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Cannabis Historische Texte

Marihuana in den Groschenheften der Sechziger Jahre

hanfblatt 2003

„Finger weg von solchen Sachen“

Marihuana in den Groschenheften der Sechziger Jahre

Dass die Anti-Marihuana-Propaganda, als Reefer-Madness der Anslinger-Ära aus den USA herübergeschwappt, im kleinbürgerlichen Nachkriegsdeutschland sozusagen in Form eines Kifferwahns einen zumindest publizistisch fruchtbaren Boden fand, haben wir im Hanfblatt anhand von vier Krimis bereits belegt („Mimi und der Kifferwahn“, Hanfblatt Nr. 81). Weitere Dokumente dieser Zeit sollen demonstrieren, welche Klischees den deutschen Spiessbürgern hüben wie drüben bereits vor dem massenhaften Cannabiskonsum durch Gammler und Hippies ab Mitte der Sechziger Jahre mittels Trivialliteratur und Groschenheften in die „entnazifizierten“ Hirne gepflanzt wurden.


So erschien in Bremen 1956 von dem Vielschreiber („Nächtliches Ägypten“, „Unheimliches China“ etc.) Ernst F. Löhndorff der „Roman eines Rauschgiftes“ mit dem merkwürdigen Titel „Schwarzer Hanf“. Es geht natürlich um die „Marihuanapflanze“, das „Giftkraut“, „der schwarze Hanf“. Eine junge Frau entblößt sich schamlos vor allen Leuten auf dem Broadway inmitten von New York. „Was sie eben gesehen hatten, war die grotesk-düstere unfreiwillige Demonstration eines gefährlichen Rauschgiftes, das trotz aller Maßnahmen von Jahr zu Jahr in Amerika und sogar nun langsam in Europa beispiellose Triumphe feiert. Marihuana. Hergestellt aus der tabakähnlichen und auf gleiche Art behandelten und gerauchten Pflanze der „schwarzen Cannabis Indica“. Indischer Hanf.“ Im Orient von den „Wüstlingen“ und „den Massen der Armen“ geraucht, „wo es als „Haschisch“ oder „Bengh“ bekannt ist.“ „“Marihuana“, der Arzt, der eben das junge Mädchen untersucht hatte, stieß diesen Namen zornig aus, wie den seines ärgsten Feindes. Es war in der Tat sein ärgster Feind, den er mit allen Mitteln bekämpfte, wo immer er ihn traf.“ Dieser Jargon kommt einem wohlbekannt vor… „Er traf ihn oft. Nicht nur in anrüchigen Rauschgiftkneipen, sondern auch – und das war das Bedrohliche – unter den Girls und Boys der Highschools und Universitäten.“ Na klar, Muttis Lieblingen, den Stützen der Gesellschaft… „Wie er dieses Gift haßte, das in erschreckender Weise um sich griff! Das Gift, das aus jungen Leuten Verbrecher und Mörder macht, das sie körperlich und geistig ruiniert. Marihuana!“ (S.10/11)

Ja, entsetzlich! Es lohnt durchaus, die ganze hanebüchene Geschichte grob nachzuerählen. So taucht als Nächstes ein promiskuitives Südstaatenmädchen auf, das unter Marihuanaeinfluss auch nicht vor dem Verkehr mit „Negern“ zurückschreckt. Eines von vielen Beispielen aus allen Zeiten dafür, dass Rassismus und Antidrogen-Propaganda überall Hand in Hand gehen. Zurück in den „Happy Valley“ zu „Lizzy Horner“, die „erst zwanzig“ war, „ein gutgewachsenes, hübsches, rotblondes, von Natur aus gutmütiges Mädchen, nach dem sich so mancher junge Mann umdrehte. Kurz nach der Schulentlassung hatte Lizz durch ein Mädchen Marihuana kennengelernt. Sie ließ sich erzählen, daß alles Gerede über die Gefährlichkeit des Giftes Unsinn und Aberglauben sei. Und sie glaubte es nur zu gern. Jetzt war Lizz soweit, daß sie ohne Marihuana nicht mehr leben konnte. Sie war krank und elend, wenn ihr das Kraut einmal ausging.“ (S.36) Dem Schnaps ist sie zwar zusätzlich auch nicht abgeneigt, aber „Wer Lizz genau betrachtete und besonders in ihre unsteten blitzenden Augen mit den kleinen Pupillen sah, den überliefen Mitleid und Grauen. Solange Lizz nur eine oder zwei Marihuana-Zigaretten am Tage rauchte, war sie erträglich. Dann zeigte sie Negern gegenüber oft ein gutes Herz, schenkte den Kindern Lollypops und war glänzender Laune. Sobald sie aber mehr rauchte, wurde sie verrückt und schamlos.“

Und wie kann es anders sein: „Sie lief den Männern mit krankhafter Sucht nach. Es gab keinen Neger oder weißen Arbeiter im Umkreis, der nicht schon einmal mit Lizz hinterm Busch oder in ihrem Bett geschlafen hatte.“ (S.37) Zumindest versorgt sie sich teilweise selbst: „Vater und Tochter pflanzten sogar heimlich, inmitten ihres Maisackers versteckt, in eigenhändiger schwerer Arbeit ein Stück Land mit indischem Hanf an, der im Tennesseeklima gut gedieh. Sie ernteten, präparierten und schnitten das Teufelskraut und verkauften es in Bausch und Bogen, ohne daß jemand davon etwas erfuhr. Es hätte beiden zehn bis zwanzig Jahre Zuchthaus eingetragen.“(S.38) Und „Auch unter den halbwüchsigen Negern wurde Marihuana geraucht. Man kann es heimlich, aber fast überall in den Vereinigten Staaten auftreiben, in Zigaretten- oder tabakähnlichen Päckchen, und die Sucht greift erschreckend um sich. Besonders in den Großstädten…“ (S.39) „Schließlich rauchte sie eine Marihuanazigarette, und sofort überkam sie das wilde Verlangen nach einem Mann.“ (S.39) Ein harmloser zufällig von der Opossumjagd vorbeikommender „Mulatte“ namens „Washington“ soll quasi ihr Opfer werden. „“Verrückt bin ich nach dir, du Nigger!“ keuchte Lizz.“ (S.43) Eigentlich will der aber nichts von ihr, doch zu spät. Ihr Vater erscheint unerwartet auf der Bildfläche und Lizz kreischt „gellend: „Hilfe, Hilfe! Daddy, der Nigger will mich zwingen!““ (S.44) „Washington“ wird das „beklagenswerte Opfer grausamer Lynchjustiz“ (S. 57). „Lizzy Horner mußte sich im Staatssanatorium einer Rauschgift-Zwangsentziehungskur unterziehen. Diese Kur hatte wider Erwarten Erfolg. Nach einem Dreivierteljahr konnte sie als geheilt entlassen werden.“ (S.57)

Doch ein selbst nahezu weißhäutiger verbitterter junger „Neger“ namens „John“ verlässt die Gegend, beschließt sich, ob dieser Ungerechtigkeiten, nach seinem „Wahlspruch „Alle Weißen kaputtmachen““(S. 61) zu rächen und zieht über Chicago nach Haarlem/New York. Er steigt schließlich in den Marihuana-Schleichhandel ein. „John verdiente am Päckchen ungefähr hundert Prozent.“ Darfs noch ein bißchen mehr sein? „Die meiste Kundschaft hatte er unter den weißen Strichmädchen und deren Kavalieren. Aber es machte ihm nichts aus, seine Ware auch an Studenten, Studentinnen, Lehrburschen und andere abzusetzen, gleichgültig, ob es Weiße oder Farbige waren.“ (S.65) „Und die Sucht nach dem Rauch des schwarzen Hanfs breitet sich immer weiter aus, und Menschen werden reich am Unglück und der Schwäche anderer Menschen.“ (S. 67) Wo kommt das Zeug her? Natürlich aus Mexiko: „Der biedere Juan, oder mag er Pepe oder Estevan heißen, pflanzt wohlverborgen. Er erntet, trocknet und fermentiert ebenfalls geheim und streicht für das Kraut gute, klingende Pesos oder Dollars ein…Aber welches Elend in den Großstädten des nördlichen Nachbarn einreißt, das glaubt er nicht, und wenn man es ihm zehnmal erzählt. Pah, ein bißchen Marihuana!“ (S.78) Und „Während in Mexiko früher sich nur die Priesterkaste des schwarzen Hanfes bediente, ehe es allmählich unter den Indios volkstümlich wurde, kannte der Orientale seit langer Zeit sein Haschisch…Obwohl der Orientale eine unglaubliche Widerstandskraft gegen dieses Gift hat, machten sich doch die verheerenden Spuren allmählich bemerkbar.“ (S.79) Und die Regierungen kämpfen „im verseuchten Orient mit großer Energie“ und geringem Erfolg dagegen an, „denn das Gift wird immer wieder eingeschmuggelt.“

„Marihuana hat, besonders in den Vereinigten Staaten, anderen Rauschgiften wie Heroin und Cocain längst den Rang abgelaufen. An Marihuana, Tschärs und Haschisch wird viel Geld verdient. Und es gibt viele Menschen, die für Geld alles tun!“ (S.79) John baut schließlich einen internationalen „Ring“ auf. „John ging es vor allen Dingen ums Geld. Deshalb scheute er sich nicht, das Gift auch an Farbige, die der Sucht verfallen waren, zu liefern.“ (S.102) „John B. machte sich kein Gewissen über die tragische Rolle, die er spielte. Vielleicht war er auch noch zu jung, um übersehen zu können, daß er eigentlich ein gewissenloser, unsympathischer Verbrecher und indirekter Mörder Hunderter oder gar Tausender charakterschwacher Mitmenschen war.“ (S.107) Und das, während „Professoren, Ärzte, Lehrer und Polizei…aufklärende Vorträge in Schulen, Universitäten und am Rundfunk über die Gefahren von Rauschgiften, insbesondere von Marihuana“ hielten. „Einhundertachtzig Millionen Menschen wurde wieder einmal, wie schon so oft, an Hand drastischer Beispiele vor Augen geführt, welch schleichende Sucht am Mark Uncle Sams zu zehren begann.“ (S.107) Dass es auch anders geht, beweist die Geschichte von zwei Mädchen aus dem Internat, die die lokalen Marihuanaraucher an die Polizei verpfeifen: „Campbell College war frei von der Seuche. So helfen und halfen sich viele junge Leute in Amerika! Denn die Vereinigten Staaten sind trotz allem eine prächtige, junge und tatkräftige Nation.“(S. 116) Da habt Ihr´s! Währenddessen floriert „Johns Ring“. Er kauft Marihuana aus Mexiko und Asien, läßt über San Franzisko einschmuggeln und liefert sogar bis nach Nordafrika und Ägypten: „Jedes einzelne Säckchen wurde mit Etiketten, auf denen entweder Hitler oder Stalin in Rednerpose zu sehen waren, versehen. Der unergründliche Sinn der dortigen Raucher verlangte nämlich diese Bilder. Dies ist Tatsache. Die meisten Haschischpäckchen in Nordafrika wiesen diese Bilder auf.“(S.118) John eröffnet „in verschiedenen Großstädten bessere Bierlokale“,“die in Wahrheit Rauschgiftparlours waren; in ihren gut eingerichteten Kellerräumen fanden die Interessenten alle Bequemlichkeiten, um ihrem Laster zu frönen. Hand in Hand arbeitete mit dem Marihuanavertrieb der internationale Mädchenhandel. Auch das war Johns Werk.“ (S. 120)

Während „Lucky John“ nun mittlerweile mit einer Weissen namens Maybelle liiert ist, die nichts von Johns schwarzer Herkunft und seinen dunklen Machenschaften ahnt, und auch noch Vater wird, sorgt Johns Ring dafür, dass „eine Anzahl junger, blonder Mädchen, die dem Rauschgift verfallen waren“ aus Deutschland in „verschiedene jener dunklen Häuser in Rio und anderswo, aus denen nur in den allerseltensten Fällen eine Rückkehr möglich ist…“ (S.121) verbracht werden. John reist nach Port-au-Prince um auf der „Vudu“-Insel Haiti einen neuen „Stapelplatz“(S. 129) für Marihuana zu eröffnen. Dort wird er mit seiner schwarzen Herkunft konfrontiert und nimmt an einem ekstatischen blutrünstigen „Vudufest“ teil. In den Bergen werden ihm die „Zombies“, „ausgegrabene Leichen“ gezeigt, die auf den Feldern arbeiten, und er erfährt von seiner Führerin Jaqueline: „Bei uns auf Haiti wäre mit Marihuana kein Geschäft zu machen. Wir haben andere Mittel, die außer uns niemand weiß.“ (S.144) Welche erfährt er nicht. Dafür zeugt er, von ihr verhext, mit ihr „ein kleines, schwarzes Negerlein!“(S.153). Sie lässt ihn dann allerdings doch zurück zu seiner Frau fahren, und die „Erinnerung an Jaqueline verblaßte immer mehr in seinem Gedächtnis. Ihm war es als hätte er einen seltsamen, gefährlichen Traum gehabt. Die Geschäfte blühten.“(S.149) „mehr und mehr faßte die Rauschgiftsucht nun auch in Europa festen Fuß.“ Außerdem ist er nun auch noch einer der Größten im Geldautomatengeschäft geworden, auch in „Westdeutschland“. „Viele Jahre verstrichen. Das Geschäft wuchs trotz mancher Rückschläge.“ (S.154)

Währenddessen wächst seine „weiße“ Tochter „Iris“ „zu einer reizvollen, jungen, hübschen Dame heran“. (S.160) Maybelle macht sich Sorgen um ihre Tochter, wegen der „Gefahren für die heutige Jugend“ (S.154). Zu Recht, denn sie raucht mit sechzehn „ihre erste Marihuanazigarette. Sie wurde von einer Freundin verführt…Nach dieser ersten Zigarette, die ihr nicht sonderlich bekam, rauchte sie eine zweite, dann eine dritte, bis sie auf den Geschmack kam. Iris befand sich plötzlich im Kreise leichtsinniger junger Menschen, die – wie sie sagten – modern wären und die veralteten Ratschläge ihrer spießigen Eltern nicht brauchten, da sie selber genau wüßten, wie man das Leben meistere und genieße. In den meisten Fällen waren es Jugendliche, deren Erzeuger reich waren und die sich nicht viel um ihre heranwachsenden Kinder kümmerten.“(S.160/161) „Die Alten wunderten sich manchmal, warum ihr Junge oder ihre Tochter so nervös und zerfahren war, schrieben dies aber achselzuckend der schnelllebigen, unruhigen Zeit zu.“ (S. 161) Der Abstieg ist nicht aufzuhalten; trotz reichlich Taschengeld belügen und betrügen sie ihre ahnungslosen Eltern, um ihrer heimlichen Leidenschaft zu frönen. „Iris war eine der Tollsten…Geschickt verbarg Iris daheim ihre häufige Müdigkeit und nervöse Überreiztheit hinter dem Wort „Migräne“…In Wirklichkeit aber lag sie, schwer verkatert, in ihrem Bett und lechzte nach Whisky und Marihuana.“(S. 162) Eines Tages gibt sich Iris mit ihrer Freundin „Daisy“ in „Tiger Browns“ „unterirdischem Marihuanaparadies“(S.180) an der Bowery die Kante: „Die Platte spielte jetzt einen dröhnenden Rumba. Schwer und widerlich süß wogte der Rauch des schwarzen Hanfes…“ (S.173) Iris lässt sich von der Kneipe mit dem Taxi zum Broadway fahren: „Sie fühlte sich keineswegs betrunken. Ein anderes Gefühl beseelte sie, ein tolles, unbändiges Gefühl, das keine Hemmungen kannte. Wenn sie jetzt ihre ärgste Feindin und einen Revolver dagehabt hätte, so würde sie ihr lachend sechs Kugeln in den Bauch gejagt haben. Marihuana macht stark und mächtig und rücksichtslos…“ (S.178) Iris landet auf dem Broadway und „tanzte den Tanz, der sie ins Sanatorium bringen und ihre Eltern ins Unglück stürzen sollte…“ (S.178)

Monate später, nach dem Sanatoriumsaufenthalt, verfällt Iris wieder dem Marihuana und dem „Mulatten“ „Ray“, mit dessen Rennauto sie über die Strassen jagen: „“Darling, wollen wir das Marihuanarauchen lassen? Ganz und gar? Eine Kur machen? Endgültig?“ „Ganz und gar. Aber du mußt mich liebbehalten. Oh, Ray…“ So fuhren sie dahin. Marihuana, das sie sich vor wenigen Minuten abgeschworen hatten, lenkte Rays Hand und trieb seinen Fuß auf den Gashebel. Keiner sagte ein Wort. die Nacht duftete. Die Zikaden zirpten. alles sang, rauschte und glänzte. „Schneller, Ray“, flüsterte Iris heiser.“ (S.183)“ Natürlich müssen sie jetzt verunglücken: „Als sie Rays Wagen…wie eine Ziehharmonika zusammengepreßt…näher untersuchten, fanden sie ihn und Iris, Arm in Arm, ein Lächeln auf den toten Gesichtern.“ (S.184) Vadder John gerät in eine schwere Krise. „Er würde Maybelle alles sagen, er würde ihr sagen, daß er ein Neger ist, daß er der Rauschgifthändler, Bordellkönig und Geldautomatenbesitzer war…Was gingen ihn noch die Weißen an. Mochten sie nach ihrer Art leben, er war ein Neger und hatte sein weißes Dasein teuer bezahlt. Erst mit Iris, die in den Armen eines Farbigen gestorben war, dann mit Maybelle. Denn sie würde ihn verlassen.“ John will sich der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge offenbahren und dann nach Haiti auswandern, denn „dort singen und arbeiten die Neger in den Feldern, und eine Negerregierung wacht über sie.“ (S.187) Doch da bekommt er Besuch, einen Killer seines alten Geschäftspartners „Bronson Howard“: „Knackend schoß eine rotgelbe Flamme aus dem Schalldämpfer, wühlte sich blitzschnell in Johns Herz und warf ihn wie eine schlaffe Puppe auf den Teppich…“ (S.188) Doch „Irgendwo in einem warmen Land“ „wiegt sich im sanften Wind die raschelnde Marihuanapflanze, und überall duftet es nach Blumen und Erde.“ (S.189)

Natürlich nahm sich auch einer der langlebigsten und wohl erfolgreichsten Kriminal-Groschenroman-Helden des Themas an: Der kettenrauchende, doppelte Whisky ohne Soda bechernde und Jaguar fahrende „G.-man Jerry Cotton“, der Spezi vom FBI. Im 1958 in Bergisch-Gladbach erschienenen Band 57 „Finger weg von solchen Sachen. Ein Wahnsinniger hält Amerika in Atem.“ geht es selbstredend um Marihuana, den Mord an einem „rauschgiftsüchtigen“ Jungen namens „Joe Backley“ und den Selbstmord seiner Freundin „Margy Leccon“. „Bei den jungen Leuten ist diese verdammte Marihuanasucht leider sehr weitverbreitet.“(S.41) Der Schlüssel zu dem Fall ist das Tagebuch von Joe: Als Redakteur einer Schülerzeitung am „Sco-Marven College“ versucht er für einen Artikel in die Abgründe des lokalen Marihuanahandels vorzudringen: „Wieder Smoky Klub…Das Vorspielen neuer Schallplatten ist nur ein Vorwand für die Leutchen, um für einen Marihuana-Rauchabend zusammenzukommen.“ (S.42) „Nach dem sechsten Whisky“ probiert Joe eine „Marihuanazigarette“. „Ich weiß nicht mehr, wie es war, aber es muß irgendwie sehr schön gewesen sein. Ich fühlte mich so frei, so überirdisch gelöst. Gar nicht zu beschreiben. Ich weiß, daß ich dem Teufel auf die Schippe gestiegen bin.“ (S.43) Er hat Angst süchtig zu werden, aber er hat ja seine Freundin Margy, die ihn notfalls „in eine Entwöhnungsanstalt bringen lassen“ wird, bevor „ich mich durch das Gift runiere“. Doch es kommt heftiger als gedacht: „Ich bin süchtig…Heute morgen hielt ich es nicht mehr aus. Ich habe mir mit den Fingernägeln den Hals blutig geschunden, so verrückt machte mich die Gier nach dem Gift.“ Er erkennt die Lage: „Heute geht es mit einer Marihuanazigarette täglich los. In einer Woche sind es täglich schon drei. Und nicht genug. Sieben, elf, fünfzehn, ein ganzes Päckchen. Und der Körper gewöhnt sich an immer gößere Giftrationen und verlangt immer mehr. Es ist als ob man einen Teufel in sich drin sitzen hätte, der einen langsam, aber sicher auffrißt.“(S.43) Die anderen Süchtigen haben natürlich auch faule Ausreden auf Lager, „es wäre gar nicht so schlimm, und gesundheitsschädlich wären die Zigaretten genau nicht mehr als jede normale Zigarette und so weiter. Dabei kann man es ihnen schon ansehen, wenn man Bescheid weiß.“ (S.44)
Die Erwachsenen kriegen natürlich nichts mit: „Ich verstehe nicht, wo die Erwachsenen ihre Augen haben. Dauernd reden sie davon, daß sie für uns da sind, wenn wir sie brauchen, und daß sie uns immer helfen wollen. Ja, sehen sie denn alle nicht, in welcher heillosen Klemme ich sitze?“ (S.45) Joe findet heraus, daß der vier Jahre ältere und erheblich gewichtigere „Beel“ an der Schule mit Marihuana handelt. Der ist ihm längst auf die Schliche gekommen, vermöbelt mit seinen Kumpanen den armen Joe für seine Schnüffelei und höhnt: „Zuerst wollten wir dich umlegen. Aber das ist viel zu viel Aufwand. Du verreckst ja sowieso in einem Jahr oder in einem anderthalben. Ich hab´ dich jetzt soweit, daß du von den Zigaretten nicht mehr loskommst. Dein ganzes Leben nicht mehr.“ Und zur Strafe gibt´s ´ne kleine Preiserhöhung: „Für dich kosten sie nämlich von jetzt ab zwei Dollar mehr. Klar?“ (S.45) Und dann wird noch gedroht: „Wenn du dir je einfallen läßt, irgendwem was zu erzählen, was uns schaden könnte, dann schwöre ich dir, daß Margy von uns süchtig gemacht wird…Gibt sicher genug Männer, denen sie gefallen würde, wenn sie mal zahlende Freunde brauchte.“(S.46) Joe ist mit den Nerven am Ende. Er bestiehlt sogar seine Mutter. „Ich weiß nur, daß ich meinen eigenen Vater umbringen würde, wenn die Gier nach diesem verdammten, dreimal verfluchten Gift mich packt“. Schliesslich will sich Joe vollkommen verzweifelt „morgen“, wenn zwei „G-men“ vom FBI in der Schule auf Besuch vorstellig werden, verhaften lassen. Falls er vorher von Beel und seiner Bande ermordet werden sollte, soll sein „Tagebuch vor versammelter Schülerschaft vorgelesen werden. Vielleicht kann es diesen oder jenen abschrecken, der auf den törichten Gedanken kommen könnte: eine Marihuanazigarette könnte gar nichts schaden. Es bleibt nie bei einer. Und der Weg führt in die schlimmsten Höllen, die man sich nur vorstellen kann.“(S.47)

