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Historische Texte

Beobachtung über die Wirkungen des Haschisch des Bremer Afrikaforschers Gerhard Rohlfs 1866

Beobachtung über die Wirkungen des Haschisch

Erfahrungen des Bremer Afrikaforschers Gerhard Rohlfs (1831 – 1896)

Der bekannte deutsche Afrikaforscher Gerhard Rohlfs (Wikipedia) bereiste teilweise noch unbekannte Gebiete Nordafrikas und probierte selbstverständlich auch Haschisch. Hiervon berichtete er im Jahre 1866. (Der Text stammt aus Rohlfs Reisebericht: „Land und Volk in Afrika, Berichte aus den Jahren 1865-1870“, Bremen 1870)

„Mursuk in Fessan, Ende Januars 1866.

Unter Haschisch verstehen die Araber im weitern Sinne jedes Kraut, näher jedoch bezeichnen sie damit den indianischen Hanf, cannabis indica…,weil an Vorzüglichkeit jedes andere Kraut gegen dieses in den Hintergrund tritt. Von Tripolitanien an nennen die Eingeborenen diese Pflanze Tekruri, und diesen Namen führt sie auch in der Türkei, Aegypten, Syrien, Arabien und Persien vorzugsweise…

Ich füge hier hinzu, daß die Cannabis indica wohl weiter nichts ist als die verwilderte oder wilde Cannabis sativa, und eher eine Pflanze der gemäßigten Zone als der heißen ist, denn je weiter man nach Süden vordringt, je seltener und krüppelhafter gedeiht dieselbe. Während man z.B. äußerst schöne Exemplare in den gemäßigten Bergregionen des Kleinen Atlas der Algerie und Marokko`s findet, die eine Höhe von manchmal 1 1/2 Meter erreichen, gedeiht in den heißen Oasen Tafilet, Tuat und Fessan die Pflanze nur kümmerlich, obgleich die Bewohner alle Sorgfalt auf ihren Anbau anwenden, und von Norden wird dieselbe nach Süden exportiert.

Die Eingeborenen bedienen sich derselben auf verschiedene Weise: Entweder sie zerschneiden die getrockneten Blätter und Blüthen sehr kleine und rauchen sie entweder rein oder mit Taback vermischt aus kleinen Pfeifen oder Cigarretten, oder sie vermischen dieselben mit Tumbak (Taback) und rauchen so dies Kraut aus der Nargile, oder, wie in Syrien, sie bereiten wie Thee eine Art Infusion und trinken den Aufguß mit Zucker versüßt, oder endlich man pulverisiert Blätter und Blüthen, und schluckt dies Pulver rein oder mit Zuckerstaub vermischt herunter, oder auch mit Honig und Gewürzen zu einer Art Backwerk verarbeitet; so bereiten sie aus denselben kleine Kuchen, die unter dem Namen Majoun verkauft werden.

Mag man nun Haschisch nehmen unter welcher Form man wolle, immer übt dasselbe einen starken Rausch aus. Europäer jedoch, welche Beobachtungen darüber anstellen wollen, können dies nur, entweder indem sie eine Infusion trinken, oder das Haschisch-Pulver essen, denn um eine Wirkung vom Rausche zu haben, muß man den Rauch so tief einziehen, was Araber, Perser und Türken zwar auch beim Taback- und Opiumrauchen thun, daß der Dampf, in die Lungen eingesogen, unmittelbar mit dem Blute in Berührung kommt. Zwei Theelöffel voll Haschisch genügen, um einen kräftigen Rausch bei einem Neuling hervorzubringen.

Eindruck, den auf mich die Cannabis machte.
In Mursuk, 25.Januar 1866, Abends 6 Uhr.

Ich trinke Thee in Gesellschaft Mohammed Besserkis, Enkel des Sultans Mohammed el Hakem von Fessan. Mein Bewußtsein ist vollkommen klar. Ich nehme zwei Theelöffel voll Haschischkraut, welches in einer Kaffeeröste etwas gedörrt, dann pulverisirt und mit Zuckerstaub gemischt worden war. Mein Puls war im Moment des Nehmens 90 (wie immer).

