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Drogenpolitik

TEUFELSDROGEN

Designerdrogen, Teufelsdrogen/

Hanfblatt, 10/11 2000

TEUFELSDROGEN oder
DIE NÄCHSTE HORRORDROGE KOMMT BESTIMMT

SIE NENNEN ES „NUTS“

Erstmals wurde jetzt bei einer Razzia in einer Hamburger Techno-Diskothek eine Substanz beschlagnahmt, die Insidern bislang nur als eine der neuen Teufelsdrogen aus den USA bekannt war. Polizeiexperten befürchten, dass die unter dem Szenenamen „Nuts“ verkaufte Designerdroge nun auch in die deutsche Technoszene herübergeschwappt ist. „Nuts“ wird aus den Schalen exotischer Nüsse gewonnen und kann schon von Schülern mit einfachen chemischen Kenntnissen in jeder normalen Küche hergestellt werden. Das Teufelszeug ist viel gefährlicher als die bisher aufgetauchten Discodrogen wie „Ecstasy“, „Shabu“, „GHB“ und „Speed“. „Nuts“ wird in der Szene je nach Reinheitsgrad für 10 bis 30 DM pro Dosis gehandelt. Die Horrordroge unterdrückt jegliches Hunger- und Schlafbedürfnis. Die Konsumenten fühlen sich völlig enthemmt und unbesiegbar. Ständiger Drang nach höherer Dosis, dann schreckliche Depressionen, Verfolgungswahn, Herzrhythmusstörungen und bei einer Überdosis schliesslich Tod durch plötzliche Atemlähmung sind die Folgen. „Nuts“ führt schon nach mehrmaligem Gebrauch unweigerlich in die Abhängigkeit und schliesslich in den körperlichen Ruin. Drogenberatungsstellen sind bisher noch in keiner Weise auf die neue Drogenwelle vorbereitet. „Wir haben zur Zeit genug damit zu tuen, Cracksüchtigen Konsumgelegenheiten zu verschaffen“, so Heribert Bossorski von der DROBS, „Nuts-Konsumenten sind bei uns noch nicht aufgelaufen.“ Doch die Polizei ist nach den ersten Beschlagnahmungen gewarnt und plant weitere Razzien in Diskotheken und auf Openair-Musikveranstaltungen, sowie Kontrollen an Schulen und Universitäten, jenen Orten an denen ein Handel mit der gefährlichen Partydroge vermutet wird.

So lautete eine in diesem Jahr als Aprilscherz ins Internet geschickte „Presseagenturmeldung“. Und tatsächlich unterscheidet sie sich kaum von dem in den Medien üblichen Stil, eine „neue“ „Horrordroge“ anzupreisen. Meist sind diese „teuflischen“ Substanzen nicht „neu“. Aktuelles Beispiel: „Yaba“ („Crazy Man“), früher auch „Yama“ („Crazy Horse“, nach dem Emblem einer bekannten Marke), ist die in Thailand geläufige Bezeichnung für ein dort in Tablettenform erhältliches Anregungsmittel, das geschluckt, aber auch von Alufolie geraucht wird, und nun über Traveller und Prostituierte Europa erreicht haben soll.Die gleiche Substanz ist in Japan und anderen ostasiatischen Ländern als „Shabu“ bekannt und wird dort meist injiziert oder geschluckt. Aus Hawaii wurde Ende der Achtziger Jahre der Gebrauch dieser Substanz in einer rauchbaren kristallinen Form unter dem Namen „Ice“, auch „Glass oder „Batu“ (Filipino für „Rock“=Fels) bekannt. In den USA kennt man die schnupf-, schluck- und injizierbare, mehr oder weniger gestreckte Pulverform als „Crank“, „Crystal“, „Meth“ oder „Speed“. Im bayrischen Wald tauchte sie kürzlich als „Crystal“ oder „Tschechen-Speed“ in einer hochreinen kristallinen Form auf. Chemisch handelt es sich um Methamphetamin oder d-Desoxyephedrin. Unter Präparatenamen wie „Pervitin“, „Desoxyn“ und „Methedrin“ wurde es lange Zeit in vielen Ländern als Medikament vermarktet. Das wahrscheinlich 1919 erstmals synthetisierte Methamphetamin (von so etwas Absurdem wie einer „Nazi-Droge“ wie in manchen Artikeln erwähnt, kann also keine Rede sein), das nahe verwandte bereits 1887 hergestellte Amphetamin (bekanntester Präparatename: „Benzedrin“) und diverse strukturell und in der Wirkung ähnliche Aufputschmittel vom Typ des Amphetamins, die man deshalb oft pauschal als Amphetamine bezeichnet, wurden in grossen Mengen seit den Dreissiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Ärzten bei diversen Indikationen verschrieben und in Apotheken erworben. In den Sechziger Jahren lauteten zum Beispiel die Indikationen der Temmler-Werke in Marburg/Lahn für ihr Präparat „Pervitin“: Niedriger Blutdruck, Allergische Erkrankungen, Kollapsgefahr, Depressionen, Fettsucht, Schlafmittel-, Alkohol- und Kohlenmonoxidvergiftung, Atemstillstand, Nierenversagen, Narkolepsie usw. usf. . Noch 1979, mittlerweile nur noch auf Betäubungsmittelrezept verschreibbar, lauteten die Indikationen ganz ähnlich. Man sieht, bei der dämonisierten „Designerdroge“ handelt es sich wie so oft (weitere aktuelle Beispiele sind die Narkosemittel GHB aka „Liquid Ecstasy“ und Ketamin, sowie das Schlafmittel aus der Benzodiazepingruppe Rohypnol Roche) eigentlich um ein in Verruf geratenes Medikament.