Jerry Cotton ist erschüttert : „Joe. Kamerad. Du wolltest auf deine Art gegen das übelste Verbrechertum der Welt kämpfen. Du mußtest in diesem Kampf unterliegen, wie so viele brave und tapfere Kameraden schon unterlagen und ihr Vorhaben mit ihrem Leben besiegelten. Aber daß dein Opfer nicht umsonst sein wird, daß schwöre ich dir, Joe. Das schwört dir der ganze FBI. Die letzte Runde werden wir gewinnen, und sollte ich dir dabei ins Grab folgen müssen.“ (S.47) Und er zündet sich eine Kippe an und rast mit dem Jaguar von dannen. Zwischendurch muss er allerdings noch ein Kind aus den Fängen eines völlig wahnsinnigen, von weißen Engeln faselnden Entführers namens „Baby Killer Jackson“ befreien. Aber wie der Zufall es will, stammt der Wahnsinnige aus dem selben College wie Joe und er hat „Marihuanazigaretten“ bei sich. „Ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren hatte sich mit Marihuana bis in den Wahnsinn geraucht und war als Geistesgestörter zum schlimmsten Kindermörder seit Jahrzehnten geworden.“ (S.56) Jetzt ist Beel fällig. Er wird gestellt und gnadenlos verhört. Man legt ihm die Bilder der Kinder vor, „von Jackson ermordet im Marihuanawahn“ (S.61), und er wird geständig. Er schreibt die Namen seiner Kunden auf. „Sechsundvierzig Jungen zwischen jünfzehn und einundzwanzig Jahren. Und jeder einzelne hatte mit dem verflucht dummen Satz angefangen: Bloß mal sehen, wie das ist! Nur eine! Und alle sechsundvierzig waren süchtig geworden. Und vor uns saß einer, der an ihrer Sucht verdient hatte. Der Geld gescheffelt hatte, indem er andere rauschgiftsüchtig machen lasse.“ (S.61/62) Nun wollen sie noch wissen, wer der Marihuanalieferant war, und am nächsten Tag nehmen sie den Oberschurken in der Schule fest und führen ihn vor den Schülern ab, damit „der Henker“ sein Werk vollziehen kann (S.63) : Es handelt sich um „Mister Leyton“, den vierzigjährigen Schulleiter mit „den begrüßenswert modernen Ansichten“ (S.5). Zum Abschluss werden Joe und Margy beerdigt. „Es gab keine Ansprache. Die hielt Beethovens Musik.“ Das Tagebuch wird vorgelesen. „Ich glaube, daß es niemals eine eindringlichere Mahnung und Warnung vor Rauschgiften gegeben hat…Wir legten unseren Kranz vor den beiden Särgen nieder und zupften die Schleife auseinander: Der FBI – seinen zwei gefallenen Kameraden. Dann stahlen wir uns leise hinaus.“ (S.63)


Auch in der DDR interessierte man sich etwas verspätet wahnhaft für „Marihuana“, wie der gleichnamige Titel 63 von Heinz Engelke aus der „Kleinen Erzählerreihe“ beweist, der 1965 im Deutschen Militärverlag in Berlin in einer Erstauflage von 100.000 Heftchen erschien. Der langweilige Krimi spielt im kapitalistischen New York. In der interessanteren Nachbemerkung heißt es: „“Hast du Khif?“ flüstern Jugendliche an den Straßenecken, in Bars und Kellerstampen, vor Drug-stores und auf den Schulhöfen New Yorks, Münchens, New Orleans und Hamburgs. Khif – das ist die Traumzigarette – das ist Marihuana. Eine Marihuana-Zigarette ist teuer, sie kostet fünf Westmark“ Ohauahauahaua „oder einen Dollar, man braucht Geld, um sie „genießen“ zu können. Wer kein Geld hat und dem Gift verfallen ist, besorgt sich Geld. Im Gefolge dieses gefährlichen Giftes befinden sich Raub und Mord. Fünfzig Prozent der Morde in seiner Stadt seien auf den Genuß von Marihuana zurückzuführen, erklärte…ein bekannter Staatsanwalt aus New Orleans…Marihuana gehört zu den gefährlichsten Rauschgiften, deren Genuß Traumbilder weckt. Es vergiftet den Körper systematisch und macht den Menschen – wie auch der Genuß von Heroin, Morphium und Opium – zur Kreatur.“(S.30) Die Ursachen für das Problem sind offensichtlich: „In Ländern, wo Senatoren und hohe Politiker den Einsatz der schrecklichsten Waffen predigen und fordern, sehen die Menschen keine Zukunft, haben sie keine erstrebenswerten Ideale. Der Jugend bietet die offizielle Politik keine Perspektive. Sie sieht keinen Sinn in ihrem Dasein. Und so stehen die Jugendlichen an den Straßenecken, sitzen in Bars und Kellerstampen, nachdem sie sich Geld „besorgt“ haben, und flüstern: „Haben Sie Khif oder Stoff?““ (S.31)

 

 

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Cannabis Hanf Interviews

Interview mit Mathias Bröckers

hanfblatt, 2003

Der ganze Drogenkrieg kippt…

Ein Interview mit Mathias Bröckers

Der Journalist und Autor Mathias Bröckers gehört zweifellos zu den umtriebigsten und präsentesten Promis auf dem Hanfaktivistenolymp. Anlass genug für das Hanfblättli, ihn einmal wie einen Hanfsamen auszuquetschen. Fangen wir harmlos an…

HanfBlatt: Du beschäftigst dich seit nunmehr drei Jahrzehnten von verschiedenen Seiten aus mit dem Thema Hanf. Zu deiner Legende gehört die Freundschaft zu dem leider verstorbenen großzügig bekiffte Weisheit und Poesie brabbelnden Hanfsadhu Wolfgang Neuss. Wie kam es dazu?

Bröckers: Das war 1981. Ich war damals Kultur-Redakteur der „taz“. Es war die Zeit der Hausbesetzungen in Berlin, und Freunde, die für das Radio arbeiteten, hatten ihn dazu interviewt. Das heisst, sie hatten eine einzige Frage gestellt und Neuss hatte darauf einen seiner genialischen Monologe abgelassen: „Also Hausbesetzer ist schon mal das falsche Wort, Hausbenutzer würde ich da erst mal sagen, denn sie benutzen ja nur etwas, was ungenutzt rumsteht…“ so ungefähr fing das an und kam dann vom hundertsten ins tausendste und wieder zurück. Ich war völlig hingerissen von diesem assoziativen Mix, der immer wieder auf den Punkt, die Pointe kam, und das in einer unerhörten politischen Schärfe und Genauigkeit, so dass ich beim nächsten Mal, als der zweite Teil des Interviews gemacht werden sollte, mitgekommen bin und ihn gefragt habe, ob er nicht eine wöchentliche Kolumne für die „taz“ machen will. Dass wir uns dann so gut kennengelernt haben und Freunde wurden, hatte mit den Bedingungen zu tun, die er für diese Kolumne stellte: Du mußt drei mal in der Woche hier vorbeikommen, einmal um das Thema zu besprechen, dann zwei Tage später den Text abholen, und dann das Honorar vorbeibringen und von den Reaktionen berichten – „und jedesmal mußt du mit mir rauchen!“ Ich stimmte zu, ahnte aber noch nicht, was da Besonderes auf mich zukommt…

HanfBlatt: Was war das Besondere?

Bröckers: Dass sich in jedem seiner von ausgewählten Fachleuten gerollten Joints exakt 1,5 Gramm bestes Haschisch befanden und von diesen Raketen täglich mindestens 20 gezündet wurden – und ich war anfangs schon nach zwei Zügen völlig platt. War es schon im Wachzustand schwer, der Geschwindigkeit seiner Intelligenz und dem Wortwitz zu folgen, blickte ich jetzt gar nichts mehr und dämmerte vor mich hin. Die ersten Kolumnen apportierte ich stolz – und mußte zu Hause sofort ins Bett. Ich sagte dann: „Wolfgang, ich kann nicht so viel rauchen bei dir, ich krieg erst Hunger und dann Durst und dann werde ich völlig breit im Kopf, kann mich nicht mehr konzentrieren, werde dösig und dämmerig…“ – „Bröckers“, meinte er dann, “ du mußt üben. Du bildest dir das alles nur ein mit dem Hunger, dem Durst, der Verwirrung, der Müdigkeit. Wer bei der besten Zeitung Deutschlands das angeturnteste Feuilleton machen will, muß doch wissen, wie man mit Drogen – mit Ekstase – richtig umgeht. Du mußt lernen, high zu sein und gleichzeitig hellwach, entspannt und gleichzeitig hochkonzentriert, auf der Erde, top-professionell, und gleichzeitig im Himmel, völlig abgefahren…“ Unter seine Briefe schrieb er gern: „Nach Diktat abgefahren“.

HanfBlatt: Und, hast Du was gelernt?

Bröckers: Zumindest war ich bis zu seinem Tod 1989 einer der fleissigsten Studenten, auch wenn ich die Neuss’sche Meisterschaft nie erreicht habe. Der konnte ja auch 20 starke LSD-Trips auf einmal nehmen und klar und ruhig sitzen bleiben – so wie Neem Karoli Baba, der indische Guru von Tim Learys Harvard-Kollegen Richard Alpert (Ram Dass). Was Hanf betrifft, habe ich tatsächlich gelernt, die meisten unerwünschten Nebenwirkungen zu kompensieren und nur die jeweils erwünschten zuzulassen. Weil ich ab 1982 als Vater von Zwillingen nach Büroschluss keine Zeit für regelmäßige Feierabend- Sessions bei Neuss hatte, verlegten wir von da an unsere Treffen auf 7 Uhr früh. Das war nun eine echte Herausforderung, denn um 10 war die Redaktionskonferenz der „taz“ und danach musste die aktuelle Zeitung gemacht werden. Wolfgang war oft schon seit 5 Uhr wach und hatte nicht schon einige Tüten, sondern auch alle Morgen-Zeitungen intus. Wir frühstückten dann an der Ecke im Café Möhring und danach in der Wohnung stellte ich das Tonband an, der Vulkan sprudelte los und ließ Lokalklatsch und Globalstrategien, Privatclinch und Weltkrieg, Kleinkunst und Großkultur, Tagesaktualität und Ewigkeit kollidieren, in einem Satz. So sind dann die meisten seiner Kolumnen entstanden – und ich habe nebenbei über die Jahre gelernt, stoned zu sein und gleichzeitig wach, konzentriert und arbeitsfähig.

HanfBlatt: Das ist allerdings eine Leistung, die Anfängern bisweilen Schwierigkeiten macht. Mag sein, dass es auch ein wenig von der Persönlichkeit abhängt. Was können wir heute noch vom Spassmeister Neuss lernen?

Bröckers: Nun, was seinen Haschisch-Verbrauch angeht, kann er sicher nicht als Vorbild dienen. Andererseits muss man die Vorgeschichte sehen, er war ein Superstar des Wirtschaftswunderlands in den 50ern, mit seinem Partner Wolfgang Müller eine Art Laurel & Hardy auf deutsch, dann in den 60ern die Nr. 1 des Kabaretts, allseits geliebt, hochbezahlt, ständig auf Achse, aber ständig auf Aufputsch-und Schlaf-Tabletten und Alkohol. Hätte er so weiter gemacht, hätte er die 70er nicht überlebt: „Ich rauche den Strick an dem ich hängen würde“ meinte er später und hat, außer etwas Opium gegen die Krebsschmerzen in den letzten Monaten, keinerlei Pillen oder Alkohol je wieder konsumiert. Ausser Hanf (und Psychedelika) ließ er nie wieder eine Substanz an sich heran. Also insofern können wir selbst aus dieser extremen Drogengeschichte etwas lernen. Darüberhinaus ist Neuss (geb. 1923) für mich einer der herausragenden Künstler-Heroen der „Stalingrad“-Generation – ein kleiner brauner Fleischergeselle, der sich im Schützengraben den Finger abschießt, um ins Lazarett zu kommen, dort als Witzeerzähler und Frontkomiker erstmals Beifall erhält, die Komik als lebensrettend entdeckt, zum opportunistischen Medien- und Filmstar avanciert, aber dann politisch wird, als Vordenker und Lautsprecher der 68er Kultur-Revolution. Und noch in seiner angeblichen „Verkommenheit“ später, als letzter Hippie und erster Punker der Republik, ein höchst sensibler und sprachgewaltiger Seismograph gesellschaftlicher Entwicklungen. Der intelligenteste Mensch dem ich je begegnet bin, dieser Schlachtergeselle aus Breslau. Und was das Professionelle betrifft ein wahrer Großmeister seines Fachs. Nehmen wir nur den aktuellen Champion Harald Schmidt: Was heute eine 30-köpfige Redaktion an Witz in die abendlichen Konferenzen einbringt, zauberte Neuss jeden Tag locker im Alleingang. Ich habe diese „Early Morning Shows“ jahrelang erlebt und mir bei verschiedenen Fernsehfritzen den Mund fusselig geredet, aber leider gab es in den 80ern noch kein entsprechendes TV-Format, sonst wäre das Ungeheuer von Loch Neuss garantiert noch einmal ganz groß herausgekommen. Wolfgang als zugeschaltetes Orakel der Harald Schmidt Show wäre eine unschlagbare Kombination. Aber ich will hier nicht schwärmen, sondern den Lesern seine Bücher und CDs empfehlen. Die alten Sachen in Volker Kühns Werkausgabe „Das Wolfgang Neuss Buch“ bei Zweitausendeins, die neueren auf CD bei Conträr. Das Buch, das ich aus seinen taz-Kolumnen zusammengestellt habe („Der gesunde Menschenverstand ist reines Gift“, Heyne-Verlag 1986) ist leider lange vergriffen, aber die besten Texte wurden in die letzte Auflage des Zweitausendeins-Bands aufgenommen.

HanfBlatt: Den eigentlichen Treffer hast Du selbst aber erst mit der Wiederentdeckung eines bereits in mehreren unübersichtlichen und zusammengeschustert wirkenden Auflagen erschienenen Buches namens „The Emperor wears no Clothes“ gelandet. Was hat Dich bewogen dieses Werk eines alten amerikanischen Hippies namens Jack Herer in einer ansprechenden Form auf Deutsch neu herauszugeben?

Bröckers: Die erste Ausgabe von Herers Buch landete 1987 bei mir. Kurz danach bekam ich einen Auftrag des Magazins „Transatlantik“, eine Reportage über die Cannabis-Szene in Deutschland zu schreiben. In diese Geschichte baute ich die industriepolitischen Hintergründe des Hanfverbots von 1937 aus dem „Emperor“ ein, gab die Buchquelle an und dachte mir, jetzt wird sich sicher ein Verlag dafür interessieren und das Buch auf deutsch herausbringen. Dem war aber nicht so, bis ich 1992 Lutz Kroth von Zweitausendeins beiläufig von der Story erzählte. Der fand Jacks Buch sehr spannend, aber zu chaotisch, und meinte: „Wenn Du die Redaktion übernimmst, machen wir es.“ Und ich sagte: „Ich mache es nur, wenn wir es auf Hanfpapier drucken.“ So kam dann nicht nur das Buch, sondern auch das HanfHaus ins Rollen. Ich organisierte die Hanfpapier-Produktion, und plötzlich wollten alle dieses Papier und die anderen Produkte aus Hanf. Als die Übersetzung fertig war und mein Teil über die europäische und deutsche Industrie-Geschichte des Hanfs ebenso, klang das ganze so plausibel, dass es uns niemand abgnommen hätte. Viele hätten einen Fake vermutet. Deshalb bat ich das Katalyse-Institut um eine wissenschaftliche Studie über den Rohstoff Hanf, die wir quasi als offizielle Bestätigung anhängten. Außerdem checkte ich alle Quellen und Dokumente, aber ich fand keinen Haken – und bisher hat auch niemand einen gefunden. Bis auf eine in der 2. Ausgabe korrigierte falsche Zahl über den Ölertrag hat uns seitdem niemand einen Fehler nachgewiesen – und das Buch hat mittlerweile eine Auflage von 140.000.

HanfBlatt: Wie war die Zusammenarbeit mit Jack Herer, der dadurch wohl zu den Ehren kam, von denen er immer geträumt hatte?

Bröckers: Wir lernten uns im Sommer ’93 in Paris auf einer Hanf-Konferenz kennen, da war die deutsche Ausgabe schon fast fertig. Jack war wunderbar einquartiert, auf einem Hausboot auf der Seine mitten in der Stadt, und wir redeten vom Abend bis zum Morgengrauen. Als ich ihm die Kopie der „Lustigen Hanffibel“ von 1943 zeigte, die ich gerade zuvor in der Staatsbibliothek entdeckt hatte, war er völlig aus dem Häuschen – dass auch die Nazis „Hemp for Victory“ anpflanzen ließen, schien ihm wie das Tüpfelchen aufs i. Meine anfänglichen Bedenken, so ein Nazi-Dokument zu veröffentlichen, wischte er energisch vom Tisch. Jack ist Jude, seine Eltern kamen in den 30ern aus Polen in die USA. „Wir müssen das veröffentlichen“, meinte er, „die Cannabis-Raucher sind doch die Juden von heute, sie werden verfolgt und eingesperrt für NOTHING. Wenn du ein faschistisches System kennenlernen willst, komm nach USA. Sie fordern die Kinder in der Schule auf, die Eltern zu denunzieren wenn sie Pot rauchen und bevor du einen Job kriegst, wollen sie deinen Urin schnüffeln.“ So kam also die Hanf-Fibel in die deutsche und auch in die nächste US-Ausgabe. Was die Ehre betrifft, hatte Jack die in USA schon genug, aber was nützt die tollste Geltung wenn man kein Geld hat. Das habe ich ihm mit der deutschen Ausgabe endlich mal verschafft und bin deshalb natürlich sein dickster Buddy. Er hat sich keinen Benz davon gekauft, sondern wie bei ihm üblich die Bewegung damit gepusht. Dass Hanf in Kalifornien zumindest als Medizin für Schwerkranke mittlerweile legal ist, verdankt sich auch seinem unermüdlichen Einsatz. Weil er aber zuviel isst und sich zuwenig bewegt, hat letztes Jahr sein Herz gestreikt – seitdem muss er sehr langsam tun.

Mathias Bröckers und Roger Liggenstorfer bei der Vorstellung ihres Buches über Albert Hofmann, Basel 2006.
Mathias Bröckers und Roger Liggenstorfer bei der Vorstellung ihres Buches über Albert Hofmann, Basel 2006.

HanfBlatt: „Hanf – Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Cannabis Marihuana“ ist ein echter Bestseller geworden und ein Motor der Veränderungen, die in Sachen Hanf in den letzten Jahren hierzulande stattgefunden haben. Nicht vergessen darf man dabei allerdings das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994, das praktisch eine teilweise Entkriminalisierung des Besitzes geringer Mengen Rauschhanfs zur Folge hatte und die ganze Hanfwelle mit mehreren Zeitungen und einem Boom an Head- und Grow-Shops, sowie mancherorts von den Strafverfolgungsbehörden ignorierten Coffeeshop-artigen Erwerbsläden initialzündete. Wie erklärt sich aus deiner Sicht der Erfolg des Buches? Was hat es bewirkt?

