Kategorien
Kiffer Typen

Kiffer Typen: Der Esoteriker

Kiffer-Typen VI

Erschienen im HanfBlatt in den 1990er Jahren. Überarbeitete Version.

Der Esoteriker

Langsam schwebt er in den Raum und seine Aura hat er auch mitgebracht. Davon ist sein Körper umhüllt wie ein Wattebausch und sie signalisiert die Offenheit für alles, was dem Rationalisten den Kamm schwellen lässt. Der schräge Mitbewohner aus seiner WG gab ihm jüngst den Tip, in jeden gesprochenen Satz ein Wort mit „F“ einzubauen – so würde das Gleichgewicht im körpereigenen Alphabet wiederhergestellt werden. Und unser Freund richtet sich tatsächlich danach, denn irgendeine der gerauchten Papiertütchen mit Kräutermischung hat ihn auf den Trip seines Lebens geschickt: Er ist ein kiffender Esoteriker.

Zunächst wunderten sich seine Eltern darüber, dass das Kiefernholzsofa aus dem Kinderzimmer flog und nur noch auf Matratzen und Sitzkissen gesessen werden konnte. Als dann Duftlampen, indische Tücher und Salzkristalllampen Einzug hielten, ahnten sie, dass in ihrem Sohnemann tiefgreifende Veränderungen vorgehen, die sich auch in der Kuschelecke niederschlagen. Das wahre Ausmass der bürgerliche Katastrophe wurde ihnen aber erst klar, als neben den „Fünf Freunde“ Büchern von Enid Blyton plötzlich Werke mit seltsamen Titeln wie „Die Prophezeiungen von Celestine“, „Reiki für Anfänger“ oder „Heilen mit Steinen“ standen. Da aber sass unser Freund schon lange im grossen Fahrzeug mit Namen „Selbstfindung“.

Das dieser Mensch kifft, kann ihm gar nicht hoch genug angerechnet werden, denn die meisten Esoteriker wollen mit „Drogen“ nix am Hut haben. (Ob Angst oder Unwissenheit hier Pate steht, sei dahingestellt.) Oder sie gehören zu der noch schwerer zu ertragenen Sorte derjenigen, die früher Cannabis genossen haben, dann aber mit ihrem Konsummuster (zu viel oder nie wirklich was gemerkt) scheiterten und heute unter dem Deckmantel des „High ohne Drogen“ das hohe Lied der Abstinenz trällern. Dabei würde Poona ohne Charras gar nicht existieren.

Unser Freund raucht den Hanf als warmherzigen Begleiter in Richtung Nirwana, Paradies, kosmischen Ganzen oder wie auch immer sonst man das Unaussprechliche nennen mag. Er ist so frei, sich dabei nicht auf die kleinen THC-Moleküle allein zu verlassen, was seine Beständigkeit im Hier und Jetzt angeht. Aber trotzdem schlendert er mit einem milden Lächeln durch den Eso-Shop um die Ecke, ganz nach dem Motto: „Ich sehe was, was ihr nicht seht.“

Dennoch kann es passieren, dass auch er vor den Werken von Wilhelm Reich stehen bleibt um die allgegenwärtige Kraft des „Orgon“ -die Reichsche Variante der Lebensenergie (indisch „Prana“)- zu spüren. Oder er landet in einem Seminar mit dem Namen „Mit Klangschalen Haustiere von Flöhen befreien“. Dabei trägt er „Bioergothermische Schuheinlagen“ und hat sein eigenes vitalisiertes und energetisiertes Wasser im Jute-Rucksack mitgebracht. Sein Streben zu tieferen, inneren Wahrheiten nimmt zum Teil so groteske Züge an, dass er bei der wöchentlichen Aura-Soma Behandlung aus heiterem Himmel einen Urschrei loslässt, dagegen bei der Urschreitherapie alle Balance-Öle auf sein erigiertes Glied schüttet, sich wild auf die Leiterin der Session wirft und sie in die biegsamste Stellung des Tantra zerrt. Diese hält das („Gott sei Dank“) für die Früchte ihrer Arbeit und so kommt unser Freund mal wieder zum Poppen. Om.

Aber wie kommt jemand überhaupt auf den Trichter Gnome unter Steinen zu suchen, Wünschelruten zu basteln, literweise angegammelten Pu-Erh-Tee in sich reinzuschütten oder überall Mysterien zu sehen? „Komplexitätsreduktion“, schreit hier der Systemanalytiker, „verirrte Sinnsuche“, der schäfchenlose Pastor, „zu wenig körperliche Arbeit“, der Sozialdarwinist. Auf unseren esoterischen Freund trifft alles von dem Gesagten zu, er ist die Fleisch gewordene Verwirrung des Fin de siecle.

Vor lauter Apfelessig und Schamanenkursen hat er noch gar nicht bemerkt, dass er Opfer einer Konsumgeilheit ist, die von der wuchernden Esoterikbranche bedient wird. Das Fatale daran ist, dass vieles von dem Spuk tatsächlich funktioniert, nur kann unser Freund sich halt nicht entscheiden. Nur abends, wenn er mit Sportzigarette vor der Glotze hängt und wie in alten Zeiten Fussball guckt, fühlt er sich mit sich selbst und der Umwelt im Reinen.