Berüchtigt geworden ist der von kriegführender staatlicher Seite massenhaft verordnete Einsatz von Amphetaminen im Zweiten Weltkrieg. Amerikaner, Briten, Japaner und Deutsche brachten nicht nur Durchhalteparolen sondern auch unzählige der peppenden Pillen unter ihre Soldaten. Allein an die in Grossbritannien stationierten amerikanischen Truppen wurden etwa 2 Millionen Amphetamintabletten ausgegeben.

Japan bekämpfte schon in den 50er Jahren den ärztlich nicht legitimierten Konsum von Methamphetamin ohne dauerhaften Erfolg. Schweden erwarb in den 60er Jahren den Ruf einer Amphetamin-Hochburg, da sich hier das intravenöse Injizieren des „Speeds“ als besonders bedenkliche Konsumform etabliert hatte. In vielen Ländern etablierten sich die Wachmacher und Appetitzügler bei Studenten, Hausfrauen, Fernfahrern, Prostituierten, Zuhältern, Trinkern und Partyvolk. Ende der Sechziger Jahre begann man in den USA sowohl von staatlicher Seite als auch aus der Hippiekultur heraus den Konsum von Stimulantien kritisch zu sehen. „Speed kills“ wurde zum geflügelten Wort. Der Erwerb von pharmazeutisch produzierten Amphetaminen wurde in den USA und in Europa durch die entsprechende Drogengesetzgebung soweit erschwert, dass sich eine Untergrundproduktion etablierte.

In der Bundesrepublik boomte der Handel mit illegal synthetisiertem und meist in Pulverform vermarktetem Amphetamin allerdings erst richtig in den 90er Jahren. Das mag auf der Angebotsseite mit der wachsenden Produktion in den Nachbarländern zu tuen haben, auf der Verbraucherseite dagegen mit einer exzessiven leistungsorientierten Ausgeh- und Konsumkultur, die geradezu nach Durchhaltemitteln schreit. Parallel dazu wurde die Abzweigung verschreibungspflichtiger Amphetamine zum Verkauf auf dem Graumarkt durch eine stark eingeschränkte Indikationsstellung (lediglich, und dabei noch umstritten, für Narkolepsie=“Schlafsucht“ und „hyperkinetische Verhaltensstörungen bei Kindern“) und Aufnahme ins Betäubungsmittelgesetz praktisch unterbunden. So verschwanden in den 70er Jahren „Pervitin“, in den 80er Jahren „Captagon“ (Fenetyllin) und in den 90er Jahren „AN 1“ (Amfetaminil) aus dem Milieu. Der letzte Mohikaner unter diesen Präparaten war das kaum euphorisierende, aber dafür umso länger wachmachende „Tradon“ (Pemolin), keine enstzunehmende Konkurrenz mehr für die preiswerteren schnupfbaren Schwarzmarktpülverchen.