Bröckers: Erstmal eine generelle, grundsätzliche Imageverbesserung. Dieser ganze Dämonisierungs-Humbug schwirrte ja, seit den 30er Jahren implantiert, nach wie vor mächtig in den Köpfen, und das wurde mit der geballten Faktenladung des Buchs zurechtgerückt. Dieser Re-Education-Effekt war das Entscheidende für den Erfolg. Die Tatsache, dass z.B. viele Schüler und Jugendliche das Buch ihren Lehrern und Eltern in die Hand drücken konnten und das Tabu, über das Pfui-Bah-Thema „Rauschgift“ zu reden, gebrochen war. Plötzlich war tatsächlich wieder von Hanf die Rede und nicht nur von Hasch & Drogen. Hans Georg-Behrs Buch, das ja so hieß, „Von Hanf ist die Rede“, hatte das zehn Jahre zuvor noch nicht geschafft, weil es den ökologischen Aspekt der Hanfnutzung nicht berücksichtigte. Dass nun Jack Herer und mir die Vaterschaft der Hanf-Renaissance zugeschrieben wird, wurmt ihn ein bißchen, und deshalb erzählt er jedem, der es nicht hören will, wir hätten alles bei ihm abgeschrieben. Das ist natürlich Unsinn, auch wenn, ebenso natürlich, alle nützlichen Informationen aus seinem Buch in unseres eingeflossen sind, aber eben auch noch einiges mehr. Und dieses Mehr, die Tatsache, dass jetzt die ganze Pflanze, statt nur der Rausch-Aspekt, Thema war, brachte die entscheidende Wende. Als ich die ersten zehn Exemplare des Buchs frisch aus der Druckerei bekam, schickte ich sieben davon nach Karlsruhe an die sieben Verfassungsrichter. So wie die hervorragende Arbeit von Wolfgang Neskovic auf der juristischen Seite, hat das Buch auf der publizistischen Seite wohl entscheidend zu der Trendwende in Sachen Hanf beigetragen. Dazu kam dann das Gerichtsverfahren um den Anbau von Nutzhanf, das wir mit der „Hanfgesellschaft e.V.“ initiiert hatten und das 1996 erfolgreich war. So kam Hanf zurück auf die Felder. Und das HanfHaus, das als erstes Unternehmen in Deutschland wieder Produkte aus Hanf auf den Markt brachte, löste einen wahren Gründerboom aus. Seitdem ist die Pflanze fast in jeder Stadt wieder präsent. Und wie bei jedem Pionier-Boom üblich – am IT-Markt haben wirs gerade erlebt – folgt solch stürmischen Wachstumsphasen zwangsläufig ein Tief. In der Hanfbranche setzte das 1998 ein, zusätzlich forciert durch die Verschärfung der Gesetze zum Samenverkauf. So ganz tatenlos wollte die Kohl-Regierung den blühenden Hanflandschaften dann doch nicht zusehen. Auch die Schikanen in Sachen Führerschein, die dann einsetzten, sind ja nichts als ein plumper Versuch, hinterrücks auf die Hanfbremse zu treten – wo doch das Verfassungsgericht beim Gesetzgeber eigentlich angemahnt hatte, die Repressionen zu lockern. Was die legalen Hanfprodukte betrifft, so blieb von allen Produkten, die das HanfHaus auf den Markt brachte, kein einziges unbeschlagnahmt – ob Hosen, Shampoo, Möbelöl oder Unterhosen. Solche Schikanen machen den Aufbau neuer Märkte für den Rohstoff Hanf nicht leichter – ganz abgesehen davon, dass es nachwachsende Rohstoffe gegen die petro-chemische Konkurrenz sowieso schon schwer genug haben. Aber trotz all dieser Schwierigkeiten, bin ich als Schreiberling mit der Wirkung des Buchs mehr als zufrieden. Es bestätigt den Schmetterlingseffekt der Chaostheorie: Auch ein kleiner Furz kann, im richtigen Moment gelassen, weltbewegende Wirkung haben. Und dieses Buch, das eine Weltauflage von über 500.000 hat, hat tatsächlich schon einiges bewegt in der Welt und tut es weiter. 70 Jahre Desinformation lassen sich nicht in 7 Jahren umdrehen, aber es fehlt nicht mehr viel! Der ganze Drogenkrieg kippt… und ein Cannabis-Friede wird der Anfang vom Ende dieses Kriegs sein.

HanfBlatt: Ich möchte gerne nochmal den inhaltlichen Aspekt des Buches ansprechen. Kernthese des Buches ist, dass Hanf nämlich eine anspruchslose und dabei ungeheuer produktive und äusserst vielseitig nutzbare Pflanze ist. Hanf allein könnte als nachwachsender Rohstoff einen Großteil der Probleme beseitigen, die gegenwärtig dadurch entstehen, dass insbesondere zur Cellulose-, Baustoff-, Faser-, und Ölgewinnung unersetzbare Rohstoffe ausgebeutet werden, namentlich Rohöl und Holz. Auf diese Weise könne Hanf sozusagen die Welt retten. Eine sicherlich verführerische These für jeden Hanffreund. Kritische Stimmen erheben allerdings Bedenken und warnen vor den ökologischen Konsequenzen einseitiger Hanf-Monokulturen. Auch sei die traditionelle Aufschliessung der Hanffasern durch die sogenannte Hanfröste ein Wasser verschwendendes und stark verunreinigendes Verfahren. Was hälst du diesen Bedenken entgegen?

Bröckers: Verglichen mit den Pestizid-Orgien des industriellen Baumwollanbaus ist die Wasserröste doch ein völlig harmloses Verfahren – kein Gramm Chemie kommt zum Einsatz, auch wenn die Brühe, in der die Hanfstengel aufgeweicht wurden, natürlich nicht einfach in den nächsten Fluß geleitet werden kann. Wenn sie aber, wie das z.B. in Rumänien geschieht, als Düngung wieder auf die Felder kommt ist das ökologisch absolut in Ordnung – ein Kreislauf. Dennoch können so altertümliche Verfahren in Zukunft nicht konkurrenzfähig sein, schon gar nicht von der Baumwolle irgendwelche nennenswerten Marktanteile im Textilsektor zurückerobern. Dazu müssen modernere Technologien des Faseraufschlusses, die bereits existieren, vom Labormaßstab in die Praxis umgesetzt werden.
Die These, dass Hanf die Welt retten kann, war natürlich zugespitzt und plakativ, aber ich unterschreibe sie immer noch, auch wenn eine Lösung für die komplexen Probleme des Planeten defintiv nicht ausreicht. Aber Hanf weist überall in die richtige Richtung, ökologisch, ökonomisch, medizinisch und spirituell. Dass der Rohstoff Hanf nach 70 Jahren der Verbote und des Vergessens die Weltmärkte nicht im Sturm zurückerobern kann, ist klar – aber ebenso klar ist, dass er auf ewig als Rohstoff nicht konkurrenzfähig sein wird, solange die Umweltschäden des Baumwollanbaus oder der Waldvernichtung für Papier aus Holz, nicht in die Preise dieser Produkte eingehen. Würde ein konsequentes Verursacherprinzip eingeführt, sind Hanfprodukte schon jetzt konkurrenzfähig und erst recht, wenn sie massenhaft produziert würden. Mono-Kulturen sind dabei übrigens nicht zu befürchten. Hanf ist eine ideale Zwischenfrucht und hinterlässt die Äcker für die Nachfolgepflanzen in optimalem, giftfreien Zustand.

HanfBlatt: Die zweite zentrale These eures Buches lautet: Die rassistische zunächst gegen diskriminierte Minderheiten wie Mexikaner und Schwarze und mit ihnen verkehrende Weisse gerichtete „Marihuana“-Verteufelung, die in den 30er Jahren in den USA unter Harry J. Anslinger, dem langjährigen Leiter des U.S. Narcotics Bureau, begann, diente in erster Linie der Diskreditierung des Hanfes. Es existierte eine Verschwörung von Grössen aus der Holz- und Chemieindustrie, die dadurch den lästigen Konkurrenten Hanf ausschalten wollten. Hier führen Kritiker an, dass der Hanf, sofern er der Berauschung diente, auch schon vor Anslinger in vielen Ländern umstritten war und bekämpft wurde, in manchen Ländern wie Ägypten schon seit Jahrhunderten. Auch die internationalen Gesetze gegen Opium, Opiate und Kokain schlossen den „Indischen Hanf“ schon in den 20er Jahren mit ein. Die Verteufelung habe also vielerorts eine erheblich längere Geschichte. Einen nicht unerheblichen Teil daran habe auch die westliche Medizin und die Pharmaindustrie gehabt. Auf der anderen Seite sei der Hanf z.B. in Deutschland schon Ende des 19. Jahrhunderts auf Grund zu hoher Verarbeitungskosten gegenüber ausländischen Faserpflanzen (wie Baumwolle, Jute etc.) nicht mehr konkurrenzfähig gewesen. Erst während des Ersten Weltkrieges und zur Vorbereitung des Zweiten Weltkrieges entsann man sich wieder seiner Qualitäten als einheimische Nutzpflanze. Danach verschwand er wieder langsam in der Versenkung. Der Anbau selbst wurde in der Bundesrepublik ja erst Anfang 1982 verboten. Hat es diese Verschwörung also wirklich gegeben?

Bröckers: Letztes Jahr habe ich mich als Herausgeber des „Lexikons der Verschwörungstheorien“ von Robert Anton Wilson eingehend mit der Struktur von Verschwörungen beschäftigt, die ja eigentlich die selbstverständlichste Sache der Welt sind: A und B verabreden sich heimlich, um sich gegenüber C einen Vorteil zu verschaffen. Das kommt in jedem Fischteich, jedem Biotop vor und auch in jeder Gesellschaft. Ein weiterverbreiteter Irrglaube ist allerdings, das solche Verschwörungen lange, gar über Jahrhunderte andauern. Insofern ist es sicher Unsinn, heute noch von einer Anti-Hanf-Verschwörung zu sprechen – dass aber die Barone der US-Petrochemie wie Irenee DuPont und Andrew Mellon (Gründer von Gulf-Oil) in den 30ern die Fäden für die erste Prohibitions-Kamgagne gezogen haben ist evident: Das Geld für die erste offizielle Anti-Marihuana.Kamgane kam von ihnen und dass ihr Leiter Harry Anslinger Mellons Schwiegerneffe war, ist nicht einfach ein Zufall. Eine großindustrielle Nutzung von preiswertem Faserhanf, die dank der neu entwickelten Maschinen gerade ins Haus stand und vom US-Landwirtschaftsministerium propagiert wurde, hätte die Markteinführung der DuPont-Kunstfasern aus Öl ganz erheblich erschwert. Dennoch ist dieser industriepolitische Hintergrund nicht die einzige Ursache für das Hanf-Verbot, aber er erklärt die Dynamik der Kampagne, die sich dann ja bis in die Single-Convention der UN durchgeschlagen hat. Neben den Geschäftsinteressen der petro-chemischen Industrie spielten auch rassistische, repressive Motive dabei eine wichtige Rolle. Die Hetzpresse von Hearst hatte schon in den 20ern begonnen, eingewanderte Mexikaner und Schwarze als Kriminelle und Drogenabhängige zu denunzieren, der Überhang an Verfolgungsapparat am Ende der Alkohol-Prohibition tat ein übriges. Da passte alles zusammen. Und sorgte dafür, dass die Hanfnutzung bis heute nicht an die technische Moderne angeschlossen ist. Die wunderbaren Fasern meines Hanf-T-Shirts, dass ich auch bei aktuellen 34 Grad Temperatur mehrere Tage tragen kann ohne verschwitzt zu riechen, werden noch so gewonnen wie zu Urgroßvaters Zeiten. Was die eigentlichen Schweinereien der Herren DuPont, Hearst und anderer betrifft, gehen die übrigens weit über ein bißchen Drehen an der Hanf-Repressions-Schraube hinaus. Ein Forscher aus Kentucky hat ausgehend von Jack Herers Dokumentation herausgefunden, dass DuPont als glühender Rassist und Antisemit u.a. den Aufbau einer faschistischen Organisation in den USA nach Vorbild der SS (Black Legion) finanzierte und Hearst ab 1934 von Nazi-Propagandaminister Goebbels 400.000 $ pro Jahr erhielt – und der „Readers Digest“ von da an auf nazi-freundliche Berichterstattung umschwenkte. Mittenmang in diesem braunen Fan-Club waren übrigens auch der Banker George Walker, der Urgroßvater des heutigen Präsidenten George W. Bush, dem er das Dabbelju in seinem Namen verdankt, und dessen Schwiegersohn Prescott Bush. Sie ergatterten in den 30er Jahren das heutige Vermögen des Clans, vor allem durch Geschäfte mit dem aufrüstenden Hitler-Deutschland. Prescott kam 1942 vor Gericht, wegen „Dealing with the enemy“ und weil er faschistische Gruppen in den USA unterstützt hatte. Dass Walker und Bush „zu den wichtigsten amerikanischen Unterstützern Hitlers“ zählten, wie ein zeitgenössischer Journalist schrieb, bleibt in den Biographien über die Familie heute natürlich ausgespart. Und dass DuPont, der in den 30ern General Motors kontrollierte, der Nazi-Wehrmacht ihr wichtigstes Transportfahrzeug, den Opel Blitz, lieferte, kommt in den Firmen-Biographien des weltgrößten Chemiekonzerns heute natürlich auch nicht mehr vor. Die Autos für den Blitzkrieg hätten ohne Treibstoff freilich nicht rollen können, deshalb verkaufte DuPont auch noch das Patent für die Gewinnung von „Holzgas“, also die Gewinnung von Treibstoff aus nachwachsenden und fossilen Rohstoffen, an die Nazis. Für die USA hatten die Ölbarone DuPont vor einer Nutzung dieses Patents gewarnt, es hätte Wettbewerb für ihren Sprit aus Öl bedeutet, aber Hitlers Wehrmacht durfte er damit ins Rollen bringen. „Holzgas“ wird im übrigen auch in der „Lustigen Hanffibel“ von 1942 erwähnt – inwieweit damals konkrete Versuche mit Hanf als Energiepflanze gemacht wurden, versuche ich gerade herauszubekommen.

HanfBlatt: Welche Visionen hast Du für eine Zukunft mit Hanf?

Bröckers: Wie schon gesagt glaube ich, dass ein Cannabis-Friede der Anfang vom Ende des Drogenkriegs sein wird. Dass wir das Problem mit Drogen, Sucht und Elend nicht durch Krieg in den Griff bekommen, dass der Kampf gegen Drogen mehr Probleme verursacht als löst – diese Erkenntnis setzt sich mehr und mehr durch, auch in konservativen Kreisen. Und doch fällt es der Gesellschaft natürlich schwer, erstmal Ja zu sagen zu Drogen, den Dämon sozusagen zu umarmen, seine Anwesenheit und Notwendigkeit zu akzeptieren – doch nur so kann er seinen Schrecken verlieren. Das heißt nicht, dass nicht auch dann noch Menschen Probleme damit bekommen – von 100 Bewohnern im globalen Dorf werden immer 3 oder 4 schwere Sucht und Abhängigkeiten entwickeln und weitere 3 oder 4% sind möglicherweise gefährdet, aber für die restlichen über 92% überwiegen die Vorteile bei weitem die Nachteile – egal um welche Substanz es sich handelt. Beim Hanf ist das von allen illegalen Drogen am leichtesten einzusehen – und deshalb denke ich, dass hier in den nächsten Jahren eine Wende erfolgen wird. Die Schweiz könnte als Laboratorium einmal mehr Vorreiter sein. Was die deutschen Gesetze betrifft, hoffe ich, in meinem Rechtsstreit um den Verkauf von Vogelfutter im HanfHaus vielleicht ein bißchen an dem 1998 ergangenen Samenverbot rütteln zu können. Vorerst steht da für mich aber erstmal das Gegenteil – 17 Monate auf Bewährung – im Raum. Die nächste Instanz wird voraussichtlich erst kommendes Jahr stattfinden. Falls sich bis dahin Rot-Grün zu einem Hauch von Reform aufrafft, oder zumindest einer Ankündigung derselben, könnte das der Wahrhheitsfindung des Gerichts sicher dienlich sein. Mit einer Entkriminalsierung des Besitzes und der Erlaubnis zum Anbau für den Eigenbedarf werden 90.000 von den 94.000 Justizverfahren, die im Jahr 2000 in Sachen Cannabis Kosten verursachten, überflüssig. Das wäre ein erster sinnvoller Schritt. Und was die Nutzung von Hanf als Rohstoff angeht, ist meiner Meinung nach ein besonderes Wiedergutmachungsprogramm nötig, sprich Zusatz-Förderung für Forschung, Entwicklung und Vermarktung von Hanf als Rohstoff. In das große Bio-Anbau-Programm, dass Renate Künast annonciert hat, passt Hanf ja wie der Faust aufs Gretchen….

HanfBlatt: Arbeitest Du an irgendwelchen konkreten Projekten?

Bröckers: Als aktiver Geschäftsführer des HanfHauses bin ich in diesem Sommer ausgestiegen – aber als Berater und Gesellschafter weiter an Bord. Ich werde in Zukunft wieder mehr schreiben. Gerade ist die Taschenbuchausgabe meines letzten Buchs über das Übernatürliche erschienen („Können Tomaten träumen?“ – Königsfurt-Verlag), und die da ventilierten Themen – Kosmologie, Quantenphysik, Katastrophentheorie, Bewußtseinsforschung usw. – beschäftigen mich weiter. Auch das Thema Verschwörungen. Und natürlich Hanf. Ich suche gerade nach Finanzierung für einen asketisch-luxuriösen, hanfgebundenen Fotoband – Mäzene bitte melden! Ja, und dann gibt es ein noch nicht ganz konkretes Projekt, das ich deshalb auch noch nicht ausplaudern kann, von dem ich mir aber viel verspreche. Es könnte einen ähnlichen Kick auslösen wie es das gelbe Buch in Deutschland getan hat – aber auf globaler Ebene. Es gibt immer noch viel zu tun – pflanzen wirs an!

Von oder mit Mathias Bröckers sind unter anderem der Bildband „Cannabis“ und natürlich das hier besprochene Buch von Jack Herer erschienen . Leicht zu bestellen über Amazon, neu oder gebraucht:

 

 

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Interviews Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Ronald „Blacky“ Miehling

HanfBlatt, Nr. 83, Mai 2003 (mit Update 2007)

Der Lawinen-Lieferant

Interview mit dem ehemaligen Kokainhändler Ronald Miehling, der über Jahre den deutschen Markt mit Kokain versorgt hat.


Er kehrte in den Koka-Labors in den Wäldern Kolumbiens ein und aus, wies seinen Kurieren den Weg nach Deutschland und Europa und organisierte die kiloweise Verteilung von Kokain an die Zwischenhändler. Er wurde reich, seine Mitarbeiter auch, und zog ganz nebenbei noch „mindestens zwei Kilo durch die Nase“. Ein Leben im Rausch. Dann, 1994, war das „lustige Geschäft“, wie er den Kokainhandel selber nennt, vorbei. Observiert hatte man in schon zwei Jahre lang, ein Einsatzkommando nahm ihn in Venezuela hoch, nach der Auslieferung verurteilte man ihn in Deutschland zu 12 1/2 Jahren Haft. Der Richter vermutete, dass im Prozess nur an der „Spitze des Eisbergs“ gekratzt wurde. Über acht Jahre hat Ronald „Blacky“ Miehling nun hinter sich, davon die ersten zwei in Isolationshaft. „Ein Wunder, dass ich dabei nicht beknackt geworden bin“, sagt er. Jetzt ist seine Lebensgeschichte als Buch erschienen. Im Interview berichtet Miehling von der Kunst des Schmuggelns, der Moral des Dealens und dem ordnungsgemäßen Konsum von Kokain.

Frage
Wie fing deine Tätigkeit im Kokain-Business an?

Miehling
Tja, das waren Verknüpfungen glücklicher und unglücklicher Umstände. Angefangen habe ich hier in Hamburg mit Gramm-packets. Ein paar Jahre später stand ich auf der Plantage und noch ein viertel Jahr später stand ich direkt in der Koka-Küche. Das Prinzip ist doch immer das gleiche überall auf der Welt: Man lernt die richtigen Leute zum richtigen Zeitpunkt kennen.

Ronald Miehling, © Jörg Auf dem Hövel
Ronald Miehling, © Jörg Auf dem Hövel

Später waren Deine Kontakte so gut, dass Du in Kolumbien direkt vom Hersteller beziehen konntest. Welchen Weg nimmt das Kokain von dort aus?

Wie man weiß, wachsen in Kolumbien Bananen. Die werden dort geerntet, verschifft, kommen hier an und werden dann gegessen. Genau so läuft das bei Kokain ab. Der Unterschied ist nur, dass die Arbeit in geheimen Dschungel-Labors ablaufen muss. Die Bauern sammeln die Blätter, irgendein Konsortium backt das zu Koks zusammen und dann wird´s verkauft.

Und je direkter der Kontakt, umso preiswerter die Lieferung.

Klar, zuletzt habe ich 800 Mark für das Kilo bezahlt, und zwar direkt an die Polizei.

An den Beamten vor Ort?

Die verdienen dort unten halt sehr wenig und manchmal haben sie Glück und können Kokain beschlagnahmen. Ein Teil davon wird einfach gegen Attrappen ausgetauscht und meistbietend abgegeben. Wenn es ganz gut läuft, dann bringen sie einem das sogar noch auf´s Schiff.

Wo es dann unter falscher Deklaration nach Europa verschifft wird?

Oder es wird in wasserdichten Metallkästen an den Schiffsrumpf angeschweißt. Oder im Steuerkasten versteckt. Oder ein Crewmitglied nimmt es mit. Es gibt viele Wege, bekannte und unbekannte.

Dann bitte einen unbekannten.

Na, bleiben wir mal ruhig bei den bekannten. Zunächst gilt es zu wissen, wie die Leute an den Grenzen funktionieren. Und da kann ich sagen: Alle Zöllner dieser Welt funktionieren gleich, alle Bullen dieser Welt funktionieren gleich. Alle haben gewisse Konstanten in ihrem Verhalten. Jetzt muss man nur etwas finden, was in ihr Bild passt und daneben die eigentliche Ware durchschieben. Das ist der ganze Trick.

Ein Beispiel, bitte.

Am Flugplatz stehen die Scouts der Zöllner rum und achten darauf, dass sich jemand auffällig benimmt. Der wird dann rausgepickt und untersucht. Was sie nicht mit kriegen ist, dass nebenan eine ganze Karawane durchläuft. Das nennt man den Hasen jagen. Das hat früher gut funktioniert, heute wohl nicht mehr.

Hört sich eher nach Kleinhandel an.

Na ja, das ging um bis zu 70 Kilo in einer Fuhre. Das ist kaum noch Kleinhandel.

Damit war der Monatsbedarf für Euren „Verein“ gedeckt?

Ungefähr. Unser damaliger Monatsbedarf lag zwischen 50 und 200 Kilo.

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Welches Gebiet konntest Du damit abdecken?

Das hat mich nie interessiert. Ich habe nur bemerkt, dass der Preis erheblich fiel, wenn ich den Markt voll geschmissen habe und anstieg, wenn ich es zurück hielt. Teilweise habe ich darum unter Preis verkauft, dann solange gewartet, bis die anderen Händler, die in Holland teuer gekauft hatten, an den niedrigen Preisen erstickt sind und verzweifelt in andere Städte abtransportiert haben. Dann habe ich den Markt zugemacht, den Preis erhöht und mein Defizit doppelt wieder drin gehabt. Das nennt sich Marktwirtschaft.

Wobei die Illegalität Eure Gewinnspannen in die Höhe trieb.

Wenn du ein Kilo in Südamerika kaufst und hierher transportierst, dann gibst du maximal 5000 Euro aus, eher sogar 2500 Euro. Hier erzielst du im schnellen Verkauf 30.000 Euro, im Großhandel 20.000 Euro und im Straßenverkauf, tja, rund eine viertel Million. Da fließen enorme Gelder. In Deutschland liegt heute so viel Kokain rum, dass selbst bei einer Schließung aller Grenzen der Markt noch mindestens drei Monate beliefert werden könnte. Würde man Holland noch dazu rechnen, dann würde dieser Zeitraum sogar auf ein halbes Jahr anwachsen.

