nägeln angefüllt werden.

Eine häufige Verwendung zu Schmuggelzwecken finden Biskuitbüchsen mit geheimen Abteilungen; auch in Eiskästen wurden zwischen den doppelten Wänden schon bedeutende Mengen von Haschisch entdeckt.
Während des letzten griechisch-türkischen Krieges wurden auffallend viele schön eingerahmte Kriegsbilder in Aegypten eingeführt; bei näherer Untersuchung stellte es sich heraus, daß deren Hauptwert nicht in der künstlerischen Ausführung, sondern in den mit Haschisch gefüllten Rahmen bestand.

Trotz der großen Erfahrung und Wachsamkeit der Zollbeamten gelingt der Haschischschmuggel doch in manchen Fällen und wirft alsdann so hohen Gewinn ab, daß die Schmuggler für ihre häufigen Verluste reichlich entschädigt sind. Ein Pfund dieses Genußmittels, das im Ursprungslande etwa zwei Franken kostet, wird in Aegypten mit fünfzehn bis zwanzig Franken bezahlt, und es ist somit alle Aussicht vorhanden, daß die Schleichhändler auch fernerhin ihren Scharfsinn und ihre Schlauheit aufbieten werden, um die Zollbeamten zu täuschen, und daß sich das Haschischschmuggel-Museum in Alexandrien noch um manches interessante Stück bereichern wird.

Denn es ist eine alte Erfahrung, die im Abendland wie im Morgenland sich stets aufs neue bestätigt, daß Gesetze, die nicht im moralischen Bewußtsein des Volkes wurzeln, sondern rein fiskalischer Natur sind, selbst von sonst ganz ehrenhaften Menschen umgangen werden, und der Schlauheit des Gewinnsüchtigen ein um so weiteres Feld der Unternehmungslust bieten, als es sich hier gleichsam um einen Kriegszustand handelt, der mit den Waffen der List geführt wird, und der neben dem Reiz des Gewinnes auch noch den des Abenteuerlichen hat.“

 

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Outlet-Center als künstliche Shopping-Dörfer

telepolis, 05.02.2011

Bei Neumünster will ein britischer Investor ein Shopping-Dorf mit 100 Läden bauen, bei Soltau ist eine solche Freiluft-Mall schon genehmigt. Die umliegenden Kleinstädte fürchten die Verödung ihrer Ortskerne.

Einkaufen ist heutzutage ein Event, Shopping wird zelebriert. In den modernen Shopping-Malls wird der Einkaufsbummel zum halbtäglichen Familienausflug. Unweit der norddeutschen Stadt Neumünster will nun ein britischer Investor die Menschen aus den umliegenden Dörfern, vor allem aber aus Hamburg, in ein potemkinsches Shopping-Dorf locken und damit den nächsten Schritt bei der Virtualisierung der Einkaufswelten gehen. Auf einem 80.000 Quadratmeter großen Grundstück sollen 100 Markenartikel-Läden entstehen. Während in den Innenbereichen eine Stahlträgerkonstruktion den modularen Aufbau mit Gipskarton erlaubt, sind die Fassaden zweistöckig-norddeutschen Fachwerkhäuschen nachempfunden. Die oberen Etagen existieren allerdings nur als kernlose Hülle, sie sind nicht begehbar. Die mutierte Modellbauwelt will über das bekannte Modell der sogenannten Factory Outlet Center (FOC) hinaus gehen und in erster Linie Mode-Luxusmarken anbieten. Das benachbarte Rendsburg sucht den Bau vor Gericht zu verhindern.

Der sperrige Begriff des „Hersteller-Direktverkaufszentrum“ konnte sich nie so recht etablieren, um sich von den Fabrikverkaufsodor zu befreien wurde schon vor einigen Jahren ein neuer Begriff für diese Art des Vertriebs kreiert: Designer Outlet Center (DOC). In Deutschland existieren zur Zeit elf DOC beziehungsweise FOC (darunter bei Wertheim, Ingolstadt, Wolfsburg, Zweibrücken und Wustermark bei Berlin, dazu die gewachsenen Geschäftsansammlungen in Metzingen, Herzogenaurach und Ochtum bei Bremen).

Weitere Projekte haben bereits eine Baugenehmigung erhalten: Nach Jahre währenden Rechtsstreit setzte sich die Stadt Soltau gegen die Mitbewerber aus Bispingen und Bad Fallingbostel und gegen die Klagen der benachbarten Gemeinden wie Lüneburg durch. Die Eröffnung soll im Frühjahr 2012 erfolgen. Auch dieses Center wäre mit dem Auto innerhalb einer Stunde von Hamburg aus erreichbar.

