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Klippel – Haschisch und Haschaschin aus den „Aegyptische Skizzen“

Ernst Klippel, Ägypten, Haschisch, Cannabis

Haschisch und Haschaschin

Ägyptische Skizzen von Ernst Klippel (1910)

Ernst Klippel war ein großartiger Kenner der arabischen Welt, der diese jahrelang bereiste. Natürlich wußte er auch vom Haschisch zu berichten:

„Die türkische Regierung sowohl als die ägyptische haben nämlich in ihrer bekannten Sorge um das Wohl ihrer Untertanen den Anbau und den Verkauf des gesundheitsschädlichen Narkotikums strenge verboten.
Die selbstverständliche Folge des Verbotes war die Entwicklung eines grossartigen Schmuggelsystems. Die Pfiffe und Kniffe griechischer Händler, wenn es sich um einen Geldgewinn handelt, sind von jeher berühmt, und die ägyptischen Zöllner wissen ein Lied davon zu singen. Bald trifft eine Schiffsladung Brennholz in Alexandrien ein, und die findigen Beamten machen die betrübende Entdeckung, dass jedes Scheit ausgebohrt und mit dem verfehmten Genussmittel gefüllt ist, bald werfen harmlose Schiffer auf ihrer Fahrt durch den Suezkanal ganze Fässer voll der verbotenen Ware über Bord, die dann von unternehmenden Armeniern aufgefischt und geborgen werden. Doch sind seit der englischen Besatzung die Beamten wunderbar wachsam und abgefeimt; wohl an achtzig Prozent aller Schmuggeleien werden entdeckt. In jedem Falle wird das Haschisch beschlagnahmt und dazu noch eine hohe Geldstrafe auferlegt. Die konfiszierte Ware wird schliesslich gestempelt und dann – öffentlich meistbietend ins Ausland verkauft. Offenbar hat das vorher so gesundheitsschädliche Haschisch durch die Stempelung seine giftigen Eigenschaften verloren. Und auch der Fiskus profitiert alljährlich ein hübsches Sümmchen durch diese Konfiskationen, sowie durch die Razzias auf die Kaffeehäuser, wo dem verbotenen Genusse gehuldigt wird.

Was nun die gesundheitsschädliche Wirkung des narkotischen Krautes anlangt, so lässt sich allerdings nicht leugnen, dass ein übertriebener Genuss, namentlich bei unzureichender Ernährung, geradezu verheerend auf den Körper wirkt. Ich habe neulich die grosse Staatsirrenanstalt in Abbassieh bei Kairo besucht. Dort waren vier grosse Säle, angefüllt mit lauter Prinzen, Königen und Kalifen – wenigstens hielten sich die Leute selbst dafür -, alles frühere Handwerker, Arbeiter, Eseltreiber, welche sich durch übermässiges Haschischrauchen um ihren Verstand gebracht hatten. Indessen beweist mir jahrelange Beobachtung, dass ein mässiger und geregelter Genuss bei guter Ernährung nicht im geringsten schädlich wirkt. Die schlimmste Folge eines einmaligen Zuviel ist eine gewisse Trägheit und Abspannung am nächsten Tage. Viel kommt auch auf die Qualität des Narkotikums an. Das sogenannte yunany – griechische – ist viel schwerer und unzuträglicher als das feine aromatische schamy oder syrische. Früher war das balady oder einheimische ägyptische Haschisch berühmt, doch hat das Verbot des Anbaues, das seit mehr denn fünfundzwanzig Jahren im Nillande besteht, dem gewöhnlichen Sterblichen diesen Genuss unmöglich gemacht. Höchstens einige einheimische Granden und Feinschmecker dürfen es wagen, ein kleines Eckchen ihrer hermetisch abgeschlossenen Gärten mit diesem Zauberkraute zu bepflanzen.

Wie allgemein verbreitet der Haschischgenuss trotz aller Verbote heutzutage doch noch ist, lässt sich daraus ermessen, dass es in Kairo nicht weniger als mindestens dreihundert Kaffeehäuser gibt, in denen der Unsitte gefröhnt wird. Und zwar sind alle Schattierungen vertreten, von der elenden, schmutzigen Spelunke bis zum grossen Kaffeehause mit Garten, Springbrunnen und in sauberes Weiss gekleideten Dienern.