Bei den illegal synthetisierten Amphetaminen gab es lange Zeit regionale Vorlieben, die wohl teils mit der lokalen Verfügbarkeit ihrer Ausgangschemikalien, teils mit den Neigungen der Konsumenten zu tuen haben. In den USA bevorzugte man das aus dem dort lange Zeit leicht erhältlichen Ephedrin synthetisierbare, als etwas euphorischer geltende, aufs Gewicht bezogen potentere und länger wirkende, aber körperlich bedenklichere Methamphetamin, in Europa das Amphetamin. Wie dem auch sei, „Speed“ steht nun schon lange in der ein oder anderen Form überall auf der Welt zur Verfügung. Die Risiken und Gefahren sind seit langem bekannt. Verblüffend nur, wie immer wieder mit derselben Substanz unter neuem Vorzeichen Politik gemacht wird. Eigentlich auch wieder nicht. Angst ist ein wichtiges Produkt der Medien. Fast immer stehen hinter den deshalb von den Medien bereitwillig aufgegriffenen Angstkampagnen politische und/oder finanzielle Interessen. In den USA sind es häufig Politiker kurz vor den Wahlen, die mittels Panikmache die Aufmerksamkeit auf sich lenken und mit erhobenem Zeigefinger die Lorbeeren als grosse Warner einheimsen wollen. Auch die Strafverfolgungsbehörden haben nicht selten ein Interesse daran über die Verbreitung von Schreckensmeldungen eine Aufstockung ihres Budgets zu erzwingen. Das gilt auch für präventive und therapeutische Einrichtungen unter denen genau wie in der freien Marktwirtschaft Trends aufgezeigt werden, die man dann institutionell aufzufüllen trachtet, sofern irgendjemand bereit ist, dafür zu zahlen. Aber wo kein Druck gemacht wird, fliessen bekanntlich auch keine Gelder. Am Ende, wenn die angekündigte Welle dann doch nicht eintrifft, kann man sich auf die Schulter klopfen, das läge daran, dass man rechtzeitig gewarnt hätte, oder wenn sich die verteufelten Substanzen dann plötzlich steigender Beliebtheit erfreuen, kann man seine Stimme erheben, man habe ja rechtzeitig davor gewarnt. Eine Lobby, die die Fakten geraderückt, gibt es aus Sicht dieser Interessengruppen praktischerweise in dem Bereich der unterdrückten Drogen nicht. Konsumenten, Händler und Produzenten werden sich hüten, ihre Stimme öffentlich zu erheben solange sie von Strafverfolgung, Stigmatisierung und gesellschaftlicher Ausgrenzung bedroht sind. Eine objektive wissenschaftliche Beforschung gibt es auf Grund der von staatlicher Seite zögerlichen allenfalls auf das Aufzeigen negativer Konsequenzen fixierten Finanzierung von entsprechend aufgebauten Untersuchungen kaum, und wenn, dann verschwinden politisch unerwünschte Ergebnisse schnell wieder in irgendeiner Schublade. Mit einer Liberalisierung der Drogenverbotsgesetzgebung lässt sich eben kein Blumentopf gewinnen, meint man zumindest in der auf Macht versessenen opportunistischen Parteienlandschaft.

Der Kenntnisstand der breiten Öffentlichkeit ist so gering, dass ihr hierüber praktisch alles weissgemacht werden kann. Das Interesse von Journalisten, sich schlau zu machen, ist in der Regel gering, da einerseits entsprechende Kenntnisse letztlich der etablierten Publikationsform widersprechen würden, wie sie der Leser gewohnt ist, und immer wieder mit dem entsprechenden Schauder zu lesen wünscht, und andererseits die Praxis des buschfeuerartigen weltweiten Weiterreichens sensationeller Meldungen meist keinen grossen Raum für tiefschürfende Recherche lässt. Mit ein wenig Abschreiben und Rumtelefonieren ist der Job erledigt und der neue Drogenhype aus den Redaktionsbüros in die Welt posaunt bevor die, zwar irgendwie negativ, so doch kräftig beworbenen Drogen auf dem lokalen Markt eingetroffen sind, wenn sie dies denn überhaupt in nennenswerter Form jemals tuen werden. So profitieren am Ende alle Beteiligten von diesem propagandistischen Trick, kurioserweise inklusive der Produzenten der „neuen“ gehypten Drogen, nur nicht die Drogengebraucher, denen von Süchtigkeit bis hin zu Gehirnschäden alles Mögliche „präventiv“ unterstellt wird, und die letztlich unter der am ungeschütztesten Glied ansetzenden, verbohrten aber auf Dauer erfolglosen Strafverfolgung am meisten zu leiden haben.

Wer in diese Materie tiefer einsteigen will, und das sollte eigentlich jeder, der drogenpolitisch aktiv ist oder in der Medienbranche mit Meldungen zum Thema Drogen zu tuen hat, dem sei folgendes Buch wärmstens empfohlen:

Philip Jenkins
„Synthetic Panics. The Symbolic Politics of Designer Drugs.“
New York University Press 1999
ISBN 0-8147-4244-0
http://www.nyupress.nyu.edu

Von Jörg Auf dem Hövel

Jörg Auf dem Hövel (* 7. Dezember 1965) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als freier Journalist u. a. für die Telepolis, den Spiegel und Der Freitag.

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