Kategorien
Historische Texte

Amand Freiherr von Schweiger-Lerchenfeld: Schach matt! mit dem Höllenkraut Haschisch

Cannabis, Amand Freiherr von Schweiger-Lerchenfeld, Haschisch

Schach matt! mit dem Höllenkraut Haschisch

Eine Skizze von Amand Freiherr von Schweiger-Lerchenfeld (1879)

Amand Freiherr von Schweiger-Lerchenfeld (1846-1910) war ein vielschreibender österreichischer Journalist, der Südosteuropa und den Orient bereiste. Sein kurzer ungetitelt in dem Buch „Zwischen Pontus und Adria“ (1879) erschienener von typischen Vorurteilen, Kenntnisdefiziten und damit zusammenhängend beängstigenden subjektiven Erfahrungen geprägter Bericht aus (I-)Stambul gibt ein heute geradezu amüsantes Beispiel für eine insgesamt negative Bewertung des Exotikums „Haschisch“:

„Ist der Kaffee in Folge seiner belebenden Eigenschaften eine Himmelsgabe, so muß das nicht weniger beliebte orientalische Reizmittel – das Haschisch – vorweg als ein wahrhaftiges Höllenkraut bezeichnet werden. Als der fromme Scheich Birazdan zuerst das Hanf-Präparat den Gläubigen zum Genuße vorsetzte, da dürfte er wohl kaum geahnt haben, daß nach wenigen Jahrhunderten der fünfte Theil aller Menschen des Erdballes diesem entsetzlichen Laster fröhnen werde. Und ein Laster ist der Genuß des Haschischs so gut wie jener des Opiums. Zwar wirkt das Haschisch-Essen, – Trinken und -Rauchen auf den Organismus des Orientalen in keineswegs so hohem Grade wie bei Europäern, die dergleichen an sich experimentiren. Immerhin aber zerstört das Präparat Körper und Seele und frühes Siechthum ist der Lohn für die durchträumten Wonnestunden, welche dem Haschisch-Genuße folgen.
Welche Bewandtniß es im Uebrigen mit dem berückenden Scheinleben hat, das ist nicht ganz leicht zu ergründen. Der Orientale, welcher durch den Haschisch-Genuß eine farbenglühende Welt um sich sieht und alle Paradiesesfreuden in stufenweiser Aufeinanderfolge durchkostet, kennt nichts, was diesem Behagen im Leben gleichkäme. Nicht-Orientalen wissen hingegen von keineswegs wonnigen Empfindungen zu berichten, und was meine persönliche Erfahrung betrifft, so muß ich solcher Negation vollkommen beistimmen.

Es war in dem spießbürgerlich-occidentalen „Cafe Flamm“ in der Grande Rue de Pera, wo ich zuerst die Wirkungen des Haschischs an mir erproben sollte. Ich saß da mit einem guten Freunde beim königlichen Spiel, beim Schach. Einige Tage vorher hatte ich mir von einem ungarischen Emigranten ein Stück zwei Jahre alten egyptischen Haschischs verschafft, und mehr aus Uebermuth als aus irgend welch` anderen Gründen schabte ich eine Dosis von der Größe eines halben Malzbonbons in die Tasse schwarzen Kaffees. Es dürfte ein Uhr nach Mittag gewesen sein.

Ueber zwei Stunden liefen die Figuren über das Brett, der Sieg wechselte wiederholt und noch immer blieb die Wirkung aus. Da plötzlich brach ich, trotz der ernsten Situation inmitten des Spieles, in convulsivisches Lachen aus; ich sprang auf und wies, bei sonst volkommenem Bewußtsein – auf ein prächtiges, berückendes Landschaftsbild, das sich vor meinen Blicken entfaltete. Mein Genosse, der wohl wußte, um was es sich handelte, ergriff mich gewaltsam am Arme und drückte mich auf den Sitz nieder….

Die Farben begannen zu wechseln, aus hellen Blüthenbeeten tauchte phantastisches Gewächs, unförmliche Baumstrunke mit langen gespenstischen Armen, die nach mir langten. Ich meinte zu ersticken und griff hastig nach einem bereitstehenden Glase Wasser, um die trockene Kehle zu befeuchten. Die Vision schwand und über die Augen glitten helle Flocken, wie Blüthenregen, während das Ohr entzückt gedämpften Melodien lauschte, die wie Geisterchoral auszitterten. In diesem Momente schien sich der gestörte Organismus zu beruhigen, aber unmittelbar hierauf taumelte ich noch einmal in die Höhe und klammerte mich entsetzt an die Tischkante…. Ich sah einen Feuerball vor mir kreisen, der in ein flammendes Gesicht überging und mir die wohlbekannten Züge eines perotischen Mädchens wies.

Dann bemeisterte sich des Körpers eine unbeschreibliche Schlaffheit und mein Freund benützte die Gelegenheit, um mich in meine Wohnung zu transportiren, wo mich ein sechzehnstündiger Schlaf überfiel. Noch ein zweites Mal übermannte mich die Versuchung, aber eine erklärliche Aengstlichkeit gebot diesmal Maß zu halten; die ganze Wirkung beschränkte sich auf ein ausgesprochenes Gefühl der Behaglichkeit.