Haschisch ist eine Gottheit, der meist bei Nacht gehuldigt wird. Erst wenn der letzte Schein der Abendröte vom Himmel verschwunden ist und nachdem die mahnende Stimme des Muedsin die Gläubigen zum Nachtgebete gerufen hat, schleichen die Liebhaber des narkotischen Rausches der Stätte ihrer nächtlichen Vergnügungen zu. Vorsichtig verhüllt der ägyptische Grosskaufmann sein Haupt, ängstlich hält sich der Bey oder Pascha ein Taschentuch vors Gesicht, sobald sie hastig durch einen Nebeneingang ihr Lieblingskaffeehaus betreten. Es könnte ja jemand sie erkennen und dann würde ihnen der Name eines Haschasch ihr Lebenlang anhaften, ein Titel, der für orientalische Ohren etwa dasselbe bedeutet, wie Trunkenbold für die unsrigen. Bald herrscht dann ein reges Leben und Treiben im Gärtchen des Kaffeehauses. Die Gäste sitzen auf breiten, mit persischen Teppichen belegten Bänken, für den Kahwagy (Kaffeehauswirt) hat man noch ein Schaffell ausgebreitet, dessen Wolle mit der beliebten Hennah schreiend rot gefärbt ist. Mit untergeschlagenen Beinen sitzt er da, an eine Truhe von sorgfältig eingelegter Damaszener Arbeit gelehnt, der grosse Gafaw, dessen Kaffeehaus als das beste von ganz Kairo gilt. Ein kleiner Mann mit klugen, braunen Augen. Die zahllosen Falten und Fältchen seines pergamentenen Gesichtes bekunden, wie sehr er gelebt, geliebt, genossen das irdische Glück.

Um ihn und neben ihm gruppiert sich der Kreis der Stammgäste: Da ist Sid Fatih, der Aelteste der Gewürzkrämer des Bazars, eine Art ägyptischer Beau-Brummel in prachtvollen Seidengewändern, da ist ferner Ibrahim Bey, der einmal in Konstantinopel war und dessen eifrigstes Bemühen es seitdem ist, die steife Grandezza und erkünstelte Würde der grossen türkischen Seigneurs täuschend nachzuahmen. Da ist Abu el-Fadl, ein Europäer, der aber mit dreissig Jahren die reformierte Kirche verlassen und sich zum Islam „bekehrt“ hat; ein Sonderling, der die Sitten und Gebräuche des Ostens praktisch studiert, sich einen bescheidenen Harem hält und bereits zum Grabe Alys gepilgert ist. Da hockt der Pilger Yaha, ein frommer Schneider, der dreimal schon zum „Hause Gottes“ nach Mekka gewallt ist. Jedesmal schwor er sich, nach seiner Rückkehr dem verbotenen Kraute zu entsagen, und jedesmal brach er seinen Schwur. Da ist ferner der feiste Ferid Effendi, ein schlimmer Jüngling aus alter Familie, ein Wüstling, dem man böse Laster nachsagt. Einige geschwätzige Kopten, ein schäbiger Schriftgelehrter mit mächtigem Turbane, der Possenreisser des Kreises und einige Orientalen niederer Bedeutung vervollständigen die Gesellschaft.

Jeder Gast erwirbt bei seinem Eintritte vom Wirte einige Stücke (tamyrah) des schokoladenfarbigen Harzes, von denen je eines zur Füllung einer Pfeife ausreicht. Diese Pfeife (gosah) besteht aus einer halb mit Wasser gefüllten Kokosnussschale, in die ein, etwa eineinhalb Meter langes, ausgehöhltes Zuckerrohr gesteckt ist, ein zweites, ganz kurzes Ebenholzrohr trägt senkrecht den Pfeifenkopf aus gebrannter Tonerde. Seines strengen Geruches wegen raucht man Haschisch nie allein, sondern auf einer Unterlage, bestehend aus einem Gemisch von Honig und einem schwarzen, schweren Tabak, dem Hassan Kef. Auf diese Unterlage wird ein Würfelchen des hartgetrockneten Harzes gelegt, einige glühende Holzkohlen darauf getan und die Pfeife ist bereit. Ein Diener – in der Regel wählt man dazu schöne Knaben, schlohweisse Tunesier oder Türken – reicht die brennende Pfeife im Kreise herum, jeder Gast tut zwei oder drei tiefe Züge, den kühlen, aromatischen Rauch dabei in die Lungen einziehend und dann eine gewaltige Rauchwolke durch die Nase ausstossend. So folgt Runde auf Runde und bald beginnt sich die Wirkung des betäubenden Genussmittels in dem Benehmen und auf den Gesichtern der Raucher zu zeigen.