Im rheinland-pfälzischen Montabaur kann ebenfalls bald billig geshoppt werden, die Stadt wird in der Nähe der A3 ein FOC ansiedeln. Hier hatten die Nachbarstädte ebenfalls geklagt. Das Oberverwaltungsgericht sah die zu erwartende Umsatzverteilung für die jeweiligen Städte unterhalb der sogenannten „Erheblichkeitsschwelle“ von 10 % liegen. Dies ist der gesetzlich festgelegte Rahmen, innerhalb dess umliegende Städte Umsatzeinbußen akzeptieren müssen. Der Grenzwert ist schwer zu berechnen, denn wie viele Einwohner kaufen ihre neue Jeans aufgrund eines nahe gelegenen Outlets nicht mehr beim Einzelhändler im Ort?

Lange Zeit wurden viele der geplanten Outlets verhindert. In Bayern, wo man stolz auf seine kleinteiligen Infrastrukturen ist, konnten sich lange keine Freiluft-Malls etablieren. Das Ingolstadt Village wurde in der Presse als „Dammbruch“ bezeichnet. Die Betreiber des Berliner Centers sprechen in einem Interview in der Bauwelt generös von einem „Lernprozess“, in dem sich Deutschland gerade befände.

Die befürchtete, und in vielen Kleinstädten Deutschlands schon lange Realität gewordene Verödung der Fußgängerzonen ist ursächlich nicht mit der Ansiedlung von Outlets im Umland verbunden. Vielmehr sind verfehlte Standort- und Verkehrspolitik, mangelnde Kaufkraft, Abwanderung in die Großstädte und weitere Faktoren Schuld daran, dass viele Einkaufsstraßen den Charme einer leeren Schuhschachtel ausstrahlen.

Nicht die Outlets waren die ersten auf der Grünen Wiese vor der Stadt, sondern die Groß-Supermärkte. Diese sorgten früh dafür, dass die Kunden beim Kaufmann im Ort fehlten. So schließt Laden auf Laden, unter solchen Umständen ist der Bürgermeister froh, wenn sich wenigstens ein Textil-Discount ansiedelt, was die Attraktivität des Standortes weiter nach unten schraubt.

Egal ob Einzelhändler oder Kette: Wer im Ortskern neu eröffnen will, der muss sich meist mit Bestandsimmobilien rumschlagen, deren Grundriss oft überhaupt nicht zum Vorhaben passt. Dem Angebot eines Outlet-Center-Betreibers, auf das nahe Brachland ein virtuelles Dorf zu stellen, kann dann schon allein aus fiskalischen Gründen kaum jemand widerstehen. Zudem entstehen neue Arbeitsplätze. Die kontinuierliche Verbreitung der Center wird nicht nur das Einkaufsverhalten, sondern auch die Landschaften mitsamt ihrer Infrastruktur noch einmal neu verändern. Aus Einkaufszentren werden Freizeiteinrichtungen.

Das erste DOC Deutschlands entstand 2001 in Zweibrücken. Seitdem befindet es sich im kontinuierlichen Ausbau. Nach der ersten Erweiterung im Jahr 2006 war Zweibrücken mit 75 Geschäften auf rund 15.000 Quadratmetern Verkaufsfläche schon das größte Designer-Outlet Deutschlands. Im Sommer 2008 wurde die dritte Erweiterung auf genau 101 Shops abgeschlossen. 2007 besuchten rund 1,6 Millionen Kunden das Dorf.

Das Outlet im niederländischen Roermond sollte ursprünglich unweit der Grenze in Deutschland entstehen, scheiterte aber am Widerstand der Region. Der Centerbetreiber, die amerikanisch-britische McArthur Glen-Gruppe, hat es sich zum Prinzip gemacht, seine Projekte im Stil der jeweiligen Region zu gestalten. „Village Style“ wird das genannt. Es dient als Vorbild für die Planungen in Neumünster. In Roermond simuliert man die alten Stadthäuser und Gutshäuser der Provinz Limburg in der Architektur. Ziegelfassaden, Torwege, Stufengiebel, kleine Plätze. Das konstruktive Gerüst der Gebäude besteht vollständig aus von außen nicht sichtbaren Stahlprofilen im Grundraster 7,5 auf 7,5 Metern. 100 Geschäfte teilten sich 28.000 Quadratmeter. Die Ladenstadt wird jährlich von knapp 3 Millionen Menschen besucht. Rund zwei Drittel von ihnen kommen aus dem Ballungsraum Köln-Düsseldorf und dem Ruhrgebiet hinüber gefahren.

