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Elektronische Kultur

Angst vor Piraterie, aber der Umsatz steigt

Business Online 7/98

Angst vor Piraterie, aber der Umsatz soll steigen

 Mit music on demand wagt die Musik-Branche den Sprung ins nächste Jahrhundert

Wieder eine Branche, die sich hohe Profite aus der Distribution ihrer Waren über das Internet verspricht. Nicht ohne Grund, denn im Gegensatz zu vielen anderen sperrigen Gütern des E-Commerce eignet sich Musik hervorragend dazu, als digitale Information direkt beim Kunden zu landen. Music on demand, kurz MOD, heißt das Zauberwort. Das Prinzip: Der Musikliebhaber surft durch das Internet, besucht die Homepage eines MOD-Anbieters, bestellt einzelne Musikstücke oder komplette Sammlungen und lädt sich diese direkt auf die heimische Festplatte. Soweit so gut, sagten sich auch die Teilnehmer des Kongresses „music:online 1998“ in Hamburg, die zusammengekommen waren, um ihre euphorischen Goldgräberstimmung weiter zu verbreiten. Angesichts eines stagnierenden traditionellen Marktes kommt der Tonträgerindustrie das MOD gerade recht, zumal Vertriebskosten enorm gesenkt werden. Zwar wird der nicht-physischen Verbreitung von Musik von allen Marktforschungsinstituten eine glänzende Zukunft vorhergesagt, es warten aber auch allerhand Probleme auf dem neuen Absatzfeld: Nach wie vor ist es zwar illegal, aber denkbar einfach, digitalen Informationen zu kopieren und weiter über das Netz zu vertreiben. Schon heute kann man kostenlos von kurzfristig existierenden Homepages Musik-Titel herunterladen. Thomas M. Stein, Geschäftsführer der BMG Entertainment, gibt denn auch offen zu: „Die Piraterie macht uns die meiste Angst.“ Die Tonträgerindustrie arbeitet mit Hochdruck an der Entwicklung eines Verfahren, welches das Kopieren beim Endabnehmer kontrolliert. Noch kollidiert dies aber mit dem Recht des Kunden auf die private Vervielfältigung seiner Ware. Die Lösung sieht zumindest die Telekom, die zur Zeit mit einem Projekt die Chancen des MOD testet (www.music-on-demand.de) in einer properitären Software, die -einen Decoder gleich- das Kopieren einzelner Titel verhindern soll. Ein ISDN-Anschluß ist allerdings Pflicht, wenn 21 Minuten Musik in CD-Qualität, gepackt auf 17.2 MB im MP3-Format, für 11.09 Mark gekauft werden. Der Software-Anbieter Liquid Audio (www.liquidaudio.com)

Daniel Hürst von der PROGNOS www.prognos.com nimmt an, daß der Bezug von Musik übers Internet erst ab dem Jahre 2000 zählbare Gewinne für die Anbieter abwirft. Bis dahin muß die Tonträgerindustrie beweisen, daß sie als Distributor unersetzlich ist. Denn schon heute können Künstler, die an der schnellen und weiten Verbreitung ihrer Werke interessiert sind, mit wenig technischem Aufwand ihre Produkte im WWW anbieten und verkaufen.

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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