Der Einfluss des Narkotikums ist je nach Temperament des Rauchers und der Grösse der genossenen Dose und der Art ihrer Zubereitung ein ganz verschiedener. Nach den ersten Zügen schon bemächtigt sich ein angenehmes Wohlgefühl des ganzen Körpers, eine Art süsser, wollüstiger Müdigkeit, dabei steigert sich die Tätigkeit des Gehirns, ganze Gedankenreihen werden blitzschnell durchdacht, geistige Bilder von seltener Schärfe und Lebhaftigkeit wechseln in kaleidoskopischen Reigen. Bei vorgeschrittenem Stadium des narkotischen Rausches stellt sich eine gewisse Geschwächtheit ein, das Bedürfnis zu reden um jeden Preis, dazu eine Neigung zu unmotiviertem Lachen. Es ist das der risus sardonicus, das kalte, rein körperliche Lachen, ohne seeelische Ursache.
In diesem Stadium lieben es die Raucher, sich an den berüchtigten schlüpfrigen Erzählungen des Orients zu ergötzen, Erzählungen, im Vergleich zu denen die Anekdötchen des Pester Caviar eine elende Spielerei sind.

Aber auch auf das Sexualsystem hat der Haschischgenuss eine belebende Wirkung. Frauen ziehen das Geniessen des Haschisch dem Rauchen fast immer vor, denn es gibt davon auch in Form von harmlos aussehenden Kuchen, Zuckerbohnen, Pillen und Getränken. Auch als dünne Stäbchen, die man in Zigaretten steckt, verschmähen die listigen Haremsschönen seinen Genuss nicht. Sie sind es ja auch nur allzu häufig, die ihre Männer dazu ermuntern.

Wird aber das Rauchen zu weit getrieben, so stellen sich leichte Vergiftungserscheinungen ein: der Blick wird starr und ausdruckslos, die Sprache schwer und lallend, im Gegensatz zur Alkoholvergiftung sinkt der Pulsschlag beträchtlich, und der Berauschte verfällt in einen bleiernen Schlaf.
Der erste Zustand ist der verführerischste, der Geist scheint gleichsam vom Körper losgelöst, wir empfinden ein Gefühl der Leichtigkeit und Unkörperlichkeit, welcher unwillkürlich die Illusion des Fliegens und Schwebens, wie auf purpurnen Aetherwellen, hervorruft. Erhaben ob Raum und Zeit empfinden wir die im Fluge verstreichenden Stunden wie ebensoviele Minuten. Regungslos, sprachlos sitzt der Raucher da, im stummen Glücke. So tief ist er in sich selbst versunken, dass er bei jeder Berührung durch die Aussenwelt wie in tötlichem Schrecke auffährt: Der übertriebene Haschischgenuss erzeugt ein unheimliches Angst- und Furchtgefühl.

Dem schon genannten Abu el-Fadl fiel einmal inmitten seiner Träumereien eine grosse schwarze Bohne aus dem geheimnisvoll rauschenden Blättergewirr in den Schoss. Der Träumer schaute die harmlose Frucht einen Augenblick verstört an, dann stiess er einen grauenvollen Angstschrei aus, rannte taumelnd einige Schritte und brach dann zusammen. Man brachte ihn bald wieder zur Besinnung und seine erste Frage war: „Der Skorpion, ist er tot?“ Er hatte in seinem narkotischen Rausche die Bohne für einen jener totbringenden Skorpione gehalten, die gelegentlich in menschliche Wohnungen dringen.
Man wandelt eben nicht ungestraft unter Palmen, und das Glück ist ein flüchtiger Schatten, es lässt sich nicht für ein paar Piaster kaufen.“

 

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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