Wenn man Dich so hört, dann könnte man auf die Idee kommen, dass der Handel mit Kokain eine großer Spaß für die ganze Familie ist.

Du musst es mal so sehen: Ich habe in Holland immer zwischen zwei und vier Leuten nur zum Knallen gehabt.

Knallen?

Ja, Leute, die Probleme mit der Waffe bereinigen. Aber die habe ich nie gebraucht und darauf bin ich stolz. Alle meine Konkurrenten haben die benutzt, weil es halt ein hartes Business ist. Ab einer gewissen Größenordnung gibt es nur noch zwei Arten von Geschäftsleuten: Gerade oder Tote.

Und wie sichert man sich da ab?

Du kannst dich nicht absichern, kein Menschen kann sich absichern, nicht mal der amerikanische Präsident kann sich absichern. Das heißt: entweder du hast einen Namen in der Branche und bist als korrekt bekannt oder du bist ein toter Geschäftspartner.

Wurde irgendwann das Geschäft zu groß oder woran lag es, dass die Polizei aufmerksam wurde?

Das lag an meinem falschen Personal. Siehst Du, ob ich eine Mark oder eine Million in der Tasche habe, das merkst du mir nicht an. Ich bin immer der gleiche Mensch…

Das kommt selten vor.

Ja, aber für mich ist Geld nur ´ne Menge Chips und die tausche ich gegen Spaß ein. Mehr ist das nicht. Ab einer bestimmen Summe ist Geld uninteressant. Mit 5000 Euro im Monat kannst du alles abdecken um normal zu leben, alles darüber ist Luxus. Wenn der da ist – gut, wenn nicht – auch gut. Einige Leute, die mit mir zusammen gearbeitet haben, die sahen das anders. Die hatten vorher noch nie einen Tausender gesehen und plötzlich hatten sie ´ne Million in der Tasche. Und plötzlich waren alle anderen nur noch Penner für sie. Wenn man so denkt, dann überschätzt man sich.

Und das ist schlecht für das Geschäft?

… dann geht das irgendwann nach hinten los. Das war ein Grund, weshalb das Geschäft scheiterte: die Leute haben nicht richtig funktioniert.

Gab es noch andere Gründe?

Ich hatte verboten auf St.Pauli zu verkaufen und ich hatte verboten an Kleindealer und Junkies zu verkaufen. Einer meiner Leute garantierte aber immer häufiger für irgendwelche Kleindealer und sprach diese „gut“. So nach dem Motto: „Der ist in Ordnung.“ Dieses ewige Gutsprechen. Na ja, und dann hat er einen erwischt, der war nicht gut. Dieser V-Mann hatte selbst Probleme mit seinem Drogenkonsum, er stand unter Druck, er musste also was liefern. Mein Mann hatte ihm sehr Reines gegeben und behauptet, er können davon mehr besorgen. So hat der V-Mann die passende Geschichte dazu erfunden und bei der Polizei gesungen: „Ein Schiff wird kommen.“

Aber es kam gar keines.

Jedenfalls nicht das, auf welches die Polizei in Bremerhaven wartete. Leider traf ich den V-Mann ebenfalls und so entstand meine Akte. Zwei Jahre lang haben sie mich beschattet – ohne etwas nachweisen zu können. Dann kam der nächste Fehler und wieder nur, weil Leute nicht richtig funktioniert haben.

Wie viele Schritte sind es vom Labor in Südamerika bis zur Linie auf dem Spiegel?

In den Labors in Kolumbien wird Kokain mit einem Reinheitsgehalt von 88 bis 96 Prozent hergestellt. Dann landet es in Europa und wird zum Beispiel in den Labors in Holland sofort in die große Mischmaschine geworfen und um 50 Prozent gestreckt.

Streckmittel?

Unterschiedlich. Koffein, Mannitol, Lidocain, Speed – einmal Bayer Leverkusen hoch und runter. Alles was knallt. Die Koks-Konsumenten brauchen diesen Kick. Reines Kokain macht keinen Kick, das wissen die nur nicht. So, dann fahren die Zwischenhändler rüber und kaufen das in Kilo-Portionen für 20 bis 25 Tausend Euro. Ist es in Deutschland gelandet, wird es wieder Eins zu Eins gestreckt. Dann geben diese Dealer das weiter an ihre Kleinhändler und die, nun die strecken wiederum Eins zu Eins. Bis es auf dem Markt ankommt hat es – wenn man Glück hat – also noch 10 Prozent. Wenn du eine Top-Quelle hat, dann kriegst du vielleicht mal 20-prozentiges. Da ist doch einfacher in die Apotheke zu gehen, sich ein paar Chemikalien zu holen und sich die in die Birne zu knallen. Billiger ist es zudem.

Und gesünder.

Wahrscheinlich auch. Dabei lässt sich reines sehr einfach von unreinem Kokain unterscheiden.

Wie?

Wenn sie auf Steine, also stark gepresstes, krümeliges Kokain treffen, denken viele, sie hätten gutes Koks vor sich. Quatsch. Gutes Kokain ist immer Pulver und wird höchstens dadurch gepresst, dass es feucht verpackt wird. Es ist nie steinig. Im Gegenteil, bestes Kokain ist kristalin, staubfein oder flockig. Zum Testen nimmt man eine sehr, sehr kleine Menge, streut es auf ein Stück Silberfolie und erwärmt diese von unten mit einem Feuerzeug. Dann fängt es an zu schmelzen und muss – das ist wichtig – einen scharfkantigen Hügel bilden. Wenn es an den Seiten brodelt, dann ist es mit Mannitol gestreckt. Zudem darf die erwärmte Masse nicht chemisch oder süß stinken. Wer einmal gutes Kokain gerochen hat, erkennt es immer wieder. Nach dem vorsichtigen, mehrmaligen Erwärmen darf nur ein Nagellacktupfer übrig bleiben. Streicht man über diesen mit dem Finger, dann darf das nicht kratzen, sondern muss wie lackiert sein.

Aber wer kriegt solches Kokain unter den Nagel?

Klar, der Test kann den Leuten nur zeigen, was sie sich für einen Müll reinziehen.

Ronald Miehling, © Jörg Auf dem Hövel
Ronald Miehling, © Jörg Auf dem Hövel

Ist es Deiner Meinung nach die chemische Verunstaltung der Substanz, die die Probleme für den Konsumenten schafft?

Zum einen sicher. Zum anderen: Welcher Wein- oder Whiskeyliebhaber kommt auf die Idee, sich seinen Alkohol intravenös zu spritzen? Keiner.

Also sind – wenn man schon Drogen nehmen will – die natürlichen Wege vorzuziehen?

So ist es. Ich habe mindestens zwei Kilo durch meine Nase geblasen. Und? Ich habe kein Bedürfnis, sehe klar aus und bin hell in der Birne.

Das klingt nach einem Hohelied auf Kokain.

Es ist doch einfach so: Jeder Mensch hat seine persönliche Dosierung. Wenn ich meine Dosierung treffe, dann bin ich tatsächlich das Monster im Bett, der Weltmeister in der Disco und habe auch noch eine Bewusstseinserweiterung. Nehme ich aber ein bisschen zu viel, dann geht das direkt nach hinten los. Richtiges Kokain wirkt rund vier Stunden, bei korrekter Dosierung kann man alle paar Stunden nachtanken und den Zustand so über zwei Tage erhalten.

Um sich danach direkt in die psychiatrische Anstalt zu begeben?

Nach einem solcher Tour muss man mindestens eine Woche Pause machen. Ich habe oft zwei, sogar vier Wochen nichts genommen und hatte danach wieder mit äußerst geringen Mengen von einem Zehntel Gramm meinen Spaß. Man muss Genießer sein und dann ist diese Droge in Ordnung.

Unter der Voraussetzung, dass man mit der reinen Substanz hantiert.

Das ist natürlich richtig. Jeder Dealer, der das mit irgendwelchen linken Mitteln streckt ist für mich ein Verbrecher. Ganz einfach. Ansonsten ist der Handel mit Kokain für mich kein Verbrechen. Die Alkohol- und Tabakdealer werden ja auch nicht bestraft.

Warum dann die Kokaindealer?

Weil das Kokaingeschäft ein riesiger Wirtschafts- und damit Machtfaktor ist. Ab einer gewissen Größenordnung nimmt man nicht nur viel Geld ein, man hat auch bestimmte Kontakte, Verbindungen und es entstehen gegenseitige Abhängigkeiten. Wenn eine Gruppe die enormen Geldströme bündeln würde, was dann? Dann könnte diese sich Politiker und Beamten kaufen. Jeder Mensch hat seinen Preis. Hier in Europa sind die Leute ein wenig teurer, in Südamerika sind sie ein wenig billiger. Nicht die Schädlichkeit der Droge stinkt dem Staat, sondern die politische Macht in ihrem Dunstkreis.

Wusstest Du, dass einige deiner Kunden mit der Droge nicht richtig umgehen können?

Nein, dass war mir nicht klar, denn wir haben in die Schickeria geliefert. Zudem müsste, wenn man so denkt, jeder Alkoholhersteller den Moralisten raushängen lassen und seinen Laden schließen. Ich zum Beispiel bin nikotinsüchtig, aber dafür mache ich doch nicht den Zigarettenhersteller verantwortlich. Klar, Moral ist gut, aber wo fängt sie an und wo hört sie auf?

Das fragt sich wohl auch die CIA, die in den Kokainhandel in Kolumbien verstrickt ist.

Ja, damit werden Kriege sowie halb- und ganz illegale Aktionen in Südamerika finanziert. Die Gewinnspannen sind einfach so hoch, dass einige Regierungen überhaupt kein Interesse daran haben, die Illegalität von Kokain abzuschaffen. Wenn du von zehn Transporteinheiten á einem Kilo nur zwei durchkriegst, dann hast du immer noch Gewinn. Bei dem Geschäft kann man nicht verlieren.

Außer die Freiheit.

Genau, und die habe ich verloren, weil ich nicht monströs genug war. Ich verstehe zwar, wie die Kolumbianer denken, aber selbst so denken kann man als Mitteleuropäer nicht. Die Illegalität ist ein Mordsgeschäft und wird von den Regierungen benutzt, um Politik zu machen. Denen geht es nicht um die Droge.

Das Verbot trifft demnach die Falschen?

Der Mensch sitzt da und denkt, „das ist nicht alles“. Dann macht er Sex, trinkt Alkohol, geht in die Disco, raucht und probiert anderes aus. Das kriegt man durch Verbote nicht aus ihm raus, dieses Verlangen. Er muss also lernen, was und wie viel davon gut für ihn ist.

Stärkung der Eigenverantwortlichkeit ist demnach das Thema.

Das ist der Weg. Restriktionen führen auf Dauer zu nix, im Gegenteil; es gibt genug Leute, die lassen sich immer wieder was neues einfallen, wie man diese Verbote umgehen kann. Ein Kolumbianer sagte mal zu mir: „Eine Tür geht zu, zehn andere öffnen sich. Wo ist das Problem?“ Er hatte Recht.

Wie siehst du den Kokain-Markt heute?

Früher war das eine Art Gentleman-Geschäft. Es gab Räuberbanden, so wie ich eine hatte. Dann hat die Polizei fast alle deutschen Gruppen weggefangen und jetzt haben wir ausländische Gruppen. Die haben bekanntlich eine etwas andere Mentalität. Toll, sage ich da, jetzt haben wir die organisierte Kriminalität, die so lange beschrieen wurde. Selbst Schuld. Jetzt wird bei jeder Gelegenheit geballert und die Gewinne werden sofort ins Ausland transferiert. Da kann man den Behörden nur zu ihren unbestreitbaren Erfolgen beglückwünschen – gute Arbeit, Jungs!

Hast du noch Kontakt zu den alten Geschäftspartner?

Blöde Frage.

Klingelt mal jemand? Schreibt mal jemand einen Brief?

Ich habe keine Feinde und viele Freunde. Denn ich verrate keine Wege und keine Freunde. Das habe ich nie und werde ich auch nicht. Ich hätten diesen Knast gar nicht antreten müssen, die DEA hat mir ein Angebot gemacht, da hätten andere nicht nein gesagt.

Über zwei Drittel der Strafe hast du um. Sind die Zustände im Knast so bestürzend, wie oft beschrieben?

Schlimmer. Das ist Villa Kunterbunt da.

Drogen aller Art?

Ein Wunschkonzert. Alles vorhanden, da wird jeder glücklich. Was in letzter Zeit weniger geworden ist, ist Alkohol, der ist zu groß zum transportieren. Wir haben ein Top-Strafvollzugsgesetz, da drin ist alles geregelt – es hält sich nur keiner danach. Es herrscht Gutsherrenmentalität unter den Beamten. Die wollen, dass man losgeht und den reuigen Sünder spielt und sich von ihnen sagen lässt, wie man zu leben hat. Die Knakis werden so belogen und schikaniert, bis sie den Glauben an die Gerechtigkeit verlieren und nach ihrer Entlassung bald wieder als treue Kunden zurückkehren. Große Firmen nennen so was „Kundenbindung“.

Das nennt sich Resozialisierung.

So ist es. Aber ich habe einen dicken Kopf und ich bin in meinem Leben immer gut klar gekommen. Wo ich hingekackt habe, da haben die noch nie hingerochen. Ich sage mir, wenn ich mir jetzt den Finger in den Arsch stecken lasse, dann steckt mir draußen jeder den Finger in den Arsch.

Mit dieser Einstellung wird es sicher nicht einfacher dort.

Klar. Ihr Versuch mich zu beugen fing ja schon mit der Isolationshaft an. Zwei Jahre lang habe ich nur den Schließer gesehen und mit niemanden gesprochen. Weißt du, in der Türkei, da werden die Leute verhauen, da siehst du blaue Flecken, aber hier ziehen sie so ´ne Nummern mit dir durch, denn auf der Seele siehst du keine Narben.

Danke für das Gespräch.

Literatur

Im Rowohlt Verlag ist von Ronald Miehling und Helge Timmerberg ein Buch mit dem Titel „Schneekönig“ erschienen. Leicht neu oder gebraucht zu bestellen über Amazon:

Update 2007

Drei Jahre nach seiner Freilassung wurde Ronald Miehling im November 2006 in Hamburg wieder verhaftet. Der Vorwurf: Schmuggel von mindestens 40 Kilogramm Kokain von Kolumbien nach Deutschland. Im Mai 2007 wurde er erneut verurteilt, das Landesgericht Hamburg sprach knappe acht Jahre Haft aus.

Update 2013

Ein Doku-Film über Ronald Miehling ist erschienen. Der Schneekönig.

 

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Psychoaktive Substanzen

Kiffen und Kiffer im Film

HanfBlatt, Nr. 83, Mai 2003

Bunter Rauch auf der Linse

Das Kiffen auf Zelluloid hat sich gewandelt. Wo sich früher nur Freaks und Outlaws die Hucke dicht rauchten, tummeln sich heute die fröhlichen Kiffer. Was fehlt also noch? Klar, eine stramme Empfehlung für die wirklich sehenswerten rauchgeschwängerten Filme.

Wen es wundern sollte, der sei aufgeklärt: Nicht jeder Streifen, in dem ein Joint weiter gereicht wird ist es Wert aus der Videothek geschleppt – geschweige denn via Internet auf die Festplatte gesogen zu werden. Viele Filme dienen nur als Klischee für eine weitere Verbreitung des überkommenden Gedankenguts der Prohibition. In ihnen muss der Kiffer dafür herhalten, dass zwischen Holly- und Bollywood Einigkeit darüber herrscht, dass die Droge Cannabis und ihre bösen Derivate „Haschisch“ und „Marihuana“ aus harmlosen Jugendlichen durchgeknallte Bösewichte macht. Das Musterbeispiel dieser staatlich verordneten Verblödung ist immer noch Reefer Madness (USA 1936), ein Aufklärungsfilm aus der Anti-Drogen-Propaganda der USA, der damals für blankes Entsetzen, heute nur noch für Komik sorgt. Die Handlung: Ein junger Musteramerikaner raucht einen Joint und wird dadurch zur mordenden Bestie.

Sieht man einmal von den im Untergrund wirkenden Filmexperimenten ab (so zum Beispiel Sommer der Liebe, Deutschland 1992, Regie: Wenzel Storch), stand der öffentlichkeitswirksame Kinofilm lange Zeit ganz im Dienste der Mythologisierung von Cannabis. Bis in die 60er Jahre hinein waren die Produkte des Hanfs das böse „Rauschgift“ und zu diesem gehörte immer ein schmierige Händler, ein paar Waffen und billige Mädchen. Sie waren die Nachfahren der unrasierten Schurken, die den Indianern Whiskey und Waffen andrehten. Mehr noch: Nicht nur in der Stirb langsam-Reihe (USA 1988) sprechen die Drogendealer gern mit deutschen Akzent. Die Legitimität des Krieges gegen die Drogen wird hier mit der des Krieges gegen Hitler verglichen und abgestützt.

Die andere Seite war der Konsument (vulgo: „Der Süchtige“). Das THC hatte den Mann oder die Frau fest im Griff, und zwar so sehr, dass es zu einer Abspaltung von den sozialen Beziehungen kam. Pot – so stand fest – das war sowohl ein Problem für den Einzelnen wie für die Gesellschaft. Die in den Körper eindringende Nadel eignet sich aufgrund ihrer deutlichen Intimsphärenverletzung zwar erheblich besser zur Inszenierung von Angst, aber auch der vernebelte Zug am Joint wird von den Regisseuren gerne so in Szene gesetzt, dass der Zuschauer nicht mehr genau weiß, ob er in einem Horror- oder Drogenfilm sitzt. Die Grenzen sind hier bewusst fließend gesetzt.

CUT

Von dieser Brandmarkung als Substanz, die den Menschen von sich selbst und der Gesellschaft spaltet, hat sich der Hanf im Gegensatz zu anderen psychoaktiven Substanzen nach und nach erholt. Zu einer ersten Rehabilitierung kam es in den 60er Jahren, als sich die Message der Hippies in Herz und Hirn der Filmfritzen spülte. Inhaliertes Gras, so die gewitzte Umkehrung, spaltet uns nicht, sondern bringt uns näher zu unserem inneren Selbst. 1967 endete auch cineastisch der „Summer of Love“ mit dem Film Easy Rider. Peter Fonda & Co stoßen hier die Pforten der Wahrnehmung weit auf, um sie schließlich von den Spießern wieder vor den Kopf geschlagen zu kriegen.

Kiffen – das ist von nun an en vogue, der ehemals böse Stoff wird kulturell als „weiche Droge“ integriert. Plötzlich steht das Hanfblatt als Symbol für die Gegenkultur im medialen Raum und soll zugleich die Grenze zwischen den Generationen markieren. Ab diesem Zeitpunkt spiegeln die meisten hanfbewegten Filme einen gesellschaftlichen Konsens, der nicht Gesetz geworden ist. Das Bild vom freundlichen Kiffer entsteht.

Der Zeitgeist fordert von den Filmen nun auch die visuelle Umsetzung des im Rausch subjektiv Erlebten – eine knifflige Aufgabe, wie sich schnell heraus stellt. Farbfilter werden vor die Linse gehängt, alles dreht und bewegt sich, man sieht doppelt, Konturen verschwimmen. The Trip (USA 1967, Regie: Roger Corman) ist ein Höhepunkt dieser Versuche. Weitaus gelungener, weil das positiv-spirituelle Moment mancher Abfahrt besser erfassend ist Montana Sacra, (Mexiko 1973, Regie: Alejandro Jodorowsky). Eine Gruppe Heilssuchender tript dabei durch einer Welt voller Absurditäten.

Rund drei Jahrzehnte später nimmt Terry Giliam das Thema noch einmal auf und dreht es endgültig ins Groteske. Im Klassiker Fear and Loathing in Las Vegas (USA 1998, Regie: Terry Gilliam) ist Cannabis die mit Abstand harmloseste aller konsumierten Substanzen. Jonny Depp und sein samoranischer Anwalt fegen durch Las Vegas, zugedröhnt bis unter´s Dach und einem vergessenen Auftrag folgend. Zwar ist die subjektive Drogenvision auch hier Teil der Montage, dem Zuschauer wird aber immer wieder die Möglichkeit zur Distanzierung gegeben, denn so, nein so abgefahren kann, mehr noch, darf kein Trip sein.

Ohne das Beben der 60er Jahre wären auch die heutigen Kiffer-Komödien nicht denkbar gewesen. Die Mutter aller dieser Nonsens-Machwerke ist Cheech & Chong-Reihe (USA 1978ff). Der Erfolg des ersten (Viel Rauch um Nichts, Regie: Thomas Chong) und wohl auch besten Streifens der beiden zotteligen Kiffer-Brüder Pedro und Man ist so groß, dass vier weitere gedreht wurden, die allerdings in ihrer Struktur immer simpler werden. Egal, es wirde gekifft, gelacht und die Bullen werden verarscht. Nie wieder wurde der Insidern bekannte Spass-Faktor des Rauchen so brachial-komisch umgesetzt.

RÜCKBLENDE

Die frühen Filmemacher kannten keine in ihre Arbeit eingreifenden Instanzen. In reglementierungswütigen Deutschland wurde die Filmzensur 1908, in den USA 1922 eingeführt. Die Verherrlichung von Drogenkonsum stand schnell auf der Liste der No-Nos. Der – despektierlich gesagt – Vampir-Klassiker Nosferatu (Deutschland 1922, Regie: Friedrich Wilhelm Murnau) gilt als der erste Drogenfilm überhaupt: Ein ausgezehrte Süchtiger streift durch die nächtlichen Strassen, immer auf der Suche nach seinem Stoff. Süßes, aber gefährliches Gift: So stellt sich von nun an das Filmpublikum die Substanzen des kurzen Glücks vor.

Die Traumfabrik Hollywood stand seit ihrer Gründung unter argwöhnischer Beobachtungen der staatlichen Zensurbehörde. Alle Künstler musste Verträge unterzeichnen, in denen sie sich verpflichteten „nichts zu tun, was die Allgemeinheit schockieren oder beleidigen, öffentliche Moralvorstellungen verunglimpfen oder dem Produzenten oder der Filmgesellschaft schaden könnte“. Trotzdem taten die Produzenten alles, um das Publikum mit Sensationellem zu locken. Und das war halt: Freizügigkeit, Gewalttätigkeit und vor allem „Sex and Crime“. Aber Joseph Breen, Mitte der 30er Jahre Oberzensor in Hollywood, wachte auf die peinliche Einhaltung aller Richtlinien und glättete auch politisch allzu kritische Passagen. Mit Beginn der Ära Roosevelt war dann endgültig das optimistische, saubere Hollywood-Kino geboren.