Kategorien
Kiffer Typen

Kiffer Typen: Der Experte

Kiffer-Typen V

Erschienen im HanfBlatt in den 1990er Jahren. Überarbeitete Version.

Der Experte

Während die andere Kinder auf dem Bolzplatz rumrannten, saß er über seinem Mikroskop und drang in den Mikrokosmos ein. Er hatte die Schularbeiten immer gemacht und war im Sport die Null. Sein Weg schien vorgezeichnet: Mit Glück würde er an der Universität als Dozent landen, mit Pech als höherer Beamter im Katasteramt. Doch es kam anders, denn irgendwann zog er vorsichtig an einer Pfeife, inhalierte, zog noch mal und viel grinsend nach Hinten. In diesem Moment war klar, dass sein zukünftiges Leben anders laufen würde, als Mami und Papi sich das vorgestellt hatten. Er konnte selbst nicht genau beschreiben, was mit ihm geschah, aber es war etwas Großes, Wichtiges. Fest stand: Ab nun würde er sein Leben in den Dienst der Wissenschaft um das Kraut stellen, welches ihm die erste gute Abfahrt jenseits von Muttis Kartoffelpüree und Vatis Modellbausatz beschert hatte. Er wurde zum Kiff-Experten.

Schnell stellte er fest, dass die meisten seiner Freunde vom Fahrzeug ihres Rausches keinen blassen Schimmer hatten. Kein Wunder, waren sie doch die indoktrinierten Kinder der Anti-Genuss-Propaganda, dem „Keine Macht den Drogen“ Schwachsinn. Drum wühlte er sich durch aufklärende Wälzer, sprach mit Leuten und probierte vor allem die verbotenen Früchte aus. Kurzum: Er fing an, selbst zu denken. Und er sammelte Kräuter, Wurzeln, Pflanzen, auch Pillen, Pulver und Flüssigkeiten, die alle nur eine Bedingung erfüllen mussten: Sie mussten geistbewegend sein. Seine größte Liebe aber galt weiterhin dem Cannabis. Ob Haschisch in Marokko, Charras in Indien, Marihuana auf Jamaika oder Natrium-Lampen im Wandschrank. Dieser Typ wußte bald alles, kannte jeden und hatte alles schon probiert. Über ph-Wert im Anbauboden konnte er genauso schwadronieren wie über die Heilkraft der Cannabinoide, Jack Herer hatte er schon die Hand geschüttelt und Matthias Bröckers noch was ganz anderes. Urlaub gab es für ihn nicht, höchstens Bildungsreisen, und die machte er nur in Länder, wo garantiert Hanf angebaut wurde. Unterhielt man sich mit ihm, bekam er nach spätestens zwei Minuten die Kurve zum Hasch, alltägliche Themen wie Sex mit Tieren oder Platinenlayout interessierten ihn nicht. Vielleicht hätte er sogar gern mal über was anderes gesprochen, aber er lebte und dachte halt nur in substanzbezogenen Kategorien. Nachts, wenn er in seinem Schlafanzug aus Hanffasern im Bett schlummerte, träumte er von riesigen Cannabis-Kongressen mit zwei Millionen Teilnehmern. Da war der Kalte Bauer garantiert.

Aber was nützen Wissen und Erkenntnis, wenn luftleer im Raum sie schweben? Wenn ohne Bodenhaftung und Bezug zur Welt sie nur um ihrer selbst willen vermehrt? Der Mensch der studiert, dreht sich im Kreise. Weich fällt sein Bart auf dicke Bücher, die er zu lesen sich verschrieben. Ihr Betreff ist immer eines, die heil´ge Pflanze, Hanf genannt. Und so werfen wir dem Experten ein Zitat von Goethe (dem komischerweise noch kein Cannabis-Genuss nachgewiesen wurde) zu: „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens goldner Baum.“

Aber nicht jeder Kiff-Experte fristet sein Dasein als Mauerblümchen des wissenschaftlichen Randbetriebs. Durchaus gibt es Vertreter dieser Spezies, welche nach Jahren der Forschung ihren Elfenbeinturm verlassen um Gutes zu tun. Gutes? Ja, Gutes. Denn nachdem die ständige Meditation über den Hanf den Kiff-Experten zunächst in die ausgedorrte Wüste jenseits von Gut und Böse gebeamt hatte, wurde ihm in Zeiten der Ernüchterung zunehmend klarer, dass Leben immer Handeln ist. Und in der weisen Abwägung von Gefühl und Verstand leuchtete diesem Experten schließlich ein, dass er künftig Entscheidungen treffen wird, die andere näher zu sich selbst bringen. Welch´ eine liebenswerte Konstruktion des Lebens.

In der Tat haben wir es bei dem Kiff-Experten mit einem äußerst possierlichen Humanoiden zu tun, der sein Spiel des Lebens darin sieht, Mithilfe des heiligen Krauts und anderer Mittelchen sich und seine Umwelt stetig besser zu begreifen. Dass er dabei manchmal die Scheuklappen des Fachidioten trägt, sei ihm verziehen, er ist schließlich Forscher. In seiner seltenen Idealform ist der Experte der Mensch des nächsten Jahrtausend, denn er hat die tiefsten Abgründe und höchsten Höhen geschaut und lacht erst recht.