In Berlin hat der Investor McArthur Glen, der auch die Freiluft-Mall bei Neumünster bauen will, gerade eine Verdoppelung seines Outlet Centers an der B5 bei Elstal auf 90 Läden abgeschlossen. Hier sucht man in märkischen Baustil zu überzeugen. Die Kundschaft besteht tatsächlich hauptsächlich aus Berlinern, in der Ferienzeit, so die Betreiber in einem Interview im Fachmagazin Bauwelt, käme eine „große Anzahl Kunden aus den anderen Bundesländern“ hinzu.

In allen Outlets geht es vornehmlich um den Vertrieb von Bekleidung. Vom Gesetzgeber sind die Outlets verpflichtet worden, nur Vorsaisonware und Überhänge zu verkaufen, damit keine direkte Konkurrenz zu den Einzelhändlern in der Innenstadt besteht. Die klagen aber darüber, dass neue Modell teilweise nach zu kurzer Zeit in die Desigern-Schnäppchenmärkte gelangten. Und darüber, dass es sich bei manchen Waren um Extra-Anfertigungen für die Outlets handele.

Die Outlets zielen auf den „Smart-Shopper“, der inkonsistent, markenbewusst und zugleich preiswert einkauft. Britischen Erhebungen zu Folge wandelt der Normalshopper zweieinhalb Stunden im Outlet umher, ist das Angebot an Restaurants und Entertainment größer, werden schnell auch vier Stunden daraus. Die Hälfte der Befragten besucht das Center als Teil eines Tagesausflugs, in Großbritannien waren sogar 75% mit Freunden und Bekannten unterwegs. Der Architekt Rem Koolhaas nennt Einkaufen die „letzte verbliebene Form der öffentlichen Tätigkeit“, die den Raum wie nichts anderes prägt.

Neben den Einheimischen locken die Outlets zunehmend auch ausländische Shopper. Ihnen wird in allen ihren Geschäften die Möglichkeit zum Tax Free Shopping geboten. Wer den Europa-Urlaub plant, kann den Besuch im Outlet gleich mitbuchen – Transport vom und zum Flughafen eingeschlossen. Von München aus verkehren beispielsweise regelmäßig Busse in das Outlet Center nach Ingolstadt.

Die meisten Besucher kommen aber mit dem eigenen Auto, ein weiterer Trend im modernen Konsumverhalten. Man geht nicht mehr einkaufen, man fährt, selbst wenn der Markt in der Nähe ist. In Städten legen einige Supermärkte nur noch Zufahrten für Autos an, Fußgänger müssen auf der Straße in den Markt gelangen.

Die Outlets sind nun ganz auf den Autofahrer konzentriert, riesige Parkplätze sorgen für das gute Gefühl, die aus der Innenstadt bekannte, lästige Parkplatzsuche entfällt. Wie weggewischt sind auch die sozialen Problemgruppen, die in den Innenstädten den geschmeidigen Einkaufsfluss durch Bettelei stören. Aus dieser Perspektive sind Designer Outlet Center ein Versuch, die hochglänzenden, guten Seiten des urbanen Lebens in einen Reinraum zu extrahieren und sie sogar quasi-demokratisch zu legitimieren, weil nun jeder Zugang zur Luxusartikeln erhält.

In den USA ist der Outlet-Trend vorbei, man spricht durch die 350 Center von einer Sättigung. In Großbritannien sieht das ähnlich aus, hier existieren über 50 FOC, von jeder großen Stadt lässt sich mittlerweile ein Center innerhalb von einer Stunde mit dem Autor erreichen.

Luft nach oben herrscht noch in Spanien, Italien und Deutschland. Der in Neumünster aktive Betreiber McArthur Glen ist seit Beginn der neunziger Jahre der Vorreiter für diese Art von Shopping-Tempeln. Die Firma betreibt 17 Outlet Center in ganz Europa. Am nun geplanten Outlet Center wird das Dilemma der aktuellen Raumentwicklung deutlich.

Nicht die örtliche Politik gestaltet ihre Gemeinde, sondern internationale und anonymisierte Finanziers. Die haben wenig Interesse an den kommunalen Belangen, für sie sind Areale und Wiesen austauschbar. Was tatsächlich von den örtlichen Besonderheiten berücksichtigt wird, ist die Architektur, die wiederum nur mit dem Lokalkolorit spielt und leere Hüllen schafft.