Nach einer viertel Stunde gar kein Erfolg. Wir essen zu Abend: Kameelfleisch mit rothen Rüben, Kameelfrikadellen, weiße gebackene Rüben, Bohnensalat; Salat aus Zwiebeln, Tomaten, Knoblauch und Radieschen bestehend; Brod, Butter und Käse.

Besserki sagt mir, daß die Wirkung nach dem Essen kommen werde, ich indeß, – es ist jetzt 7 Uhr, – merke gar nichts. Wir trinken eine Tasse schwarzen Kaffee ohne Zucker.

7 Uhr 10 Minuten. Mein Puls hat nur 70; ich friere, obgleich eine Pfanne mit Kohlen vor mir steht. Besserki sagt, er spüre stark die Wirkung und befiehlt meinem Diener, einige Datteln zu bringen, um wie er sagt, die Wirkung zu beschleunigen; auch ich esse zwei Datteln.

7 Uhr 20 Minuten. Mein Puls hat 120 oder mehr. Bin ich in einem Schiffe? Die Stube schaukelt, mein Bewußtsein ist indeß vollkommen frei, blos scheint mir Besserki sehr langsam zu sprechen und ich vergesse oft den Anfang vom Satze, da er spricht. Auch wenn ich jetzt denke, vergesse ich, womit ich angefangen.

7 Uhr 45 Minuten. Mein Herz schlägt so, daß ich jeden Schlag höre, Puls zählen unmöglich.
Besserki sagt, er will fortgehen, mein Diener geht mit; ein anderer zündet mir eine Nargile an. Ich rauche und fliege, obgleich ich mit den Händen fühle, daß ich liege.
Ich denke ungeheuer schnell und glaube, daß ich beim Schreiben dieser Zeilen Stunden zubringe.

8 Uhr. Mein Blut schlägt Wellen, und einzelne Theile fallen von meinem Körper, obgleich ich mich dumm niederschreibe, denn ich habe vollkommen freies Bewußtsein, daß ich alle Glieder besitze. (Ich dachte wahrscheinlich, daß ich dummes Zeug niederschrieb, denn zu lesen war mir unmöglich.) Ich denke, ich will ausgehen.

8 Uhr 20 Minuten. Ich träumte, ich ginge aus, die Straßen der Stadt verlängerten sich und waren mir ganz unbekannt, die Häuser sehr hoch; ich glaube, ich war in der Polizeiveranda, wo ein Mann war, um zu petitioniren und zu mir mit einem Gesuch kam; ich ging dann zurück und setzte mich vor mein Haus.
Ich bin ohne allen Willen; die Wand gegenüber meinem Hause war schön tapezirt, auch hörte ich von fern schöne Musik und jetzt schreibe ich und sehe, daß Alles erlogen ist.
Ich will mich legen, aber bin ich wirklich verrückt?

Ich liege jetzt (8 Uhr 30 Minuten), mein Wille ist ganz weg und in mir großer Sturm. Das Licht brennt seit Stunden und ich kann es nicht ausblasen, aber ich schreibe, und da ich denke, so bin ich doch wohl nicht gelähmt. Bin ich wirklich hier? Mein Hinterkopf ist sehr angefüllt. Ich bin ungemein leicht, und wenn ich nicht schriebe, würde ich in der Luft schweben.

26. Januar Morgens.

Bis so weit hatte ich gestern Vermögen gehabt, während des Rausches zu schreiben; ich verfiel dann in einen festen Schlaf, aus dem ich heute Morgen um 9 Uhr erwachte. Nachdem ich die im Rausche niedergeschriebenen Empfindungen gelesen, war meine erste Frage, ob ich wirklich nach der Polizeiveranda gegangen sei, oder dies blos geträumt habe? Es fand sich denn, daß ich wirklich dagewesen sei, ganz vernünftig gesprochen habe, überhaupt Niemand auch nur die leiseste Ahnung hatte, daß ich im Tekrurizustande mich befände.