Zu derselben Zeit machten auch zwei meiner Orientgefährten, selbstverständlich vor nüchternen Zeugen, um jedem Unfalle vorzubeugen, ihr Debut im Haschisch-Genuße. Ein junger ungarischer Cavalier hatte eine gehörige Dosis unter das blonde Kraut Smyrnas gestreut und begann bald unruhig hin- und herzuschwanken. Seine Augen sahen stier, und indem er das Rohr halb aus seiner zitternden rechten Hand gleiten ließ, vollführte er mit der linken Hand Bewegungen, als wollte er zu einer Orchestral-Musik den Tact markiren. Plötzlich kauerte er sich zusammen und begann sich wie ein Kreisel zu drehen… „Ich schwimme!“ stotterte er… „Der Tigris um mich, drüben goldene Kuppeln… Musa`s Moschee – der Korb ist toll und schwingt wie ein Rad“… Da stieß er einen Schrei aus` und brach zusammen.

Bela war kurz vorher in Bagdad gewesen. Er erzählte uns oft von den dortigen eigenthümlichen Stromfähren, kreisrunde, gehörig verpichte Körbe, die mittelst Löffelruder in rotirende Bewegung gesetzt werden. Die Vision bewegte sich sonach in einer Erinnerung… Mittlerweile war der andere Gefährte, ein deutscher Techniker, von seinem Sitze aufgesprungen und rannte wie toll zwei-, dreimal durch`s Zimmer, bis er in einer Ecke zusammenbrach. Hier begann er bitterlich zu weinen, aber nach wenigen Minuten verklärte sich sein Auge, und um seine Mundwinkel spielte ein seliges Lächeln… „Marie!“ flüsterte er, „ich komme!… Die Höhen nahen mir,… tief unter mir ein Lichtermeer,… goldene Turmspitzen… Der Himmel hellt sich auf und die Sterne thauen auf mich herab“… Er fiel zurück und begann zu schlummern.

Im Allgemeinen beweisen diese schwachen Versuche, daß das Gefühl des Wohlbehagens vorherrscht. Bei anderen Europäern, die das Experiment des Haschisch-Genußes ausführten, bestand die Wirkung der Hauptsache nach in denselben Erscheinungen, nur traten mitunter Beklemmungen und Blutandränge ein, die ein unbeschreibliches Angstgefühl hervorriefen. Die ersten Symptome sind in der Regel beschleunigte Pulsthätigkeit und das Gefühl totaler Unbeholfenheit, verbunden mit Schwindelanfällen. Bei allen Haschischtollen stellt sich aber das Schwebegefühl ein; der Körper fällt gleichsam stückweise ab, und mehr und mehr fühlt man sich emporgetragen, so daß die Hand ängstlich nach etwas tappt, woran sie sich zu klammern vermöchte. Gänzliche Bewußtlosigkeit tritt selten ein.

Vor wenigen Jahren noch machte in Constantinopel unter allen Europäern, die je dem Haschisch vollends zum Opfer fielen, namentlich der ungarische Emigrant Baron Splenyi gerechtes Aufsehen. Er gab sich anfangs heimlich der Teufelsgabe hin, indem er seine Einkäufe bei den Derwischen besorgte, bis diese selbst die Initiative ergriffen und auf die Person des würdigen Jüngers Beschlag legten. Splenyi war damals, wie man mir erzählte, noch ein vermöglicher Mann; die Diener des Propheten aber wußten es zu arrangiren, daß er ihnen seine ganze Habe auslieferte, zum Islam übertrat und schließlich dem Orden der Mewlewi (Dreh-Derwische) sich einreihen ließ.

Von hier ab ging es mit dem Unglücklichen ganz entsetzlich rapid herab. Er wurde viele Tage hindurch nicht mehr nüchtern, übernachtete unter den Cypressen des sogenannten „Piccolo Campo“ in Pera, und lief zuletzt nur mehr mit einem Felle bekleidet am hellen Tage durch das Frankenquartier, was die Polizei zu beanständen nicht für nöthig fand. Der damalige italienische Gesandte sah einst den halb Irrsinnigen unter den Fenstern seines Palais und ließ ihn zu sich kommen und gehörig ankleiden, nicht ohne ihm zum Schluße noch eine tüchtige Moralpredigt zu halten. Splenyi aber ging directe von der Wohnung des Gesandten auf den Missr Tscharschy (Egyptischen Markt) in Stambul, um sein Habit für eine Dosis Haschisch einzutauschen, und lief nach wie vor in seinem Thierfelle umher.

Einmal traf ihn einer meiner Bekannten in höchst seltsamem Aufzuge unweit Damascus. Mit himmelwärts gewendetem Blicke, auf einem Esel reitend, kam er daher; in seinem Gefolge befanden sich einige Araber mit – Spaten. Als jener Bekannte die Leute frug, was dieser Aufzug zu bedeuten habe, antworteten sie: Der Weli (Heilige) da, habe ihnen befohlen, ihn zu begraben. Orientalen nehmen es mit dem Wunsche eines Weli (sehr häufig identisch mit einem Verrückten) meist sehr ernst, und so mußte mein Gewährsmann die abenteuerliche Gesellschaft mit Waffengewalt auseinandersprengen… Splenyi starb in den besten Mannesjahren an – Entkräftung.“

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.