ANSCHLUSS

Die Legalisierungs-Wunsch-Welle Mitte der 90er Jahre spült das Thema „Kiff und Kiffen“ wieder neu in die Kinos, allerdings unter geänderten Vorzeichen. Zum einen hat der süße Duft die bürgerlichen Schichten erreicht, Hasch-Rauchen ist nicht mehr nur Sache von Freaks oder Ami-Landsern (Apocalypse Now). Durch Filme wie Slackers (USA 1991, Regie: Richard Linklater), Homegrown, (USA 1998, Regie: Billy Bob Thornton) Bang Boom Bang (Deutschland 1999, Regie: Peter Torwarth) schlurfen die netten, immer leicht weggetretenen Dauerkiffer. In The Big Lebowski (USA 1998, Regie: Joel Coen) sehen wir den Anti-Helden Jeff Bridges im Kampf gegen Bowling-Kugeln und Leder-Nazis. Nichts bringt diesen modernen Buddha dabei aus seiner Ruhe. Und bei allem Humor zeigt Coen auch die Probleme eines alternden Single aus der Hippiegeneration. Brilliant! Ähnlich ruhig gepolt und sehenswert ist Kevin Spacey in American Beauty (USA 1999, Regie: Sam Mendes), der sich als Familienvater den amerikanischen Alltags-Horror mit Spliffs versüßt. Der britische Theaterregisseur Sam Mendes wagte hier die Bloßstellung der us-amerikanischen Doppelmoral und gewann – auch an der Kinokasse.

Zum anderen erscheint der negativ besetzte „Konsum“ einem positiven „Genuss“ gewichen, der eine sozial verbindende Komponente in sich trägt. So beschreibt der Hamburger Regisseur Fatih Akin in dem Spielfilm Im Juli (2000) eine köstliche Kiffer-Szene, in der Moritz Bleibtreu den ersten Joint seines Lebens raucht und ein Erweckungserlebnis hat. Es ist kein Zufall, dass er gerade dabei die Augen für seine Begleitung (Christine Paul) geöffnet bekommt. Haschisch, so zeigt Akin, k a n n ein kompetenter Wegbegleiter auf der Strasse zur Liebe sein.

Die Integration von rauchbaren Hanfprodukten in den Film, so bemerkte der Filmkritiker Georg Seeßlen einmal, geschieht aber keinesfalls bedingungslos: „Wir benötigen die Gemeinschaft, wir benötigen den Ausweis der Friedfertigkeit, und wir benötigen die Bereitschaft zum Glück. So wird diese Droge, die eigentlich allenfalls noch eine „Droge“ ist, zum Medium, den Bruch zwischen Gesellschaft und Individuum ebenso wie den zwischen Ich und Welt eher zu kitten als zu vertiefen.“ In all diesen Streifen wird Cannabis nicht mehr als moralisierendes Medium benutzt, dass die Konsumenten in tiefste Tiefen drückt oder höchste Höhen katapultiert, vielmehr ist es Teil eines Lebens, dessen wichtige Momente sich auch ohne das Kraut genießen oder aushalten lassen. Der Hanf ist entmythologisiert, und – wenn überhaupt – eher Teil der Lösung als des Problems.

Die Gesellschaftsfähigkeit des Kiffens erlebt ihren Höhepunkt in den diversen Kiffer-Komödien der späten 90er. Ein eigenes Genre entsteht. Einige deutsche Beispiele: Hans Christian Schmids Crazy, Matthias Lehmanns Doppelpack, Schule von Marco Schmidt oder – als Endprodukt – Lammbock von Christian Zübert: Überall steht Cannabis für eine sozial kompatible Überschreitung, die keiner mehr ernst nehmen will. Fakt ist aber auch, dass dies nach einiger Zeit ebenfalls vom Kinobesucher nicht mehr als ausreichender Grund für einen Kartenkauf ernst genommen wird. Dafür ist Kiffen eben irgendwann wirklich zu normal.

Diese Normalisierung illustriert reizend Nigel Coles Grasgeflüster (GB 2000). Die Handlung: In der konservativ-idyllischen Welt von Cornwall steht eine Witwe vor dem Ruin. Mit Unterstützung eines Freundes legt sie in ihrem Gewächshaus eine riesigen Hanfplantage an. Der Clou: Die ganze Dorfgemeinschaft weiß von dem Vorhaben und… ist begeistert. Cole gelingt es ein Milieu zu schildern, das sich nur deshalb nie vollständig zum geregelten Konsum bekennt, weil er illegal ist. Ist hier der Film Spiegel der Wirklichkeit?

Zumindest ist Cannabis in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und wo noch in den Werken der 60er Jahre die Droge als Weg dargestellt wurde, die Realität zu verlassen oder neu zu konstruieren, scheint sie heute Ausdruck einer glaubwürdigeren, authentischeren Lebenswelt zu sein. Nun aber ist das Publikum satt: Coole Kiffer-Sprüche in Growing-Anlagen reichen heute nicht mehr für einen Kassenschlager aus und die Visualisierung des inneren Rausches wird von jedem PC-Bildschirmschoner ausreichend bunt umgesetzt. Was bleibt also für einen Film, in dem Cannabis eine Rolle spielen soll? Die oft so herrlich groteske Kiffer-Absurdität bleibt ein weites Feld, sicher auch eine noch detailgenauere Illustration des Menschen in seinen inneren und sozialen Verflechtungen. Und hat eigentlich schon jemand einen Kiffer-Porno gedreht?

 

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Psychoaktive Substanzen Specials

Kawa Kawa

Kava – Die Südseedroge

Erschienen im Hanfblatt, 2003

„Schmeckt`s?“ Detlef verzieht sein Gesicht: „Geht so.“ Er trinkt gerade einen Becher eines schlammigen, die Mundschleimhäute betäubenden Getränks, zubereitet aus Kavawurzelpulver und Wasser. In etwa einer Stunde wird er vielleicht einen Teil des speziellen Südsee-Feelings begreifen, denn Kava ist die traditionelle Droge der Kulturen der pazifischen Inselwelt.

Kava, auch Kawa Kawa, Yangona oder Rauschpfeffer, botanisch Piper methysticum, genannt, ist ein Pfeffergewächs, aus dessen Wurzelstock schon seit sehr langer Zeit ein entspannendes und mitunter euphorisierendes Gebräu zubereitet wird.

Als Ursprungsort der Pflanze wird die Inselgruppe des heutigen Vanuatu angenommen. Ausgehend von wilden Pflanzen, wahrscheinlich von der Art Piper wichmanii, wurde allein über Stecklinge die heutige Kulturform entwickelt. Bemerkenswert ist, dass Kava nun schon seit Jahrhunderten ausschliesslich über Stecklinge vermehrt wird und von den seefahrenden Välkern praktisch auf jede von ihnen besiedelte Insel mitgenommen wurde. Im Laufe der Zeit wurden von den Kavapflanzern über hundert unterschiedliche domestizierte Varianten mit teilweise erheblichen Wirkunterschieden ausgewählt und selektiv vermehrt. Sie werden zu verschiedenen Anlässen konsumiert. Gerade die milderen und kurzwirksamen Typen werden für den alltäglichen Gebrauch bevorzugt. Eine Haltung, die die soziale Integriertheit dieser Droge unterstreicht. Zentrum der Kavavielfalt ist Vanuatu. Auch auf Papua-Neuguinea, Wallis und Futuna, Fidschi, Tonga, Samoa und Pohnpei wird Kava angebaut und kulturell integriert genutzt. Auf Tahiti, den Marquesas und Hawaii wurde das Kava durch christliche Sekten und Alkohol verdrängt und tritt höchstens noch verwildert oder als Zierpflanze auf. Neuerdings erlebt Kava allerdings im pazifischen Raum ein erhebliches Revival, verbunden mit einer Besinnung auf die eigenen kulturellen Werte und der Erkenntnis der schlimmen Folgen übermässigen Alkoholkonsums. Eingeführt durch Migranten findet Kavakonsum nun auch auf Neukaledonien, in Neuseeland, Australien und den USA (Kalifornien) seine Liebhaber. Kavaexperten sprechen diesem Mittel durchaus eine Zukunft als mildes Rauschmittel im südostasiatischen Raum und vielleicht sogar in den westlichen Ländern zu. Die Kavawirkstoffe sind bereits Bestandteil zahlreicher Arzneimittel. Auch hier besteht ein ausbaufähiger Markt. Seit Ende der Sechziger Jahre wurde immer wieder versucht, Kava als „legale Droge“ in der „Drogensubkultur“ zu vermarkten. †bertriebene Versprechungen („mildes Acid“), schwache Qualitäten und der gewähnungsbedürftige Geschmack hielten die meisten Neugierigen davon ab, mehr als ein paar Experimente mit Kava zu machen.

Das vergleichsweise sanfte Kava solte nicht zum „Dröhnen “ genommen werden, zumal es ein derartiges Bedürfnis kaum befriedigen dürfte. Kavawurzel enthält neben Stärke, Fasern, Zucker, Proteinen, Mineralstoffen und Wasser zu 5 bis 15 % eine Gruppe von Wirkstoffen, die man gemeinhin als Kavalactone bezeichnet. Insbesondere sind Kavain, Methysticin, Yangonin, Dihydrokavain, Dihydromethysticin und Demethoxyyangonin an der Wirkung beteiligt. Sie wirken ärtlich betäubend wie Lokalanästhetika, harntreibend, schmerzlindernd, muskelentspannend, anti-epileptisch, krampfreduzierend, beruhigend und schlaffördernd und verstärken und verlängern die Barbituratnarkose, wenn man Wert darauf legt. Auch gewisse bakterien- und pilzhemmende Eigenschaften werden ihnen zugesprochen. Dabei sind sie durchaus als verhältnismässig unbedenkliche Alternative zu herkämmlichen Arzneipräparaten einsetzbar. Für den täglichen Konsum werden andere Kava-Chemotypen bevorzugt als für medizinische Zwecke. Klone mit hohem Gehalt an schnellwirkendem Kavain und niedrigem Gehalt an †belkeit erzeugendem, langsam und langanhaltend wirkendem Dihydromethysticin werden lieber für den Alltagseinsatz verbraucht.

Kavalactone sind wasserunlösliche, in den Wurzelzellen fein verteilt vorliegende Harze. Sie müssen zur Zubereitung des begehrten Getränkes aufgeschlossen und in Flüssigkeit zur Schwebe gebracht werden. Deshalb wird zunächst einmal die Wurzel möglichst stark zerkleinert, so dass möglichst viele Zellwände zerstört werden. Traditionell geschah dies durch Zerkauen der Wurzel. Eine Praxis die ursprünglich von jungen Männern oder Jungfrauen ausgeführt wurde. Heute wird diese, die weissen Kolonialherren zutiefst abstossende Methode kaum noch praktiziert, zumal sie nicht nur als unhygienisch gilt, sondern in Anbetracht der Härte der Wurzel und der zu zerkauenden Mengen auch recht anstrengend sein kann. Andererseits hat ein derartig hergestelltes Getränk den Ruf, besonders stark zu sein. Für eine Dosis werden beispielsweise ein bis fünf Mund voll jeweils etwa zehn Minuten kräftig durchgekaut und ausgespuckt.

Andere Methoden, die Wurzel zu zerkleinern, sind das Zerstampfen und Zermalmen mit H ilfe von Steinen oder das Zermahlen mit Hilfe von mechanischen Mühlen oder „Fleischwölfen“, die durchaus auch mit Motorkraft angetrieben werden können. Der nächste Schritt besteht darin, die erhaltene Masse mit kaltem Wasser aufzuschwemmen (, heisses Wasser soll sogar ein stärkeres Getränk ergeben; Kokosnussmilch und Kuhmilch können meines Erachtens als löslichkeitsverstärkende Alternative eingesetzt werden, „Geschmackssache“). Schliesslich wird die gut vermengte Mischung durch ein relativ grobes Filter, beispielsweise aus Pflanzenfasern oder Nylonstoff , abgeseiht und die potente Restflüssigkeit aus der zurückbleibenden Wurzelmasse abgepresst. Das erhaltene gräulich-milchige Gebräu wird dann in Kokosnusshälften oder Gläsern ausgeschenkt. Mit mehr oder weniger verzogener Miene spült es der Kavatrinker möglichst frisch runter. Bleibt das Kavagebräu länger stehen, scheiden sich die Wirkstoffe ab, das Getränk wird schal. Das bereits ausgepresste Wurzelmaterial wird oft nochmal für einen zweiten Durchgang verwendet. Die Wirkstärke kann abhängig von Ausgangsmaterial, das heisst Sorte, Reifegrad und Wurzelteil, und Zubereitung sehr variabel und schwer abschätzbar ausfallen.

(Hier möchte ich nochmal einen Hinweis einflechten: Das erhaltene Getränk kann meiner Meinung nach auch mit Rohrzucker oder Honig gesüsst oder mit Gewürzen wie Zimt oder Vanille verfeinert werden. Die Variante mit Kakaozusatz gefiel mir gut. Die Mischung mit Guarana ergibt sowas, wie einen …kospeedball. Lecithin erhöht die Aufschwemmbarkeit der Kavalactone. Vielleicht wird in Zukunft einmal ein sprühgetrocknetes Kavainstantgetränk entwickelt.)

In der Regel wird Kava erst abends getrunken, denn helles Licht beeinträchtigt die Wirkung. Meist wird vor dem Abendessen getrunken, damit sich die subtilen Effekte besser entfalten knnen. Ist das Kava sehr stark, kann andererseits eine Mahlzeit vor der Einnahme die Wirkung abmildern. Wird vorher nichts gegessen, kännen eine leichte warme Mahlzeit oder ein heisses Getränk nach Einsetzen der Wirkung über Wärme, Aufläsung in Fetten und die Anregung von Verdauungsvorgängen die Resorption und damit Intensität und Dauer der Kavawirkung intensivieren. Kava selbst dämpft eher den Appetit. Wird zuviel gegessen, kännen †belkeit und Erbrechen einsetzen. Softdrinks, Kokosnusssaft oder Erdnüsse helfen gegen den eher unangenehmen Geschmack des Kavagebräus. Lärm kann die Kavaerfahrung stären. Das respektieren auch diejenigen, die kein Kava getrunken haben. In Ruhe wird dann „dem Kava gelauscht“, der veränderte Bewusstseinszustand zugelassen und genossen, wertvolle „Botschaften“ erspürt. In anderen kulturellen Kontexten steht die gemeinsame Kavaerfahrung unter dem Motto lebhafter Unterhaltung, Musizieren, Singen und Witze erzählen. Selten wird unter Kavaeinfluss getanzt oder enthemmt kopuliert.

Kava wird so gut wie nie allein, sondern fast ausschliesslich in geselliger Runde und meist nur von Männern genommen. (Erst in jüngster Zeit erobern Frauen auch diese Domäne.) Die Kavastunde stellt sowas wie einen gesellschaftlichen Feierabend dar. Im traditionellen Kontext wird Kava beispielsweise bei Begrüssungszeremonien, Friedensverhandlungen, Versöhnungen, Heilritualen und zu Vorhersagen als tragendes Element eingesetzt. Auf vielen Inseln gibt es heute aber auch sowas wie Kavakneipen.

Kava dämpft Aggressivität, bewirkt im positiven Falle einen subtilen Zustand der Ruhe, Zufriedenheit, Ausgeglichenheit, Friedlichkeit und Freundschaftlichkeit ohne das Denken zu beeinträchtigen. Man kann den Zustand allerdings auch als eher stumpfe Ruhigstellung empfinden. Manchein Dröhnbütel ist genau auf die abstumpfenden Effekte sehr hoher Dosierungen scharf. Bei einer hohen Dosis können Torkeligkeit, Koordinationsstörungen, †belkeit und Erbrechen die Folge sein.

Eine Kavaabhängigkeit auf physiologischer Basis konnte nie festgestellt werden. Langfristiger intensiver Gebrauch kann im Einzelfall zum Austrocknen der Haut und zu Hautausschlägen führen, die sich allerdings bei Absetzen der Droge zurückbilden. Heftiger Kavadauerkosum kann „apathisch“ machen, vor allem wenn die ein besonders potentes Getränk ergebende frische Wurzel verwendet wird. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass Kava gelegentlich und in Massen (, nicht in Massen,) genommen, nach gegenwärtigem Kenntnisstand eine relativ verträgliche Droge ist. Zu warnen ist allerdings vor der Kombination mit Alkohol. Die Effekte verstärken sich gegenseitig, auch die negativen Wirkungen des Alkohols (, besonders die auf die Leber,) werden potenziert. Im allgemeinen wird diese Kombination in der Südsee gemieden: Das „friedliche“ Kava vertrage sich nicht mit dem „aggressiven“ Alkohol, er „vergifte“ die Kavastimmung. Die Kombination mit Cannabis führt zu einer Verstärkung der Cannabiswirkung (, „in Richtung Sofa“, wie Detlef sagt).

Die Kavawurzel wird meist nach 3 bis 4 Jahren geerntet. Eine Wurzel wiegt dann zwischen 5 und 50 Kilogramm frisch. Das ergibt 1 bis 10 Kilogramm getrocknet. Ca. 20 % davon sind Seitenwurzeln. Diese haben einen Kavalactongehalt von ca. 10-15%, der Hauptwurzelstock einen von 5-10% und die Stammwurzel von vielleicht 5 %, nur um mal einen Anhaltspunkt über die variierende Potenz innerhalb der Wurzel zu geben. So werden beispielsweise auf Fidschi die Preise der Wurzelteile entsprechend der Wirkstoffgehalte gestaffelt: 1 Kilogramm Seitenwurzel (waka) kostete 1990 etwa 18 DM, die Hauptwurzel (lewena) 12 DM das Kilo und die Stammwurzel (kasa) nur 6 DM pro Kilogramm. Beste Qualitäten sollen aus Vanuatu kommen. Dort ist die Wurzel bei den Farmern ab 1 DM pro Kilo erhältlich.

Auf Fidschi werden jährlich mehrere tausend Tonnen Kavawurzel geerntet, auf Tonga mehrere hundert, auf Vanuatu wahrscheinlich Mengen im tausend Tonnenbereich. Samoa ist ein weiterer Exporteur.

Bei uns ist Kavawurzel durchschnittlicher Qualität im Kräuterhandel ohne Schwierigkeiten zu moderaten Preisen erhältlich. Die bereits zu feinem Pulver zermahlene Form eignet sich besser zur Zubereitung von Getränken. An die Dosierung tasten sich Anfänger vorsichtig heran, beginnend mit wenigen Teelffeln des Wurzelpulvers. 20 bis 30 Gramm pro Dosis sollten fürs Erste nicht überschritten werden. Weniger ist oft mehr. Kava ist weniger eine Droge, als ein subtiles entspannendes Genussmittel.

Zahlreiche Präparate mit Kavaextrakten sind in Apotheken oder Reformhäusern erhältlich. „Dr. Dünners Kawa-Kawa-Kräutertabletten“ aus dem Reformhaus, bestehend nur aus Wurzelpulver und Extrakt, kännen beispielsweise fein vermahlen als Pulver, teelöffelweise in Milch verührt getrunken werden. „Antares 120“ aus der „Apo“ enthält 120mg Kava-Lactone pro Tablette, „Kavasedon-Tropfen“ enthalten 25 mg Kavapyrone pro Milliliter, „Neuronica“ 200 mg D,L-Kavain pro Kapsel. Hier gilt natürlich, in puncto Nebenwirkungen: Lesen Sie den Beipackzettel und fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker!

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Lesetip:
(leider nur auf Englisch)

Chris Kilham
„Kava-Medicine Hunting in Paradise, The Pursuit of a Natural Alternative to Anti-Anxiety Drugs and Sleeping Pills.“
Park Street Press 1996
ISBN 0-892 81-640-6
Vincent Lebot, Mark Merlin, Lamont Lindstrom

„Kava-The Pacific Drug.“
Yale University Press 1992
ISBN 0-300-05213-8

 

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Cannabis Drogenpolitik Gesundheitssystem Psychoaktive Substanzen

Dope auf dem Schulhof

HanfBlatt, Nr. 77, 2003

Dope auf dem Schulhof

Wie beliebt ist Cannabis unter Schülern? Und welche Folgen hat der Genuss?

Das Blech und die Scheiben von Philips roten Golf erzitterten unter den Klängen von Prince. Es war 1984 in irgendeiner Schule in einer Großstadt. In der großen Pause, ich glaube sie ging von halb bis um 11 Uhr, hatten wir es uns seit einem viertel Jahr zur Angewohnheit gemacht in der rostigen Karre zu verschwinden und eine Riesentüte zu rauchen. „Let´s go crazy“ dröhnte dann so laut aus den Magnat-Boxen, dass Passanten stehen blieben. Unsere Mitschüler, welche die Pause nutzen um aus dem nahe liegenden Penny-Markt Bier zu holen, die grienten nur wissend. Es war die Zeit in der uns endgültig klar wurde, dass Schule keinen Sinn macht, obwohl die Abiturprüfungen nahten. Cannabis stand dabei nie in dem Verdacht das Bewusstsein zu erweitern, wozu auch, wir wussten es ja eh schon besser. Die fetten Joints, die wir uns Tag für Tag reinzogen dienten keinem Ziel, sondern nur dem puren Amüsement. Wir wollten schnell und schmutzig leben, Mutti würde schon weiter zahlen.

Zeitsprung ins Jahr 2002: Eine Gesamtschule in Hamburg. Auf dem Schulhof tummeln sich die Racker, die älteren Schüler ziehen sich mit behördlicher Genehmigung eine seltsame Droge mit Namen „Tabak“ in der eigens dafür geschaffenen „Raucherecke“ rein. „Kiffer suchst Du?“, wiederholt einer der langen Kerls spöttisch und schaut mich von oben bis unten an. „Dann schau mal hinter das Gebäude dahinten. Vielleicht hast du Glück.“ Ich folge seinem Finger. Als mich die kleine Gruppe von Jungmännern sieht, nesteln sie in ihren Taschen rum. „Vom HanfBlatt, coool.“ Ja, sagen sie, „klar kiffen wir in den Pausen“. Jeden Tag? „Ooch ja, eigentlich ja.“ Nein, auf die Leistungen würden sich das nicht auswirken. „Der Unterricht ist sowieso völlig beschissen. Ob ich da breit bin oder nicht, dass macht keinen Unterschied.“ Die Hände in den Taschen, die Hosen in den Kniekehlen stehen sie da. Neuntklässler, die jedwedes Unrechtsbewusstsein beim Cannabisgenuss in die Tonne getreten haben. Für sie ist Kiffen Entspannungskultur, breit sein, high sein.