Nachträglich kann ich nun constatiren, daß

1) man sich ungemein leicht glaubt und oft zu schweben meint.
2) Daß der Puls, im Anfange vermindert, im vollen Stadium des Rausches eine solche Geschwindigkeit erreicht, daß es für den im Rausche Befindlichen unmöglich ist, ihn zu zählen.
3) Starker Blutandrang nach dem Hinterkopfe.
4) Auffallende Lähmung der Willenskraft.
5) Das Gedächtnis verliert seine Regeln, naheliegende Dinge werden vergessen, andere aus längst vergangenen Zeiten werden aufgefrischt.
6) Alles erscheint in den schönsten Farben und in vollkommener Harmonie.
7) Manchmal lichte Augenblicke, verbunden mit schrecklicher Angst, daß dieser Zustand immer dauern möge.
8) Endlich der ganze Rausch sui generis, und eher ein Verrücktsein, als das, was wir Europäer unter Rausch verstehen, zu nennen.

Heute Morgen indeß befinde ich mich vollkommen wohl und verspüre auch nicht im Mindesten einen sogenannten Katzenjammer.“

 

 

 

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Wie man aus dem Kino herausgeführt wird

Denn entscheidend ist, wie man aus dem Kino herausgeführt wird

Glattgebügelt in einem neuen Kino-Palast

Die Erscheinung der übergroßen Kino-Center ist ein neues Übel der Großstadt. Das sollte jedem konservativen und vorurteilsfreudigen Menschen schon klar sein, bevor er zum ersten Mal so einen Glaspalast betritt. Verirrt er sich dennoch in den medialen Tempel -meist weil Freunde ihn überredet haben- schlägt ihm die ganze Macht der arroganten Architektur des Größenwahns entgegen. Der riesige Raum mit seinen fünf bis zehn Kassenhäuschen erinnert nicht umsonst eher an eine Kirche denn an ein Schmuddelkino auf dem Kiez. Der gläubige Kunde wird in erster Linie durch das Gesamtereignis beeindruckt und geblendet, der Film an sich tritt dabei mehr und mehr in den Hintergrund. In dieser Atmosphäre soll sich keiner wohl fühlen, vielmehr durch sakrales Design zu Demut angehalten werden. Deutet man es positiv, hat der Film schon angefangen bevor man im Saal sitzt.

Ohne Karte kein Einlass. Richtig warm um´s Herz wird dem Kino-Freund, wenn er nicht mehr in intimen Kontakt mit dem Kassierer treten muss, weil eine Glasscheibe die beiden Mitmenschen trennt. Ein Lautsprecher brüllt die metallenen Preise und die Geldscheine werden durch eine antiseptische Schleuse in das Innere der Kammer gesogen. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis endlich der ineffektive Faktor Mensch gegen vollautomatische Karten-Raus-Rotz-Geräte ersetzt wird. Per Rolltreppe schwebt man dann auf die nächste Ebene. Hier riecht es ebenso wie unten, nämlich nach rein gar nichts. Selbst die Luft aus der Fresstheke gerät nicht an die Nasenhärchen, wird sie doch von der strengen Klimaanlage zügig ins Freie geblasen. Die Taco-Chips und der Popcorn schmecken leider recht ähnlich. Da hilft selbst das Bier nicht weiter, welches hier wie das Junk-Food in den Größen „Medium“ und „Large“ angeboten wird. Eine mittelschwere Zumutung für jeden norddeutschen Geniesser. Amerika, ganz unten.

Die Krönung kulinarischer Begleitgenüsse ist allerdings die rosa Rotunde. In diesem Neon-Pavillion wartet aufgeschäumter Zucker auf seine Einnistung in Zahnlücken. Ihr Dasein verdanken diese Gummibärchen-Abkömmlinge der chemischen Industrie, die wahrscheinlich auch noch die speziellen Neon-Röhren stiftet, welche die Szenerie wie einen Gruselfilm im Cyberspace ausleuchten.