Das war 1984 nicht viel anders: Die Generation der Anti-Atomkraft-Bewegung mit ihren olivgrünen Parkern und ihren moralinsauren Eiertänzen hatte vor zwei Jahren die Schule verlassen, nun waren wir an der Macht. Wir, dass waren wilde Söhne und Töcher aus Beamtenhaushalten, welche die reduzierte Sprache von Albert Camus genossen und Jean Paul Satre lasen und ihn nicht verstanden. Es entwickelte sich eine Mischung aus krudem Existenzialismus und dem unbedingen Willen, dass Leben in vollen Zügen zu genießen. Techno war noch nicht erfunden, Acid-House war State of the Art und damit dämmerte langsam das Zeitalter des Hedonismus heran. Ohne es zu wissen waren wir die Vorläufer der heutigen Spaßgesellschaft. Wenn wir bekifft aus dem Auto zurück in den Unterricht flatterten, dann war Spaß garantiert – oder stumpfes rumdröhnen. Einmal kippte Philipp vom Stuhl vor Lachen, unser Biologielehrer (Typ: „Ich bin euer Kumpel“) schickte ihn entnervt zur Schulleiterin. Aber die Lehrer waren meist zu blauäugig, um unsere Zustände einzuordnen – oder sie wollten sie nicht sehen, weil wir seit der 11. Klasse den Unterricht eh nur noch für unser Privatscherzchen nutzten, mithin störende Elemente waren.

Tja, und nun die Preisfrage: Was hat das Cannabis mit uns getan? Um es mal mit den Maßstäben der Leistungsgesellschaft zu messen: Der eine Kiffer von damals kauft heute Fussballrechte in ganze Europa ein, der andere hat eine kleine Firma für Marktforschung gegründet, der dritte verdummt die Leute (er ist Angestellter in einer Werbeagentur), der vierte tut das ebenfalls, er schreibt diesen Artikel. Aber es gibt auch andere Wege: Einer aus unserem Kreise fand das Kiffen so großartig, dass er jeden Abend bedröhnt vor der Glotze hing, wir verloren ihn aus den Augen, Jahre später traf ich ihn wieder, er war ziemlich runtergekommen. Kaum jemand kommt auf die Idee, berufliche und private Erfolge am Graskonsum festzumachen, umgekehrt fällt das seit jeher einfacher. Und kaum jemand kommt auf die Idee die Fragestellung einmal umzukehren und eine Untersuchung darüber anzuschieben, welche Vorteile Jugendliche aus dem ja meist gemeinsam praktizierten Rauchritualen ziehen. Die Kiffen ein Problem sein muss, dies ist unausgesprochene Gedanken- und Finanzierungsgrundlage vieler Sucht- und Präventionsbüros.

Um es nicht falsch zu verstehen: Unser Konsum von Haschisch während der Schulzeiten hat die Leistungen in der Schule wahrlich nicht gefördert, im Gegenteil. Ab dem Moment der cannabioniden Intoxination waren wir bei körperlicher Anwesenheit freiwillig vom Unterricht ausgeschlossen. Letzlich waren wir das vorher zwar auch schon, aber nun gab es absolut keine Möglichkeiten für Lehrer und Lehrninhalte durch unseren Nebel aus Selbstgefälligkeit und Frohsinn durchzudringen. Nur hatten wir halt das Glück zu begreifen, dass man die Regeln des Systems irgendwann doch wieder befolgen muss, zumindest soweit, dass man nicht rausgeworfen wird. Die Eskapaden führten nie dazu den ideellen Reigen aus Eltern und sozialem Umfeld ganz zugunsten der hanfinduzierten Glückseeligkeit zu verlassen. Zudem hatten wir Glück, denn ein Lehrer stand dem Hanf nicht abgeneigt gegenüber. Wir teilten ein paar Züge lang unsere Erfahrungen. Der Mann hatte unser Vertrauen und war einer der wenigen Großgewachsenen, den man sich bei Problemen innerhalb und außerhalb der Schule offenbaren wollte.

Und was treibt der Hanfrauch heute aus dem Bewusstsein der SchülerInnen? Die sonore Stimme eines Hamburger Schulpsychologen dringt durch den Telefonhörer: „Ein großer Teil der Jugendlichen kann mit dem Cannabiskonsum umgehen, aber es gibt welche, die das nicht können. Wer zum Frühstück seine ersten Köpfe raucht, der hat schnell ein Problem.“ Der Mann kämpft mit mehreren Aufgaben: Ein Problem sei, dass keine aktuellen Zahlen vorliegen, ob sich der Konsum unter den Menschen unter 18 Jahren tatsächlich erhöht hat. „Wir erhalten schon immer öfter Meldung von Schulen und Eltern, dass die Cannabis konsumierenden Schüler jünger geworden sind.“

Ob Eltern, Lehrer oder Schüler: Die Erfahrungen mit akut gedopten Mitschülern sind schlecht, darum ist man sich einig, dass der Genuss von Hanfkraut in der Schule nichts zu suchen hat.

Wo früher erst die 17-jährigen rauchen, kiffen heute zum Teil schon die 15-jährigen. Dieser subjektive Eindruck wird durch die letzten Erhebungen in Hamburg bestätigt. 1990 hatten insgesamt 27,9 Prozent und 1997 26,5 Prozent der 15 bis 39-jährigen jemals in ihrem Leben Cannabis probiert. Diese sogenannten „Lebenszeitprävalenz“ hat sich über die Jahre also kaum geändert. Aber: Deutliche Veränderungen zeigen sich bei der Gruppe der jungen Konsumenten. 1990 gaben nur 8,4 Prozent der 15-17-jährigen an, im letzten Jahr Hanf geraucht zu haben, 1997 waren das schon 17,9 Prozent. Und so wie es aussieht hat sich dieser Trend eher noch verstärkt.

Kenner beobachten die Verjüngung der Szene schon seit längerem. Ein Head-Shop Besitzer erzählt: „Erst gestern kam hier ein maximal 15-jähriger rein, der einen Bong für die Tasche haben wollte. Der Typ war komplett sediert und fragt auch noch nach einem Gerät, dass er mit in die Schule nehmen kann. Damit ist er jetzt wahrscheinlich der Held in der Klasse.“ Insgesamt sei zu beobachten, dass die Käufer von Paraphenalia über die Jahre jünger geworden sind.

Die spannende Frage ist nun, welche Auswirkungen der Genuss von Cannabis hat. Darüber gehen die Meinungen auseinander, die empirischen Erhebungen im Bundesgebiet unterstützen die These vom kranken Kiffer allerdings nicht. Ein paar Zahlen: Im Jahr 2000 lag der Anteil der aktuellen THC-Liebhaber in Deutschland zwischen fünf und sechs Prozent. Hochgerechnet auf die Wohnbevölkerung sind das in Ostdeutschland 26.000 Personen und in Westdeutschland 214.000 Personen, die regelmäßig Cannabis konsumierten. Glaubt man den Erhebungen weiter haben nur wenige Kiffer Probleme mit ihrem Inhalationssport.

Die größte Studie zu dem Thema von Kleiber und Kovar kommt in feinstem Wissenschaftsdeutsch zu dem Schluss: „Was die Auswirkungen von Cannabis auf die psychische Gesundheit anbelangt, muss aufgrund der vorliegenden Ergebnisse die Annahme, dass der Konsum von Cannabis eine Verschlechterung der psychischen Gesundheit nach sich zieht, zurückgewiesen werden.“ Fest steht auf der anderen Seite, dass diejenigen Menschen, die heute Dauerkiffer sind ihre ersten Erfahrungen relativ früh gemacht haben. Mit anderen Worten: Je früher man anfängt zu knastern, desto größer ist später die Chance dauerstoned durch die Gegend zu eiern.

Wie geht man nun mit dem jugendlichen Fans von Cannabis, Alkohol, anderen Genussmitteln und sogenannten Drogen um? Im Kern stoßen dabei zwei Auffassungen aufeinander. Die eine: Weil alle Rauschmittel das Potential zur Verstärkung und Wiederholung in sich tragen, muss das Ziel die Erziehung zur Abstinenz sein. Die Gefahr, die von der Integration des Drogenkonsums in die Gesellschaft ausgeht, zeigt sich deutlich am Alkohol. Die andere: Eine drogenfreie Gesellschaft ist nicht nur unmöglich, sondern durch ihre prohibitiven Zwangsmaßnahmen zugleich ein teilweise totalitärer Staat. Ziel muss daher die Erziehung zur selbstverantwortlichen Haltung und Handlung sein. Aus der Diskussion ausgespart bleibt meist die betroffene Gruppe, nämlich die, die ab und zu Cannabis zur Entspannung und zur Rekreation nutzt und eigentlich nur ein Problem hat: Dass die Produkte der Pflanze auf dem Markt erscheinen ohne auf Qualität geprüft worden zu sein.

Die Garde der Therapeuten, Suchtberater und Schulpsychologen steht vor dringenderen Problemen. Ihrer Meinung nach setzt das Betäubungsmittelgesetz der Beratungs- und Aufklärungstätigkeit enge Grenzen, zum anderen ist die Unkenntnis über Wirkungen und Auswirkungen von Gras und Hasch unter Lehrern, Eltern und Schülern riesengroß. In den Worten des Psychologen am Telefon: „Die Schule kann bei der momentanen Gesetzeslage keine Anleitung zum regelgeleiteten Konsum geben, und das kann auch nicht Auftrag der Schule sein.“ In der persönlichen Beratung von Schülern allerdings würde nicht nur auf Abstinenz abgestellt, „das wäre völlig unrealistisch“. Auf Veranstaltungen zum Thema Drogenkonsum würde immer wieder die Unsicherheit deutlich werden, die allenthalben unter Eltern, Lehrern und Schülern herrsche. „Zumeist wird der Cannabiskonsum total dramatisiert, andere spielen ihn vollständig runter.“ So oder so sei das Thema enorm emotional besetzt. Fazit des Psychologen: „Versachlichung und Aufklärung tuen Not.“

Bei der Veranstaltung „Jugend im Parlament“ berichteten Hamburger Schüler den Abgeordneten der Hamburger Bürgerschaft im Jahr 2000 von ihren Erfahrungen mit kiffenden Mitschülern. Die Überraschung: Die meisten Jugendlichen teilten mit, sie hätten bisher bei keinem ihrer Mitschüler Verhaltensauffälligkeiten oder Beeinträchtigungen der Leistung durch die Einatmung von geschwängerten Rauch festgestellt.

Im Regelfall würde Cannabis ohnehin in der Freizeit konsumiert, weiß Gert Herweg, der in Frankfurt als Fachberater tätig ist. In der Metropole haben seiner Einschätzung nach bis zu 20 Prozent der Schüler über 14 Jahren Erfahrungen mit Cannabis. Die meisten davon würden den Hanf aber nur probieren, wenige würden zu Gewohnheitsrauchern. Im gesamten Bundesgebiet ist zu beobachten, dass vor allem Schulen in sozial schwachen Wohngebieten von Problemen mit dauerkiffenden Jugendlichen berichten.

Misst man nicht mit ökonomischen Maßstäben, stellt sich die Frage nach den Vor- und Nachteilen des Drogenkonsums noch einmal anders. Was kaum einer der Therapeuten und „Drogenexperten“ auszusprechen wagt, ist doch, dass Cannabis und andere Rauschmittel bei vernünftiger Anwendung eben durchaus zur Weiterentwicklung der Persönlichkeit beitragen können und nicht nur wie ein unablässig wachsendes Geschwür dieselbe zerfressen. Sicher, die Gefahren eines allzu frühen Konsums liegen auf der Hand: Sie bestehen in einer, bildlich gesprochen, Aufweichung einer Plattform, die man sich ja gerade erst -unabhängig von den Eltern- schaffen will. Gleichwohl gilt: Fatal ist doch die zeitweise Ausrichtung des jungen, sich entwickelnden Wertesystems an einer Droge nur dann, wenn der Mensch sich dadurch entweder unglücklich macht oder seine Verantwortung für das natürliche und soziale Umfeld auf längere Zeit negiert. Diese Gefahren bestehen, sind aber nach überwiegender Meinung eher vom Elternhaus und dem Freundeskreis abhängig als von Pflanzenextrakten.

Neugierde und Entdeckerdrang, Abgrenzung zu Autoritäten und das Erleben von Freiheit sind notwendige Bedingungen des Erwachsenwerdens. Sicher tut man der gedeihenden menschlichen Natur nicht zu sehr Gewalt an, wenn man einige Genussmittel per Gesetz kategorisch aus ihrem Erlebnishorizont streicht. Auf der anderen Seite lauern die Gefahren der blinden Konsumwut überall und in der propagierten „offenen Gesellschaft“ sollte es eben auch darum gehen, den Umgang mit diesen zu lernen. Aber wer lehrt diesen, angesichts überforderter Eltern, nicht legitimierter Schulen, die zudem ihren Ruf im Viertel nicht verlieren wollen und einem Freundeskreis, der zur Verharmlosung neigt?

Jörg Auf dem Hövel

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Cannabis

Marihuana Mythen 15: „Mythen kommen und gehen: Die Zusammenfassung“

Marihuana Mythen

Teil XV

Unsere Serie ist außer Atem, ja, sogar am Ende. Wir haben viel gegeben, haben Zahlen und Fakten gesammelt, Tabellen erstellt, Vergleiche gezogen und das Alles, um den weit verbreiteten Unwahrheiten über den Hanf Einhalt zu gebieten. Vorangetrieben von der Hoffnung, daß in Zeiten (post)moderner Beliebigkeit die Suche nach dem wahren Cannabis überhaupt Sinn macht. Der letzte Teil gibt sich locker, auf intellektuelle Weise konfus, fasst noch einmal die wichtigsten Ergebnisse über die Wirkungen des Rauschhanf auf die Körper-Geist-Einheit zusammen und wagt einen Ausblick.

„Mythen kommen und gehen: Die Zusammenfassung“

Die Mythe, eine altüberlieferte Erzählung, soll in bildhaft-anschaulicher Sprache ein vergangenes Ereignis vergegenwärtigen. Ursprünglich ging es um Geschichten aus einer Zeit, in der Götter und Dämonen regierten, kurz, die Welt noch beseelt war. Die Aufklärung und später die Wissenschaft drängten diesen Komplex in den Bereich des Unbewußten, denn die Welt besitzt keine Seele, meint man. An dieser Stelle könnte ein philosophischer Diskurs ansetzen, aber das würde zu weit führen. Der Ausdruck „Marihuana-Mythen“ soll indes zeigen, daß trotz eines wissenschaftlichen Mäntelchens wissentlich oder unwissentlich Lügen über den Hanf verbreiten wurden und werden.

Gleich die erste Folge nahm sich einen Mythos zur Brust, der in vielen Köpfen herumschwirrt: Die Annahme, daß sich der Konsum von Cannabis unter Jugendlichen stetig erhöht hat. Wir mußten zeigen, daß in der westlichen Hemisphäre der Gebrauch von Rauschhanf über die Jahrzehnte relativ stabil geblieben ist. Er ist zwar gewissen Schwankungen unterworfen, diese sind aber eher durch Veränderungen in der Jugendkultur, als denn durch eine liberale oder restriktive Drogenpolitik zu erklären (HB 23/96). Eine der nächsten Folgen wies nach, daß Hanf durchaus als Medizin genutzt werden kann, es sogar diverse wissenschaftlich fundierte Einsatzgebiete gibt (HB 25/96).

„Marihuana schädigt die Lungen„, nannte sich der vierte Mythos. Klar, rauchen ist immer Gift für unser Atmungsorgan, das steht nunmal fest. Regelmäßige Kiffer leiden öfter als Nichtraucher an chronischen Husten und chronischer Schleimentwicklung. Mischt frau den Hanf zudem mit Tabak, erhöht sich die Risiko einer Krebserkrankung enorm. Die Forschungen auf dem Gebiet laufen, die Liebhaber des Rauchens sollten aber gewarnt sein. Ob Cannabis das Immunsystem insgesamt angreift, bleibt umstritten. Die Ergebnisse der frühen Untersuchungen wurden in den achtziger und neunziger Jahren wiederholt und oft verworfen. Hier darf –wie so oft- kein Kausalzusammenhang gezogen werden: Sportliche Menschen mit gesunder Ernährung und einen ausgeglichenem Seelenleben dürfte weitaus weniger schnell krank werden als der faule, fette Fernsehhänger. Die sexuelle Fortpflanzungsfähigkeit von Mann und Frau wird kaum beeinträchtigt: Zwar hat Marihuana leicht unterdrückende Auswirkungen auf die Spermaproduktion, diese ist aber reversibel. Die Damen der Schöpfung stört der Genuß nicht in ihrer Fruchtbarkeit, wohl aber in das Genießen ihrer Schwangerschaft. Wissenschaftler raten zu einer gewissen Prüderie gegenüber Cannabis in den berühmten neun Monaten, denn die Ergebnisse sind zu widersprüchlich. Was der Hanf im Hirn anstellt, darüber läßt sich trefflich streiten. Die Grenze zwischen Psyche und Physis ist gerade hier schwer zu ziehen, somatische Veränderungen wurden aber selten nachgewiesen. Berücksichtigt man die neurochemischen Daten von Tierversuchen, klinischen Fallstudien, empirischen Erhebungen, kontrollierten Laborstudien und Feldversuchen kann gesagt werden, daß Beeinträchtigungen des Hirns zwar möglich sind, bei einem kontrollierten Umgang aber äußerst unwahrscheinlich. Der überwiegende Teil der Erhebungen der Kiffer und Abs tinenzler beäugte, fand keine Unterschiede in den kognitiven oder intellektuellen Funktionen.

Erich Hesse schrieb 1966: „Die regelmäßige Aufnahme des Gifts (Haschisch) führt zur Sucht und auf Dauer zu schweren psychischen Schäden. Daueraufenthalt im Irrenhaus ist das Ende.“ Noch immer hält sich der Mythos von Cannabis als Suchtdroge. Das HanfBlatt bezog in Ausgabe 32/97 Stellung und verwahrte sich gegen die Sündenbockfunktion einer Substanz. Dosierung der Droge, Anforderungen des Berufs, soziales Umfeld und die persönliche Struktur des Konsumenten sind ausschlaggebend für die Wanderung auf dem Grad zwischen Gebrauch und Mißbrauch. Ziellosigkeit und Lethargie sind allen Kiffern bekannte Phänomene nach einer durchqualmten Nacht, daraus aber ein allgemeines „Amotivationssyndrom“ stricken zu wollen, ging uns entschieden zu weit. Interessant ist, daß die großen Feldstudien in Costa Rica, Griechenland und Jamaika keine Beweise für dieses Syndrom fanden. Vor allem junge Menschen sind dann gefährdet, wenn sich der Hauptaugenmerk ihres Lebens einer Droge zuwendet. Zur Theorie der „Einstiegsdroge“ habe wir in Ausgabe 36/97 einige Worte verloren, einer Theorie, die in der Riege der internationalen Wissenschaftler (so wie der Flash-Back) keine ernst zu nehmende Unterstützung mehr findet. Es steht fest: Es sind eher drogenunabhängige Einflüsse, die eine „Umsteigen“ hemmen oder fördern. Von den Niederlanden kann die deutsche Republik in jedem Falle lernen, dort ist eine Trennung der Märkte in „weiche“ und „harte“ Drogen weitgehend gelungen und mehr Menschen kiffen im Nachbarland -trotz einer quasi-Legalisierung- auch nicht.

So, daß war´s. Aber weit gefehlt, denn noch immer forscht die Wissenschaft auf der ganzen Welt nach dem wahren Wesen der Cannabis-Pflanze und ihrer Wirkstoffe. Cannabis verspricht in der Zukunft Linderung für AIDS- und Krebskranke zu bringen, aber auch als Seelenbalsam ohne ärztliche Verschreibung nimmt es immer mehr seinen Platz in einer gestreßten Gesellschaft ein. Schnelllebigkeit und Informations-Overdrive zeichnen die gegenwärtige Epoche aus, der Genuß von Hanf dürfte als beliebte Zeitbremse seinen Platz bei jungen wie alten Menschen behalten beziehungsweise neu finden. Angesichts der neuen Ergebnisse rund um die Wirkung von Cannabis, stellt sich die Frage, was zuerst da war: Die wissenschaftlich fundierte Erkenntnis, daß der mäßige Konsum annähernd frei von Schäden ist, oder eine sozial, kulturell und politisch veränderte Stimmung gegenüber dem Hanf. Denn eines haben die fünfzehn Folgen der „Marihuana-Mythen“ gezeigt: Voraussetzung für Wissenschaft ist eine Idee, wie ein Zusammenhang aussehen könnte. Und diese Idee prägt das Design jeder Forschung maßgeblich vor (von dem persönlichen Hintergrund des Forschers mal ganz abgesehen). Dies heißt nun nicht, daß die „Wahrheit“ der Beliebigkeit des Forschers weichen muß, sondern nur, daß alle Ergebnisse nicht im luftleeren Raum stehen, demnach vor ihrem Hintergrund betrachtet werden müssen. Auf diese Serie selbst angewandt heißt dies, daß die Forderung nach der Legalisierung aller Hanfprodukte Teil ihrer ideologische Basis war. Trotzdem wurde versucht, nicht die Augen vor der möglichen Schädlichkeit zu verschließen und sei es nur mit dem paracelsischen Gemeinplatz, daß die Dosis die Giftigkeit bestimmt.

Alte Mythen werden aufgelöst, neue Mythen entstehen. Um eine so berauschende Pflanze wie den Hanf werden sich immer Ungereimtheiten ranken. Der Wissenschaft obliegt es, ein solides Fundament für die Beurteilung von Cannabis zu schaffen und so damit beizutragen, dem einzelnen Hanfliebhaber einen der Gesundheit nicht abträglichen Genuß zu ermöglichen. Die Jugend mißachtet schon lange eine in den meisten Ländern verfehlte Cannabispolitik. Und erst nachdem Schmerzpatienten vermehrt zu Cannabis griffen, um Linderung zu erfahren, forschte die Wissenschaft nach den Ursachen für die lange ignorierten Wirkungen der Heilpflanze. Die beiden Beispiele zeigen: Die Forschung wird auch in Zukunft durch die Erfahrungen des Konsumenten einerseits relativiert, andererseits aber auch genährt. Das HanfBlatt wird den Fortgang weiterhin teilnehmend beobachten.

Jörg Auf dem Hövel

 

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Interviews Psychoaktive Substanzen

Interview mit Nana Nauwald

HanfBlatt, Nr. 82, März 2003

Schamanismus-Expertin und Künstlerin Nana Nauwald im Interview

Vom Wandeln zwischen den Welten

Ihre über 20jährige Erfahrung im Schamanismus indigener Kulturen, besonders ihre Exkursionen zu Schamanen des Amazonasgebiets und Nepals haben die Künstlerin Nana Nauwald zu einer Expertin für Schamanismus und Anderswelten gemacht. Einer der wichtigsten Gründe für ihre Aufenthalte in Gemeinschaften dieser Kulturen ist, dort zu lernen wie wir in unserem Kulturkreis die Wurzeln des „alten Wissens“ wiederfinden und beleben können. Es ist ein kühler, feuchter Novembertag, als wir die Künstlerin in ihrem Haus in der Lüneburger Heide besuchen. Schon im Garten stehen afrikanische Statuen, Stelen aus Knochen, liegen Steinhaufen absichtsvoll herum, wickelt sich eine Steinspirale auf, sprießen Federn wie Pflanzen aus dem Boden. Schalen und Abalonemuscheln mit Resten von Nüssen und Körnern erzählen von Speiseopfern an die Geister. Das Atelier wirkt geradezu wie von den kraftvollen Farben ihrer Bilder erleuchtet. Angst vor Farbe hat Nana Nauwald, 55, auf jeden Fall nicht.

Nana NauwaldHanfBlatt
„Schamanismus“, damit verbinden viele die auf Messen und Wochenendseminaren angebotenen Kurse, in denen man innerhalb von drei Tagen zum Schamanen wird.

Nana Nauwald
Der Jahrmarkt der Seminar-Eitelkeiten macht auch vor der Vermarktung des Schamanen-Begriffs nicht halt. Schamanismus ist eine immer noch lebendige Art, die Welt zu sehen – eine Erfahrungswissenschaft, nichts, was sich durch Seminar erlernen lässt. Nichts, wozu man sich in Kursen ausbilden lassen kann. Hätten all die, die sich bei uns selbstgefällig mit dem Titel „Schamane“ oder „Schamanin“ schmücken, jemals längere Zeit bei Schamanen in deren in der schamanischen Weltsicht lebenden Gemeinschaften verbracht – sie würden sich schon aus Respekt vor der Arbeit eines wirklichen Schamanen nicht mehr diese Bezeichnung anmaßen. Es gibt auch in unserem Kulturkreis viele Menschen, die integer als Heilerinnen und Heiler arbeiten – ohne sich mit fremden Federn und Mänteln der Macht zu schmücken. Unsere Gesellschaft ist geprägt von einer ständigen Gier nach etwas Neuem, dem ultimativen Thrill, der esoterischen Wunderkur mit persönlicher Schnell-Erleuchtung. Das finde ich manchmal fast lustig, weil das Neue fast immer das bewährte Alte ist – wie beim Schamanismus. Wir leben nicht nur in einer materiellen User-Mentalität, sondern auch in einer geistigen User-Mentalität.

Zum Glück hat jede modische Mentalitätserscheinung auch immer ein Gegengewicht…

Ja, dieses Gegengewicht wächst. Immer mehr Sucherinnen und Sucher nach den Spuren des alten schamanischen Wissens unseres Kulturraums machen sich auf den Weg, den Strand unter dem Pflaster wieder freizulegen. Dazu gehört, dass die heimische Pflanzenwelt mit ihrem Reichtum an heilenden und die Türen ins Feld des Bewusstseins öffnenden Pflanzen mehr und mehr Beachtung findet. Neue Rituale zum Betreten des Bewusstseinsfeldes, der Anderswelt, sind bei uns entstanden und entstehen weiter neu. Rituale, in denen die entheogen wirkenden Pflanzen mit Respekt behandelt werden und aus der „fun-user“ Haltung eine geistige Haltung wird mit der Absicht, Erkenntnis zu erlangen. Schamanen aus schamanischen lebendigen, indigenen Kulturen lehren uns in diesem Punkt, was zweifelsfrei auch unsere Schamanen und Heiler der vorchristlichen Zeit wussten: entscheidend für die Wirkung alle heilerischen Handlungen und das Erfahren in nicht-alltäglichen Bewusstseinszuständen ist die innere geistige Haltung und die Absicht des Handelns.

Zur Zeit hat der Schamanismus aus dem Gebiet des Amazonas bei den Drogisten und Esoterikern dem Schamanismus Nordamerikas den Rang abgelaufen…

Ein Grund liegt sicherlich darin, dass in den meisten Kulturen Amazoniens mit einem stark entheogen wirkenden Trank gearbeitet wird: Ayahuasca. Liane der Seele, Liane des Todes sind nur zwei ihrer vielen Umschreibungen, die etwas von ihrer Wirkung ahnen lassen. Ayahuasca, gebraut aus zwei Grundstoffen: der Liane Ayahuasca und den Blättern des Chacruna-Strauches. Die Schamanen dort arbeiten in ihren Nachtritualen mit „dem Geist der Mutter des Ayahuasca“ um die Ursachen für Krankheiten und Störungen zu sehen, um in die Welt der Geister und Ahnen zu gehen, zur Heilung und Stärkung des Einzelnen und der Gemeinschaft. Selbst für veränderungserfahrende Besucher aus dem Westen ist die Bilderwelt bei der Einnahme von Ayahuasca überwältigend. Die Schamanen am Amazonas sagen oft von den Weißen, sie würden nur kommen um Dschungelkino zu sehen. Wer mehr will als bunte Bilder, wer die Welt des Geistes der Ayahuasca betreten will, der muss sich auf einen Lernweg einlassen, der nicht mit einigen nächtlichen Sitzungen abgeschlossen ist. Ayahuasca ist nicht mein Weg, bei meinen Erfahrungen, meinem Lernweg und meinen Forschungen könnte ich gut und gerne auf diesen mächtigen Trank verzichten. Jedes Mal, wenn ich es trinke, breche ich fast bis zur Bewusstlosigkeit. Trotzdem, die Erfahrung des Geistes von Ayahuasca hat meinen Magen geheilt und mein geistiges Leben nachhaltig verändert.

Mittlerweile kann man auch in Europa ohne Schamanen an Ritualen teilnehmen, bei denen Ayahuasca getrunken wird.

Die Rituale stehen und fallen mit der Person, die sie leitet und die in der Geisteswelt des Ayahuasca mehr als nur ein Besucher sein sollte. Meine Erfahrung ist, dass sich der Geist einer Pflanze nicht in eine Flasche stecken lässt. Dieser Geist ist kulturgebunden, lässt sich nicht manipulieren und als Instant-Geist am anderen Ende der Welt wieder zu dem ihm eigenen wirkungsvollen Einsatz bringen. Ich weiss, dass im Rahmen der Drogisten-Szenerie auf der Suche nach immer neuen Türöffnern eine andere Meinung zu diesem Thema herrscht. Aber so sehe ich das. Der Teil der Wirklichkeit, der sich mit Ayahuasca erkennen und betreten lässt, kann ungeheuerlich in dem Erfahren sein und bedarf der Führung ortskundiger Menschen.

Individuell ist so eine Suche nach psychedelischen Erfahrungen aber doch legitim und begründbar.

Sicher, eine Suche nach Erfahrung bedarf keiner weiteren Legitimierung als den Wunsch nach Erfahrung. Erfahrung an sich besagt aber noch gar nichts. Wichtig ist, was wir aus der Erfahrung machen. Ich denke, es ist an der Zeit auch daran zu denken, dass wir durchaus auch eine Verantwortung haben im Gebrauch solcher Pflanzen aus indigenen Kulturen den Menschen dieser Kulturen gegenüber. Auch als bewusste Sucherinnen nach dem Wissen und der Erfahrung von Schamanen können wir mit dazu beitragen, dass die Wurzeln ihrer geistigen Kultur durch hungrige Westbesucher durchgetrennt werden. Die heilenden Rituale der Schamanen – gleich aus welcher Kultur – lassen sich nicht von uns imitieren, es sei denn, wir geben uns mit dem Schein der äusseren Form zufrieden. Aber wir können von diesen Schamanen lernen, unseren Blick so zu verändern, dass wir die Zugänge zu den schamanischen Wurzeln unseres Kulturraums erkennen. Dieser Zugang zu den uns umgebenden Kräften der Natur, zum Wissen der Alten, wurde nicht nur durch Jahrhunderte der gewaltsamen Christianisierung gekappt, sondern wurde auch im sogenannten Dritten Reich stark parteipolitisch manipuliert und missbraucht. Erst langsam ist es wieder möglich, die Zugänge zu der „Anderswelt“ unserer Ahnen zu betreten, ohne gleich in die rechte Ecke nationalistischer Naturanbeter zu geraten.

Wie können diese Zugänge freigelegt werden? Und wer leistet dies?

Hauptsächlich Frauen sind es, die behutsam wieder diese Zugänge freilegen. Kräuterkundige, Jahreskreis- und den Mond feiernde Frauen mit Freude an der lebendigen Welt der Wesen und Geister, mit viel Lust am irdischen Leben. Hier geht es mir nicht um einen feministischen Ansatz – ohne die männliche Energie ist keine Bewegung des Lebens möglich. Aber ich denke, dass wir Frauen einen leichteren Zugang zu den nicht-sichtbaren Welten haben, zu dem schöpferischen Potential der kreativen Lebensenergien. Das Thema „aus sich selbst schöpfen und in die Welt bringen“ ist das weibliche Grundthema. Außerdem sind Frauen geduldiger wenn es darum geht, etwas wachsen zu lassen – meistens jedenfalls. Meine Erfahrung ist, dass Frauen viel stärker durch Klang, Rhythmus und Bewegung die Türen zum geistigen Bewusstseinsfeld öffnen können als es Männern meist möglich ist. Männer brauchen häufig stärkere Türöffner.

Klar, spezielle Pflanzen lösen einen biochemischen Prozess aus, der zu einem intensiven Farb-und Bilderleben führt.

Will man aber mehr als das, will man dem Geist der Pflanze so begegnen, dass eine erkennende Erfahrung möglich ist, ist es angeraten das zu tun, was Schamanen im Umgang mit entheogenen Pflanzen tun: sie bereiten sich vor – innerlich und äusserlich. Macht man das in unserer Gesellschaft jedoch in einem ungeschützten Umfeld, ist es ein Leichtes, beim Psychiater zu landen. Wer mit Pflanzen redet, ihnen zuhört, der kann nur verrückt sein.

Wie also hört man zu, ohne verrückt zu werden?

Als erstes braucht man einen von störenden Außeneinwirkungen geschützten Platz. Empfehlenswert ist, vor der Begegnung mit der Pflanze etwas zu fasten – man wird dadurch feinsinniger. Manche setzen sich auch vorher in die Schwitzhütte oder vollziehen eine rituelle Reinigung durch Waschungen oder durch Räucherungen. Und dann braucht man möglichst viel Zeit – ohne eine Uhr in der Nähe. Es kann anfangs eine sehr ermüdende und entnervende Übung sein, vor einer Pflanze draußen in der Natur zu sitzen und nichts weiter zu tun, als die ganze Aufmerksamkeit auf sie zu richten und zu warten. Das funktioniert nicht nach dem Motto: „Ich, der große Krieger, nehme jetzt Kontakt auf“, sondern die Pflanze übernimmt den aktiven Part. Irgendwann macht sie sich bemerkbar, irgendwann nehme ich die Pflanze wahr in der ihr eigenen Wesensqualität. Wirklich wahrnehmen dessen, was ist, kann nur geschehen wenn mein Urteil und meine Interpretation ausgeschaltet sind. Das ist das schwerste an allen Übungen, die den Zustand einer veränderten Wahrnehmung als Erkenntnisprozess zum Ziel haben. Erkennen beinhaltet die Möglichkeit der Wahrnehmung durch alle Sinne. So kann es sein, dass ich die Wirkungsessenz einer Pflanze riechen kann, dass ich ihre Schwingung höre. Diese Art der Wahrnehmung kann machen, dass ich zu einem Teil der Pflanze werde, ihre Wirkungskraft körperlich spürbar erfahre, hinunter zu Ihren Wurzeln und bis in die letzte Blütenspitze klettern kann. Unsere heimatliche Flora ist immer noch voll von wissensdurchtränkten Pflanzen, Sträuchern und Bäumen. Efeu, Haselnussstrauch, Holunder, Wacholder, Eibe – zum Glück füllt altes und neues Wissem um ihr Wesen und ihre Wirkung schon wieder so einige Bücher und Köpfe. Wichtig ist nur, bereit zu sein, alte Denk- und Erfahrungsmuster beiseite zu schieben und immer wieder neu zu „sehen“ und zu „hören“. Fragt man Leute nach ihren Erfahrungen auf der Sinnesebene nach so einer Begegnung, erhält man oft erstaunlich genaue Antworten in bezug auf die durch die Sinne erfahrenen Qualitäten einer Pfl anze. Und ich denke, so viel anders haben das die Seherinnen und Hexen früher auch nicht gemacht.

Das angesprochene Potential von Pflanzen ist weithin unbekannt. Nur bei denjenigen, die mit diesen Welten -meist durch hedonistisch motivierten Zufall- in Berührung gekommen sind, besteht der Drang nach Aufhellung und Einordnung der psychedelischen Erfahrung. „Was ist hinter meiner Alltagserfahrung?“, so könnte man die dahinter stehende Frage formulieren. Ist das deine Frage?

Ja, der Antrieb zur Suche nach der Welt hinter der Welt muss ein Hunger nach Erkenntnis zugrunde liegen, eine Ahnung davon dass die Materie, die ich berühren und sehen kann, nicht alles ist. Oder wie Tolkien sagte:
Es wartet vielleicht um die Ecke / Ein Tor, ein Durchschlupf in der Hecke / So oft ging ich daran vorbei / Doch kommt der Tag da geh ich frei / Den Weg der ins Geheimnis führt / Wo West die Sonne Ost den Mond berührt

Und hinter der Hecke, was wartet dort?

Na, die Teile der Wirklichkeit, die ich mit meinem „Normalfilter“ nicht wahrnehmen kann! Meiner Meinung nach gibt es zwar nur eine Wirklichkeit, aber darin sind viele Räume. Die Erkundung dieser Räume sollte mit dem Wissen um die Verantwortung verbunden sein, die ich beim willentlichen Betreten dieser Räume trage.

Warum?

Ich sehe das so: Wenn tatsächlich ein Bewusstseinsraum existiert, in dem alle Information zeitunabhängig gespeichert ist und sich immer wieder neu kreiert, dann hinterlässt jeder, der diese Räume betritt, auch seine Informationsspuren. Es geht meiner Ansicht nach bei der absichtsvollen Erfahrung des Raumes der Wirklichkeit, des Bewusstseinsfeldes, um mehr als um persönliches Erleben, es geht um die Erfahrung, in welchem Kontext ich in dieses Bewusstseinsfeld gehöre. Wenn ich diesen Kontext erkannt habe, sozusagen meinen Ton im großen Orchester, dann hat das auch Auswirkungen auf mein Leben in der sogenannten „normalen“ Wirklichkeit.

Ein großer Teil unserer Gesellschaft lebt ja dagegen zwanghaft an und ist an einem materiell ausgerichteten Rationalismus orientiert. Anhänger von Religionen wie Christentum glauben daran, dass es ausreicht sich im Wesentlichen ein paar neurotischen Richtlinien zu unterwerfen, um nach dem Tod die Glückseligkeit zu erreichen.

Richtig, das Erfahren der durch Menschen nicht regulierbaren Welten des Bewusstsein, des Feldes der Information, der Kreativität ist in der Glaubenswelt der sogenannten durch Regeln bestimmten Schriftreligionen nicht vorgesehen. Da herrscht das Prinzip des Glaubens. Eigene Erfahrung macht Menschen schwerer beherrschbar, denn die Erfahrung der Bewusstseinswelten kann die Menschen ja in einen Zustand vom Gefühl der eigenen Vollkommenheit und Aufgehobenheit in einem schöpferischen Urgrund führen, auf den ordnende weltliche Mächte keinen Einfluss haben. Die Extase ist verbannt, macht Angst, gehört in den Bereich unwünschenswerter Phänomene. Zur größten Not muss sie ausgetrieben werden. Dabei wäre ein gesellschaftlich erwünschtes und integriertes Erfahren von Ekstase vor allem für junge Menschen die Stärkung ihrer Lebenskraft, aus der heraus sich selbst bewusste Menschen in die Anforderungen eines Erwachsenenalltags hinein wachsen könnten. In den schamanischen Kulturen gibt es Experten, die jungen Menschen beim Erleben von Ekstase und bei den Reisen in die Wirklichkeit helfen.

Nana Nauwald: Der Schamane (90x70 cm)
Nana Nauwald: Der Schamane (90×70 cm)

Experten geben den entsprechenden geistigen Erfahrungen auch manchmal eine sichtbare oder hörbare Form – Klang, Tanz, Skulptur oder Malerei.

Wenn du damit auf meine Malerei anspielst, dann ist es mir zunächst wichtig zu betonen, dass ich nicht male, was ich in den Feldern des Bewusstseins sehe. Das ist gar nicht möglich, solche Farben gibt es als vermalbare Materie gar nicht. Wenn ich male, webe ich auf meine Art den Geschmack einer Energie oder eines Fadens aus diesem Bewusstseinsfeld hier in der Alltagsrealität ein. Ebensogut könnte ich diese Energie auch singen – wenn ich gut genug singen könnte. Zu malen ist mein Weg, die Verbindung zwischen den Welten, den Wirklichkeiten sichtbar zu machen. Wenn ich male, bin ich Ganz, fühle ich mich manchmal für den Bruchteil von Zeit vollkommen. Meine Sehnsucht, die mich seit zwei Jahrzehnten immer neu antreibt zu durchaus unbequemen äußeren und inneren Reisen ist die, diese Verbundenheit aller Lebensenergien in allen Formen zu erfahren. Gesättigt wurde dieser Hunger bisher hauptsächlich da, wo ein Leben in enger Verbindung mit der Natur und einem geistigen Feld geschieht. Die Erfahrung des Seins in diesem nicht immer wahrnehmbaren und trotzdem wirklichen Bewusstseinsfeld hat nichts zu tun mit Visionen oder Halluzinationen. Meine Erfahrungen mit dem Betreten des Bewusstseinsfeldes mit Hilfe unterschiedlicher Techniken haben mein Leben grundlegend verändert, denn ich habe die ungeteilte Wirklichkeit erfahren.

Heisst die Zukunft zurück zum Einfachen, weil es uns so selten enttäuscht?

Ein alter Mann am Ucayalli sagte mir einmal: „Sieh dich um, wir sind sehr arm hier. Wir haben nichts ausser unserem Leben und die Freude am Leben.“ Einfach, nicht? Und oft wie schwer zu leben. Diese Haltung hat für mich sehr viel mit den Grundpfeilern des Schamanismus zu tun: Freude und Lust am Leben. Und ein anderer Pfeiler ist das Wissen, dass zwar jeder Mensch ein ganz eigener Punkt im kosmischen Netzwerk ist, aber in seiner Individualität gelichzeitig immer mit dem ganzen Netz verbunden ist. Alles existiert nur, weil es im Zusammenhang mit allem steht. Bei uns im Westen achten wir immer sehr darauf, dass man als „Punkt“ der wichtigste Punkt von allen ist, mein Wohlergehen immer an erster Stelle steht. Nur – anders gesehen – wie kann ein einzelner Punkt gesund sein, wenn das ganze Gewebe um ihn herum krank ist? Schamanismus beinhaltet auch das Wissen, dass die Gemeinschaft so gesund oder krank ist wie ihr schwächstes Glied. Nicht verwoben zu sein macht krank. Auch in unserer nicht-schamanischen Gesellschaft gibt es Ansätze von Wegen, sich neu miteinander zu „verweben“. Dazu gehören sicherlich die immer mehr zelebrierten Feste des Jahreskreises, rituelle Kreise zum gemeinsamen Erfahren entheogener Pflanzen, Mondfeste und alle Spielarten der Techniken aus verschiedenen schamanischen Kulturen, die das Beleben unseres alten, in unserem Kulturraum verwurzelten Wissens haben. Schwer ist immer nur der Schritt, diese besonderen Rituale in einer Gemeinschaft mit den Bedingungen unserer Arbeitswelt und den in ihr herrschenden Umgangsformen zu verbinden. Diese Art der Rituale tragen eine explosive, klärende Sprengkraft in sich, die fast immer auch klärend auf die Gestaltung des eigenen Lebensfeldes wirkt. Nur ein Benutzen entheogener Pflanzen ohne den Hintergrund einer geistigen Absicht kann durchaus Spaß machen, hat auf längere Zeit gesehen aber fast immer die Wirkung, den Menschen nicht in die Erfahrung der Ganzheit, sondern in die Zerrissenheit und Entwurzelung zu führen. Um zu lernen, die Welten in uns und ausser uns mit Hilfe von Trancezuständen, entheogenen Pflanzen oder anderen Türöffnern in einen harmonischen Zusammenhang zu bringen, braucht es rituelle Schutzräume.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Nana Nauwald
Nana Nauwald

Zur Person: Nana Nauwald
Ursprünglich als Kirchenmalerin und Restauratorin tätig, verschrieb sich Nana Nauwald 1991 der „visionären Kunst“. Diese veranschaulicht die Vernetzung der geistigen Welten und die Verbindungen von unterschiedlichen Lebensformen. Immer wieder ist Nauwalds Motiv zu erkennen, jedes „Lebewesen“ als das Ganze und ein Teil des Ganzen zur gleichen Zeit darzustellen. Ihre Gemälde sind unter www.visionary-art.de zu sehen. Die Bilder „Amazon Dancing“ und „Der Schamane“ sind als signierte, handabgezogene Siebdrucke erhältlich.