Nun ist es aber keineswegs so, dass sich das Publikum in diesem Ambiente unwohl fühlt. Wo Großeltern denken würden, sie wären in der Zukunft gelandet, gleitet das moderne Klientel butterig durch. Dies ist auch nicht schwer, denn die Metamorphosen dieser Menschen halten ständig mit den glatten Oberflächen des Interieurs Schritt: Allen gemeinsam ist ihre strikte Abneigung gegenüber Naturfasern. Nur Aramid-Gewebe und andere Techno-Fasern haften auf den Noch-Körpern dieser Mutanten des WWW. Schwarz, früher noch modische Farbe des existenziellen Widerstands (Sinnlosigkeit macht Nichts), später Ausdruck von Friedhofssymphatisanten (Nichts macht Sinn), ist zum Ausdruck des virtuellen Chimäre (Nichts ist Macht) geworden. Und gerade so, wie der vorherige Satz keinen Sinn macht, rülpst die Hollywood-Maschine mit ihren ewigen Märchen von Gut und Böse immer öfter Filme ohne Anleihen am Logos aus. Leinwandgröße suggeriert Qualität des Films, aber in den Sitzen lässt es sich wahrlich aushalten. Vorbei die Zeiten, in denen man sich nach eineinhalb Stunden Terence Hill und Bud Spencer wie nach einem Atlantikflug fühlte. Wie gut das betreibende Kino-Konsortium es mit ihrer Kundschaft meint, merkt der werte Besucher erst am Ende des Films. Dann nämlich heisst es Abschied nehmen von den demütigen Gedanken an die Glitzer-Welt des Eingangsbereich. Aus dem Prachtsaal heraus geleitet, stolpert man -noch visuell benommen- durch ein vielstufiges, unverputztes Treppenhaus, bevor man durch eine Feuerschutztür auf einem Parkplatzacker mit metertiefen Pfützen landet. Der Ausblick ist großartig, gibt er doch den Blick auf eine Hochhauskolonie frei, deren Bewohner sich zum Teil weder eine Kino-Karte noch die überteuerten Fresssalien leisten können. Welcome to the real world!

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Reisen

Seychellen – Reif für 115 Inseln

Aus der Petra

Reif für 115 Inseln

Mehr geht nicht: Wer auf der Suche nach dem perfekten Strand ist, findet auf den Seychellen sein Ziel. Und reist dafür mit zwei neuen Faibles wieder ab: Naturwunder und seltsame Insel-Geschichten.

„Tut mir Leid“, sagt Beate Sachse und streicht über die Baumrinde. Die Rangerin, die mich durch den dichten Urwald führt, entschuldigt sich bei einem Baum? Allein das ist verblüffend. Was mich aber noch mehr wundert: Es klingt ganz selbstverständlich. Denn hier auf Frégate und den anderen Seychellen-Inseln, wirkt die Natur so mystisch-lebendig, so beseelt, dass einen eher erstaunt, dass keine Antwort kommt. Von der alten Riesenschildkröte zum Beispiel, die einen müde anblinzelt und hier wahrscheinlich schon vor hundert Jahren im Schatten döste, als das Wort „Ferntourismus“ noch nicht mal existierte. Oder von den einzigartigen Granitfelsen, die wie „Herr der Ringe“-Gestalten wirken, und die von Piraten und Bacardi-Spot-Drehs erzählen könnten.

Warum Beate sich bei dem Baum entschuldigt? Sie hat seine Rinde angeritzt, um mir ein kleines Wunder zu zeigen: Denn die Bäume hier können bluten. Und vielleicht haben sie ja auch tatsächlich eine Seele? Beate, die seit einem halben Jahr auf Frégate lebt und arbeitet, gefällt der Gedanke. Sie lacht und erzählt mir, wie die seltsamen Drachenblutbäume auf die Insel kamen: „Sie wachsen eigentlich in Indien. Einwanderer haben ihr Holz nach Frégate mitgebracht, um Vanilleranken daran anzubauen. Doch die Geschäfte liefen schlecht, sie verließen die Insel wieder. Zurück blieben brachliegende Gewürzfelder, wo das Holz auf fast magische Weise neue Wurzeln schlug.“ Inmitten dichten Urwalds entstand so ein lichtes Wäldchen dieser seltsamen Pflanzen mit tiefrot durchtränktem Stamm.

Nicht das einzige Naturwunder der Insel: Im Winter finden seltene Wasserschildkröten aus fernen Gewässern den Weg hierher, um an den einsamen Stränden ihre Eier abzulegen. Und wer durch den Dschungel spaziert, trifft vielleicht auf einen furchtlos-frechen Magpie-Robin. Nur noch etwa 30 Exemplare dieses Vogels gibt es weltweit – alle leben auf Frégate.
Nach Auffassung der Geologen sind die Seychellen, die abgeschieden 1.000 km östlich von Afrika im Indischen Ozean liegen, ein versprengter Rest des Ur-Kontinents Gondwana. Oder, wenn man es poetisch ausdrücken möchte: eine Laune des lieben Gottes, der sie ins Meer streute, um schon mal für sein Meisterstück, den Garten Eden, zu üben.

Nicht nur die Natur der Seychellen bietet Wundersames – auch ihre Geschichte ist von Mythen durchzogen. Bis ins 18. Jahrhundert waren sie weitestgehend unbewohnt, boten Unterschlupf für Piraten. Ihre Raubschätze sollen noch heute vergraben liegen. Nur gefunden wird nie etwas. Offiziell zumindest. Erfolgreiche Schatzsucher müssten dem Staat 90% abgeben.
1740 wurde der Freibeuter Olivier Le Vasseur, der seine Reichtümer auf den Seychellen versteckt haben soll, hingerichtet. Vorher schleuderte er aber noch eine Karte voll undurchsichtiger Zeichen und verschlüsselter Hinweise in die Menge.

„Wir Seychellois lieben solche mystischen Geschichten“, erzählt Micheline Georges, die selbst Teil dieser Legenden ist. Die alte Dame bewirtschaftet den „Jardin Du Roi“ auf der Hauptinsel Mahé, früher eine Gewürzplantage, heute ein verträumtes Ausflugsziel für Botanikliebhaber und Romantik-Fans. Sie ist Nachfahrin des rätselhaften Monsieur Poiret, der Anfang des 19. Jahrhunderts unter mysteriösen Umständen aus Frankreich hierher kam. Noch heute hält sich das Gerücht, er sei letzter rechtmäßiger Erbe der französischen Krone gewesen. Ein schöne Geschichte, doch so recht scheint nicht mal Micheline dran zu glauben. Fest steht aber, dass sich im Besitz ihrer Familie Silber und Besteck mit französischen Königswappen befinden. Ob das wirklich als Beweis reicht? Egal: Micheline erzählt spannend, die Veranda ihres Cafés mit Blick auf Garten und Meer wirkt wie eine koloniale Puppenstube – und ihre „Daube de Banane“, Bananen in Kokosmilch, sind ein Gedicht.

Wer hier oben in dem feinen Gärtchen in den Bergen der Hauptinsel Mahé glaubt, bereits im Paradies angekommen zu sein, war noch nicht ein paar Inseln weiter auf La Digue. Eine Welt, deren Lebenstakt von den langsam am Strand auslaufenden Wellen bestimmt zu sein scheint. Dagegen wirkt Mahé mit der Hauptstadt Viktoria wie eine quirlige Metropole. Viktoria ist der einzige Flecken hier, der den Titel Stadt überhaupt verdient.