Literatur
Nana Nauwald: Bärenkraft und Jaguarmedizin. Die bewusstseinsöffnenden Techniken der Schamanen.
Nana Nauwald: Der Gesang des schwarzen Jaguars. Mein Leben bei den Schamanen des Amazonas.“

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Psychoaktive Substanzen Specials

Argyreia nervosa

Viel Wind um eine psychedelische Winde

Der freie respektvolle Umgang mit nicht vom Aussterben bedrohten Pflanzen ist ein Menschenrecht. In diesem Sinne lohnt es sich, die enormen Potentiale unserer pflanzlichen Freunde kennenzulernen, auch wenn es manchmal etwas mühsam erscheint. Aber wie heißt es doch so schön: Erst die Arbeit und dann das Vergnügen.

Zu den wichtigsten heilenden heiligen Drogen der mexikanischen Urbevölkerung gehören neben dem meskalinhaltigen Peyotl-Kaktus, den Psiloc(yb)in-Pilzen, dem Stechapfel und dem Wahrsagesalbei die Samen bestimmter Trichterwindenarten, die als Oluliuqui bekannt geworden sind. Botanisch handelt es sich um die Samen von Turbina corymbosa (, früher auch Rivea corymbosa genannt,) und von Ipomoea violacea (, auch Ipomoea tricolor oder Ipomoea rubro-caerulea genannt). Die Samen von Ipomoea violacea werden häufig mit denen von Ipomoea purpurea verwechselt, deren Wirkstoffgehalt unbedeutend ist. Beide tauchen in Samentütchen des Gartenfachhandels in zahlreichen Varietäten unter dem englischen Namen „Morning Glory“ auf und sind wegen ihrer schönen Blätter und Blüten als einjährige Zierpflanzen sehr beliebt. Um weiteren Mißverständnissen vorzubeugen, hier der aktuelle botanische Hinweis: Die Samen von Ipomoea violacea sind länglich und schwarz, die von Ipomoea purpurea rund und schwarz, und die viel selteneren Samen der Turbina corymbosa sind klein, rund und ockerbraun. In zahlreichen anderen Winden vom Typ Ipomoea wurden praktisch dieselben Wirkstoffe wie in der traditionellen Indianerdroge nachgewiesen, wenn auch meist in geringen Mengen. (Diese Wirkstoffe gehören bemerkenswerterweise zur Gruppe der Mutterkornalkaloide, Substanzen, die sich chemisch von der Lysergsäure ableiten lassen und zu denen auch das nahe verwandte halbsynthetische d-Lysergsäurediäthylamid, abgekürzt LSD, zählt.) Herauszuheben ist die Ipomoea carnea, die einen recht hohen Lysergsäurederivatgehalt aufweist, in den tropischen Gebieten Amerikas vorkommt und deren Samen von den peruanischen Shipibo-Indianern sogar als visionsverstärkender Ayahuasca-Zusatz eingesetzt werden. Aber bei der mit Abstand potentesten Winde unter den psychedelischen Winden, handelt es sich um eine ganz besondere Art.

Samen der Argyreia nervosa
Samen der Argyreia nervosa

Die Samen der tropischen Winde mit dem neckischen Namen Baby Hawaiian Woodrose, oder botanisch korrekt Argyreia nervosa, gut zerkaut oder frisch zerstampft auf möglichst leeren Magen einzunehmen heißt, sich auf eine lang anhaltende psychedelische Entspannung einzulassen. Meist stellt sich innerhalb etwa einer Stunde ein wohliges, schlaffes, schließlich sinnlich verstärktes bis schmelzig-erotisches Körpergefühl ein. Der Geist wird wacher. Insbesondere akustische (Musik) und optische Wahrnehmungen (, zum Beispiel der Blick in den Spiegel,) werden intensiver, vielleicht sogar sich halluzinogen wandelnd, empfunden. Begleitet wird der Törn von einer freundlichen bis albernen, irgendwie abgehobenen Enthemmung und energetischer Euphorie. Besonders zu Beginn und während der ersten ein bis zwei Stunden nach Einnahme der Samen kommt es typischerweise zu einer meist vorübergehenden Schwummrigkeit oder gar Übelkeit. Mancheiner scheint hier besonders empfindlich zu sein. So ist es im Einzelfall auch schon zu Erbrechen und Durchfall gekommen. Auch Bauchkrämpfe sollen auftreten können, wogegen das Einnehmen einer entspannten und bequemen Körperhaltung hilft. „Go with the Flow“, zu deutsch, „mit dem Fluß gehen“ scheint das Geheimnis der Argyreia nervosa-Erfahrung zu sein. Zumindest erleichtert es sie ungemein, auch was die körperliche Befindlichkeit betrifft. Während kleine Samenmengen anregend wirken können, kann insbesondere bei höheren Dosierungen ein Gefühl starker körperlicher Mattigkeit ausgeprägt sein. Die individuellen Empfindlichkeiten scheinen auch hier zu variieren. (Man muß ja nicht immer in der Landschaft rumhüpfen, du altes Raverhaus.) Farbige Muster bei geschlossenen Augen, fliessende Wahrnehmungsveränderungen, ähnlich denen unter Einfluß mäßiger Dosen LSD, aber „ruhiger“, und ein anderes Zeit-Raum-Empfinden leiten über in einen tiefen psychedelisch en Erfahrungsbereich. Die Pupillen erweitern sich. Ein Fenster zum visionären inneren Space emotional prall gefüllter Assoziationen und Erinnerungen kann sich öffnen. Wer das nicht will, der sei gewarnt. Bemerkenswert und irgendwie charakteristisch ist, daß die Wirkung der Samen etwa vier bis sechs Stunden nahezu auf demselben, bei höheren Dosierungen recht heftigem Intensitätsniveau bleibt, allso nicht in den Wellen kommt, in denen psychedelische Erfahrungen sonst meist verlaufen. Schließlich läßt sie langsam aber kontinuierlich nach. Nach dem Trip ist Schlaf möglich. Der folgende Tag kann von positiver relaxter Stimmung, aber auch von einem Hangover mit dem Gefühl von Abgeschlagenheit und geistiger Leere geprägt sein. Auch hier spielt die individuelle Prädisposition eine wichtige Rolle.

Bei Überdosierungen kann es auf Grund der gefäßverengenden und blutdrucksenkenden Eigenschaften der Wirkstoffe zu Durchblutungsstörungen und möglicherweise gefährlichen Kreislaufproblemen kommen. Kurze Ohnmachten sind eine sehr ernstzunehmende Warnung. Kranke sollten die Samen auf keinen Fall nehmen (, zumindest nicht ohne kompetente schamanische Betreuung, die man hier kaum finden wird). Sie werden sich wahrscheinlich noch kränker fühlen. Schwangere sollten unbedingt die Finger von (je)der Droge lassen. Die Alkaloide wirken nämlich erheblich wehenfördernd. Vor der Kombination mit anderen Drogen muß gewarnt werden, auch wenn von angenehmen Erfahrungen zum Beispiel in Kombination mit gerauchten Hanfprodukten berichtet wird.

Die wundersame Wirkung der Samen, dieser auch Silberkraut oder Kleine Holzrose genannten wunderschönen mehrjährigen bis zu acht Meter rankenden tropischen Winde mit grossen herzförmigen an der Unterseite silbrig behaarten Blättern und trichterförmigen weißvioletten Blüten, ist wie gesagt auf den höchsten in der Windenwelt bekannten Gehalt an psychoaktiven Mutterkorn-Alkaloiden, insbesondere d-Lysergsäureamid = LSA = LA-111 = Ergin und ähnlichen Substanzen, zurückzuführen. (Das chemisch verwandte, aber doch deutlich anders wirkende halbsynthetische LSD wurde übrigens noch nie in der „freien Natur“ nachgewiesen.) Er wird mit 0,3 % angegeben. Damit wären die Argyreia-Samen aufs Gewicht bezogen etwa 25mal so stark wie analysierte Turbina corymbosa-Samen und immer noch 5mal so stark wie analysierte wildwachsende mexikanische Ipomoea violacea-Samen. Der Wirkstoffgehalt von in nordischen Gefilden gewachsenen Ipomoea violacea-Zierformen soll noch erheblich niedriger ausfallen.

Ein Argyreia-Same wiegt im Schnitt etwa 0,1 Gramm. Liebhaber dieser potenten Droge raten zu vorsichtiger Dosierung und langsamem Herantasten an eine individuell verträgliche psychedelische Dosis. Schon ein Same kann deutlich gespürt werden. Mancheine(r) ist mit derartigen Dosierungen schon voll und ganz zufrieden. Als volle Dosis gelten vier bis neun Samen. Als obere Grenze werden höchstens so um die dreizehn Samen veranschlagt. Ab dieser Dosis treten häufig Kreislaufprobleme auf, ohne daß der Trip dabei mehr hergibt.

Wie erwähnt, werden die ziemlich harten Samen gut zerkaut oder zerstampft, bevor man sie runterschluckt. Ansonsten würden sie den Verdauungstrakt ohne allzugroßes Trara passieren. Man hat mit mäßigem Erfolg versucht, das Risiko von Magen-Darm-Problemen durch Waschen der noch ganzen Samen und Abreiben der äußeren Samenschale zu reduzieren. Durch mehrstündiges Einweichen der zermahlenen Samen in kaltem Wasser an einem dunklen Standort mit anschließendem Abfiltern durch einen Kaffefilter und Runterspülen des so entstandenen Extraktes soll eine mögliche Magenreizung umgangen werden. Diese Art der Zubereitung eines Kaltwasserauszugs entspricht der traditionellen indianischen Methode einen Oluliuqui-Extrakt zuzubereiten. Aber vermutlich hängen die Nebenwirkungen der Windensamen zumindest teilweise auch direkt mit den psychedelischen Wirkstoffen zusammen.

Die Samen sollten so frisch wie möglich genommen werden. Die empfindlichen Alkaloide zersetzen sich im Laufe der Zeit. Es können unerwünschte nicht psychoaktive Zerfallsprodukte entstehen. Die ganzen Samen, kalt und trocken im Dunkeln gelagert, mögen etwa ein halbes bis vielleicht ein Jahr nur wenig an Potenz verlieren. Dann sind sie jedoch irgendwann ausmusterungsbedürftig. Beim Erwerb bedenke man, wie lange die Samen bereits unter welchen Bedingungen gelagert wurden. (Beim Händler erfragen!)

Die Samen der Argyreia nervosa werden als Dauerbrenner unter den „Legal Highs“ nun schon seit bald dreissig Jahren in den USA im Versandhandel angeboten. (1965 wurden sie zum ersten mal analysiert, und ihr hoher Wirkstoffgehalt sprach sich in den psychedelischen Sechzigern schnell rum.) Zahlreiche Kleinanzeigen in Magazinen wie „High Times“ bezeugen, daß es eine anhaltende und gerade in letzter Zeit im Rahmen des psychedelischen und schamanischen Revivals sogar noch gestiegene Nachfrage für die Samen geben muß, obwohl ein regelmässiger Gebrauch sehr ungewöhnlich und bedenklich ist. Typisch bei den meisten Argyreiaprobierern ist eine vorübergehende Experimentierphase, die bald eingestellt wird, zumal wenn andere, weniger den Verdauungstrakt belastende und körperlich ermattende Psychedelika wie LSD oder Pilze zur Verfügung stehen. Damit gelangen die Samen in den Ruf eines Provinzpsychedelikums. (Die Provinz dabei sozusagen als der Ort verstanden, wo man aus der Not heraus selbst Muttis Muskatnüsse oder Engelstrompeten aus den öffentlichen Grünanlagen futtert, nur um nicht immer nur besoffen sein zu müssen.) Dies wird ihren ganz eigenen Qualitäten jedoch in keiner Weise gerecht. Es wurden und werden Preise von bis zu einem Dollar pro Samen verlangt. In der Regel sind sie aber in den USA, insbesondere bei Abnahme größerer Mengen, natürlich nur zur Blumenzucht und nicht zum menschlichen Konsum gedacht, erheblich günstiger erhältlich, nämlich zu Preisen von umgerechnet zwischen etwa 8 und 30 Pfennig das Stück. Bei uns wird im ethnobotanischen Fachhandel häufig ein etwas überhöhter Standardpreis von 1 DM pro Samen verlangt. Die Samen sind (noch) kein Betäubungsmittel im rechtlichen Sinne.LSA

Die hawaiianische Baby-Holzrose wird nicht nur auf Hawaii und in Kalifornien zur Samengewinnung angebaut. Sie gedeiht auch in anderen tropischen Gebieten. So soll sie in Südindien heimisch sein. Weltweit wird sie vereinzelt als attraktive mehrjährige Zierpflanze gezogen. Nicht zuletzt tragen Freaks mit ein paar Samen im Gepäck zur Verbreitung bei, so gesehen auf der Insel Koh Phangan/Thailand. Die Argyreia nervosa wird außerdem in den Staaten für die Floristik angebaut, wo die hübschen Samenkapseln in (Trocken-)Blumenarrangements zum Einsatz gelangen. Auch bei uns läßt sich aus den Samen oder über Stecklinge eine hübsche licht- und wärmeliebende Kübelpflanze ziehen, die, da kälteempfindlich, im Gewächshaus oder in der Wohnung überwintern muß. Es gibt eine Reihe weiterer Argyreia-Arten, die wohl auch Lysergsäure-Derivate enthalten, deren Wirkstoffgehalte aber noch weitgehend unbekannt sind. Die Baby Hawaiian Woodrose oder Argyreia nervosa wird manchmal mit der Large Hawaiian Woodrose, zu deutsch Große Holzrose, oder Merremia tuberosa verwechselt. Diese sieht völlig anders aus. Das gilt auch für die Samen, die größer ausfallen, aber einen deutlich geringeren Wirkstoffgehalt aufweisen.

Zusammenfassend läßt sich nocheinmal herausstellen: Geniesser dieser megapotenten Superturbohüperheiperwindensamen sind besonders angetan von intensiviertem akustischen Erleben und einer Enthemmung in Kombination mit einem schmelzig-erotisch-sinnlichen Körpergefühl. Manche schätzen die introspektiven Potentiale bei einem relativ hohen Grad von Selbstakzeptanz, sprich keiner ausgeprägten Ego-Auflösung sondern mentales Driften auf anhaltend hohem energetischen Niveau. Einige mögen die als niederschmetternd empfundene Wirkung überhaupt nicht, fühlen sich eher krank, deuten soetwas an wie eine Empfindung psychedelischen Stumpfsinns, so es denn soetwas überhaupt geben kann. Für die meisten der an der Einnahme psychedelischer Substanzen interessierten Menschen handelt es sich einfach um eine irgendwie anstrengende Erfahrung, die dann auch wieder nicht so interessant ist, als daß man sie ständig wiederholen möchte. Nichtsdestotrotz ist Argyreia nervosa ein einzigartiges Beispiel für ein leicht erhältliches, einfach zu konsumierendes hochpotentes pflanzliches Psychedelikum aus dem fruchtbaren Schosse der Natur, obendrein noch nahe verwandt mit dem berüchtigten LSD, vielleicht sogar schon ein „moderner Klassiker“ unter den „High-Pflanzen“?!

„Fühlst Du Dich auch so animalisch?“ „Ich fühle mich argyreia nervosa!“

 

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Cannabis

Marihuana Mythen – Teil 5 – Cannabis schwächt das Immunsystem

Marihuana Mythen

Teil V

Weihnachten ist längst vorbei und trotzdem noch spuken Märchen durch die Köpfe der Hanf-Experten. Die Mythen rund um den Hanf richten nachhaltigen Schaden an, fast undurchdringbar scheint das Gewirr der Behauptungen, die den Labors und Forscherstübchen entweichen. Wie sieht es tatsächlich aus: Welchen Nutzen und welche Schäden kann der Konsument von Cannabis aus den pflanzlichen Wirkstoffen ziehen? Wo liegen Gefahren für Körper und Geist, wo Chancen für ihre Genesung? Der fünfte Teil einer Serie überprüft die Behauptung:

„Marihuana schwächt das Immunsystem“

Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen behaupten den Zusammenhang zwischen Marihuana-Gebrauch und einer Schwächung des Immunsystems. Das Risiko, durch Erkältungen und anderen Infektionskrankheiten ins Bett geschickt zu werden, sei, so diese Meinung, bei Konsumenten von Rauschhanf erheblich höher, als bei Abstinenzlern. Bereits in den 70er Jahren entstanden, erhielten diese Behauptungen in den 80er neue Bedeutung, als vermehrt über den Gebrauch von Marihuana unter AIDS-Kranken berichtet wurde. Sollte man den Kiffer auf der Straße an seiner chronisch roten Nase erkennen?

DIE FAKTEN

sprechen eine relativierende Sprache. Um in diesem Fall für Aufklärung zu sorgen, muß zunächst ein Rückblick in die Historie gewagt werden. Die Ausgangstudie, die die ursprüngliche Beeinträchtigung des Immunsystems durch Gras behauptete, ging folgendermaßen vor: Man entnahm von Kiffern und einer Kontrollgruppe Blut und isolierte die weißen Blutkörperchen. Die Hälfte der weißen Zellen sind Lymphozyten, wiederum etwa 70 Prozent dieser werden T-Lymphozyten genannt. Diese stürzen sich im Bedarfsfall auf Eindringlinge im Körper, sie bilden einen Bestandteil der Immunabwehr des Körpers. Wittern sie Gefahr, vermehren sie sich um dem Feind in großer Zahl entgegentreten zu können. Der französische Wissenschaftler G.G. Nahas zeigte nun in der Studie, daß sich die T-Lymphozyten bei den Fans des Marihuanas nicht nur langsamer vermehrten, 44 Prozent der kleinen Kämpfer waren sogar außer Kraft gesetzt. Bei Krebspatienten sind das meist „nur“ bis 40 Prozent. Aber: Keine Untersuchung konnte die Zahlen von Nahas und seinen Kollegen je wieder nachweisen, sie wurde vielfach widerlegt. Zu spät, ein Mythos war geboren.

An dieser Stelle sei, daß Nahas noch heute als einer der angesehensten Wissenschaftler in seinem Heimatland gilt und mitverantwortlich ist für die unsäglich rigide Cannabis-Politik im Lande des berauschenden Weines. Aber schütten wir keinen Zorn und keine Häme aus, sondern wenden uns wieder dem Thema zu. 1988 zeigte eine andere Untersuchung das Gegenteil: Hanfraucher und Raucherinnen erfreuen sich bester Gesundheit, ihr Immunsystem sei sogar intakter als das von vergleichbaren Kontrollgruppen. Andere Wissenschaftler wollten 1979 nachgewiesen haben, daß einer der psychoaktiven Wirkstoffe im Hanf, das THC, die Widerstandsfähigkeit gegen das Herpes simplex-Virus senkt. Auch diese These wurde später (1991) überpüft und verworfen. THC bindet sich an das Herpes-Virus und inaktiviert es somit. Die äußerliche Anwendung eines Alkoholextrakts aus Cannabis sorgte dafür, daß vorhandene Bläschen innerhalb eines Tages verschwanden.

Nun greift leider auch die Marihuana-Forschung auf Tiere als Versuchssubjekte zu. Das Immunsytem von Nagetieren wurde in Mitleidenschaft gezogen, als sie THC in hohen Dosen verabreicht bekamen. Die Aussagekraft dieser Ergebnisse sind stark angezweifelt worden, weil die Tagesdosis bei 100mg pro Kilogramm lag, etwa 1000 mal so hoch, als benötigt wird, um beim Menschen eine psychoaktive Wirkung zu erzielen.

In den drei großen Marihuana-Feldstudien in den 70er Jahren (Jamaica, Costa Rica, Griechenland) fanden die Forscher bei den Grasrauchern keinen Unterschied in der Empfänglichkeit für Krankheiten gegenüber Nichtrauchern. Einschränkend sei aber hier angeführt, daß neuere Forschungen THC-Metaboliten in der Lunge gefunden haben, und dies noch sieben Monate nachdem mit dem Rauchen des Hanfs aufgehört wurde. Diese Metaboliten sind durchaus imstande, daß Immunsystem anzugreifen. Die Gefahr einer Bronchitis ist unter Marihuana-Raucher höher als unter Nichtrauchern (siehe HANFBLATT 1/97).

Neue Nahrung erhielt der Mythos von der Schwächung des Immunsystems durch die Krankheit AIDS. Der ehemalige oberste Drogenwächter Nord-Amerikas, Carlton Turner, behauptete in den 80er Jahren, daß Marihuana den Ausbruch von AIDS begünstige. Alle ernstzunehmenden Studie widerlegten seine Annahme, trotzdem ließ er sich nicht überzeugen. Er krönte sein unwissendes Haupt zudem mit dem verbürgten Ausspruch, daß Hanf-Konsum zur Homosexualität führe. Ende gut, Alles gut: Turner trat später auch aufgrund dieser Fehltritte zurück.

Es steht fest: Weder begünstigt Marihuana den Ausbruch von AIDS, noch führt es zur Verstärkung der Symptome unter AIDS-Patienten. Im Gegenteil, heute nutzen viele AIDS-Kranke die Wirkung des Hanfs, um ihren Appetit anzuregen und ihre Übelkeit zu bekämpfen. Mittlerweile gehen manche Wissenschaftler sogar davon aus, daß THC stimulierende Effekte auf das menschliche Immunsystem hat.

Völlig unberücksichtig bei der schulmedizinischen Betrachtung bleibt der psychische Aspekt, der im folgenden kurz angerissen wird. Man weiß seit längerem, daß der Ausbruch vieler Krankheiten auch immer eine psychologische Komponente besitzt. Kurz: Wer sich wohl fühlt, wer sich an seinem Leben erfreut, wer gesund lebt, bleibt auch gesund. Marihuana besitzt nun wahrscheinlich das Potential, sowohl positiv wie negativ zu wirken. Zuviel Pot, zum falschen Zeitpunkt, am falschen Ort dürfte den Körper des Kiffers zur Rebellion verführen; der wohldosierte, in Ruhe genossene Konsum dagegen durchaus zur Stabilität des körperlichen und seelischen Gleichgewichts beitragen.