Auf La Digue versteht man zum ersten Mal, was „Entschleunigung“ bedeuten könnte. Ochsenkarren holpern über die Wege, Autos gibt es kaum, 3.000 Menschen leben hier. Wer in eine andere Ecke der Insel möchte, mietet ein Fahrrad und ist spätestens nach 20 Minuten an jedem beliebigen Ziel. Wobei es einen als erstes fast wie ferngesteuert zum „Anse Source à Jean“ zieht. Zu spektakulär ist sein Ruf, zu unglaublich die Bilder seines von Granitfelsen gesäumten Strandes, die jeder kennt. Bilder, die immer dann auftauchen, wenn Träume verkauft werden sollen. Ein Symbol für die Sehnsucht nach dem perfekten Platz.
Nichts wie hin! Gleich am ersten Abend. Warten will keiner mehr, wenn er hier erst mal an Land gegangen ist. Verblüffenderweise ist es trotzdem still und einsam hier. Vielleicht haben wir auch nur Glück. Die Brandung plätschert auf dieser Seite der Insel zahm. Der Weg schlängelt sich durch Mini-Schluchten zu immer neuen Buchten. Irgendwann hört man auf, irgendeine davon zur schönsten erklären zu wollen. Die Steine wechseln im Abendlicht von Zartrosa zu leuchtend Violett. Von den wenigen Menschen, die einem begegnen, spricht keiner. Als sei ihnen plötzlich bewusst, dass sie endlich am Ziel sind. Dass es schwierig sein wird, Schöneres zu entdecken.
Und trotzdem: Auf den Seychellen gibt es immer noch eine Steigerung von einsam und friedlich. Auf Frégate weiter süd-östlich hat man die Ruhe zum Marketingkonzept erklärt. Oder vielleicht auch nur dem Wunsch des Besitzers der Privatinsel inklusive Luxusressort nachgegeben, dessen Haus auf einer Klippe am Meer thront. Nur alle paar Monate kommt er selbst vorbei. Sein Name wird verschwiegen. Gerüchteweise hört man, es sei ein reicher Deutscher, der sein Vermögen einsetzt, um eines der letzten, kaum berührten Paradiese zu erhalten.

Sein Luxusressort zählt gerade mal 16 Villen – 32 Gäste und die Insel ist ausgebucht. Außerdem leben und arbeiten 115 Menschen hier, die sich um das Hotel und die Plantagen kümmern. Früher gab es auch mal ein kleines, einfaches Hotel am Strand. Der Schriftsteller Ian Fleming soll dort James Bond erfunden haben. Sicher hat die Insel der Film-Figur das Faible für exotische Abenteuer-Ziele eingehaucht.
Pierce Brosnan hat sich nach seinem letzten 007-Dreh hier erholt. Paul McCartney war auf Flitterwochen da. Brad Pitt, Jennifer Aniston und Michael Douglas sollen ebenfalls zu Gast gewesen sein. Aber auch hierzu schweigt die Hotel-Crew eisern. Vielleicht haben sie ja von den Seychellois gelernt: Interessante Halbwahrheiten ergeben oft den spannendsten Gesprächsstoff.
Am Tag der Abreise treffe ich noch mal Beate. Sie strahlt, weil sie im Wald gerade Eier eines Magpie-Robin entdeckt hat – ein Stück neue Hoffnung für die vom Aussterben bedrohten Tiere. Wir strahlen gemeinsam. Ihr Enthusiasmus für die Natur steckt an – nicht nur uns.
Zweimal im Jahr muss die ganze Hotel-Crew vom Direktor bis zum Zimmermädchen Kokosnüsse einsammeln. Die haben nämlich erst die Menschen auf die Hügel der Insel gepflanzt. Sie würden heute die ganze Insel zuwuchern, wenn man sie ließe – und könnten das natürlich Gefüge, Grundlage für viele Tiere und Pflanzen, zerstören. Deshalb passiert es manchmal, dass die reichen und berühmten Gäste der Insel, die Luxuspreise zahlen, um auf der privaten Insel absteigen zu dürfen, mitschuften beim großen Kokosnuss-Sammeln. Trotz Urlaub. Weil die einzigartige Natur sie verzaubert hat.